VwGH 2007/18/0572

VwGH2007/18/057216.6.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde der N S in W, vertreten durch Dr. Michael Drexler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hörlgasse 4/5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 27. Juni 2007, Zl. SD 1504/06, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

ARB1/80;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
EMRK Art8 Abs2;
ARB1/80;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
EMRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin habe am 3. März 2002 in T den österreichischen Staatsbürger W S. geheiratet und am 13. Mai 2002 beim Generalkonsulat in I einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft mit ihrem Ehemann gestellt. Der beantragte Aufenthaltstitel sei ihr erteilt und auf Antrag vom 19. Mai 2003 auch verlängert worden. Am 19. Juli 2002 sei sie in Österreich eingereist.

Am 18. September sowie am 9. Oktober 2003 seien jeweils anonyme Schreiben bei der Erstbehörde eingelangt, in denen die Beschwerdeführerin des Eingehens einer Aufenthaltsehe beschuldigt worden sei. Daraufhin seien Erhebungen seitens der Erstbehörde durchgeführt worden. Am 14. Februar 2004 sei bei einer Hauserhebung in W 17, K-Gasse, die Beschwerdeführerin mit dem türkischen Staatsangehörigen A A. und dem 1996 geborenen K A. angetroffen worden. Die im angefochtenen Bescheid näher beschriebenen Umstände (es habe nur drei Schlafstellen gegeben, das Kind habe auf der ausgezogenen Bettbank und die Beschwerdeführerin im Ehebett geschlafen, ihr Reisepass habe sich unter der Matratze des Ehebettes befunden) legten die Vermutung nahe, dass die genannten Personen zusammenlebten, obwohl A A. die Beschwerdeführerin als seine Cousine bezeichnet habe.

Bei einer Erhebung in W 17, H-Gasse, sei die Ehefrau von

A A., die österreichische Staatsbürgerin M I., mit ihrem geschiedenen Ehemann, dem türkischen Staatsangehörigen V I. sowie den aus dieser Ehe stammenden drei Kindern angetroffen worden.

V I. habe einen Morgenmantel getragen, M I. sei gerade unter der Dusche gestanden. Beide hätten sich im gemeinsamen Schlafzimmer angekleidet. Warum M I. nicht bei ihrem Ehemann (A A.) geschlafen habe, habe sie nicht nachvollziehbar erklären können.

Am 18. Juli 2006 seien sowohl die Beschwerdeführerin als auch ihr Ehemann, W S., von der Erstbehörde niederschriftlich vernommen worden. Dabei seien mehrfach - im angefochtenen Bescheid näher dargestellte - unterschiedliche Aussagen getätigt worden. Anfangs habe W S. noch das Vorliegen einer Aufenthaltsehe bestritten. Mit den Widersprüchen in den Aussagen konfrontiert habe er schlussendlich jedoch angegeben, dass die Ehe vermittelt worden sei, er dafür kein Geld bekommen habe und die Ehe nicht vollzogen worden sei. Im Jahr 2000 habe ihn A A., der geschiedene Ehemann der Beschwerdeführerin, den er seit mehreren Jahren kenne, wegen einer Heirat angesprochen. Danach habe sich A. von der Beschwerdeführerin scheiden lassen und W S. sei für fünf Tage mit Hassan, der als Dolmetscher fungiert habe, und A. (in die Türkei) geflogen. Die Beschwerdeführerin lebe und wohne bei A. in W 17, K-Gasse. Zweck der Eheschließung sei gewesen, dass er helfen habe wollen.

In ihrer Stellungnahme vom 23. August 2006 habe die Beschwerdeführerin das Eingehen einer Aufenthaltsehe bestritten; allfällige "geringe Aussagedifferenzen" bei der Vernehmung der Ehepartner wären dieser Stellungnahme zufolge auf Nervosität zurückzuführen und jedenfalls bedeutungslos.

Auch in der Berufung sei das Vorliegen einer Aufenthaltsehe bestritten worden. Die Aussage ihres Ehemanns habe die Beschwerdeführerin damit erklärt, dass sie den Kontakt zu ihrem geschiedenen Ehemann aufrecht gehalten habe und ihr Ehemann ihr deshalb Schwierigkeiten bei der "Ausstellung" einer Niederlassungsbewilligung habe bereiten wollen.

Beweiswürdigend gelangte die belangte Behörde zu dem Ergebnis, dass unter Bedachtnahme auf die Erhebungen, die widersprüchlichen Aussagen der Ehepartner sowie das Geständnis von W S., wonach er mit der Beschwerdeführerin eine Aufenthaltsehe eingegangen sei und mit ihr kein Familienleben geführt habe, davon auszugehen sei, die Ehe sei ausschließlich deshalb geschlossen worden, um der Beschwerdeführerin die Möglichkeit zu verschaffen, problemlos eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung und damit eine Anwartschaft auf den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft zu erlangen. Es gebe keinen Anlass, an der Richtigkeit der Zeugenaussage von W S. zu zweifeln, weil er weder aus dem Fortbestand der Ehe noch einer allfälligen Scheidung bzw. Nichtigerklärung einen Nutzen ziehen könne. Die Beschwerdeführerin ihrerseits habe jedoch ein massives Interesse, das Eingehen einer Aufenthaltsehe zu dementieren, weil ihr die Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger das weitere Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet sowie den freien Zugang zum Arbeitsmarkt sichere. W S. habe auch ausführlich und genau dargelegt, wie das gesamte Prozedere bis hin zur Heirat abgelaufen sei. Die Beschwerdeführerin habe hingegen lediglich lapidar behauptet, dass keine Aufenthaltsehe vorliege.

In ihrer rechtlichen Folgerung stellte die belangte Behörde darauf ab, das Verhalten der Beschwerdeführerin stelle eine Gefährdung im Sinn des § 86 Abs. 1 FPG dar. Auf Grund des hohen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Aufenthaltsehen sei die von der Beschwerdeführerin ausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung jedenfalls als gegenwärtig anzusehen und beeinträchtige maßgebliche Interessen der Gesellschaft.

Auch im Rahmen der gemäß § 66 Abs. 1 und 2 FPG gebotenen Interessenabwägung sei die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes zu bejahen.

Mangels besonderer, zu Gunsten der Beschwerdeführerin sprechender Umstände habe die belangte Behörde auch nicht im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes Abstand nehmen können.

Die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes sei von einer fünfjährigen Befristung nunmehr auf einen Zeitraum von zehn Jahren hinaufgesetzt worden. Seit 1. Jänner 2006 sei in § 63 FPG auch in den Fällen von Aufenthaltsehen die Höchstdauer von zehn Jahren möglich. Im Hinblick auf das dargestellte Gesamt(fehl)verhalten der Beschwerdeführerin könne ein Wegfall des für die Erlassung dieser Maßnahme maßgeblichen Grundes, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet, nicht vor Verstreichen des nunmehr festgesetzten Zeitraumes erwartet werden.

II.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die Beschwerde bestreitet nicht in substantiierter Weise das Vorliegen einer Aufenthaltsehe, wendet sich jedoch erkennbar gegen die Aktualität der gemäß § 86 Abs. 1 FPG getroffenen Gefährdungsannahme sowie die Interessenabwägung gemäß § 66 FPG. Dazu bringt sie im Wesentlichen vor, eine mehrere Jahre zurückliegende Aufenthaltsehe rechtfertige bei sonstigem Wohlverhalten des Fremden keine Erlassung eines Aufenthaltsverbotes mehr. Die Beschwerdeführerin halte sich seit Juli 2002 ununterbrochen im Bundesgebiet auf, die im März 2003 geschlossene Ehe sei nach wie vor aufrecht, der Beschwerdeführerin seien Niederlassungsbewilligungen erteilt worden, sie sei legal beschäftigt und sowohl strafrechtlich als auch verwaltungsstrafrechtlich unbescholten. Die Beschwerdeführerin stelle daher keine konkrete, aktuelle und nachhaltige Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar.

Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen.

Die Beschwerde bestreitet nicht die Feststellungen im angefochtenen Bescheid, wonach die Ehe laut Aussage von W S. vermittelt worden sei, die Beschwerdeführerin nach wie vor mit ihrem geschiedenen Ehemann zusammenlebe und die Ehe auch nie vollzogen worden sei. Auch die Ergebnisse der Hauserhebungen in der K-Gasse und der H-Gasse blieben unbestritten.

Wenn die Beschwerdeführerin erkennbar einen Verfahrensmangel rügt, weil die belangte Behörde die "angeblich in eine Vermittlung der Ehe verstrickten Personen" nicht vernommen habe, zeigt sie schon deshalb die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht auf, weil sie - abgesehen davon, dass im Verwaltungsverfahren eine Zeugenvernehmung nicht beantragt wurde - weder darlegt, welche Zeugen hätten vernommen werden sollen, noch, was diese ausgesagt hätten und welche zu einem anderen Bescheid führenden Feststellungen die belangte Behörde auf Grund deren Angaben hätte treffen können.

Gestützt auf diese Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens durfte die belangte Behörde vom Vorliegen einer Aufenthaltsehe (§ 60 Abs. 2 Z. 9 FPG) ausgehen. Sie hat zutreffend im Einklang mit der hg. Rechtsprechung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 2010, Zl. 2007/18/0161) das Bestehen einer Gefährdung im Sinn des § 86 Abs. 1 FPG bejaht. Daran ändert auch nichts, dass die Ehe bereits im Juli 2003 geschlossen wurde. Die Beschwerdeführerin hat sich in weiterer Folge zur Beibehaltung fremdenrechtlicher Vorteile tatsachenwidrig bis zuletzt auf das Bestehen einer tatsächlich gelebten ehelichen Beziehung berufen, sodass die belangte Behörde zu Recht davon ausgehen durfte, die von ihr ausgehende Gefahr sei auch im Zeitpunkt ihrer Entscheidung immer noch als gegenwärtig im Sinn des § 86 Abs. 1 FPG anzusehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. April 2011, Zl. 2007/18/0157, mwN).

Im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 66 FPG hat die belangte Behörde zutreffend berücksichtigt, dass die durch den - bei Erlassung des angefochtenen Bescheides fünfjährigen - Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet erzielte Integration auf Grund des Eingehens einer Aufenthaltsehe und die daraus bewirkte Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung des geordneten Fremdenwesens wesentlich gemindert wurde. Die Ansicht der belangten Behörde, dass das Aufenthaltsverbot zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens) dringend geboten und zulässig im Sinn des § 66 FPG sei, kann somit nicht als rechtswidrig erkannt werden.

Im Übrigen kommt einem Fremden, selbst wenn er den Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten hat, die Begünstigung nach dem Assoziationsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei nicht zu, wenn er - wie hier - diesen Zugang rechtsmissbräuchlich im Wege einer Aufenthaltsehe erlangt hat (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 2010, mwN).

Mit dem Vorbringen, die von der belangten Behörde festgesetzte Dauer des Aufenthaltsverbotes im Ausmaß von zehn Jahren stehe in keinem Verhältnis zu dem "vermuteten" Eingehen einer Aufenthaltsehe, zeigt die Beschwerdeführerin keine Umstände auf, die den Schluss zuließen, dass ein Wegfall der für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Gründe vor Ablauf der festgesetzten Gültigkeitsdauer erwartet werden könne. Der Beschwerdeführerin ist vorzuwerfen, durch das Eingehen einer Aufenthaltsehe rechtsmissbräuchlich einen Aufenthaltstitel und den Zugang zum Arbeitsmarkt erlangt zu haben. Diese Vorteile nahm die Beschwerdeführerin nach wie vor für sich in Anspruch.

Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 16. Juni 2011

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