VwGH 2007/19/0827

VwGH2007/19/082720.2.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerden der beschwerdeführenden Parteien 1. F, 2. A, und 3. R, alle vertreten durch Dr. Michael Rohregger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 11/2, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates vom 1.) 26. April 2007, Zl. 264.859/0/6E-V/13/05, 2.) 26. April 2007, Zl. 264.860/0/3E-V/13/05, 3.) 26. April 2007, Zl. 264.858/0/5E-V/13/05, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §10 Abs5;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1997 §10 Abs5;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden hinsichtlich der erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, hinsichtlich der drittbeschwerdeführenden Partei wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40, insgesamt somit EUR 3.319,20, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die beschwerdeführenden Parteien sind Mitglieder einer Familie (die Erstbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer sind ein Ehepaar, der Zweitbeschwerdeführer ist ihr minderjähriges Kind) und russische Staatsangehörige tschetschenischer Volkszugehörigkeit.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer reisten gemeinsam am 23. Juli 2004 in das Bundesgebiet ein. Der Drittbeschwerdeführer beantragte noch am selben Tag Asyl; die Erstbeschwerdeführerin brachte für sich und den drei Tage nach der Einreise in Österreich geborenen Zweitbeschwerdeführer am 2. August 2004 Asylanträge ein, in denen sie sich auf die Fluchtgründe des Drittbeschwerdeführers bezog.

Der Drittbeschwerdeführer gab im Wesentlichen an, während des zweiten Tschetschenienkrieges im Jahr 1999 aus Tschetschenien geflohen und erst im März 2004 (gemeinsam mit der Erstbeschwerdeführerin) in sein Heimatdorf zurückgekehrt zu sein. Dort habe er sich bis zu seiner Ausreise (im Juli 2004) aufgehalten. Im Mai 2004 sei er von russischen Soldaten festgenommen und auf die Kommandantur gebracht worden. Dort habe man ihn sieben Tage lang festgehalten, verhört und dabei auch geschlagen. Man habe ihm das Geständnis abringen wollen ein tschetschenischer Kämpfer zu sein bzw. Kontakt zu anderen Kämpfern zu haben. Über Intervention des Gemeindevorstandes seines Heimatdorfes und Zahlung einer Geldsumme sei er schließlich freigelassen worden, habe sich aber anschließend im Umfeld seines Heimatdorfes versteckt halten müssen, weil Sicherheitskräfte neuerlich nach ihm gefragt hätten. Deshalb seien er und die Erstbeschwerdeführerin aus der Heimat geflohen.

Mit Bescheiden jeweils vom 21. September 2005 wies das Bundesasylamt die Asylanträge gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig und wies die beschwerdeführenden Parteien gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet aus.

Die dagegen erhobenen Berufungen wies die belangte Behörde mit den angefochtenen Bescheiden im Asylteil gemäß § 7 AsylG (hinsichtlich des Drittbeschwerdeführers) bzw. "gemäß § 7 iVm § 10 AsylG" (hinsichtlich der erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien) ab. Gleichzeitig gewährte es den beschwerdeführenden Parteien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG subsidiären Schutz und erteilte ihnen befristete Aufenthaltsberechtigungen.

Begründend führte sie zu den Asylanträgen der erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien aus, diese könnten als Angehörige des Drittbeschwerdeführers nur den "gleichen Schutzumfang" wie dieser erhalten. In Bezug auf den Drittbeschwerdeführer könne aber nicht festgestellt werden, dass er im Frühling 2004 - wie von ihm behauptet - von russischen Militärkräften festgenommen, zur Polizeikommandantur verbracht und dort misshandelt bzw. sieben Tage angehalten worden sei. Das "in extenso durchgeführte Berufungsrechtsgespräch" (gemeint die Berufungsverhandlung vom 19. April 2007, in der die Erstbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer neuerlich einvernommen worden waren) habe "mit eindeutiger Gewissheit" gezeigt, dass der Drittbeschwerdeführer zum behaupteten Vorfall im Frühling 2004 "nicht ansatzweise ein klares und fundiertes Bild der Ereignisse bieten" habe können. Trotz "konstruktiver Fragestellung" sei er nicht in der Lage gewesen, Details zum Hergang der dramatischen Erlebnisse anzugeben. Er habe in einer "wortkargen Darlegung einiger weniger Eckpunkte seiner Schilderung verharrt" und diese "in stereotyper Art und Weise" wiederholt. Dem "diesbezüglichen Sachverhaltskreis" sei daher "jegliche Glaubhaftigkeit" abzuerkennen. Hinzu komme, dass seine Angaben im Vergleich zu jenen der Erstbeschwerdeführerin nicht "konsistent" gewesen seien. So habe Letztere ausgesagt, dass sich der Drittbeschwerdeführer bei der Festnahme im Hof des Hauses der Familie befunden habe, während der Drittbeschwerdeführer von einer Festnahme im Wohnzimmer gesprochen habe. Er habe ausgesagt, dass die ihn festnehmenden Soldaten nicht maskiert gewesen seien, während die Erstbeschwerdeführerin angegeben habe, die Militärangehörigen hätten Masken getragen. Weiters habe der Drittbeschwerdeführer ausgesagt, nach seiner Freilassung innerhalb der Grenzen seines Heimatdorfes versteckt gewesen zu sein, während die Erstbeschwerdeführerin angegeben habe, gemeinsam mit ihrem Mann in verschiedenen in der Nähe befindlichen Dörfern gewesen zu sein.

Rechtlich folgerte die belangte Behörde, dass eine Verfolgung aller Bürger der Region Tschetscheniens tschetschenischer Abkunft auf Grund ihrer Volkszugehörigkeit per se nicht angenommen werden könne. Im Falle einer individuellen Verfolgung bestehe für sie aber keine inländische Fluchtalternative im Gebiet der Russischen Föderation. Den beschwerdeführenden Parteien sei es nicht gelungen, eine sie spezifisch betreffende Verfolgung von erheblicher Eingriffsintensität aus ethnischen oder politischen Gründen darzulegen. Deshalb könne ihnen auch kein Asyl gewährt werden. Sie benötigten jedoch subsidiären Schutz. Unter Zugrundelegung der Länderfeststellungen zur medizinischen Versorgungslage in Tschetschenien sei nämlich eine adäquate medizinische Betreuung der beschwerdeführenden Parteien bei Rückkehr nicht hinreichend gesichert und es drohe ihnen die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK. In diesem Zusammenhang traf die belangte Behörde die Feststellung, der Drittbeschwerdeführer leide unter "neurologischen Problemen, welche den Bewegungsapparat schwer beeinträchtigen"; die Erstbeschwerdeführerin habe Hepatitis B und leide unter "psychischen Angststörungen mit Somatisierung, welche als depressive Erkrankung zu qualifizieren" sei.

Gegen die Asyl ablehnenden Spruchteile der Bescheide richten sich die vorliegenden, wegen des sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Sämtliche Beschwerden beziehen sich auf das Fluchtvorbringen des Drittbeschwerdeführers und rügen die Mangelhaftigkeit der von der belangten Behörde in diesem Zusammenhang vorgenommenen Beweiswürdigung. Damit sind sie im Ergebnis im Recht.

Die behördliche Beweiswürdigung ist der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof zwar nur dahin unterworfen, ob der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt wurde und ob die dabei angestellten Erwägungen schlüssig sind, was dann der Fall ist, wenn sie den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut nicht widersprechen, ohne dass es dem Gerichtshof zukäme, die vorgenommene Beweiswürdigung der belangten Behörde darüber hinaus auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen. Eine Beweiswürdigung ist aber nur dann schlüssig, wenn (unter anderem) alle zum Beweis strittiger Tatsachen nach der Aktenlage objektiv geeigneten Umstände berücksichtigt wurden (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 30. August 2007, 2006/19/0458 und 2006/19/0404, sowie vom 24. Jänner 2008, 2006/19/0187).

Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen erweist sich die Beweiswürdigung der belangten Behörde im vorliegenden Fall als unschlüssig, zumal die belangte Behörde zwei nach der Aktenlage relevante Umstände in ihrer Beweiswürdigung unberücksichtigt gelassen hat.

Zum einen blieb in den angefochtenen Bescheiden unerwähnt, dass die im erstinstanzlichen Verfahren von der Asylbehörde beigezogene Ärztin Dr. Hruby nach einer Untersuchung des Drittbeschwerdeführers eine "Persönlichkeitsveränderung aufgrund traumatischer Erlebnisse !! (chron. PTSD)" diagnostiziert hatte. Die Beweiswürdigung lässt nicht erkennen, dass die belangte Behörde diesem Beweisergebnis Beachtung geschenkt und ihm bei ihren (zum Nachteil des Drittbeschwerdeführers angestellten) Überlegungen, wonach er in einer "wortkargen Darlegung einiger weniger Eckpunkte seiner Schilderung verharrt" und diese "in stereotyper Art und Weise" wiederholt habe, Rechnung getragen hat (vgl. zur Relevanz psychischer Probleme für das Aussageverhalten im Allgemeinen etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Juni 2005, 2005/01/0080, mwN).

Zum anderen geht die belangte Behörde in ihrer Beweiswürdigung auf eine (nach der mündlichen Berufungsverhandlung übersandte) Stellungnahme der beschwerdeführenden Parteien vom 25. April 2007 nicht ein. In dieser führte der Drittbeschwerdeführer unter anderem aus, es sei ihm auf Grund der ihm widerfahrenen Misshandlungen schwer gefallen, das Erlebte in der Berufungsverhandlung zu erzählen. Er sei deshalb wegen seines psychischen Gesundheitszustandes auch in Therapie. Aus diesen Gründen sei es ihm auch nicht möglich gewesen, in der Verhandlung Konkreteres anzugeben. Im Folgenden erstattete er Vorbringen über die Erlebnisse während seiner Haft. Anschließend unternahmen die beschwerdeführenden Parteien den Versuch, eben jene Widersprüche aufzuklären, welche die belangte Behörde in ihre Bescheidbegründung gegen ihre Glaubwürdigkeit ins Treffen führt. Mit all dem hat sich die belangte Behörde in den angefochtenen Bescheiden nicht auseinandergesetzt.

Aufgrund dieser Mängel der Beweiswürdigung zum Fluchtvorbringen des Drittbeschwerdeführers, denen die Relevanz für das Verfahrensergebnis auch nicht abgesprochen werden kann, war der ihn betreffende angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Dieser Umstand schlägt im Familienverfahren gemäß § 10 Abs. 5 AsylG auch auf die Verfahren der erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien durch. Die sie betreffenden Bescheide der belangten Behörde waren daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch auf den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 20. Februar 2009

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