VwGH 2006/19/0502

VwGH2006/19/050219.11.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke und die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des A, vertreten durch Mag. Gregor Saurugg, Rechtsanwalt in 8045 Graz, Andritzer Reichsstraße 44, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. August 2005, Zl. 247.423/0-VI/17/04, betreffend §§ 7, 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), I. zu Recht erkannt:

Normen

Auswertung in Arbeit!
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Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit Spruchpunkt II. des erstinstanzlichen Bescheides (Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Armenien oder in die Russische Föderation) bestätigt wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Armenien, reiste am 16. Dezember 2003 in das Bundesgebiet ein und beantragte am folgenden Tag Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt führte er aus, dass er in Armenien geboren worden sei. Seine Mutter sei Armenierin, der Vater Aserbaidschaner; er sei damit kein Angehöriger einer Volksgruppe und habe auch nicht die armenische Staatsbürgerschaft. Nach dem Zerfall der UdSSR habe er um keine Staatsbürgerschaft eines der Nachfolgestaaten angesucht und besitze derzeit keine (Staatsbürgerschaft). Er suche in Österreich um Asyl an, damit er mit seinem Bruder und seiner Mutter, welche sich bereits in Österreich aufhielten, zusammen leben könne. Er werde in Armenien verfolgt. Sein Vater sei 1990 von Armeniern getötet worden. Danach sei die Mutter mit den Kindern aus Erewan geflüchtet, sie hätten in verschiedenen Orten gelebt, bis sie im Jahr 2000 zunächst nach Georgien, sodann nach Moskau gereist seien. Die Russische Föderation habe er verlassen, da er dort illegal gelebt habe und mit seiner Familie habe zusammenleben wollen. Er fürchte, dass er in Armenien getötet werde. Die Aserbaidschaner seien dort nicht beliebt und würden von den armenischen Nachbarn und den Behörden schlechter behandelt.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 2. Februar 2004 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.) und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "nach Armenien oder in die Russische Föderation, dem Staat Ihres frügeren (sic!) gewöhnlichen Aufenthaltes" zulässig sei (Spruchpunkt II). Begründend führte das Bundesasylamt zu Spruchpunkt I. im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer in Österreich um Asyl angesucht habe, um mit seiner Mutter und seinem Bruder leben zu können. Seinen Angaben habe nicht entnommen werden können, dass er einer konkret gegen ihn gerichteten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei. Zu Spruchpunkt II. führte das Bundesasylamt aus, dass die Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers nicht feststehe. Er habe nicht glaubhaft machen können, dass durch seine Rückkehr in sein Heimatland (gemeint: Armenien) oder in die Russische Föderation die Bestimmungen des Art. 2 oder 3 EMRK verletzt würden.

Die dagegen erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab. Im Kopf dieses Bescheides findet sich neben dem Namen und Geburtsdatum des Beschwerdeführers der Hinweis: "StA.: ungeklärt (Armenien)". Begründend wurde ausgeführt, dass es dem Beschwerdeführer weder gelungen sei, wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft zu machen, noch dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass er nach einer Rückkehr in "sein (ehemaliges) Heimatland bzw. in das Land seines letzten gewöhnlichen Aufenthaltes (Russische Föderation)" einer Gefährdung iSd § 57 FrG ausgesetzt sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Zu I.:

Ist ein Asylantrag abzuweisen, hat die Behörde gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (in der gegenständlich maßgeblichen Fassung BGBl I Nr. 101/2003), von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat zulässig ist.

Als Herkunftsstaat gilt nach § 1 Z 4 leg. cit. der Staat, dessen Staatsangehörige Fremde besitzen, oder - im Falle der Staatenlosigkeit - der Staat ihres früheren gewöhnlichen Aufenthaltes.

Herkunftsstaat im Sinn des § 1 Z 4 AsylG ist somit primär jener Staat, zu dem ein formelles Band der Staatsbürgerschaft besteht; nur wenn ein solcher Staat nicht existiert, wird subsidiär auf sonstige feste Bindungen zu einem Staat in Form eines dauernden (gewöhnlichen) Aufenthaltes zurückgegriffen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/01/0089, mwN, und das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 2009, Zl. 2007/19/0535, mwN).

Mit der Abweisung der Berufung gemäß § 8 AsylG bestätigte die belangte Behörde Spruchpunkt II. des erstinstanzlichen Bescheides, mit welchem die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Armenien oder in die Russische Föderation für zulässig erklärt worden war. Begründend führte die belangte Behörde dazu lediglich aus, dass stichhaltige Gründe für die Annahme, der Beschwerdeführer wäre nach einer Rückkehr in sein ehemaliges Heimatland (gemeint: Armenien) bzw. in das Land seines letzten gewöhnlichen Aufenthaltes (Russische Föderation) einer Gefährdung iSd § 57 FrG ausgesetzt, nicht bestünden. In Armenien herrsche weder eine Bürgerkriegssituation noch eine extreme Gefahrenlage.

Indem die belangte Behörde - wie das Bundesasylamt - solcherart die Refoulementprüfung sowohl auf Armenien als auch die Russische Föderation bezogen hat, hat sie verkannt, dass nach der gegenständlich maßgeblichen Rechtslage bei ungeklärtem Herkunftsstaat die Frage der Zulässigkeit des Refoulements nur auf den behaupteten Herkunftsstaat zu beziehen ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. September 2005, Zl. 2003/20/0228, mwN). Für eine weitergehende Prüfung fehlt den Asylbehörden die Zuständigkeit.

Unter Zugrundelegung der Angaben des Beschwerdeführers im Asylverfahren wäre fallbezogen von dessen Staatenlosigkeit auszugehen. Damit käme es für die Refoulementprüfung auf den Staat des "früheren gewöhnlichen Aufenthalts" des Beschwerdeführers an; das ist jener Staat, in dem er sich zu Beginn der Flucht aufgehalten hat (vgl. auch dazu das erwähnte hg. Erkenntnis vom 20. Februar 2009).

Davon ausgehend hätte die belangte Behörde den gegenständlich in Betracht kommenden Herkunftsstaat zu bestimmen und die erstinstanzliche Entscheidung hinsichtlich des vom Bundesasylamt unzuständiger Weise geprüften anderen Staates ersatzlos zu beheben gehabt.

Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grund im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Zu II.:

Gemäß Art 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beschwerde wirft - soweit sie sich gegen die Bestätigung des Spruchpunktes I. des erstinstanzlichen Bescheides richtet - keine für die Entscheidung dieses Falles maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung sprechen würden, liegen nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerde - soweit sie sich gegen die Bestätigung des Spruchpunktes I. des erstinstanzlichen Bescheides richtet - abzulehnen.

Wien, am 19. November 2010

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