VwGH 2006/19/0292

VwGH2006/19/029223.5.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed, die Hofrätin Dr. Pollak und den Hofrat Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Trefil, über die Beschwerde des M in W, geboren 1985, vertreten durch Dr. Susanne Fruhstorfer, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Seilerstätte 17, gegen den am 9. Dezember 2002 verkündeten und am 6. März 2003 ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 223.598/5-II/04/03, betreffend §§ 7, 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein aus dem Punjab stammender Staatsangehöriger von Indien, reiste am 21. Juni 2001 nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag.

Bei seiner Befragung vor dem Bundesasylamt am 23. Juli 2001 gab der Beschwerdeführer an, er habe Indien verlassen, weil er ein einfaches Mitglied der Sikh Student Federation (SSF) sei und deshalb Probleme mit der Polizei gehabt habe. Er sei vier- bis fünfmal festgenommen und in der Dauer von einer Woche bis zu 15 Tagen inhaftiert worden.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 27. Juli 2001 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien fest.

Nach wörtlicher Wiedergabe der Niederschrift über die Vernehmung des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt und Feststellungen zu "Indien bzw. zur Sikh-Student-Federation" kam das Bundesasylamt aus näher dargestellten Gründen beweiswürdigend zu dem Ergebnis, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zu den behaupteten Fluchtgründen unglaubwürdig sei. So sei es im Besonderen nicht glaubwürdig, dass der Beschwerdeführer als lediglich einfaches Mitglied der SSF festgenommen worden sei. Die mangelnden Kenntnisse des Beschwerdeführers über die SSF ließen darüber hinaus den Schluss zu, dass der Beschwerdeführer nicht einmal einfaches Mitglied dieser Organisation sei.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung trat der Beschwerdeführer der beweiswürdigenden Argumentation im erstinstanzlichen Bescheid und den dort getroffenen Feststellungen entgegen.

In der unter Beiziehung eines Sachverständigen am 9. Dezember 2002 durchgeführten Berufungsverhandlung, die von der belangten Behörde für eine Mehrzahl von Asylwerbern aus Indien gemeinsam abgehalten wurde, gab der Sachverständige nach allgemeinen Ausführungen zur Lage in Indien konkret zum Beschwerdeführer ("BW III") an, dass eine Verfolgung nur auf Grund einer unterstellten Mitgliedschaft zur SSF auch im Bundesstaat Punjab als äußerst unwahrscheinlich anzusehen sei. Die Mitglieder der SSF würden nicht als Kriminelle oder Terroristen gelten. Eine Verfolgung finde nur statt, wenn der Verdacht einer konkreten Straftat vorliege.

Der Vertreter des Beschwerdeführers nahm die allgemeinen Ausführungen des Sachverständigen zur Kenntnis. Gegen die "konkreten Aussagen" des Sachverständigen zum Beschwerdeführer wandte der Vertreter des Beschwerdeführers ein, dass der Beschwerdeführer bereits mehrmals wegen seiner Mitgliedschaft in der SSF festgenommen worden sei. Er sei bei der Polizei bekannt und daher auch weiterhin gefährdet, obwohl er weder ein "gemeinkriminelles" noch "ein kriminelles Delikt mit politischem Hintergrund" begangen habe.

Schließlich verkündete der Verhandlungsleiter in Bezug auf den Beschwerdeführer und sechs weitere Asylwerber - mit gemeinsamer Begründung - die Berufungen abweisende Bescheide.

Die Begründung der Ausfertigung des den Beschwerdeführer betreffenden Bescheides besteht - nach Wiedergabe des Spruches des erstinstanzlichen Bescheides und Erwähnung, dass der Beschwerdeführer dagegen Berufung erhoben habe und am Ende der darüber am 9. Dezember 2002 durchgeführten Verhandlung der Berufungsbescheid verkündet worden sei - zunächst aus einer "mangels weiter reichender Kapazitäten" vorgenommenen bloßen Verweisung, und zwar "hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens" auf die im erstinstanzlichen Verfahren gegebene Darstellung und "hinsichtlich des Geschehens in der Berufungsverhandlung" auf die Verhandlungsschrift. Die weitere Begründung hat folgenden Inhalt:

"Lediglich aus Gründen der leichteren Nachvollziehbarkeit wird im Folgenden die gleichfalls bereits in der Verhandlungsschrift aufscheinende Begründung (im engeren Sinne) dieses Bescheides - welche sich in gleicher Weise auch auf die in der Verhandlung erfolgten Abweisungen der Berufungen einiger anderer Berufungswerber der verbundenen Verfahren bezieht - im Wortlaut wiedergegeben:

'Das ergänzend durchgeführte Ermittlungsverfahren, insbesondere das ausführliche, jeweils auch auf die konkrete Situation der Berufungswerber abgestellte Sachverständigen-Gutachten hat in keinem der Fälle eine in diesem Verfahren relevante Gefährdung der Berufungswerber ergeben, jedenfalls nicht außerhalb ihrer engeren Heimat.

Da jeder der Berufungswerber, zufolge Punkt 7 des Sachverständigen-Gutachtens, auch außerhalb seiner engeren Heimat seinen Lebensunterhalt zu sichern in der Lage ist und auch eine Gefährdung der Berufungswerber, im Falle ihrer Rückkehr nach Indien, wegen der in Österreich erfolgten Asylantragstellung nicht zu besorgen ist und schließlich auch diese Rückkehr eine Berührung der engeren Heimat nicht voraussetzt, waren die Berufungen sämtlich spruchgemäß vollinhaltlich abzuweisen.'

Zu ergänzen ist hiezu lediglich, dass - wie der Sachverständige in der Verhandlung, unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12.9.2002, Zl 2002/20/0017, präzisiert hat - 'das individuelle Risiko', in Indien 'selbst Opfer von staatlichen Übergriffen zu werden, unter normalen Bedingungen sehr gering ist', weshalb auch von daher die Inanspruchnahme einer 'innerstaatlichen Fluchtalternative' (auch) dem Berufungswerber dieses Verfahrens zumutbar ist."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die Beschwerde kritisiert vor allem, dass in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht ersichtlich sei, ob sich die belangte Behörde mit den Ausführungen des Beschwerdeführers auseinander gesetzt habe oder nicht. Sohin sei nicht nachvollziehbar, ob die belangte Behörde das Vorbringen des Beschwerdeführers gewürdigt habe. Mangels nachvollziehbarer Begründung sei daher der Bescheid "gemäß §§ 58 und 60 AVG rechtswidrig". Darüber hinaus sei der Sachverständige nicht auf die Ausführungen des Beschwerdeführers eingegangen. Es habe daher den Anschein, als hätte die belangte Behörde dem Sachverständigen die Beweiswürdigung überlassen. Das von der belangten Behörde durchgeführte "Massenverfahren" sei nicht dazu geeignet gewesen, die einzelnen wesentlichen Punkte in der Angelegenheit des Beschwerdeführers und seiner Gefährdung in Indien aufzuklären.

Diesem Beschwerdevorbringen kommt Berechtigung zu:

Die belangte Behörde hat zur Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers keine Sachverhaltsfeststellungen getroffen und insbesondere keine auf die Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers bezogene Beweiswürdigung vorgenommen. Angesichts dessen ist - mangels Alternativen - davon auszugehen, dass sie ihrer Entscheidung das als wahr unterstellte Vorbringen des Beschwerdeführers zugrundegelegt hat (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 4. November 2004, Zl. 2003/20/0276 mit weiteren Nachweisen). Ungeachtet dessen hat sie eine "relevante Gefährdung" des Beschwerdeführers in seinem Herkunftsstaat "jedenfalls nicht außerhalb seiner engeren Heimat" unter Hinweis auf das "auf die konkrete Situation (des Beschwerdeführers) abgestellte Sachverständigen-Gutachten" verneint. Die auf den Beschwerdeführer Bezug nehmenden Ausführungen des Sachverständigen, wonach eine Verfolgung nur auf Grund einer unterstellten Mitgliedschaft zur SSF (auch) im Bundesstaat Punjab als äußerst unwahrscheinlich anzusehen sei und nur stattfinde, wenn der Verdacht einer konkreten Straftat vorliege, lassen sich mit einer Wahrunterstellung des Vorbringens des Beschwerdeführers (dem Derartiges nach seinen Angaben ohne solchen Verdacht widerfahren sein soll) aber in wesentlichen Punkten nicht kombinieren (vgl. zu solchen Konstellationen bereits das hg. Erkenntnis vom 21. April 2005, Zl. 2002/20/0397, und die dort angeführte Vorjudikatur). Der pauschale Verweis auf dieses Gutachten genügt schon deshalb auch nicht zur Stützung der Annahme, der minderjährige Beschwerdeführer könne - bei Wahrunterstellung seines Vorbringens über die polizeilichen Verfolgungsmaßnahmen gegen seine Person - auf eine Ausweichmöglichkeit innerhalb Indiens verwiesen werden.

Aus diesen Gründen erweist sich die Begründung des angefochtenen Bescheides als unschlüssig, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Der Kostenzuspruch gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 23. Mai 2006

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