VwGH 2006/21/0239

VwGH2006/21/023924.10.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des S, vertreten durch Dr. Eva Maria Barki, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Landhausgasse 4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 2. August 2006, Zl. Senat-FR-06-0073, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §10;
AsylG 2005 §27;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AsylG 2005 §10;
AsylG 2005 §27;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger und gehört der kurdischen Volksgruppe an. Er reiste am 12. Juli 2006 nach Österreich ein und beantragte am Tag darauf die Gewährung von Asyl. Davor hatte er sich - nach eigenen Angaben infolge eines vom 2. bis zum 9. Juni 2006 geltenden Visums - in Ungarn aufgehalten. In Österreich leben sowohl ein Bruder, bei dem er sich nach seiner Einreise polizeilich gemeldet hatte, als auch ein Onkel bzw. Schwager des Beschwerdeführers.

Am Tag seiner Erstbefragung im Asylverfahren, dem 18. Juli 2006, teilte das Bundesasylamt dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 Z. 4 AsylG 2005 mit, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, weil Dublin-Konsultationen mit Ungarn seit 18. Juli 2006 durchgeführt würden. Diese Mitteilung gelte auch als eingeleitetes Ausweisungsverfahren.

Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Bescheid vom 18. Juli 2006 ordnete die Bezirkshauptmannschaft Baden gegenüber dem Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 und 4 sowie Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz - FPG die Schubhaft an, um die Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 und um seine Abschiebung zu sichern.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 2. August 2006 wies die belangte Behörde eine dagegen erhobene Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 FPG ab und stellte gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.

Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer habe sich - auf Grund eines für sieben Tage gültigen Visums - vom 2. bis zum 27. Juni 2006 in Ungarn aufgehalten. Von dort aus sei er auf einem Lkw illegal nach Österreich eingereist. Es lägen daher Gründe für die Annahme vor, dass der am 13. Juli 2006 gestellte Asylantrag mangels Zuständigkeit Österreichs zurückzuweisen sein werde. Am 18. Juli 2006 sei eine diesbezügliche Mitteilung des Bundesasylamtes an den Beschwerdeführer ergangen. Im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Schubhaftbescheides seien die Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG vorgelegen, sei doch in der gemäß § 29 Abs. 3 AsylG 2005 ergangenen Mitteilung vom 18. Juli 2006 ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass diese auch als eingeleitetes Ausweisungsverfahren gelte.

Mit der Anwendung eines gelinderen Mittel gemäß § 77 FPG wäre im Beschwerdefall nicht das Auslangen zu finden gewesen, weil der Beschwerdeführer keinerlei berufliche Bindung im Inland habe und bereits aus seinem Vorverhalten hervorgehe, dass ihm einreise- und aufenthaltsrechtliche Bestimmungen in den einzelnen EU-Staaten nicht sonderlich tangierten, sowie dass er gewillt sei, EU-Grenzen und Grenzen im Schengenraum illegal zu überschreiten. Auch verfüge der Beschwerdeführer nicht über Dokumente, sodass "eine klare Nachweisung der Identität" nicht erfolgen könne. Wenn sich der Beschwerdeführer auf die Unterstützung durch in Österreich lebende Verwandte berufe, ohne initiativ Beweismittel für sein Vorbringen vorzulegen, sei dem entgegenzuhalten, "dass hiedurch eine Bonität allfälliger Bürgen nicht bewiesen (sei)". Diese Nachweise habe der Fremde im Rahmen einer erhöhten Mitwirkungspflicht von sich aus initiativ zu erbringen. Vor allem aus der Tatsache, dass der Beschwerdeführer in Österreich nicht krankenversichert sei, könnten erhebliche Kosten entstehen, deren Deckung nicht gesichert erscheine. Im Übrigen könnten allfällig Verpflichtete keineswegs sicherstellen, dass sich der Beschwerdeführer dem behördlichen Zugriff nicht entziehe. Die Notwendigkeit einer Verhängung von Schubhaft, die auch noch nicht unverhältnismäßig lang andauere, sei daher zu bejahen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Sämtliche Schubhafttatbestände des § 76 Abs. 2 FPG sind final determiniert. Sie rechtfertigen die Verhängung von Schubhaft nur "zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung". Der Verfassungsgerichtshof hat darüber hinaus, zuletzt in seinem Erkenntnis vom 15. Juni 2007, B 1330/06 und B 1331/06, klargestellt, dass die Behörden in allen Fällen des § 76 Abs. 2 FPG unter Bedachtnahme auf das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit verpflichtet sind, eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen. Im Ergebnis bedeutet das, dass die Schubhaft auch dann, wenn sie auf einen der Tatbestände des § 76 Abs. 2 FPG gestützt werden soll, stets nur ultima ratio sein darf (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2007/21/0043, mwN).

In ihrer Beurteilung des hiernach zu prüfenden Sicherungsbedürfnisses hat sich die belangte Behörde auf die illegale Einreise des Beschwerdeführers von Ungarn nach Österreich, ohne über die dafür erforderlichen Dokumente zu verfügen, auf das Fehlen beruflicher Integration im Inland und einer Krankenversicherung sowie auf den Mangel ausreichender finanzieller Mittel oder einer hinreichenden Unterhaltsgewährung durch zahlungskräftige Angehörige berufen.

Diese Aspekte allein sind nicht geeignet, in einem konkreten Einzelfall die Verhängung von Schubhaft, die nach dem Gesagten nicht zu einer "Standardmaßnahme" gegen Asylwerber werden darf, tauglich zu begründen. Zudem lassen die Erwägungen der belangten Behörde wesentliche Gesichtspunkte außer Betracht, die im Sinn der gebotenen Einzelfallprüfung zu berücksichtigen gewesen wären. Dabei handelt es sich vor allem darum, dass der Beschwerdeführer unbestritten am Tag nach seiner Einreise nach Österreich einen Asylantrag gestellt hat und dabei von sich aus mit den österreichischen Behörden in Kontakt getreten ist. Dass seine Angaben im Blick auf den ungeklärten Zeitraum 28. Juni bis 11. Juli 2006 nicht der Wahrheit entsprächen, hat die belangte Behörde nicht festgestellt. Dazu kommt, dass zwei Angehörige des Beschwerdeführers in Österreich leben und ihm jedenfalls eine Wohnmöglichkeit zur Verfügung gestellt haben. Schon angesichts dieser Umstände ist nicht zu sehen, weshalb es konkret beim Beschwerdeführer der Verhängung der Schubhaft bedurfte.

Von daher erweist sich die im bekämpften Bescheid bejahte Zulässigkeit der Schubhaft als verfehlt, sodass dieser wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 24. Oktober 2007

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