Normen
EStG 1988 §108e Abs1;
EStG 1988 §108e;
EStG 1988 §108e Abs1;
EStG 1988 §108e;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Die mitbeteiligte GmbH hatte für 2002 eine Investitionszuwachsprämie von 1,286.045,84 EUR geltend gemacht. Dem Antrag angeschlossen waren zwei Teilrechnungen, die der Mitbeteiligten im Zusammenhang mit der Errichtung einer Müllverbrennungsanlage im Mai und August 2002 gelegt worden waren.
Dem Antrag war im Instanzenzug kein Erfolg beschieden, weil das Verzeichnis verspätet gelegt worden war. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 22. November 2006, 2006/15/0049, als unbegründet abgewiesen.
In der Beilage zur Körperschaftsteuererklärung zur Geltendmachung einer Investitionszuwachsprämie für 2004 begehrte die Mitbeteiligte eine Investitionszuwachsprämie in Höhe von 5,456.389,97 EUR. Aus einem Begleitschreiben geht hervor, dass die Mitbeteiligte nach eingehender Prüfung der Rechtslage zur Auffassung gelangt sei, dass die streitgegenständliche Müllverbrennungsanlage erst im Jahr 2004 angeschafft worden sei. Die in Bau befindlichen Anlagen seien in den Vorjahren zu Unrecht als Anlagenzugänge ausgewiesen worden, weil die Verfügungsmacht erst nach dem Probelauf und der Abnahme auf die Mitbeteiligte übergegangen sei. Demzufolge sei die gesamte Müllverbrennungsanlage im Jahr 2004 als angeschafft anzusehen.
Das Finanzamt wies den für das Jahr 2004 gestellten Antrag mit der Begründung ab, dass der Errichtung der Müllverbrennungsanlage ein Herstellungsvorgang zu Grunde liege. Die Mitbeteiligte sei bereits während der Bauphase als Versicherungsnehmerin in Erscheinung getreten und habe das so genannte Bauherrenrisiko getragen. In einem solchen Fall sei die Investitionszuwachsprämie gemäß § 108e Abs. 3 Z 1 EStG 1988 von den jährlichen Teilherstellungskosten geltend zu machen.
In der dagegen erhobenen Berufung trat die Mitbeteiligte der Ansicht des Finanzamtes entgegen, dass von der Herstellung einer Anlage auszugehen sei. Es liege vielmehr eine Anschaffung vor. Die Mitbeteiligte habe die Planung, Lieferung, Errichtung, Montage, Inbetriebnahme und den Probebetrieb einer "thermischen Behandlungsanlage für Restmüll" beim Generalunternehmer in Auftrag gegeben. Ihr sei ein "schlüsselfertiges Werk" zu übergeben gewesen. Damit habe die Mitbeteiligte ein bereits hergestelltes Wirtschaftsgut, nämlich eine funktionsfähige, d.h. "fertige" Anlage erworben.
In der mündlichen Berufungsverhandlung erläuterte die Mitbeteiligte, dass sie die vom Finanzamt angesprochene Montageversicherung abgeschlossen habe, weil der Generalunternehmer für diesen Fall bessere Konditionen geboten habe. Die von ihr abgeschlossene Versicherung habe den Generalunternehmer aber nicht jedweder Risiken enthoben. So hätten etwa Schäden auf Grund von Naturkatastrophen und andere Fälle höherer Gewalt den Generalunternehmer getroffen, der auch sämtliche Konkursrisiken auf Lieferantenseite sowie auf Seiten der Mitbeteiligten zu übernehmen hatte. Zudem habe der Generalunternehmer die Unternehmenshaftpflichtversicherung und eine Transportversicherung sowie die Versicherung für jene Schäden getragen, die durch das Personal der Mitbeteiligten nach Übernahme der Anlage während der Garantiezeit verursacht werden.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung Folge, indem sie den erstinstanzlichen Abweisungsbescheid des Finanzamtes ersatzlos aufhob. Begründend führte sie aus, im Beschwerdefall sei strittig, ob die Mitbeteiligte die Anlage "hergestellt" habe und die Teilbeträge der Herstellungskosten in den Jahren 2002 bis 2004 daher zu aktivieren seien, oder ob die Anlage (erst) im August 2004 "angeschafft" worden sei.
Bei einem neu herzustellenden Wirtschaftsgut richte sich die Abgrenzung der Herstellung von der Anschaffung danach, wer das Risiko der Kosten trage. Trage der Beauftragte das Risiko für die Kosten und die Funktionsfähigkeit, dann liege beim Auftraggeber eine Anschaffung vor. Trage der Auftraggeber das Risiko, liege Herstellung vor. Das "Herstellen" bedeute das Hervorbringen bzw. Hervorbringenlassen eines bisher noch nicht existenten Wirtschaftsgutes. Wesentlich sei das Entstehen eines Wirtschaftsgutes anderer Marktgängigkeit. Dabei genüge bereits eine geringfügige Änderung der Verkehrsgängigkeit, um die gesamten aufgelaufenen Kosten (inklusive angefallener Anschaffungskosten) als Herstellungskosten zu qualifizieren. Das Jahr der Herstellung sei das Jahr der Fertigstellung. Während der Herstellungsvorgang sich notwendigerweise über einen Zeitraum erstrecke, sei die Anschaffung zeitpunktbezogen.
Wenngleich die Mitbeteiligte in den Abgabenerklärungen 2002 und 2003 selbst von einem Herstellungsvorgang und der anteiligen Geltendmachung der Investitionszuwachsprämie in den jeweiligen Jahren ausgegangen sei, schließe dies eine Auseinandersetzung mit dem Berufungsvorbringen über das Vorliegen einer im Jahr 2004 erfolgten Anschaffung nicht aus.
Prüfe man den von der Mitbeteiligten abgeschlossenen Generalunternehmervertrag an Hand der aufgezeigten Abgrenzungskriterien, zeige sich, dass das ausschließliche Interesse der Mitbeteiligten an der "fertigen" und funktionsfähigen Anlage gelegen sei. Der eindeutige Vertragswille sei somit auf den Erwerb der fertig gestellten Anlage als Ganzes gerichtet. Was die Risikotragung anlange, habe die Mitbeteiligte das "grundlegende" Risiko dafür zu tragen, dass die Anlage überhaupt gebaut werden könne (Einholung der erforderlichen behördlichen Genehmigungen). Weiters habe sie für die Zeit der Bauausführung für gewisse Teile der notwendigen Infrastruktur sorgen müssen. Dabei handle es sich aber um bloße "Baugrundrisiken", die vorweg jeder Grundeigentümer zu tragen habe. Was den Herstellungsvorgang selbst anlange, habe die Mitbeteiligte mit dem Generalunternehmer einen bestimmten Kaufpreis für die Anlage wertgesichert vereinbart. Allfällige Preiserhöhungen auf Seiten der Zulieferer seien vom Generalunternehmer zu tragen gewesen. Für das Kostenrisiko des Generalunternehmers spreche weiters die Vereinbarung, dass der Generalunternehmer auf seine Kosten in den Vertragsunterlagen nicht angeführte Lieferungen und Leistungen beizustellen habe, welche für die Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems erforderlich seien. Zudem habe der Generalunternehmer die mit einer erforderlichen Nachbesserung verbundenen Kosten bzw. bei Fehlschlagen von Nachbesserungsversuchen eine Minderung des Kaufpreises zu tragen. Das Kostenrisiko für Zeitverzögerungen habe die Mitbeteiligte nur insoweit getroffen, als die Verzögerung von ihr zu vertreten gewesen wäre. Demgegenüber hätten dem Generalunternehmer bei Zeitüberschreitungen "Terminpönalien" gedroht.
Die Mitbeteiligte habe die Montageversicherung abgeschlossen. Darauf aufbauend habe das Finanzamt das Vorliegen einer "Herstellung" auf Seiten der Mitbeteiligten angenommen. Mit der Montageversicherung sei jedoch nicht das Risiko bezüglich der Errichtungskosten von der Mitbeteiligten übernommen worden, sondern nur das Risiko für allfällige Schäden im Zuge der Montage der Anlage. Dazu müsse man sich vor Augen halten, dass die Mitbeteiligte durch die Übernahme dieser Versicherungskosten günstigere Konditionen seitens des Generalunternehmers erhalten habe. Zudem hätte die Mitbeteiligte für Fälle höherer Gewalt nur 50% von der Versicherung ersetzt bekommen und für bestimmte andere Fälle nur einen bestimmten Höchstbetrag. Diese beiden Punkte sprächen wohl für ein teilweises Kostenrisiko der Mitbeteiligten, doch habe den Generalunternehmer ein nicht unbeträchtliches, jedenfalls überwiegendes (näher dargestelltes) Kostenrisiko auch in Fällen "höherer Gewalt" getroffen.
Maßgeblich sei weiters, dass der Generalunternehmer das Risiko für die Funktionsfähigkeit der Anlage getragen habe. Nach dem Generalunternehmervertrag habe es erst nach erfolgreichem Abschluss des Probebetriebes zur Übernahme der Anlage kommen sollen. Dem Generalunternehmer seien auch bestimmte Gewährleistungen und Garantien oblegen. Der Generalunternehmer habe nicht nur die "reine" Fertigstellung der Anlage geschuldet, sondern auch die Betriebsbereitschaft bzw. das "mit garantierten Werten ausgestattete Inbetriebgehen".
Zusammenfassend sei der Übernahme der Montageversicherung durch die Mitbeteiligte nicht die Bedeutung beizumessen, dass sie damit die Anlage "auf ihre Kosten und ihr Risiko" habe herstellen lassen. Demzufolge sei von einer Anschaffung der Anlage auszugehen. Abgrenzbare (echte) Teilleistungen lägen nicht vor, weil die Mitbeteiligte nach dem Inhalt des Generalunternehmervertrages nicht an bloßen Teilleistungen je nach Bauabschnitt interessiert gewesen wäre. Aus der Sicht des Generalunternehmers habe keine Teilgewinnrealisierung eintreten können. Die Gewinnrealisierung knüpfe an den Zeitpunkt der Risikoreduktion. Diese sei im Beschwerdefall erst im August 2004 mit der Übernahme der Anlage durch die Mitbeteiligte eingetreten. Den in den Jahren 2002 und 2003 angefallenen Aufwendungen könne folglich nicht der Charakter von selbständigen, abgrenzbaren Teilleistungen zugesprochen werden.
In der vorliegenden Beschwerde wendet sich das Finanzamt gegen die Beurteilung der belangten Behörde, wonach von einer Anschaffung der Anlage durch die Mitbeteiligte auszugehen sei. Bei der Errichtung von Großanlagen könne es nicht darauf ankommen, in welchem Zustand sich die Anlage im Zeitpunkt der vertraglich vereinbarten Übernahme befinde; entscheidend könne nur sein, ob der Auftraggeber als künftiger Nutzer der Anlage oder der Auftragnehmer das wirtschaftliche Risiko der Errichtung der Anlage trage. Liege dieses Risiko überwiegend beim Auftraggeber, liege Herstellung vor, auch wenn vertraglich die Übernahme einer "schlüsselfertigen" Anlage vereinbart worden sei. Sodann begründet das beschwerdeführende Finanzamt seine Ansicht, dass tatsächlich die Mitbeteiligte das wirtschaftliche Risiko hinsichtlich der Errichtung der gegenständlichen Anlage getragen habe.
Die Mitbeteiligte erstattete eine Gegenschrift, in der sie sich gegen die Beurteilung des beschwerdeführenden Finanzamtes wandte und der Auffassung der belangten Behörde beitrat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gehen davon aus, dass es im Beschwerdefall entscheidend auf die Frage ankomme, ob die Mitbeteiligte die Anlage "angeschafft" oder auf ihr wirtschaftliches Risiko habe herstellen lassen. Liege eine Anschaffung vor, falle der Vorgang (zur Gänze) in das Jahr 2004, sodass der Mitbeteiligten eine Investitionszuwachsprämie in Höhe der gesamten in den Jahren 2002 bis 2004 angefallenen Errichtungskosten zustünde. Sie stützen sich dabei auf das zur früheren Investitionsprämie ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. März 1994, 93/14/0179, und gehen damit am Regelungsinhalt der gegenständlichen Investitionsbegünstigung des § 108e EStG 1988 vorbei.
§ 108e Abs. 1 bis 3 EStG 1988 in der im Beschwerdefall maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 133/2003 lauteten auszugsweise:
"(1) Für den Investitionszuwachs bei
prämienbegünstigten Wirtschaftsgütern kann eine Investitionszuwachsprämie von 10% geltend gemacht werden. Voraussetzung ist, dass die Aufwendungen für die Anschaffung oder Herstellung im Wege der Absetzung für Abnutzung (§§ 7 und 8) abgesetzt werden.
(2) Prämienbegünstigte Wirtschaftsgüter sind
ungebrauchte körperliche Wirtschaftsgüter des abnutzbaren
Anlagevermögens. (...)
(3) Der Investitionszuwachs bei prämienbegünstigten
Wirtschaftsgütern ist die Differenz zwischen deren Anschaffungs- oder Herstellungskosten der Kalenderjahre 2002, 2003 und 2004 und dem Durchschnitt der Anschaffungs- oder Herstellungskosten dieser Wirtschaftsgüter der letzten drei Wirtschaftsjahre, die vor dem 1. Jänner 2002 bzw. dem 1. Jänner 2003 bzw. dem 1. Jänner 2004 enden.
Dabei gilt Folgendes:
1. Erstreckt sich die Anschaffung oder Herstellung prämienbegünstigter Wirtschaftsgüter auf mehrere Jahre, sind in die Ermittlung des durchschnittlichen Investitionszuwachses die jeweils zu aktivierenden Teilbeträge der Anschaffungs- oder Herstellungskosten mit einzubeziehen. Ändern sich nachträglich die Anschaffungs- oder Herstellungskosten, ist die Investitionszuwachsprämie im Jahr der Änderung entsprechend anzupassen. ..."
Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 16. Dezember 2009, 2009/15/0085, ausgeführt hat, ist es nicht entscheidend, ob durch einen Investitionszuwachs der Anschaffungs- oder Herstellungsvorgang eines prämienbegünstigten Wirtschaftsgutes bereits abgeschlossen wird oder nicht. Das Abstellen auf die AfA in § 108e Abs. 1 EStG 1988 bedeutet nicht, dass diese bereits im Jahr, für welches die Prämie geltend gemacht wird, gewinnmindernd berücksichtigt sein muss; es reicht aus, wenn die Absetzung beim Steuerpflichtigen in einem Folgejahr erfolgt.
Erstreckt sich die Anschaffung oder Herstellung eines Wirtschaftsgutes über mehrere Jahre, sind die jeweils zu aktivierenden Teilbeträge der Anschaffungs- oder Herstellungskosten sowohl für das Begünstigungsjahr maßgeblich als auch in den Vergleichszeitraum einzubeziehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Oktober 2010, 2007/15/0097).
Im Beschwerdefall steht außer Streit, dass sich die Errichtung der Anlage über einen Zeitraum von drei Jahren erstreckt hat und der Generalunternehmer berechtigt war, dem Baufortschritt entsprechend Teilrechnungen zu legen, welche von der Mitbeteiligten in Anrechnung auf den vereinbarten Gesamtpreis zu bezahlen waren. Bei dieser Sachlage kann kein Zweifel daran bestehen, dass die vom Generalunternehmer in Rechnung gestellten Aufwendungen der herzustellenden Anlage unmittelbar zuzurechnen waren und das Tatbestandsmerkmal der "jeweils zu aktivierenden Teilbeträge der Anschaffungs- oder Herstellungskosten" erfüllt haben.
Auf die von den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung gestellte Abgrenzung zwischen zeitpunktbezogener Anschaffung und zeitraumbezogener Herstellung nach dem Ausmaß der Risikoaufteilung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer kommt es nicht an, weil die gegenständliche Bestimmung des § 108e EStG 1988 Anschaffungs- und Herstellungskosten in Bezug auf die Prämienberechnung bei wirtschaftsjahrübergreifenden Anlagenerrichtungen gleich behandelt.
Der angefochtene Bescheid erweist sich daher als inhaltlich rechtswidrig und war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 25. November 2010
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