VwGH 2007/11/0024

VwGH2007/11/002425.7.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des J in G, vertreten durch Dr. Bernhard Grillitsch, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Schiffgasse 6/1, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 29. Dezember 2006, Zl. UVS 42.9-21/2006-13, betreffend Aufforderung zur ärztlichen Untersuchung gemäß § 24 Abs. 4 FSG, zu Recht erkannt:

Normen

FSG 1997 §24 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FSG 1997 §24 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Beschwerdeführer gemäß § 24 Abs. 4 FSG aufgefordert, sich innerhalb von zwei Wochen (gerechnet ab Rechtskraft des erstinstanzlichen Bescheides vom 18. Juli 2006) amtsärztlich untersuchen zu lassen. Die belangte Behörde verwies auf die von der Erstbehörde vertretene Auffassung, der Beschwerdeführer habe am 18. Juni 2006 Anlass zu einer Amtshandlung gegeben, wonach ihm ein unangepasstes sowie rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr mit Verdacht auf eine aggressive psychische Störung vorzuwerfen sei, und führte zur Begründung ihrer Entscheidung, beginnend mit der Darstellung des Vorfalls vom 18. Juni 2006, weiters im Wesentlichen aus:

"Über eine Anzeige des Berufungswerbers fuhren zwei Exekutivbeamte der Grazer Polizei zum Vorfallsort in der Igasse 32, wo auch der Berufungswerber seinen Wohnsitz hat. Er selbst erachtete sich durch ein von einer Hauspartei abgestelltes Fahrrad gestört. Im Zuge weiterer Ermittlungen konnten für eine allfällig vermutete Sachbeschädigung von den ermittelten Beamten keinerlei Anhaltspunkte gefunden werden, vielmehr fiel Insp. K. im Zuge der Amtshandlung auf, dass vor dem Pkw des Berufungswerbers eine Schweißgasflasche (laut Angaben des Berufungswerbers eine Gasflasche, gefüllt mit Helium) derart lag, dass der Beamte vermutete, dass dieser Umstand auf Grund der hohen Außentemperaturen und auch der Tatsache, dass das Ventil dieser Flasche ungeschützt war, allenfalls eine Gefahr darstellen könnte. Er forderte den Berufungswerber auf, die Flasche ordnungsgemäß zu verwahren, worauf der Berufungswerber erwiderte, der Beamte würde sich nicht auskennen, im Übrigen würde ihn dies nichts angehen.

Zu dem in der Anzeige angeführten aggressiven Verhalten des Berufungswerbers befragt, führte er aus, dass es nicht so war, dass der Berufungswerber während der Amtshandlung schlechthin Schimpfworte gebrauchte, aber ihm doch vorhielt, dass er unfähig und unkooperativ sei und eigentlich nicht das machen würde, wofür er eigentlich als Beamter da sei. Dabei verhielt er sich wohl in einer aufbrausenden Art und Weise.

...

Aus den bereits angeführten von der erkennenden Behörde vorgenommenen Recherchen ergeben sich, wie den diversen vorgelegten und im Akt befindlichen Unterlagen zu entnehmen ist, zusammengefasst folgende Sachverhalte:

So hat der Berufungswerber, wie näher den Anzeigen der Polizei Graz zu entnehmen ist, verschiedene Verkehrsübertretungen mit dem Fahrrad zu verantworten.

Der Anzeige vom 16.07.2003 bezüglich eines Vorfalles vom 28.06.2003 ist zu entnehmen, dass der Berufungswerber mit seinem Fahrrad, auf dem sich eine Gasflasche befand und quasi die Fahrbahn absperrte, um Autofahrer darauf aufmerksam zu machen, dass diverse Kraftfahrzeuge im Bereich dieser Örtlichkeit vorschriftswidrig abgestellt waren.

Der Anzeige vom 16.04.2005 zu einer Übertretung vom 7.01.2005 ist zu entnehmen, dass dabei der Berufungswerber an einem stehenden Kraftfahrzug, bei welchem der Motor lief und der Fahrer kurzzeitig ausgestiegen war, den Fahrzeugschlüssel abzog und auf den Beifahrersitz warf und anschließend seine Fahrt mit seinem Fahrrad wieder fortsetzte. Zwischen dem Anzeiger (Besitzer des Kraftfahrzeuges) und dem Berufungswerber kam es in weiterer Folge zu einer Diskussion bzw einer handgreiflichen Auseinandersetzung.

Weiteren vorgelegten Sachverhaltsdarstellungen der Polizei ist insbesondere ein Vorfall vom 08.07.2005 zu entnehmen, wonach der Berufungswerber beobachtete, dass eine Kraftfahrzeuglenkerin einen Pfirsichkern aus dem Fenster ihres Pkws warf. Da ihm dies absolut missfiel, hob er diesen Kern auf, lief der Lenkerin nach, als sie verkehrsbedingt anhalten musste, öffnete die Beifahrertüre und warf den Kern in das Innere des Fahrzeuges zurück.

Den gegen den Berufungswerber geführten Berufungsverfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass er wegen einer Übertretung aus dem Jahr 1998 gemäß § 4 Abs 1 lit a StVO beanstandet wurde und diese Berufung auch abgewiesen wurde, nachdem er als Radfahrer gegen einen Pkw gestoßen ist und die Unfallstelle im schnellen Tempo fahrend verlassen hat (Bescheid vom 11.05.1999, GZ...). Einem weiteren Verfahren (siehe Bescheid vom 15.03.2000, GZ ...) ist zu entnehmen, dass der Berufungswerber sich in die Mitte einer Fahrbahn stellte und dadurch den Fahrzeugverkehr blockierte. Im Zuge der von der erkennenden Behörde dabei getroffenen Feststellungen ergab sich, dass er als Radfahrer unterwegs war und aus diesen Gründen lediglich in formalrechtlicher Hinsicht die von der belangten Behörde zur Last gelegte Rechtsvorschrift der StVO keine Anwendung fand.

Einem weiteren Verfahren des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark (siehe Bescheid vom 01.03.2004, GZ: ...) ist zu entnehmen, dass der Berufungswerber dabei ein Fahrrad auf die Fahrbahn einer Straße vor das Fahrzeug eines anderen Verkehrsteilnehmers legte. Dieses wurde ebenfalls lediglich aus formalrechtlichen Gründen, wie sie des Näheren dem angeführten Bescheid zu entnehmen sind, eingestellt.

...

Wenngleich auch der Anlassfall des nunmehr gegen den Berufungswerber geführten Verfahrens nach dem Führerscheingesetz für sich alleine nicht als ausschlaggebend bzw rechtfertigend dafür angesehen werden kann, um begründete Bedenken hinsichtlich der gesundheitlichen Eignung des Berufungswerbers anzunehmen, so erachtet die erkennende Behörde sehr wohl die erhebliche Anzahl der näher angeführten, mehr als fragwürdig anzusehenden Verhaltenweisen des Berufungswerbers für ausreichend und in einem hohem Maße geeignet, die momentane Fähigkeit zum Lenken von Kraftfahrzeugen zu beeinträchtigen. Das wiederholte Setzen eines derartigen Verhaltens legt zudem den Verdacht nahe, dass der Berufungswerber eine in diese Richtung gehende Neigung aufweist (vgl. sinngemäß VwGH 18.01.2000, 99/11/0316 ua)."

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der der Beschwerdeführer die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragt in der Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des FSG lauten

(auszugsweise) wie folgt:

"1. Abschnitt

...

Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

...

3. gesundheitlich geeignet sind, ein Kraftfahrzeug zu lenken (§ 8 und 9)

...

5. Abschnitt

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung

Allgemeines

§ 24.

...

(4) Bestehen Bedenken, ob die Voraussetzungen der gesundheitlichen Eignung noch gegeben sind, ist ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten gemäß § 8 einzuholen und gegebenenfalls die Lenkberechtigung einzuschränken oder zu entziehen. Bei Bedenken hinsichtlich der fachlichen Befähigung ist ein Gutachten gemäß § 10 einzuholen und gegebenenfalls die Lenkberechtigung zu entziehen. Leistet der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der festgesetzten Frist einem rechtskräftigen Bescheid, mit der Aufforderung, sich ärztlich untersuchen zu lassen, die zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde zu erbringen oder die Fahrprüfung neuerlich abzulegen, keine Folge, ist ihm die Lenkberechtigung bis zur Befolgung der Anordnung zu entziehen.

..."

1.2. Die einschlägigen Bestimmungen der FSG-GV lauten (auszugsweise):

"Allgemeine Bestimmungen über die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen

§ 3. (1) Als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Fahrzeugklasse im Sinne des § 8 FSG gesundheitlich geeignet gilt, wer für das sichere Beherrschen dieser Kraftfahrzeuge und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften

1. die nötige körperliche und psychische Gesundheit besitzt

...

Gesundheit

§ 5. (1) Als zum Lenken von Kraftfahrzeugen hinreichend gesund gilt eine Person, bei der keine der folgenden Krankheiten festgestellt wurde:

...

2. organische Erkrankungen des zentralen oder peripheren Nervensystems, die das sichere Beherrschen des Kraftfahrzeuges und das Einhalten der für das Lenken des Kraftfahrzeuges geltenden Vorschriften beeinträchtigen könnten,

3. Erkrankungen, bei denen es zu unvorhersehbaren Bewusstseinsstörungen oder -trübungen kommt,

4. schwere psychische Erkrankungen gemäß § 13 ...

...

Psychische Krankheiten und Behinderungen

§ 13. (1) Als ausreichend frei von psychischen Krankheiten im Sinne des § 3 Abs. 1 Z 1 gelten Personen, bei denen keine Erscheinungsformen von solchen Krankheiten vorliegen, die eine Beeinträchtigung des Fahrverhaltens erwarten lassen. Wenn sich aus der Vorgeschichte oder bei der Untersuchung der Verdacht einer psychischen Erkrankung ergibt, der die psychische Eignung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges einschränken oder ausschließen würde, ist eine psychiatrische fachärztliche Stellungnahme beizubringen, die die kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit mitbeurteilt.

(2) Personen, bei denen

1. eine angeborene oder infolge von Krankheiten, Verletzungen oder neurochirurgischen Eingriffen erworbene schwere psychische Störung,

  1. 2. eine erhebliche geistige Behinderung,
  2. 3. ein schwerwiegender pathologischer Alterungsprozess oder
  3. 4. eine schwere persönlichkeitsbedingte Störung des Urteilsvermögens, des Verhaltens und der Anpassung

    besteht, darf eine Lenkberechtigung nur dann erteilt oder belassen werden, wenn das ärztliche Gutachten auf Grund einer psychiatrischen fachärztlichen Stellungnahme, in der die kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit mitbeurteilt wird, die Eignung bescheinigt."

    Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung aussagt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 2007, Zl. 2004/11/0004, mwH), ist Voraussetzung für die Erlassung eines Aufforderungsbescheides nach § 24 Abs. 4 FSG, dass begründete Bedenken in der Richtung bestehen, dass der Inhaber einer Lenkberechtigung die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen derjenigen Klassen, die von seiner Lenkberechtigung erfasst werden, nicht mehr besitzt. Hiebei gehe es zwar noch nicht darum, konkrete Umstände zu ermitteln, aus denen bereits mit Sicherheit auf das Fehlen einer Erteilungsvoraussetzung geschlossen werden kann, es müssten aber genügend begründete Bedenken in dieser Richtung bestehen, die die Prüfung des Vorliegens solcher Umstände geboten erscheinen lassen. Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner auch darauf hingewiesen, dass ein Aufforderungsbescheid nur dann zulässig sei, wenn im Zeitpunkt seiner Erlassung (im Fall einer Berufungsentscheidung im Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides) von Seiten der Behörde (nach wie vor) begründete Bedenken bestehen. Im zitierten Erkenntnis vom 22. Februar 2007 hat der Verwaltungsgerichtshof etwa einen Vorfall (Suchtmittelkonsum), der bereits länger als ein Jahr zurücklag, nicht mehr als geeignet angesehen, begründete Bedenken an der - aktuellen - Eignung des Betreffenden zum Lenken von Kraftfahrzeugen zu erwecken.

    Die belangte Behörde führt im angefochtenen Bescheid selbst aus, dass der "Anlassfall" (vom 18. Juni 2006) für sich allein besehen keine Grundlage für begründete Bedenken hinsichtlich der gesundheitlichen Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen sei - diese Auffassung wird vom Verwaltungsgerichtshof, ausgehend von den im angefochtenen Bescheid hiezu getroffenen Feststellungen, geteilt -, jedoch die "erhebliche Anzahl" der als "fragwürdig" anzusehenden Verhaltensweisen des Beschwerdeführers eine Grundlage für die hier in Rede stehenden begründeten Bedenken böte. Dazu ist jedoch zu berücksichtigen, dass die von der belangten Behörde genannten Vorfälle, bezogen auf die Erlassung des angefochtenen Bescheides mit seiner Zustellung am 9. Jänner 2007, weit länger als ein Jahr zurückliegen und die belangte Behörde nicht schlüssig begründet hat, warum sich aus diesen Vorfällen auf Grund allfälliger besonderer Umstände ein Hinweis auf eine aktuelle gesundheitliche Einschränkung des Beschwerdeführers, die sich auf das Lenken von Kraftfahrzeugen auswirken könnte, ergeben würde. Der "jüngste" dieser Vorfälle trug sich am 8. Juli 2005 ("Pfirsichkern") zu und es wurden gegen den Beschwerdeführer erhobene Vorwürfe von der belangten Behörde mit einbezogen, die ins Jahr 1998 zurückreichen. Ob diese Vorfälle eine "fragwürdige" Verhaltensweise des Beschwerdeführers vermuten ließen, muss jedoch ausgehend von der oben dargestellten Rechtslage schon aus zeitlichen Gründen außer Betracht bleiben, abgesehen davon, dass nicht jedes "fragwürdige" (bzw. auffällige) Verhalten Bedenken gegen die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen rechtfertigt. Das von der belangten Behörde zitierte hg. Erkenntnis vom 18. Jänner 2000, Zl. 99/11/0316, spricht nicht für ihren Standpunkt, weil es einerseits von einem anders gelagerten Sachverhalt ausging und andererseits auch der zeitliche Aspekt nicht dem vorliegenden Fall vergleichbar ist.

    Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

    Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

    Wien, am 25. Juli 2007

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