Normen
AsylG 2005 §10;
AsylG 2005 §27;
AVG §59 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AsylG 2005 §10;
AsylG 2005 §27;
AVG §59 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
Spruch:
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.982,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführer sind russische Staatsangehörige und gehören der tschetschenischen Volksgruppe an. Sie sind miteinander verschwägert. Am 18. Juni 2006 reisten sie, nachdem sie bereits am 26. Mai 2006 in Polen einen Asylantrag gestellt hatten, gemeinsam mit der Ehegattin und der am 24. Dezember 2005 geborenen Tochter des Zweitbeschwerdeführers in das österreichische Bundesgebiet ein und beantragten (neuerlich) die Gewährung von Asyl. Bei ihrer dazu jeweils am 19. Juni 2006 vorgenommenen Erstbefragung stellten sie die Reiseroute und den Umstand der bereits in Polen erfolgten Asylantragstellung (der Aktenlage nach) richtig dar. Sie seien nach Österreich weitergereist, weil sich hier zwei Schwestern der Erstbeschwerdeführerin (bzw. Schwägerinnen des Zweitbeschwerdeführers) als "anerkannte Flüchtlinge" aufhielten. In Österreich als ihrem endgültigen Reiseziel sei ein Zusammenleben mit den genannten Angehörigen beabsichtigt.
Mit - am selben Tag in Vollzug gesetzten - Bescheiden vom 19. Juni 2006 ordnete die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck jeweils gemäß § 76 Abs. 2 Z. 4 und § 80 Abs. 5 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG iVm § 57 AVG die Anhaltung beider Beschwerdeführer in Schubhaft an, um das Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung sowie ihre Abschiebung zu sichern. (Anmerkung: Mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 9. August 2006 wurden die Asylanträge beider Beschwerdeführer gemäß § 5 AsylG 2005 zurückgewiesen und ihre Ausweisung aus dem Bundesgebiet nach Polen gemäß § 10 leg. cit. verfügt; über dagegen erhobene Berufungen wurde nach der Aktenlage bislang nicht entschieden.)
Mit den angefochtenen Bescheiden vom 4. Juli 2006 gab die belangte Behörde den von den Beschwerdeführern erhobenen Schubhaftbeschwerden keine Folge.
Begründend führte sie jeweils im Wesentlichen aus, auf Grund der bereits am 26. Mai 2006 erfolgten Stellung eines Asylantrages in Polen und der Zustimmung dieses Staates zur Rückübernahme der Beschwerdeführer könne zu Recht von der Annahme ausgegangen werden, dass ihre Anträge auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen würden. Damit könne die Schubhaft (der Sache nach) auf der Grundlage des § 76 Abs. 2 Z. 4 FPG verhängt werden.
Die Anwendung gelinderer Mittel gemäß § 77 Abs. 1 FPG sei im vorliegenden Fall nicht in Betracht zu ziehen, weil es beiden Beschwerdeführern ganz offensichtlich darauf angekommen sei, in Österreich, wo sich ihre Angehörigen aufhielten, zu bleiben. Eine Familienzusammenführung hätten sie dagegen auch von Polen aus, wo sie zuerst Asyl beantragt hätten, anregen können. Es sei daher davon auszugehen, dass es den Beschwerdeführern primär aus wirtschaftlichen Gründen darum gehe, in Österreich verbleiben zu können. Die Trennung der volljährigen Erstbeschwerdeführerin von ihrer erwachsenen Schwester, mit der sie gemeinsam ihr Heimatland verlassen habe (der Ehegattin des Zweitbeschwerdeführers), sei gerechtfertigt, weil die Voraussetzungen der Verhängung der Schubhaft auch bei ihrer Schwester zu bejahen gewesen wären, die Behörde jedoch auf Grund des geringen Alters des Kleinkindes der Schwester davon Abstand genommen und ein gelinderes Mittel angewandt habe. Die Trennung des Zweitbeschwerdeführers von seiner Ehefrau und seinem rund ein halbes Jahr alten Kleinkind sei gerechtfertigt, weil die Voraussetzungen der Verhängung der Schubhaft auch bei seiner Gattin zu bejahen gewesen wären, davon jedoch auf Grund des geringen Alters des letztgenannten Kindes Abstand genommen worden sei. Die vorübergehende Trennung der Familie durch die Schubhaft des Vaters bzw. Ehegatten gewährleiste, dass der Rest der Kernfamilie bei Anwendung des gelinderen Mittels (Unterbringung in der Erstaufnahmestelle West) bei einer allfälligen Abschiebung nach Polen zur Verfügung stehen werde, weil nicht anzunehmen sei, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers mit ihrer Tochter in Österreich "untertauchen" werde, zumal auch ein berufliches Fortkommen in der Illegalität durch das Vorhandensein eines Babys erschwert sei.
Die Aufrechterhaltung der Schubhaft sei zulässig, weil sie im zeitlichen Rahmen des § 80 FPG liege und nicht ersichtlich sei, dass ihr Ziel nicht mehr realisierbar sei.
Über die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Zunächst ist anzumerken, dass die Erstbeschwerdeführerin nach der Aktenlage (erst) am 10. August 2006 aus der Schubhaft entlassen wurde. Der Zweitbeschwerdeführer wurde laut Bericht der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 30. August 2006 noch an diesem Tag in Schubhaft angehalten. Da die Anhaltung somit bei Erlassung der angefochtenen Bescheide (jeweils am 4. Juli 2006) andauerte, hätte ein Ausspruch nach § 83 Abs. 4 FPG im Spruch (und nicht nur mittelbar in der Begründung) ergehen müssen.
Sämtliche Schubhafttatbestände des § 76 Abs. 2 FPG sind final determiniert. Sie rechtfertigen die Verhängung von Schubhaft nur "zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung". Der Verfassungsgerichtshof hat darüber hinaus, zuletzt in seinem Erkenntnis vom 15. Juni 2007, B 1330/06 und B 1331/06, klargestellt, dass die Behörden in allen Fällen des § 76 Abs. 2 FPG unter Bedachtnahme auf das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit verpflichtet sind, eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen. Im Ergebnis bedeutet das, dass die Schubhaft auch dann, wenn sie auf einen der Tatbestände des § 76 Abs. 2 FPG gestützt werden soll, stets nur ultima ratio sein darf (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2007/21/0043, mwN).
Die Erwägungen der belangten Behörde lassen wesentliche Gesichtspunkte außer Betracht, die im Sinn der gebotenen Einzelfallprüfung zu berücksichtigen gewesen wären. Zunächst sind beide Beschwerdeführer unbestritten am Tag ihrer Einreise in Österreich mit den österreichischen Behörden in Kontakt getreten und haben einen Asylantrag gestellt. Bei ihren Ersteinvernahmen haben sie wahrheitsgemäße Angaben über ihre Identität und den Ablauf der bisherigen Flucht (insbesondere den in Polen gestellten Asylantrag) erstattet. Angesichts dieser Umstände und vor dem Hintergrund der vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 28. September 2004, B 292/04, VfSlg. 17.288, zum Ausdruck gebrachten Auffassung, der Umstand, dass ein Asylwerber bereits in einem anderen Land die Gewährung von Asyl beantragt habe, rechtfertige für sich nicht den Schluss, dass er unrechtmäßig in einen anderen Staat weiterziehen und sich so dem Verfahren entziehen werde, ist nicht zu sehen, weshalb es konkret bei den Beschwerdeführern der Verhängung der Schubhaft bedurfte. Im Übrigen wurden die familiären Anknüpfungspunkte zu den in Österreich - nach dem Vorbringen der Beschwerdeführer als "anerkannte Flüchtlinge" - lebenden Schwestern der Erstbeschwerdeführerin (bzw. Schwägerinnen des Zweitbeschwerdeführers) zu gering gewichtet.
Dazu kommt, dass beide Beschwerdeführer als Asylwerber im Zulassungsverfahren gemäß § 2 Abs. 1 Grundversorgungsgesetz - Bund 2005 grundsätzlich Anspruch auf Versorgung in einer Betreuungseinrichtung des Bundes hätten und sich daher die - im angefochtenen Bescheid nicht beantwortete - Frage stellt, weshalb sie - wären sie nicht aus der am 18. Juni 2006 (der Aktenlage nach) gewährten Bundesbetreuung heraus in Schubhaft überstellt worden - diese Unterstützung freiwillig aufgeben und in die "Anonymität" untertauchen hätten sollen (vgl. dazu neuerlich das hg. Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2007/21/0043, mwN).
Nach dem Gesagten sind die bekämpften Bescheide mit Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes belastet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben waren.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 26. September 2007
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