VwGH 2006/21/0038

VwGH2006/21/003820.11.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des K, vertreten durch Mag. Dr. Wolfgang Fromherz, Mag. Dr. Bernhard Glawitsch, Mag. Ulrike Neumüller-Keintzel, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Graben 9, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 19. Jänner 2006, Zl. VwSen-400743/9/WEI/An, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §30 Abs1;
AsylG 1997 §34b Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AsylG 1997 §30 Abs1;
AsylG 1997 §34b Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt I. im Umfang der Anfechtung (soweit die Schubhaftbeschwerde abgewiesen wurde) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid erklärte die belangte Behörde im hier gegenständlichen Spruchpunkt I. die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vom 20. August 2005 bis 3. November 2005 für rechtswidrig, wies hingegen das darüber hinausgehende Begehren auf Rechtswidrigerklärung der davor liegenden Anhaltung sowie des Schubhaftbescheides vom 30. Juni 2005 ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, sei am 26. Juni 2005 von Italien mit dem Zug in Österreich eingereist und habe nach Deutschland weiterreisen wollen. Bei einer Kontrolle habe er sich mit einem nicht für ihn ausgestellten Reisedokument ausgewiesen. Im Zuge der darauf folgenden Amtshandlung habe er einen Asylantrag gestellt, worauf er zwecks Durchführung des Asylverfahrens zum Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle West, nach T überstellt worden sei. Dort sei ihm eine "bundesbetreute Unterkunft in der EAST West" zugewiesen worden. Er habe eine Ladung zur ärztlichen Untersuchung für den 27. Juni 2005 erhalten. Als "asylrechtlicher Einvernahmetermin" sei ihm der 29. Juni 2005,

14.30 Uhr, genannt worden. In der Folge habe sich der Beschwerdeführer ohne Abmeldung aus der Unterkunft entfernt und sei auch am 29. Juni 2005 nicht zur Ersteinvernahme erschienen. Das Asylverfahren sei aus diesem Grund vom Bundesasylamt mit Aktenvermerk vom 29. Juni 2005 gemäß § 30 Asylgesetz 1997 (AsylG) eingestellt worden. Mit Telefax einer (näher genannten) Hilfsorganisation in Linz, welches um 14.30 Uhr des 29. Juni 2005 an das Bundesasylamt gesendet worden sei, sei mitgeteilt worden, dass der Beschwerdeführer wegen einer Terminkollision nicht zu seinem Interview habe erscheinen können. Darin sei auch ausgeführt worden, dass er um 8.00 Uhr zur Hilfsorganisation gekommen sei und man dort keine Fahrmöglichkeit finden habe können, um den Termin noch wahrzunehmen. Am 30. Juni 2005 sei der Beschwerdeführer wieder in der Erstaufnahmestelle West "vorstellig" geworden. Unmittelbar nach seinem Eintreffen sei gegen ihn von der Fremdenpolizeibehörde auf der Rechtsgrundlage des § 34b Abs. 1 Z 1 AsylG und des § 61 Abs. 1 und 2 Fremdengesetz 1997 (FrG) die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes oder zur Sicherung der Abschiebung verhängt worden. Ab 30. Juni 2005 sei er in Schubhaft angehalten worden. Das Asylverfahren sei mit Ladungsbescheid des Bundesasylamtes vom 1. Juli 2005 fortgesetzt worden. Die damit angeordnete Einvernahme des Beschwerdeführers habe am 4. Juli 2005 stattgefunden. Im Zuge dieser Einvernahme habe der Beschwerdeführer zum unerlaubten Entfernen aus der Erstaufnahmestelle angegeben, er sei von einem anderen Schwarzafrikaner, dessen Name er nicht kenne, nach L gebracht worden, weil er etwas einkaufen hätte wollen. Anschließend hätte er jedoch - seinen weiteren Angaben zufolge - nicht gewusst, wie er wieder zur Erstaufnahmestelle zurückkommen sollte, weshalb er im Park übernachtet hätte, und dann ins "Zentrum für Migranten" gegangen wäre. Dort hätte er eine Zugfahrkarte für die Rückkehr zur Erstaufnahmestelle West erhalten.

Rechtlich führte die belangte Behörde - auf das hier Wesentliche zusammengefasst - aus, dass die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 zweiter Satz AsylG für die Annahme des ungerechtfertigten Entfernens aus der Erstaufnahmestelle vorgelegen seien. Erst mit Telefax vom 29. Juni 2005 sei nachträglich als Begründung für das Nichterscheinen zur Ersteinvernahme eine angebliche Terminkollision, die "einfach ohne jeden nachvollziehbaren Zusammenhang behauptet" worden sei, dem Bundesasylamt bekannt gegeben worden. Die Versuche des Beschwerdeführers, das ungerechtfertigte Entfernen aus der Erstaufnahmestelle zu entschuldigen, würden dem erkennenden Mitglied der belangten Behörde nicht überzeugend erscheinen. Ein "ordentlicher Asylwerber" hätte zum einen die Erstaufnahmestelle nicht ohne Abmeldung verlassen und zum anderen sich nicht in eine Situation begeben, in der eine rechtzeitige Rückkehr zu einem festgesetzten Termin gefährdet wäre. Der Beschwerdeführer habe auch keine genauen Angaben über sein langes Fernbleiben über immerhin drei Nächte machen können oder wollen. Es erscheine auch wenig glaubhaft, dass der Beschwerdeführer am 28. und 29. Juni 2006 den Weg nach St. G nicht rechtzeitig habe erfragen können. Unter diesen Umständen und unter Berücksichtigung, dass der Beschwerdeführer ursprünglich nach Deutschland weiterreisen habe wollen, sei die Annahme gerechtfertigt, der Beschwerdeführer werde sich dem Zugriff der österreichischen Behörden zu entziehen trachten und in die Illegalität abtauchen. Die belangte Behörde ging daher von der Rechtmäßigkeit des auf § 34b Abs. 1 Z 1 AsylG gestützten Schubhaftbescheides sowie der Anhaltung des Beschwerdeführers aus. Zur Anhaltung ab 20. August 2005 führte die belangte Behörde aus, dass diese nicht mehr rechtmäßig gewesen sei, weil ab diesem Zeitpunkt - unter Berücksichtigung der den erstinstanzlichen Bescheid des Bundesasylamtes aufhebenden Entscheidung des unabhängiger Bundesasylsenats - die in § 24a AsylG festgelegte Frist von 20 Tagen überschritten gewesen sei. Dem Beschwerdeführer sei ab diesem Tag eine asylrechtliche Aufenthaltsberechtigung nach § 19 Abs. 2 AsylG zugekommen. Mit Blick auf die Zulassung des Asylverfahrens und den Anspruch auf Grundversorgung könne ein Sicherungsbedarf nicht mehr angenommen werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung der Schubhaftbeschwerde richtet (das Beschwerdeverfahren hinsichtlich des im selben Bescheid erfolgten Abspruches über die Rechtmäßigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers wurde bereits unter der hg. Zl. 2006/01/0082 mit Beschluss vom 6. Mai 2008 beendet), nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

In der Beschwerde wird (wie bereits in der Schubhaftbeschwerde) geltend gemacht, die Voraussetzungen des § 34b Abs. 1 Z 1 AsylG seien nicht vorgelegen. Dies führt die Beschwerde zum Erfolg.

Die belangte Behörde beurteilte die Rechtmäßigkeit der Schubhaft - im Sinne der Anordnung der Fremdenpolizeibehörde - anhand § 34b Abs. 1 Z 1 AsylG. Nach dieser Bestimmung kann die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Ausweisung oder Abschiebung mit Bescheid anordnen, wenn der Asylwerber sich im Zulassungsverfahren ungerechtfertigt aus der Erstaufnahmestelle entfernt hat.

§ 34b Abs. 1 Z 1 AsylG wird durch § 30 Abs. 1 zweiter Satz AsylG inhaltlich determiniert (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. März 2007, Zl. 2005/21/0393). Diese Bestimmungen sind in Verbindung zueinander zu lesen (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 15. Oktober 2004, Zl. G 237/03 ua, Punkt III. 9.7.1 der Entscheidungsgründe). Gemäß § 30 Abs. 1 AsylG sind Asylverfahren, über deren Zulässigkeit noch nicht abgesprochen wurde (§ 24a AsylG), einzustellen, wenn eine Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts noch nicht erfolgen kann, und sich der Asylwerber aus der Erstaufnahmestelle ungerechtfertigt entfernt hat. Ungerechtfertigt ist das Entfernen aus der Erstaufnahmestelle nach dieser Bestimmung dann, wenn der Asylwerber trotz Aufforderung zu den ihm vom Bundesasylamt gesetzten Terminen nicht kommt und er nicht in der Erstaufnahmestelle angetroffen werden kann. Ein Krankenhausaufenthalt ist gemäß § 30 Abs. 1 letzter Satz AsylG jedenfalls kein ungerechtfertigtes Entfernen aus der Erstaufnahmestelle. Gemäß § 30 Abs. 4 erster Satz AsylG ist ein nach § 30 Abs. 1 AsylG eingestelltes Verfahren von Amts wegen fortzusetzen, sobald die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes möglich ist.

Der Verfassungsgerichtshof hat dazu im bereits erwähnten Erkenntnis vom 15. Oktober 2004 festgehalten, dass die Formulierung des § 34b Abs. 1 Z 1 AsylG zwar den Eindruck erwecken kann, ein Asylwerber habe sich ständig in der Erstaufnahmestelle aufzuhalten, sich jedoch aus § 30 Abs. 1 zweiter Satz AsylG ein anderes Bild ergibt. Demnach ist das Entfernen aus der Erstaufnahmestelle dann ungerechtfertigt, wenn der Asylwerber trotz Aufforderung zu den ihm vom Bundesasylamt gesetzten Terminen nicht kommt. Somit ist der zwangsweise Aufenthalt in der Erstaufnahmestelle nur für den Fall vorgesehen, dass der Asylwerber für eine ihm rechtzeitig bekannt gegebene, angemessene Zeitspanne, etwa für eine Einvernahme, eine ärztliche Untersuchung oder dgl., persönlich benötigt wird. Der zwangsweise Aufenthalt in der Erstaufnahmestelle ist also auf Fälle der Mitwirkung am Verfahren beschränkt. Da das Verlassen der Erstaufnahmestelle zu anderen Zeiträumen gerechtfertigt ist, kann dies in rechtlich zulässiger Weise auch zu keiner Verhängung der Schubhaft führen. Auf Grund des letzten Satzes des § 30 Abs. 1 AsylG, der beispielsweise einen Krankenhausaufenthalt nennt, ist erkennbar, dass als Rechtfertigungsgrund für die Abwesenheit alle Umstände gelten, denen sich ein Asylwerber vernünftigerweise nicht entziehen kann bzw. die ihm nicht subjektiv vorwerfbar sind. Weiters hat der Verfassungsgerichtshof darauf hingewiesen, dass sich aus der Verwendung des Plurals beim Wort "Terminen" in § 30 Abs. 1 AsylG ergibt, dass nicht das erstmalige Fernbleiben von einem Termin bereits zur Verhängung der Schubhaft führen darf. Auch sieht § 34b Abs. 1 AsylG bei Erfüllung des Tatbestandes der Z 1 die Verhängung der Schubhaft nicht zwingend vor, sondern lässt der Behörde durch das Wort "kann" ein Ermessen. Bei gesetzmäßiger Ausübung dieses Ermessens muss aus den Umständen der Nichtmitwirkung an einer Verfahrenshandlung die Absicht des Asylwerbers zu erkennen sein, die mögliche Ausweisung verhindern oder verzögern zu wollen. Eine Zusammenschau der genannten Bestimmungen zeigt, dass nicht jedes ungerechtfertigte Entfernen zur Inhaftierung führt, sondern nur die Weigerung an der Mitwirkung mit der Absicht, die mögliche Abschiebung zu verhindern oder zu verzögern.

Im Lichte des Gesagten erweist sich fallbezogen die Verhängung der Schubhaft sowie die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft schon deshalb als rechtswidrig, weil der Beschwerdeführer lediglich einem Termin (nämlich jenem zu seiner Vernehmung am 29. Juni 2008) fern blieb. Dieses erstmalige Fernbleiben zu einem Termin durfte noch nicht zur Verhängung der Schubhaft führen.

Der belangten Behörde ist in diesem Zusammenhang auch vorzuwerfen, dass sie bei ihrer Prüfung nicht darauf Bedacht genommen hat, dass anhand der Aktenlage kein ausreichender Hinweis ersichtlich ist, der Beschwerdeführer wolle sich einem Verfahren entziehen (die von der belangten Behörde aufgestellten, aber nicht schlüssig begründeten - siehe dazu unten - Mutmaßungen, können anhand der Aktenlage nicht nachvollzogen werden), zumal er, wie im Entschuldigungsschreiben in Aussicht gestellt, wieder (am 30. Juni 2005) freiwillig in die Erstaufnahmestelle West zurückkehrte.

Darüber hinaus hat der Verfassungsgerichtshof auch klargestellt, dass die Abwesenheit in der Erstaufnahmestelle dem betroffenen Asylwerber subjektiv vorwerfbar sein muss. Soweit die belangte Behörde - was ihren Ausführungen nicht mit der gebotenen Deutlichkeit zu entnehmen ist (sie qualifizierte die Angaben des Beschwerdeführers einerseits als zweifelhaft und wenig glaubhaft, traf aber andererseits zum Grund seiner Abwesenheit keine Feststellungen, sondern beschränkte sich auf die Wiedergabe seiner Angaben) - die Richtigkeit der Rechtfertigung des Beschwerdeführers zu bezweifeln scheint, hätte sie nicht von einem aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärten Sachverhalt ausgehen dürfen, weshalb die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht gemäß § 83 Abs. 2 Z 1 FPG hätte unterbleiben dürfen. Wenn die belangte Behörde in diesem Zusammenhang in ihrer Gegenschrift vermeint, dass die vom Beschwerdeführer aufgestellten Behauptungen nicht überprüfbar seien, so ist sie darauf hinzuweisen, dass auch die Vernehmung des Beschwerdeführers im Rahmen einer mündlichen Verhandlung eine zulässige - und fallbezogen auch zweckmäßige - Beweisaufnahme darstellt, die einer Beweiswürdigung zugänglich ist, sowie dass Feststellungen auch darin bestehen können, die aufgestellten Behauptungen (nach einer schlüssigen, alle zur Verfügung stehenden Beweismittel einbeziehenden Beweiswürdigung) als nicht den Tatsachen entsprechend festzustellen.

Der angefochtene Bescheid war sohin wegen - der vorrangig wahrzunehmenden - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 20. November 2008

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