Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Indien, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen am 7. Mai 2002 in Österreich ein und stellte noch am selben Tag einen Asylantrag.
Bei seiner Befragung vor dem Bundesasylamt am 22. Juli 2002 gab der Beschwerdeführer an, er und seine Familie seien seit August 2001 von Extremisten aufgesucht worden. Anfänglich hätten die bewaffneten Extremisten, welche die Gründung eines unabhängigen Sikh-Staates Khalistan anstreben würden, ihn aufgefordert, sie zu verpflegen. Als der Beschwerdeführer es Ende 2001 abgelehnt hätte, die Extremisten zu begleiten, hätten diese ihm "mit dem Umbringen" gedroht.
Im Jänner 2002 sei der Beschwerdeführer dann zum ersten Mal von der Polizei festgenommen worden. Er sei aufgefordert worden, die Namen der Extremisten zu nennen. Die Polizei hätte ihn auch öfters zu Hause aufgesucht und schikaniert. Dabei sei ihm von der Polizei vorgeworfen worden, dass er die Extremisten bereits freiwillig unterstützt habe.
Bis zu seiner Ausreise aus Indien im Februar 2002 hätten die Extremisten den Beschwerdeführer sechs bis sieben Mal aufgesucht, wobei sie ihn auch über seine Aussagen bei der Polizei befragt hätten. Die Verhaftung durch die Polizei im Jänner 2002 habe ihn schließlich zur Ausreise bewogen. Er habe damit den Schikanen durch die Extremisten und die Polizei entgehen wollen. Wenn man einmal von der Polizei verdächtigt werde ein Extremist zu sein, dann helfe - so der Beschwerdeführer - auch kein Wohnsitzwechsel innerhalb Indiens. Bei seiner Rückkehr nach Indien fürchte er weitere Schikanen durch die Polizei und seine Ermordung durch Extremisten.
Diesen Asylantrag wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 16. August 2002 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien fest.
Nach wörtlicher Wiedergabe der Niederschrift über die Vernehmung des Beschwerdeführers und Feststellungen "zur Lage im Bundesstaat Punjab (Indien)", kam die Erstbehörde beweiswürdigend zu dem Ergebnis, dass entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers für diesen eine innerstaatliche Fluchtalternative außerhalb seines Heimatortes bestehe. Auch schenkte die Erstbehörde den Ausführungen des Beschwerdeführers, wonach die Polizei bereits davon ausgehe, dass er Mitglied einer extremistischen Gruppierung sei, keinen Glauben. Dem Vorbringen der Bedrohung durch Privatpersonen (angeblich Extremisten) komme außerdem keine Asylrelevanz zu.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung trat der Beschwerdeführer der beweiswürdigenden Argumentation im erstinstanzlichen Bescheid und den erwähnten Annahmen entgegen. Insbesondere verwies der Beschwerdeführer auf die im Jänner 2002 erfolgte Verhaftung durch die Polizei auf Grund des Verdachtes, dass er mit den Extremisten zusammenarbeiten würde.
Bei der unter Beiziehung eines Sachverständigen "für die aktuelle politische Lage in Indien" am 28. Februar 2003 durchgeführten Berufungsverhandlung - welche von der belangten Behörde für eine Mehrzahl von Asylwerbern aus Indien gemeinsam abgehalten wurde -, erstattete der Beschwerdeführer ("BW V") zur "aktuellen Gefährdungssituation" befragt ein im Wesentlichen gleiches Vorbringen wie vor dem Bundesasylamt am 22. Juli 2002. Verweigere er den Terroristen die geforderte Mitarbeit, werde er von diesen, wenn er aber die Mitarbeit leiste, von der Polizei getötet.
Nach einer längeren Unterbrechung der Verhandlung nahm der Sachverständige - teilweise auch unter Bezugnahme auf in früheren Verfahren anderer Asylwerber erstattete Gutachten - u.a. zur allgemeinen asylrelevanten Menschenrechtslage in Indien, zur Lage im Punjab und zum Khalistan-Terrorismus, zu den Vorbringen der einzelnen Berufungswerber und zu deren Existenzmöglichkeit jeweils außerhalb ihrer "engeren Heimat" Stellung. Danach verkündete der Verhandlungsleiter in Bezug auf den Beschwerdeführer und fünf weitere Asylwerber - mit gemeinsamer Begründung - deren Berufungen abweisende Bescheide.
Die Begründung der Ausfertigung des den Beschwerdeführer betreffenden Bescheides besteht - nach Wiedergabe des Spruches des erstinstanzlichen Bescheides und Erwähnung, dass der Beschwerdeführer dagegen Berufung erhoben habe und am Ende der hierüber am 28. Februar 2003 durchgeführten Verhandlung der Berufungsbescheid verkündet worden sei - zunächst aus einer "mangels weiter reichender Kapazitäten" vorgenommenen bloßen Verweisung, und zwar "hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens" auf die im erstinstanzlichen Bescheid gegebene Darstellung und "hinsichtlich des Geschehens in der Berufungsverhandlung" auf die Verhandlungsschrift. Die weitere Begründung hat folgenden Inhalt (Auslassungen im Original):
"Lediglich aus Gründen der leichteren Nachvollziehbarkeit wird im Folgenden die gleichfalls bereits in der Verhandlungsschrift aufscheinende Begründung (im engeren Sinne) dieses Bescheides - welche sich zumindest teilweise auch auf die in der Verhandlung erfolgten Abweisungen der Berufungen einiger anderer Berufungswerber der verbundenen Verfahren bezieht - im Wortlaut wiedergegeben:
'Das in der Berufungsverhandlung durchgeführte ergänzende Ermittlungsverfahren - dh. der zu dem aktualisierten Vorbringen aufgenommene Sachverständigenbeweis - hat in keinem der Fälle ergeben, dass einer der Berufungswerber außerhalb seiner engeren Heimat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer in diesem Verfahren beachtlichen Gefährdung ausgesetzt wäre.
Dies gilt zunächst hinsichtlich der von mehreren Berufungswerbern (III, IV, V, VI, IX) befürchteten, teils von Einzelpersonen (BW IV), teils von 'Terroristen' (BW III und BW V), teils von Mitgliedern der Kongress-Partei (BW VI und BW IX) ausgehenden Gefährdung, hat doch diesbezüglich der Sachverständige in Ziffer 3 seines Gutachtens sowohl dargelegt, dass überregionale Verfolgung 'durch Khalistan-Terroristen' bislang nicht bekannt geworden sei, und schlüssig (durch einen Vergleich mit der Effizienz der staatlichen Polizei) die geringe Wahrscheinlichkeit, dass politische Parteien oder (sonstige) private Organisationen (umso weniger daher Einzelpersonen) in der Lage wären, eine derartige überregionale Verfolgung durchzuführen (ungeachtet der 'prinzipiellen Denkbarkeit').
Dies gilt weiters ...
Bei diesem Ergebnis konnte dahingestellt bleiben, ob das Vorbringen sämtlicher Berufungswerber in sämtlichen Facetten volle Glaubwürdigkeit verdiene (vgl. etwa ... die Vorhalte des hier entscheidenden Mitglieds gegenüber dem Vorbringen der BW III und V).
Da überdies auf Grund der diesbezüglichen Darlegungen des Sachverständigen (in den Punkten 6 und 7 seines Gutachtens) auch, im Falle der Rückkehr, weder eine Gefährdung eines der Berufungswerber in Zusammenhang mit der in Österreich erfolgten Asylantragstellung, noch eine Gefährdung der Existenzgrundlage außerhalb der engeren Heimat zu besorgen ist ..., waren die Berufungen spruchgemäß sämtlich vollinhaltlich abzuweisen."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:
Die belangte Behörde befasst sich im angefochtenen Bescheid zu "BW V" (dem Beschwerdeführer) ausschließlich mit der Gefährdung durch "Terroristen". Demgegenüber hat die belangte Behörde zu den Behauptungen des Beschwerdeführers, wonach er von der Polizei auf Grund des Verdachts einer Zusammenarbeit mit Extremisten verfolgt werde, keine Sachverhaltsfeststellungen getroffen und insbesondere keine auf die Glaubwürdigkeit dieser Angaben bezogene Beweiswürdigung vorgenommen. Angesichts dessen ist - mangels Alternativen - davon auszugehen, dass sie ihrer Entscheidung auch insoweit das als wahr unterstellte Vorbringen des Beschwerdeführers zugrundegelegt hat (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 4. November 2004, Zl. 2003/20/0276, mit weiteren Nachweisen). Ungeachtet des Vorbringens durch den Beschwerdeführer, wonach bei polizeilicher Verfolgung "auch kein Wohnortwechsel" helfe, hat die belangte Behörde eine "beachtliche Gefährdung" des Beschwerdeführers in seinem Herkunftsstaat "außerhalb seiner engeren Heimat" unter Hinweis auf den "zu dem aktualisierten Vorbringen" aufgenommenen Sachverständigenbeweis verneint. Die auf den Beschwerdeführer Bezug nehmenden Ausführungen des Sachverständigen, die sich nur auf Bedrohungen durch Terroristen beziehen, enthalten aber keine Argumente, aus denen sich dies - bezogen auf eine Verfolgung durch die Polizei - schlüssig ableiten ließe (vgl. zu solchen Konstellationen bereits das hg. Erkenntnis vom 4. November 2004, Zl. 2003/20/0349, und die dort angeführte Vorjudikatur). Der Verweis auf dieses Gutachten genügt - bei Wahrunterstellung des Vorbringens über polizeiliche Verfolgungsmaßnahmen - somit nicht zur Stützung der Annahme einer Ausweichmöglichkeit innerhalb Indiens.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 29. August 2006
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