VwGH 2007/18/0684

VwGH2007/18/068416.6.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde der S G in Wien, vertreten durch Dr. Andreas Waldhof, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Reichsratsstraße 13, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 7. August 2007, Zl. E1/327.001/2007, betreffend Erlassung eines befristeten Rückkehrverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

61999CJ0413 Baumbast VORAB;
62002CJ0200 Zhu und Chen VORAB;
ABGB §138c Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs6;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
EMRK Art8 Abs2;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
61999CJ0413 Baumbast VORAB;
62002CJ0200 Zhu und Chen VORAB;
ABGB §138c Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs6;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
EMRK Art8 Abs2;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen die Beschwerdeführerin, eine serbische Staatsangehörige, gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Rückkehrverbot.

Dieser Entscheidung legt sie im Wesentlichen die Feststellungen zu Grunde, dass die Beschwerdeführerin am 12. August 2003 gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten R S. und ihrem Kind M G. illegal in das Bundesgebiet eingereist sei und einen Asylantrag gestellt habe, der abgewiesen worden sei. Die gegen diese Entscheidung eingebrachte Berufung sei noch unerledigt.

Am 18. April 2005 habe die Beschwerdeführerin den österreichischen Staatsbürger P G. geheiratet und auf diese Ehe gestützt einen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gestellt.

Daraufhin führte die Erstbehörde - im angefochtenen Bescheid näher dargestellte - Ermittlungen hinsichtlich des Vorliegens einer Aufenthaltsehe durch. Die Ergebnisse dieser Ermittlungen lieferten Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem Ehegatten kein gemeinsames Familienleben geführt hat. Einerseits befanden sich in der angeblich gemeinsamen Ehewohnung weder Kleidungsstücke noch Dokumente der Beschwerdeführerin und ihres minderjährigen Kindes, andererseits zeigte sich der Ehemann auffallend uninformiert und uninteressiert hinsichtlich der persönlichen Umstände der Beschwerdeführerin. Einer unbenannt gebliebenen Auskunftsperson zufolge lebte die Beschwerdeführerin mit R S. auch noch nach ihrer Verehelichung zusammen.

Zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides - so die belangte Behörde - sei die Beschwerdeführerin im Bundesgebiet nicht gemeldet gewesen. Bei Vernehmung der Eheleute hätten sich - im angefochtenen Bescheid näher dargestellte - erhebliche Widersprüche ergeben, so beispielsweise im Hinblick auf die Namensgebung des am 5. Oktober 2006 geborenen Kindes sowie die Ausstattung der Wohnung. Der Ehemann der Beschwerdeführerin sei jedoch "sehr vergesslich". Bei seiner Zeugenvernehmung habe er sich offensichtlich an viele Dinge nicht erinnern können und es sei oft schwer gewesen, "sinnvolle Antworten auf entsprechende Fragen zu erhalten".

Im Zuge weiterer Erhebungen hätten sich auch Widersprüche u. a. hinsichtlich des Zeitpunkts des Kennenlernens ergeben. Die Beschwerdeführerin habe jedoch in ihrer Stellungnahme vom 9. Jänner 2007 das Eingehen einer Aufenthaltsehe bestritten. Es handle sich um eine Liebesheirat, dieser Liebe entspringe auch die gemeinsame Tochter E G., geboren am 10. Oktober 2006. Der Ehemann der Beschwerdeführerin sei als Vater in der Geburtsurkunde eingetragen und habe die Vaterschaft auch nie bestritten. In einer neuerlichen Vernehmung am 16. Mai 2007 habe P G. bestätigt, die Ehe aus Liebe geschlossen zu haben und mit der Beschwerdeführerin, der gemeinsamen Tochter sowie dem Kind M im gemeinsamen Haushalt zu leben.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann komme nur eine sehr eingeschränkte Glaubwürdigkeit zu, weil beide offensichtlich bestrebt gewesen seien, "dem evidenten Scheineheverdacht zu begegnen". In den Aussagen der Ehepartner fänden sich teilweise erhebliche Widersprüche hinsichtlich der Einreise der Beschwerdeführerin und der Namensgebung des künftigen Kindes. Die Angaben der Beschwerdeführerin über diverse Küchengeräte seien von tiefgreifender Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse geprägt gewesen. Bei Erhebungen an der behaupteten gemeinsamen Wohnadresse habe das Ehepaar nicht gemeinsam angetroffen werden können. Es seien auch keine persönlichen Gegenstände, Dokumente oder Kleidungsstücke der Beschwerdeführerin in der Wohnung gewesen. Laut Ermittlungen habe die Beschwerdeführerin auch bis etwa Juni 2005 - somit auch noch Monate nach der Eheschließung mit P G. - mit R S. zusammengelebt. Auch danach wären die Beschwerdeführerin und R S. regelmäßig gemeinsam gesehen worden, sodass davon ausgegangen werden könne, dass die beiden nach wie vor zusammenlebten. Derzeit sei die Beschwerdeführerin im Bundesgebiet nicht gemeldet.

Für die belangte Behörde bestehe kein Zweifel, dass die Beschwerdeführerin eine Aufenthaltsehe zwecks Erlangung aufenthalts- und (allenfalls) beschäftigungsrechtlicher Vorteile eingegangen sei. Dieses Vorgehen stelle eine grobe Verletzung der öffentlichen Ordnung, insbesondere auf dem Gebiet eines geordneten Fremdenwesens, dar, sodass die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sowohl zulässig als auch dringend geboten sei. Das Eingehen einer Aufenthaltsehe stelle zweifellos auch eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar, die das Grundinteresse der Gesellschaft an einer gesetzlich gesteuerten Zuwanderung, an der Einhaltung der hiefür maßgeblichen Rechtsvorschriften und das Recht auf wahrheitsgetreue Angaben gegenüber Staatsorganen berühre.

Im Rahmen der Interessensabwägung gemäß § 66 Abs. 1 und Abs. 2 FPG falle einerseits der ca. vierjährige Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet, andererseits auch das angeblich gemeinsame Kind mit ihrem Ehemann ins Gewicht. Sonst habe die Beschwerdeführerin keine lebenden Verwandten im Bundesgebiet. Wenn die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung auf den gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehemann und dem gemeinsamen Kind, als dessen Vater P G. in der Geburtsurkunde eingetragen sei und dieser die Vaterschaft noch nie bestritten habe, verweise, sei zu beachten, dass sich P G. im Verfahren selbst als "krank" bezeichnet und dargelegt habe, dass er vergesslich sei. Überdies sei ihm ein gewisses "Phlegma" eigen. Die Erstbehörde habe vermerkt, dass es bei der Vernehmung von P G. oft schwer gewesen sei, sinnvolle Antworten auf entsprechende Fragen zu erhalten. Anlässlich der Vernehmungen habe er weder ein Interesse daran gezeigt, wann seine Frau eingereist sei, noch, ob sie einen Asylantrag gestellt habe. "Es interessiere ihn auch nicht so, was seine Frau tut. Er wolle es so genau auch gar nicht wissen." P G. gehe keiner Beschäftigung nach, lebe von der öffentlichen Hand, spiele viel am Computer und verfüge über ferngesteuerte Modellautos. So wie sich P G. im Verfahren präsentiert habe, könne nicht davon ausgegangen werden, dass er sich der Tragweite mancher seiner Handlungen bewusst sei. Ob und inwieweit er in der Lage sei, zu begreifen, welche Rechtswirkungen mit der Eintragung seiner Vaterschaft in Bezug auf E G. verbunden seien, möge dahingestellt bleiben.

Die aus § 138 Abs. 1 ABGB abzuleitende widerlegbare Vermutung der Ehelichkeit des am 10. Oktober 2006 geborenen Kindes der Beschwerdeführerin stelle eine Rechtsfrage dar, die sich allein aus dem formalen Bestand der Ehe und dem Tag der Geburt ergebe und daher - ohne Hinzutreten weiterer Umstände - keine Rückschlüsse auf das zwischen den Ehegatten geführte Familienleben ermögliche. Eine Vermutung, dass der Ehemann der Mutter mit dieser ein Familienleben iSd Art. 8 EMRK geführt habe, enthalte § 138 Abs. 1 ABGB nicht.

Den persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin am weiteren Aufenthalt in Österreich stehe das rechtsmissbräuchliche Eingehen der Ehe und die Berufung darauf im Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung entgegen, wodurch maßgebliche öffentliche Interessen iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK erheblich beeinträchtigt würden. Das Rückkehrverbot sei daher zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und die Auswirkungen dieser Maßnahme wögen nicht schwerer auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von deren Erlassung.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Annahme der belangten Behörde hinsichtlich des Vorliegens einer Aufenthaltsehe und bringt dazu im Wesentlichen vor, beide Eheleute hätten übereinstimmend beteuert, aus Liebe und Sympathie geheiratet zu haben. Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Namensgebung des gemeinsamen Kindes oder verschiedene Angaben über die Küchenausstattung sowie das Unwissen des Ehemannes über die näheren Umstände der Einreise der Beschwerdeführerin vor deren Kennenlernen könnten nicht auf das Vorliegen einer Scheinehe hindeuten. Die Beschwerdeführerin sei mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet und Mutter einer österreichischen Staatsbürgerin. Der alleinige Umstand einer getrennten Wohnung nach ursprünglicher Ehegemeinschaft reiche nicht aus, um daraus auf das Vorliegen einer Aufenthaltsehe schließen zu können.

Damit gelingt es der Beschwerde jedoch nicht, eine Unschlüssigkeit der behördlichen Beweiswürdigung aufzuzeigen.

Die Beschwerde geht insbesondere nicht auf das der Beweiswürdigung der belangten Behörde zu Grunde liegende Ergebnis der Hauserhebung an der angeblich ehelichen Wohnanschrift am 6. Dezember 2005, bei der keine Kleidungsstücke, Dokumente oder persönlichen Gegenstände der Beschwerdeführerin oder ihres Kindes vorhanden waren, ein. Weiters wendet sich die Beschwerde nicht gegen die Ausführungen im angefochtenen Bescheid, wonach die Beschwerdeführerin bis etwa Juni 2005 - somit noch Monate nach der Eheschließung - mit R S. und M G. in einem gemeinsamen Haushalt gewohnt habe und davon ausgegangen werde, dass sie nach wie vor mit R S. zusammenlebe. Demgegenüber behauptet die Beschwerdeführerin lediglich allgemein, dass ursprünglich eine Ehegemeinschaft vorgelegen sei, ohne jedoch konkrete Beweisergebnisse zu nennen, die ihren Standpunkt stützen könnten. Entgegen der Beschwerdeansicht lässt der Hinweis auf die gesetzliche Vermutung der ehelichen Geburt des Kindes allein - worauf die belangte Behörde zutreffend hingewiesen hat - noch nicht zwingend auf das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens iSd Art. 8 EMRK schließen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. September 2009, Zl. 2008/18/0131, mwN).

Die Beweiswürdigung der belangten Behörde begegnet daher im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden Überprüfungsbefugnis (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) keinen Bedenken.

Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass der Abschluss einer Aufenthaltsehe im Sinn des - infolge § 87 FPG auch hier zur Anwendung zu bringenden - Maßstabes des § 86 Abs. 1 FPG eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Somit durfte die belangte Behörde mit einem Rückkehrverbot gegen die Beschwerdeführerin vorgehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Juni 2009, Zl. 2008/22/0617, mwN).

Dennoch ist die Beschwerde berechtigt.

Bereits während des Verwaltungsverfahrens brachte die Beschwerdeführerin vor, ihre am 10. Oktober 2006 geborene Tochter sei österreichische Staatsbürgerin, ihr Ehemann sei als Vater in der Geburtsurkunde eingetragen und habe die Vaterschaft nie bestritten. Ungeachtet dessen hat sich die belangte Behörde nicht mit den Auswirkungen der aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf die Lebenssituation der Familie der Beschwerdeführerin - insbesondere auf deren (österreichische) Tochter, die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides etwa 10 Monate alt war - auseinandergesetzt.

Die belangte Behörde geht davon aus, dass zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Kind einerseits und deren Ehemann bzw. dem Vater des Kindes andererseits kein gemeinsames Familienleben besteht. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgeführt hat, könnte bei einem Angewiesensein eines Kindes mit österreichischer Staatsbürgerschaft auf die Pflege und Obsorge durch seine Mutter eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gegen die Mutter eine Verletzung nach Art. 8 EMRK darstellen, wenn dem Kind eine Ausreise mit der Mutter nicht zumutbar wäre (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 15. September 2010, Zl. 2007/18/0592, mwN). Dies gilt mit Blick auf dessen Rechtswirkungen auch im Fall der Erlassung eines Rückkehrverbotes, ungeachtet dessen, dass diesem allein ein Ausreisebefehl nicht innewohnt.

Da es dem Gerichtshof somit verwehrt ist, die Interessenabwägung des angefochtenen Bescheides nach § 62 Abs. 3 iVm § 66 FPG überprüfen zu können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 16. Juni 2011

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