VwGH 2006/19/0299

VwGH2006/19/029915.12.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed, die Hofrätin Dr. Pollak und den Hofrat Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des W, vertreten durch Dr. Walter Hasibeder und Dr. Josef Strasser, Rechtsanwälte in 4910 Ried im Innkreis, Roßmarkt 1, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 27. Oktober 2003, Zl. 226.101/0-VIII/22/02, betreffend § 13 Abs. 1 und § 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §13 Abs1;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnF litb;
AsylG 1997 §13 Abs1;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnF litb;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein ukrainischer Staatsangehöriger, gelangte am 5. September 2001 in das Bundesgebiet und stellte am selben Tag einen Asylantrag.

Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 28. November 2001 führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen - soweit im Beschwerdeverfahren noch relevant - zusammengefasst aus, er habe sich vor seiner Einreise in das Bundesgebiet bereits mehrmals im Gebiet der Europäischen Union als Asylwerber aufgehalten, und zwar letztmalig von 1998 bis 2000 in Deutschland, sowie anschließend in Holland und Polen, ehe er im August 2001 in die Ukraine zurückgekehrt sei. Während seines Aufenthaltes in Deutschland sei er unter dem Vorwurf einer Vergewaltigung zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Im Jahr 1998 habe er der deutschen Polizei Informationen "über die Mafia, die in der Ukraine und in Deutschland agiert" gegeben. Die Mafia habe daraufhin seine Familie in der Ukraine bedroht und auch der Beschwerdeführer sei nach seiner Rückkehr in die Ukraine im August 2001 von Mafiamitgliedern niedergeschlagen worden. Für den Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat, in dem die Mafia mit der Polizei zusammenarbeite, fürchte er umgebracht zu werden.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 3. Jänner 2002 gemäß § 13 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (AsylG) wegen Vorliegens eines Asylausschlussgrundes ab (Spruchpunkt I) und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Ukraine gemäß § 8 AsylG für zulässig (Spruchpunkt II). Der Beschwerdeführer sei -

so die Begründung des Bescheides - am 20. Juli 1999 vom Landgericht Oldenburg in der BRD wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt worden und habe einen Teil dieser Freiheitsstrafe tatsächlich verbüßt. Am 8. November 2001 sei über den Beschwerdeführer auf Grund einer Anzeige der Bundespolizeidirektion Innsbruck wegen des Verdachtes des Raubes, der versuchten schweren Nötigung sowie des gewerbsmäßigen Diebstahles die Untersuchungshaft verhängt worden. Im vorliegenden Fall sei somit der Tatbestand des Art. 1 Abschnitt F lit. b der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) verwirklicht, weshalb der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 13 Abs. 1 AsylG abzuweisen sei. Da die Befürchtungen des Beschwerdeführers für den Fall der Rückkehr durch keine objektiven Beweise belegt seien, sei ihm auch kein Refoulementschutz zu gewähren.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung an die belangte Behörde, in der er u.a. vorbrachte, wegen seiner Aussage vor der deutschen Polizei, anlässlich derer er auch Namen von Mitgliedern der kriminellen Organisation genannt habe, nicht mehr in seine Heimat zurückzukönnen. Dort suchten ihn die "Rechtsorgane" und die "kriminellen Organisationen", die miteinander "kooperieren", um ihn umzubringen. Seine Aussage bei der deutschen Polizei sei als Protest gegen dieses System zu verstehen gewesen.

Die belangte Behörde führte am 24. September 2003 eine mündliche Berufungsverhandlung durch. Am Beginn dieser Verhandlung beantragte der Beschwerdeführer die Einvernahme jener deutschen Kriminalbeamten, die ihn in Braunschweig einvernommen hätten und denen gegenüber er Aussagen über die organisierte Kriminalität in Deutschland und in der Ukraine gemacht habe.

Mit Eingabe vom 13. Oktober 2003 nahm der - nunmehr anwaltlich vertretene - Beschwerdeführer zu den ihm in der vorangegangenen Verhandlung vorgehaltenen Länderberichten zur Lage in der Ukraine Stellung. Er führte neuerlich - zusammengefasst - aus, dass er im Falle seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat wegen der Verflechtung der organisierten Kriminalität mit den staatlichen Stellen von diesen keinen Schutz vor Übergriffen durch die Mafia zu erwarten habe. Überdies wiederholte er seinen Beweisantrag auf Einvernahme deutscher Kriminalpolizisten zum Nachweis dafür, dass er im Zuge der Zusammenarbeit mit der deutschen Polizei verschiedene Mitglieder einer kriminellen Organisation massiv belastet habe, was letztendlich auch zu verschiedenen Verhaftungen geführt habe.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß "§§ 13, 8 AsylG" ab. Nach Darlegung des Verfahrensverlaufes und kurzer Darstellung des Lebenslaufes des Beschwerdeführers stellte die belangte Behörde u. a. fest, der Beschwerdeführer habe nach seiner Ausreise aus der Ukraine in Deutschland einen Asylantrag gestellt und in einer kriminellen Organisation gearbeitet. Über diese habe er gegenüber der deutschen Kriminalpolizei "Aussagen" gemacht. Mit Urteil des Landgerichtes Oldenburg vom 20. September 1999 sei er wegen Vergewaltigung verurteilt worden. Die 4-jährige Freiheitsstrafe habe er teilweise verbüßt. Der Beschwerdeführer sei anschließend nach Holland gereist und von dort nach Polen abgeschoben worden. Von dort sei er illegal in die Ukraine zurückgekehrt, habe sich dort nur kurze Zeit aufgehalten und sei danach über die Slowakei in das Bundesgebiet gelangt. Auch in Österreich habe er "Probleme mit Personen krimineller Organisationen aus der Ukraine". Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 7. Februar 2002 sei der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der schweren Nötigung, des Vergehens der dauernden Sachentziehung, des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung und des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt worden.

Als unglaubwürdig erachtete die belangte Behörde das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass er wegen seiner Aussage vor der Kriminalpolizei Braunschweig, durch die er Mitglieder "krimineller Strukturen" aus der ehemaligen Sowjetunion belastet habe, mit Mitgliedern dieser "kriminellen Struktur" bei seiner Rückkehr in die Ukraine "gröbere Probleme" gehabt hätte. Es sei auszuschließen, dass die deutsche Kriminalpolizei diese Angaben an die organisierte Kriminalität in der Ukraine weitergeleitet habe. Beweisanträge in diesem Zusammenhang seien "unerheblich" gewesen, weil kriminalpolizeiliche Ermittlungen ihrer Natur nach geheim seien und daher nicht Gegenstand eines Verfahrens vor der belangten Behörde sein könnten. Es erscheine aber durchaus glaubwürdig, dass der Beschwerdeführer "als abgesprungenes Mitglied einer kriminellen Organisation mit dieser Organisation oder anderen Personen, die mit dieser in Zusammenhang stehen, Probleme hatte, sei es in der Ukraine, in Österreich oder irgendwo anders".

Rechtlich folgerte die belangte Behörde, im Falle des Beschwerdeführers liege jedenfalls der Asylausschlussgrund des § 13 Abs. 1 AsylG vor, weil er vor seiner Einreise nach Österreich ein schweres, nicht politisches Verbrechen - nämlich eine Vergewaltigung - begangen habe, für diese Tat keine besonderen Milderungsgründe vorlägen und der Beschwerdeführer schon bald nach seiner Ankunft in Österreich wieder straffällig geworden sei, weshalb hinsichtlich seiner Person keine positive Zukunftsprognose erstellt werden könne. Auch die von der Rechtsprechung zu § 13 AsylG geforderte Güterabwägung falle zu seinen Lasten aus, weil es nicht Aufgabe des Asylrechts sein könne, Personen, die Mitglieder der organisierten Kriminalität gewesen seien, vor Übergriffen derselben (aus nicht asylrelevanten Gründen) zu schützen.

Die Ablehnung von Refoulementschutz begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, es sei - wie in der Beweiswürdigung ausgeführt - unglaubwürdig, dass der Beschwerdeführer wegen seiner Aussage vor der deutschen Kriminalpolizei Probleme mit den Mitgliedern der organisierten Kriminalität bekommen habe. Es erscheine insgesamt nur "plausibel und nach der allgemeinen Lebenserfahrung nachvollziehbar", dass der Beschwerdeführer "als abgesprungenes Mitglied der organisierten Kriminalität" von dieser verfolgt wurde, und zwar auch in Österreich. Es sei daher ein (lückenloser) Schutz vor den Aktivitäten der organisierten Kriminalität aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion auch in Österreich offenbar nicht möglich, "was ebenfalls gegen ein Refoulementverbot" spreche.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde stützte ihre Entscheidung im Asylteil spruchgemäß auf "§ 13 AsylG", beschäftigte sich im Folgenden aber ausschließlich mit den Tatbestandsvoraussetzungen für das Vorliegen eines Asylausschlussgrundes nach § 13 Abs. 1 AsylG (in der hier maßgeblichen Fassung vor der AsylG-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101). Die in diesem Zusammenhang anzustellenden rechtlichen Überlegungen hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0372, unter ausführlicher Bezugnahme auf Literatur und Vorjudikatur behandelt und es wird auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen (vgl. dazu auch die nachfolgenden hg. Erkenntnisse vom 21. März 2002, Zl. 2000/20/0189, und vom 4. November 2004, Zl. 2001/20/0649).

In ihren diesbezüglichen Erwägungen ging die belangte Behörde davon aus, dass der Beschwerdeführer als "abgesprungenes Mitglied der organisierten Kriminalität" mit einer - nicht näher präzisierten - "kriminellen Organisation ... Probleme" gehabt habe, denen aber nach Ansicht der belangten Behörde nicht einmal Asylrelevanz zukomme und die - ungeachtet dessen - bei der erforderlichen Güterabwägung einem Asylausschluss nicht entgegenstünden.

Dabei übersah die belangte Behörde, dass die bei der Prüfung des Asylausschlussgrundes nach § 13 Abs. 1 AsylG im Lichte des Art. 1 Abschnitt F lit. b FlKonv notwendige Güterabwägung erst dann erfolgen kann, wenn die dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat drohende Rückkehrgefährdung ausreichend geklärt ist. Die Umschreibung dieses Bedrohungsszenarios mit einem bloßen Hinweis auf - angeblich nicht asylrelevante - "Probleme", die nach Auffassung der belangten Behörde auch im Zufluchtsstaat Österreich in gleicher Weise gegeben seien, wird diesem Erfordernis insbesondere unter Berücksichtigung des Vorbringens des Beschwerdeführers, ihm drohe bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht zuletzt auf Grund der Verflechtung von kriminellen Organisationen und den Sicherheitsbehörden seine von staatlichen Stellen geduldete Ermordung, jedenfalls nicht gerecht (vgl. zur möglichen Asylrelevanz eines solchen Vorbringens im Allgemeinen das hg. Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2000/01/0098, sowie ihm folgend das die Verhältnisse in der Ukraine betreffende hg. Erkenntnis vom 30. September 2004, Zl. 2002/20/0293). Die belangte Behörde hat es daher - wohl auch wegen ihres Rechtsirrtums, die Bedrohung durch Kriminelle könne in keinem Fall Asylrelevanz haben - unterlassen, sich mit diesen Behauptungen des Beschwerdeführers näher auseinander zu setzen. In diesem Zusammenhang lassen sich auch ihre Überlegungen zur "Unerheblichkeit" der beantragten Zeugeneinvernahmen nicht nachvollziehen, ging es dabei doch um die für die Beweisführung des Beschwerdeführers zur Frage seiner Rückgefährdung nicht unerhebliche (und von der belangten Behörde beweiswürdigend verneinte) Tatsache, ob die den Beschwerdeführer bedrohende kriminelle Organisation von seinem "Verrat" ihrer Mitglieder gegenüber der deutschen Polizei Kenntnis erlangt haben konnte.

Erst nach Klärung der genannten Umstände kann somit die erforderliche Gesamtabwägung vorgenommen werden, weshalb der angefochtene Bescheid vorrangig wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 15. Dezember 2006

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