VwGH 2006/21/0131

VwGH2006/21/013126.9.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des S, vertreten durch Mag. Sonja Scheed, Rechtsanwältin in 1220 Wien, Brachelligasse 16, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 28. April 2006, Zl. Senat-FR-06-1050, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §10;
AsylG 2005 §27;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AsylG 2005 §10;
AsylG 2005 §27;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Ukraine, reiste im Mai 2004 gemeinsam mit seiner Ehefrau und dem am 4. August 1990 geborenen Sohn nach Ungarn, wo er am 18. Juni 2004 die Gewährung von Asyl beantragte. Dieser Asylantrag des Beschwerdeführers, der bis 21. März 2006 in Ungarn in einem Flüchtlingslager untergebracht worden war, wurde von den ungarischen Behörden abgewiesen.

Am 21. März 2006 reiste der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Ehefrau und dem Sohn in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am Tag darauf (neuerlich) einen Asylantrag. Bei seiner am selben Tag durchgeführten Ersteinvernahme gab er diese Umstände (der Aktenlage nach) richtig wieder.

Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Bescheid vom 27. März 2006 ordnete die Bezirkshauptmannschaft Baden gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 und Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft an, um das Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 und seine Abschiebung zu sichern.

Das Ausweisungsverfahren gegen den Beschwerdeführer, dessen Ehefrau und Sohn in einer Einrichtung des Vereines SOS Menschenrechte untergebracht worden waren, wurde am 27. März 2006 eingeleitet (Blatt 158 der vorgelegten Verwaltungsakten).

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der vom Beschwerdeführer erhobenen Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 FPG iVm § 67c Abs. 3 AVG keine Folge. Überdies stellte sie gemäß § 83 Abs. 4 FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.

Diesen Bescheid begründete sie im Wesentlichen damit, dass im Asylverfahren gegen den Beschwerdeführer ein Ausweisungsverfahren eingeleitet worden sei und sein Asylantrag "wegen Schutz im sicheren Drittstaat Ungarn zurückzuweisen" sein werde. Der Beschwerdeführer sei illegal mit Frau und Kind in das Bundesgebiet eingereist. Er habe ausdrücklich angegeben, nicht mehr nach Ungarn zurückkehren zu wollen und über kein gültiges Reisedokument zu verfügen. Deshalb und weil der Beschwerdeführer mittellos sei, also seinen Lebensunterhalt in Österreich nicht aus eigenem finanzieren könne, sei die Verhängung der Schubhaft erforderlich. Die Anwendung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG komme nicht in Betracht, weil die Annahme berechtigt sei, dass sich der Beschwerdeführer hiedurch dem Verfahren entziehen könnte und der Schubhaftzweck nicht erreicht würde. Der Beschwerdeführer könnte sich im Fall der Anwendung eines gelinderen Mittels "einerseits durch illegale Arbeitsaufnahme und damit durch verwaltungsstrafrechtlich zu ahndendes Verhalten den Lebensunterhalt für seine Familie zu beschaffen versuchen ... und andererseits zur Verhinderung der Durchführung einer behördlichen Maßnahme sich dem Zugriff der Behörden entziehen".

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Sämtliche Schubhafttatbestände des § 76 Abs. 2 FPG sind final determiniert. Sie rechtfertigen die Verhängung von Schubhaft nur "zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung". Der Verfassungsgerichtshof hat darüber hinaus, bereits in dem vom Beschwerdeführer zitierten Erkenntnis vom 28. September 2004, B 292/04 = VfSlg. 17.288, zuletzt in seinem Erkenntnis vom 15. Juni 2007, B 1330/06 und B 1331/06, klargestellt, dass die Behörden in allen Fällen des § 76 Abs. 2 FPG unter Bedachtnahme auf das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit verpflichtet sind, eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen. Im Ergebnis bedeutet das, dass die Schubhaft auch dann, wenn sie auf einen der Tatbestände des § 76 Abs. 2 FPG gestützt werden soll, stets nur ultima ratio sein darf (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2007/21/0043, mwN).

Die Erwägungen der belangten Behörde lassen wesentliche Gesichtspunkte außer Betracht, die im Sinn der gebotenen Einzelfallprüfung zu berücksichtigen gewesen wären. Vor allem hat der Beschwerdeführer unbestritten am Tag nach seiner Einreise in Österreich einen Asylantrag gestellt, ist dabei mit den österreichischen Behörden in Kontakt getreten und hat bei seiner Ersteinvernahme wahrheitsgemäße Angaben über seine Identität und den Ablauf der bisherigen Flucht (insbesondere über den bereits in Ungarn gestellten Asylantrag und darüber, dass das Asylverfahren in Ungarn "negativ entschieden" worden war - Blatt 21 des Verwaltungsaktes) erstattet. Angesichts dieser Umstände und vor dem Hintergrund der vom Verfassungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis vom 28. September 2004, B 292/04, VfSlg. 17.288, zum Ausdruck gebrachten Auffassung, der Umstand, dass ein Asylwerber bereits in einem anderen Land die Gewährung von Asyl beantragt habe, rechtfertige für sich nicht den Schluss, dass er unrechtmäßig in einen anderen Staat weiterziehen und sich so dem Verfahren entziehen werde, ist nicht zu sehen, weshalb es konkret beim Beschwerdeführer der Verhängung der Schubhaft bedurfte.

Dazu kommt, dass der Beschwerdeführer als Asylwerber im Zulassungsverfahren gemäß § 2 Abs. 1 Grundversorgungsgesetz - Bund 2005 grundsätzlich Anspruch auf Versorgung in einer Betreuungseinrichtung des Bundes hätte und sich daher die - im angefochtenen Bescheid nicht beantwortete - Frage stellt, weshalb er - wäre er nicht in Schubhaft genommen und wäre ihm ebenso wie seiner Ehefrau und seinem Sohn eine Versorgung außerhalb der Schubhaft gewährt worden - diese Unterstützung aufgeben und in die "Anonymität" untertauchen hätte sollen (vgl. auch dazu das hg. Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2007/21/0043, mwN). Die bloße (rechtswidriges Verhalten im Ergebnis als Regelfall ansehende) Unterstellung, es wäre "nicht lebensfremd", dass sich der Beschwerdeführer behördlichen Maßnahmen entziehen könnte, kann keine taugliche Begründung bilden.

Nach dem Gesagten ist der bekämpfte Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 26. September 2007

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