VwGH 2007/01/0425

VwGH2007/01/042520.1.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerde des I R (geboren 1982) in M, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 27. Februar 2007, Zl. 251.527/0/5E-XX/25/04, betreffend § 8 Abs. 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §8 Abs2;
EMRK Art8;
AsylG 1997 §8 Abs2;
EMRK Art8;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge Staatsangehöriger von "Jugoslawien" albanischer Volksgruppenzugehörigkeit aus dem Kosovo, reiste am 15. Juni 2004 in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag.

Mit Bescheid vom 2. Juli 2004 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (I.), erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach "Serbien und Montenegro, Provinz Kosovo" gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig (II.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus

(III.).

Der Beschwerdeführer erhob allein gegen Spruchpunkt III. des Bescheides Berufung.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen Spruchpunkt III. des Bescheides des Bundesasylamtes vom 2. Juli 2004 gemäß § 8 Abs. 2 AsylG mit der Maßgabe abgewiesen, dass der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach "Serbien, Provinz Kosovo" ausgewiesen wird.

Die belangte Behörde stellte fest, der Beschwerdeführer habe bis zu seiner Ausreise am 10. Juni 2004 im Kosovo gelebt; er sei etwa zweieinhalb Jahre im Kosovo verlobt gewesen. Seine Verlobte habe im September 2002 den Kosovo verlassen und am 16. September 2002 in Österreich einen Asylantrag gestellt. Der Asylantrag der Verlobten sei mit Bescheid vom 22. Oktober 2002 gemäß § 7 AsylG abgewiesen und gleichzeitig festgestellt worden, dass ihre "Abschiebung in die Provinz Kosovo" nicht zulässig sei. Im Juni 2004 habe der Beschwerdeführer den Kosovo verlassen, da er bei seiner Verlobten in Österreich leben wollte. Am 20. Mai 2005 habe der Beschwerdeführer seine Verlobte geehelicht; er habe einen gemeinsamen Wohnsitz mit ihr. Die Ehegattin des Beschwerdeführers verfüge über eine befristete Aufenthaltsberechtigung. In rechtlicher Hinsicht verwies die belangte Behörde zunächst allgemein auf die zu Grunde liegenden Gesetzesbestimmungen sowie einschlägige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH), des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sowie des Verwaltungsgerichtshofes.

Nach Darstellung des Begriffs "Familienleben" im Sinne des Art. 8 EMRK führte die belangte Behörde fallbezogen aus, die Ausweisung des Beschwerdeführers stelle einen Eingriff in sein Familienleben dar. Der Beschwerdeführer sei mit einer Drittstaatsangehörigen, die eine befristete Aufenthaltsberechtigung besitze, verheiratet; er habe mit ihr einen gemeinsamen Wohnsitz in Österreich. Die Ausweisung sei gesetzlich vorgesehen und verfolge das legitime Ziel der Aufrechterhaltung der Ordnung im Bereich Fremdenpolizei und Zuwanderungswesen.

Die Ausweisung des Beschwerdeführers sei auch verhältnismäßig. Er habe mit seiner nunmehrigen Ehegattin zweieinhalb Jahre im Kosovo zusammengelebt, danach hätten sie zwei Jahre getrennt voneinander gelebt aber regelmäßig Kontakt gehabt. Nach der Einreise nach Österreich habe der Beschwerdeführer die Verlobte geehelicht. Auf Grund des langen Zeitraumes der Beziehung und der nunmehr eineinhalb Jahre aufrechten Ehe sei "von einem intensiven Familienleben" auszugehen. Das Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Bereich Fremdenpolizei und Zuwanderungswesen sei jedoch "schwerwiegender". Der Beschwerdeführer sei "illegal" eingereist, er habe einen Asylantrag als Vorwand zur Erlangung einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung gestellt und sich mit seiner nunmehrigen Ehegattin "schon vor längerem entschlossen", in Österreich, wenn ein Wohnsitz bestehe und seine finanzielle Lage es zulasse, zusammenzuleben. Der Beschwerdeführer hätte "zweifellos die Möglichkeit gehabt, nach dem Fremden- bzw. Niederlassungsgesetz eine legale Aufenthaltsbewilligung zu erreichen", was er nicht einmal versucht habe.

Der Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers sei daher zulässig. Daran könne sein Vorbringen, er sei nicht auf die Hilfe der Republik Österreich angewiesen sondern rundherum versorgt und seine Ehegattin sei in Österreich sehr gut integriert, nichts ändern. Die weitere Begründung betrifft die Prüfung, ob mit der Ausweisung ein Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers verbunden ist.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten, mit der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wurde, erwogen:

Zur notwendigen Begründung einer Ausweisung nach § 8 Abs. 2 Asylgesetz 1997 (bzw. § 10 Asylgesetz 2005) und der damit verbundenen fallbezogenen Abwägung wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Entscheidungsgründe des hg. Erkenntnisses vom 15. März 2010, Zl. 2007/01/0537 (mwH auf hg. Rechtsprechung sowie Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des EGMR und die darin entwickelten Kriterien) verwiesen.

Im vorliegenden Fall nahm die belangte Behörde zu dem nach Art. 8 EMRK geschützten Recht auf Achtung des Familienlebens eine Interessenabwägung vor. Bei der fallbezogenen Abwägung unterblieb jedoch eine Prüfung der näheren Umstände der Zumutbarkeit der Fortsetzung des Familienlebens im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers. Der allgemein gehaltene Hinweis im angefochtenen Bescheid, der Beschwerdeführer habe "zweifellos die Möglichkeit gehabt, nach dem Fremden- bzw. Niederlassungsgesetz eine legale Aufenthaltsbewilligung zu erreichen", sohin seinen Aufenthalt in Österreich vom Ausland aus im Wege einer Auslandsantragstellung zu legalisieren, stellt keine ausreichende Begründung bezüglich der Zumutbarkeit der Fortsetzung des Familienlebens des Beschwerdeführers dar (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Oktober 2010, Zl. 2007/01/0858).

Die belangte Behörde ließ insbesondere unberücksichtigt, dass die Abschiebung der Ehegattin - wie mit Bescheid vom 22. Oktober 2002 festgestellt - in den Herkunftsstaat des Beschwerdeführers nicht zulässig ist. Nach den Vorgaben der Rechtsprechung des EGMR wäre unter anderem (auch) das Maß der Schwierigkeiten, denen der Ehegatte in dem Land begegnet, in das der Beschwerdeführer auszuweisen ist, als maßgebliches Kriterium zu berücksichtigen (EGMR 2. August 2001, Application Nr. 54273/00, Fall Boultif gg. die Schweiz; EGMR 31. Jänner 2006, Application Nr. 50435/99, Fall Rodrigues da Silva und Hoogkamer gg. die Niederlande; VfGH 1. Juli 2009, U 992/08). Dass der Beschwerdeführer und seine Ehegattin ein Familienleben in einem anderen Staat (Drittstaat) aufbauen könnten, wurde von der belangten Behörde nicht zu Grunde gelegt (vgl. Fall Boultif, Rz. 52, "establishing family life elsewhere").

Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid mit wesentlichen Begründungsmängeln behaftet, sodass er wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 20. Jänner 2011

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte