VwGH 2007/18/0469

VwGH2007/18/046924.9.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger, die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des I J, geboren am 14. Juli 1984, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 22. Mai 2007, Zl. E1/52.530/2007, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §56 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §56 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 22. Mai 2007 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Die Gründe des erstinstanzlichen Bescheides seien auch hier maßgebend. Ergänzend werde festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Jahr 1990 im Alter von sechs Jahren nach Österreich gekommen sei. Am 7. Oktober 1992 habe er sich von einer Wohnanschrift in W mit der Begründung, nach Jugoslawien verzogen zu sein, abgemeldet. Seit dem 21. Oktober 1994 sei er durchgehend in W gemeldet. Er sei im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels.

Am 2. Oktober 2006 sei er vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen § 142 Abs. 1, § 143 zweiter Fall und § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Jahren verurteilt worden. Er habe in W in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken als Mittäter mit zwei abgesondert verfolgten Personen mit Gewalt gegen eine Person und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben unter Verwendung einer Waffe Personen fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz, sich durch die Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen oder abgenötigt, und zwar am 16. März 2006 einem unbekannten Jugendlichen einen MP3-Player, EUR 20,-- Bargeld sowie ein Mobiltelefon der Marke N, indem einer von ihnen eine Klappmesser gezückt habe, während der Beschwerdeführer den Unbekannten am Hals festgehalten und ein weiterer Mittäter die Herausgabe der Sachen verlangt habe, weiters am 17. März 2006, indem sie zu dritt auf mehrere Personen, welche gerade Fußball gespielt hätten, zugetreten seien, wobei ein Mittäter ein Butterflymesser gezückt und gerufen habe, wenn sie einen "Mucks" machten, schlitze er sie auf, und die Herausgabe von Handys und Bargeld verlangt habe, wobei er ihnen befohlen habe, sie sollten sich auf eine Parkbank setzen, worauf der Beschwerdeführer und ein weiterer Mittäter sich von ihnen Sachen habe übergeben lassen, und zwar ein Handy Marke S, EUR 5,-- Bargeld, ein Handy Marke S, ein Handy Marke N, ein Handy Marke N, ein Handy Marke E, zwei weitere Handys, EUR 3,-- Bargeld, ein Handy Marke N und ein Handy Marke N. Weiters seien sie auf eine Person zugetreten, hätten dieser ein nicht geöffnetes Taschenmesser gezeigt und die Herausgabe seines Handys Marke S verlangt. Am 19. März 2006 hätten sie einer Person einen MP3- Player, ein Mobiltelefon Marke E im Wert von EUR 150,--, einen Laptop Marke "G" samt Tasche, ein Paar Kopfhörer und EUR 15,-- Bargeld weggenommen, indem sie diese Person angehalten, ihr ein Messer vor das Gesicht gehalten und gerufen hätten, das sei ein Überfall, wenn sie ruhig bleibe, passiere nichts, auch die Komplizen seien bewaffnet, und ihm befohlen hätten, sich auf eine Bank zu setzen. Darauf hätten sich der Beschwerdeführer und ein Mittäter links und rechts neben das Opfer gesetzt, deren Rucksack durchwühlt und die angeführten Sachen teils herausgenommen, teils sich übergeben lassen. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer gemeinsam mit zwei weiteren Tätern am 15.03.2006 einer Person ein Handy Marke N weggenommen, indem sie diese Person angehalten und deren Kleidung abgetastet hätten, wobei ein Mittäter dieser Person und einer sie begleitenden Person zugerufen hätte, sie sollten ihre Handys herausgeben, und wenn nicht, würde er sie mit einem Messer umbringen, wobei er eine Gestik gemacht hatte, als ob er in seine Hosentasche greife. Darauf habe ihm die Person das Handy übergeben. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer mit zwei bekannt gewordenen Mittätern am 17. März 2006 einer Person Bargeld und ein Handy weggenommen, indem sie diese Person angehalten und umringt hätten, wobei einer von ihnen ein Messer gezogen und aufgeklappt habe und die Herausgabe von Bargeld und eines Handys verlangt habe. Der Beschwerdeführer und seine Komplizen hätten einer weiteren Person ein Handy weggenommen, wobei ein Mittäter, welcher ein Butterflymesser gezückt habe, dieser Person zugerufen habe, er solle ihm sein Handy geben, sonst würde er ihn aufschlitzen, wobei diese Person zufällig ihr Handy nicht bei sich gehabt habe. Schließlich hätten die Genannten am 15. März 2006 einer Person ein Handy wegzunehmen versucht, wobei sie diese Person, welche sie umringt hätten, abgetastet und die Herausgabe eines Handys verlangt hätten, welches diese jedoch nicht besessen habe.

Der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG sei erfüllt. Der Beschwerdeführer mache geltend, in Österreich die Schule besucht zu haben. Außer seiner Mutter lebe auch sein in Wien geborener, nunmehr 14-jähriger Halbbruder in W. Weiters lebe seine Großmutter seit Jahrzehnten in W und sei österreichische Staatsbürgerin. Mit seinem in Serbien lebenden Vater habe der Beschwerdeführer keinen regelmäßigen Kontakt. Es bestehe auch eine Lebensgemeinschaft.

Auf Grund des bisherigen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in sein Privat- und Familienleben iSd § 66 Abs. 1 FPG auszugehen. Ungeachtet dessen sei aber die gegen ihn gesetzte Maßnahme zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung strafbarer Handlungen sowie zum Schutz der Gesundheit, der körperlichen Integrität sowie zum Schutz der Rechte und des Vermögens Dritter - dringend geboten. Bei der nach § 66 Abs. 2 FPG vorzunehmenden Interessenabwägung sei auf den bisherigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet Bedacht zu nehmen, gleichzeitig aber zu berücksichtigen, dass der daraus ableitbaren Integration kein entscheidendes Gewicht zukomme, weil die dafür wesentliche soziale Komponente durch die von ihm begangenen Straftaten erheblich beeinträchtigt werde. Den geminderten persönlichen Interessen des Beschwerdeführers stünden die hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen gegenüber. Die Auswirkungen der Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers wögen nicht schwerer als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme.

Im Hinblick auf die Art, Vielzahl und Schwere der dem Beschwerdeführer zur Last liegenden Straftaten und der damit verbundenen Wiederholungsgefahr könne von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens Abstand genommen werden. Auch würde eine solche Abstandnahme offensichtlich nicht iSd Gesetzes sein, weil der Beschwerdeführer wegen eines Verbrechens zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von weit mehr als einem Jahr (nämlich zu fünf Jahren) rechtskräftig verurteilt worden sei.

Als für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes maßgebliche Umstände, die gemäß § 63 FPG auch für die Festsetzung der Gültigkeitsdauer von Bedeutung seien, kämen das konkret gesetzte Fehlverhalten und die daraus resultierende Gefährdung öffentlicher Interessen sowie die privaten und familiären Interessen iSd § 66 FPG in Betracht. Der Zeitpunkt des Wegfalles des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes könne nicht vorhergesehen werden, weshalb ein unbefristetes Aufenthaltsverbot zu erlassen sei.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Auf der Grundlage der unstrittig feststehenden Straftaten des Beschwerdeführers und der deswegen erfolgten rechtskräftigen Verurteilung begegnet die - in der Beschwerde nicht bekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt und die im § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Maßnahme gerechtfertigt seien, keinen Bedenken.

Im Hinblick auf die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen eines Verbrechens (vgl. § 56 Abs. 2 Z. 1 erster Fall FPG) wäre - falls der Beschwerdeführer zuletzt über einen Aufenthaltsdauer "Daueraufenthalt - EG" oder "Daueraufenthalt - Familienangehöriger" verfügt haben sollte - auch die im § 56 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt (vgl. zu dem in dieser Bestimmung geforderten höheren Gefahrenmaß das hg. Erkenntnis vom 20. Jänner 2009, Zl. 2008/18/0760, mwN).

2.1. Im Grund des § 60 Abs. 6 iVm § 66 FPG wendet der Beschwerdeführer ein, dass er im Jahr 1990 im Alter von sechs Jahren nach Österreich gekommen sei und hier mit seiner Familie in W lebe. Er stehe zu seinen Angehörigen in engstem Kontakt und werde von ihnen auch während der Zeit der Strafhaft besucht und unterstützt. Zu seinem in Serbien lebenden Vater habe er keinen Kontakt. Er habe in Österreich die Schule besucht und sei im Bundesgebiet beschäftigt gewesen. Seine Lebensgemeinschaft sei "immerhin so ernst", dass er von seiner Lebensgefährtin sogar finanziell unterstützt werde. Im Fall der Abschiebung wäre er völlig auf sich allein gestellt und hätte keinen Zugang zum Arbeitsmarkt.

2.2. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Bei der Interessenabwägung iSd § 66 Abs. 1 und 2 FPG hat die belangte Behörde die Dauer des bisherigen rechtmäßigen inländischen Aufenthalts des Beschwerdeführers seit 1990 bzw. (durchgehend) seit 1994, die daraus ableitbare Integration und seine familiären Bindungen zu seiner Mutter, seiner Großmutter, seinem Halbbruder und seiner Lebensgefährtin berücksichtigt und zutreffend einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff in sein Privat- und Familienleben angenommen. Sie hat aber - unter Bedachtnahme auf seine persönlichen Interessen - ebenso zutreffend den Standpunkt vertreten, dass das gegen ihn erlassene Aufenthaltsverbot gemäß § 66 Abs. 1 FPG zulässig sei, liegt ihm doch - wie schon erwähnt (vgl. oben I.1.) - ein im Lichte des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung der Eigentums- und Gewaltkriminalität besonders verwerfliches Fehlverhalten zur Last, welches das Aufenthaltsverbot zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, zur Verhinderung (weiterer) strafbarer Handlungen durch den Beschwerdeführer sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, somit zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen dringend geboten erscheinen lässt.

Im Licht dieser Erwägungen erweist sich auch das Ergebnis der von der belangten Behörde gemäß § 66 Abs. 2 FPG vorgenommenen Abwägung als unbedenklich. Die Integration des Beschwerdeführers hat in der für sie wesentlichen sozialen Komponente durch die von ihm begangenen Delikte eine ganz erhebliche Beeinträchtigung erfahren. Zu seinen Ungunsten fällt dabei ins Gewicht, dass er sich - den von der belangten Behörde übernommenen Feststellungen des erstinstanzlichen Bescheides zufolge - beruflich nicht in Österreich zu integrieren vermochte, sondern vor seiner Festnahme seinen Lebensunterhalt durch Gelegenheitsarbeiten bestritt und von seiner Freundin und seiner Familie finanziell unterstützt werden musste. Von daher gesehen hat die belangte Behörde zu Recht den nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes kein geringeres Gewicht beigemessen als den Auswirkungen dieser Maßnahme auf seine Lebenssituation und die seiner Angehörigen.

Der Verweis der Beschwerde auf das Urteil des EGMR vom 22. April 2004, Nr. 42703/98 (Radovanovic gegen Österreich), ist nicht zielführend, weil der EGMR in diesem Urteil der Tatsache, dass der größte Teil der über den Fremden verhängten Freiheitsstrafe bedingt nachgesehen worden war und nur sechs Monate unbedingte Haft verhängt worden waren, besonderes Gewicht beigemessen hat. Der Fall ist daher mit dem des Beschwerdeführers, der zu einer unbedingten Haftstrafe von fünf Jahren verurteilt worden ist, nicht vergleichbar.

Auch der von der Beschwerde vorgenommene Vergleich mit dem Urteil des EGMR vom 23. Juni 2008, Nr. 1638/03 (Maslov gegen Österreich), ist nicht zielführend, weil es sich dort um ein Aufenthaltsverbot gegen einen minderjährigen Fremden gehandelt hat, der Vermögensdelikte begangen hatte, die - mit einer Ausnahme - nicht gewalttätiger Natur waren, während es sich im vorliegenden Fall durchgehend um Gewaltdelikte handelt, die der Beschwerdeführer im Alter von 22 Jahren unter Verwendung einer Waffe verübt hat.

3. Gegen die unbefristete Verhängung des Aufenthaltsverbotes bestehen - entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung - ebenfalls keine Bedenken. Nach § 63 Abs. 1 FPG ist ein Aufenthaltsverbot - unter Bedachtnahme auf § 63 Abs. 2 FPG - auf unbestimmte Zeit (unbefristet) zu erlassen, wenn ein Wegfall des Grundes für seine Verhängung nicht vorhergesehen werden kann. Der belangten Behörde kann nicht entgegengetreten werden, wenn sie angesichts der vom Beschwerdeführer begangenen, schwerwiegenden strafbaren Handlungen die Auffassung vertreten hat, dass der Zeitpunkt des Wegfalls der für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Umstände nicht vorhergesehen werden könne, und sie es deshalb unbefristet erlassen hat.

4. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

5. Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 24. September 2009

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