VwGH 2006/14/0106

VwGH2006/14/010626.7.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Mag. Heinzl, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Robl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pfau, über die Beschwerde der G GmbH in S, vertreten durch Schuppich Sporn & Winischhofer, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Falkestraße 6, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Salzburg (Berufungssenat I) vom 8. November 2001, Zl. RV 254/1-7/99, betreffend Körperschaftsteuer 1994, zu Recht erkannt:

Normen

EStG 1988 §4 Abs2;
EStG 1988 §5 Abs1;
EStG 1988 §9 idF 1993/818;
EStG 1988 §4 Abs2;
EStG 1988 §5 Abs1;
EStG 1988 §9 idF 1993/818;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von 381,90 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die beschwerdeführende GmbH, deren Unternehmensgegenstand die "Planung und Beratung im Bauwesen" bildet, erklärte für das Jahr 1994 Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von rd. 8,9 Mio. S zur Körperschaftsteuer (Körperschaftsteuererklärung vom 8. Juni 1995). Die Veranlagung erfolgte mit Bescheid vom 5. Dezember 1995 erklärungsgemäß, wobei unter Berücksichtigung verrechenbarer Verluste aus Vorjahren und eines Verlustvortrages kein zu versteuerndes Einkommen verblieb.

Für den Zeitraum der Jahre 1993 bis 1995 fand bei der Beschwerdeführerin in den Jahren 1997 und 1998 eine abgabenbehördliche Prüfung statt. Unter Tz. 18 des Prüfungsberichtes vom 3. Februar 1999 wird betreffend "Rückstellung Schadensfall London/H." ausgeführt, anlässlich der letzten Vorbesprechung habe der Steuerberater mitgeteilt, dass sich beim Projekt U-Bahn-Tunnel London/H., welches von dem englischen Unternehmen B. und der Beschwerdeführerin (als Planungs-Subunternehmer) durchgeführt worden sei, in der Nacht vom

20. auf den 21. Oktober 1994 ein Tunnelverbruch ereignet habe. Dieser habe erheblichen Sachschaden verursacht. Die Beschwerdeführerin habe die Schadenshöhe schon damals mit "mehreren hundert Millionen Schilling" eingeschätzt. Da man sich seitens der Beschwerdeführerin an dem eingetretenen Schadensereignis als nicht schuldig betrachtet habe, sei vorerst von der bilanzmäßigen Vorsorge - Einstellung einer Rückstellung - Abstand genommen worden. Mit Schreiben der Health & Safety Executive (Arbeitsinspektorat) vom 8. August 1997 sei der Beschwerdeführerin allerdings ein möglicher Strafprozess in Aussicht gestellt worden. Durch diese "dramatische Wende" sei es erst seit dieser Zeit möglich gewesen, für den Vorfall eine adäquate Rückstellung anzusetzen. Seitens der Beschwerdeführerin sei daher die nachträgliche Einstellung einer Rückstellung zum 31. Dezember 1994 in Höhe von 10 Mio. S beantragt worden.

Zu diesem vom Steuerberater geschilderten Sachverhalt sei seitens der Betriebsprüfung festzuhalten, dass dem eingetretenen Schadensereignis sehr wohl durch den Ansatz einer Rückstellung zum 31. Dezember 1995 Rechnung getragen worden sei. Unter Berücksichtigung des lt. Versicherungsverträgen (Versicherungssumme 20 Mio. S) vorgesehenen Selbstbehaltes sei die Rückstellung mit 350.000 S ermittelt worden. In rechtlicher Würdigung des vorliegenden Sachverhaltes stimme die Betriebsprüfung der Bildung einer Rückstellung bereits zum 31. Dezember 1994 zu. Diese könne jedoch nur in jener Höhe gebildet werden, welche dem Kenntnisstand zum Bilanzerstellungszeitpunkt entsprochen habe. Wie von der Beschwerdeführerin selbst ermittelt, erscheine daher eine Rückstellung in der Höhe von 350.000 S als angemessen.

Gegen den auf der Grundlage des Betriebsprüfungsberichtes (nach Wiederaufnahme des Verfahrens) ergangenen Körperschaftsteuerbescheid für das Jahr 1994 (der insgesamt ein zu versteuerndes Einkommen in Höhe von rd. 4,5 Mio. S für die Beschwerdeführerin auswies) erhob die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 7. April 1999 Berufung. Der in der Nacht vom 20. auf den 21. Oktober 1994 eingetretene Tunnelverbruch habe einen erheblichen Sachschaden verursacht. Die Beschwerdeführerin als Generalplanerin habe den Schaden bereits damals mit mehreren 100 Mio. S eingeschätzt. Tatsächlich habe sich der eingetretene Sachschaden nach Auskünften von Gutachtern letztlich auf rd. 3 Mrd. S belaufen. Da zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung 1994 von den technischen Verantwortlichen für das Projekt bei der Beschwerdeführerin ein Verschulden als nicht gegeben angenommen worden sei, sei von der Dotierung einer Rückstellung für eventuelle Ansprüche im Jahresabschluss 1994 Abstand genommen worden. Im Zuge der weiteren Untersuchungen im Jahr 1995 sei jedoch diese Meinung revidiert und in der Bilanz zum 31. Dezember 1995 eine Vorsorge für diesen Schadensfall in Höhe des Selbstbehaltes bei der Haftpflichtversicherung in Höhe von 350.000 S ermittelt und eingestellt worden. Im Rahmen der Schlussbesprechung zur Betriebsprüfung seien der Finanzbehörde am 21. Dezember 1998 auch Unterlagen zum Tunnelverbruch vorgelegt worden, aus denen hervorgehe, dass der Bauherr B. bereits im Dezember 1994 Schadenersatzansprüche gegenüber der Beschwerdeführerin geltend gemacht habe. Weiters seien Unterlagen vorgelegt worden, die besagten, dass auf Grund eines Gutachtens der Zivilingenieure O.A. & Partners die Bauüberwachung der Beschwerdeführerin mangelhaft gewesen und deshalb ein Mitverschulden am Tunnelverbruch geortet worden sei. Im Jahr 1997 sei letztlich der Beschwerdeführerin von der Health & Safety Executive ein möglicher Strafprozess angekündigt worden. Im Jahr 1998 sei es zur Anklageerhebung gekommen. Die tatsächlich für die Vorbereitung bzw. mögliche Abwehr dieses Prozesses im Jahr 1998 getätigten Aufwendungen für Beratungen durch Rechtsanwälte, Sachverständigengutachten etc. hätten sich auf rd. 10 Mio. S belaufen. Im Rahmen der Betriebsprüfung sei der Bildung einer Rückstellung zum 31. Dezember 1994 zwar generell zugestimmt, die Höhe der Rückstellung von 10 Mio. S jedoch nicht anerkannt worden. Die Betriebsprüfung habe nur eine Rückstellung in Höhe von 350.000 S gewährt, weil ihrer Ansicht nach die Rückstellung nur in jener Höhe gebildet werden könne, die dem Kenntnisstand zum Bilanzerstellungszeitpunkt entspreche. Tatsache sei jedoch, dass "letztendlich" im Jahr 1998 allein an Abwehrkosten für Rechtsanwälte und Sachverständige der zur Rückstellung beantragte Betrag von rd. 10 Mio. S verbraucht worden sei. Weiters sei die Beschwerdeführerin im Jänner 1999 tatsächlich strafrechtlich verurteilt worden. Die verhängte Strafe und weitere Verfahrenskosten hätten insgesamt rd. 12 Mio. S betragen. Die bisherigen Gesamtkosten hätten daher für die Beschwerdeführerin rd. 22 Mio. S betragen, wobei allenfalls andrängende Gläubiger im Rahmen eines möglichen Zivilverfahrens noch nicht erfasst seien. Obwohl der Betriebsprüfung sämtliche Unterlagen bezüglich der Höhe des für die Beschwerdeführerin eingetretenen Schadens vorgelegt worden seien, habe diese die Rückstellung lediglich mit einem Betrag von 350.000 S berücksichtigt. Ausgehend von der bereits unmittelbar nach dem Tunnelverbruch eingeschätzten Schadenshöhe von mehreren 100 Mio. S und den letztlich die Gesellschaft tatsächlich treffenden Abwehrkosten im laufenden Strafverfahren von rd. 10 Mio. S werde nochmals die Rückstellungsbildung im Jahr 1994 in einem Ausmaß von 10 Mio. S begehrt.

Mit Berufungsvorentscheidung vom 30. Juni 1999 gab das Finanzamt der Berufung keine Folge. Wie die Beschwerdeführerin selbst in der Berufung ausführe, sei zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung 1994 "eine Verschuldensfrage als nicht gegeben angenommen u. somit von der Bildung einer Rückstellung Abstand genommen" worden. Selbst zum Bilanzerstellungszeitpunkt 1995 - "Änderung der Ansicht betr. die Schadensfrage" - habe die Beschwerdeführerin die Bildung einer Rückstellung in Höhe des Selbstbehaltes bei der Haftpflichtversicherung von 350.000 S als ausreichend angesehen. Das von der Beschwerdeführerin erwähnte Schreiben des Bauherrn B. vom 8. Dezember 1994, in dem dieser bereits im Dezember 1994 Schadenersatzansprüche gegenüber der Beschwerdeführerin geltend gemacht habe, habe nur eine Information zu den mit dem Tunnelverbruch angestellten Untersuchungen dargestellt. Dabei sei nur die etwaige Rückforderung von Kosten, welche an den Generalunternehmer B. gestellt werden sollten, jedoch auf der Nichteinhaltung vertraglicher Verpflichtungen der Beschwerdeführerin beruhten, angekündigt worden. Zu den Angaben der Beschwerdeführerin, wonach sich die für die Vorbereitung bzw. mögliche Abwehr des Prozesses im Jahr 1998 getätigten Aufwendungen für Beratungen der Rechtsanwälte 10 Mio. S betragen hätten, sei festzuhalten, dass es sich diesbezüglich ausschließlich um Ereignisse gehandelt habe, die nach dem Bilanzerstellungszeitpunkt 1994 eingetreten seien und somit erst zu einem späteren Zeitpunkt bilanzmäßig berücksichtigt werden könnten (daran ändere auch die strafrechtliche Verurteilung der Beschwerdeführerin im Jahr 1999 nichts). Die Rückstellungsbildung zum Bilanzstichtag 31. Dezember 1994 könne ausgehend vom Kenntnisstand der Beschwerdeführerin zum Bilanzerstellungszeitpunkt unter Berücksichtigung der lt. Versicherungsverträgen genannten Versicherungssumme von 20 Mio. S nur im Ausmaß des vorgesehenen Selbstbehaltes in Höhe von 350.000 S als angemessen erachtet werden.

Im Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz brachte die Beschwerdeführerin vor, bei der Bildung einer Rückstellung für Verbindlichkeiten bestehe dem Grunde und der Höhe nach eine ungewisse Verpflichtung Dritten gegenüber. Diese Verpflichtung sei im konkreten Fall aus dem zivilrechtlichen Gewährleistungsanspruch entstanden. Die Leistungsverpflichtung dem Dritten gegenüber, nämlich die Gewährleistungsverpflichtung aus erbrachten Beratungsleistungen für den Generalunternehmer B., entspringe dem Auftragsverhältnis. B. habe mit Schreiben vom 8. Dezember 1994 Schadenersatzansprüche geltend gemacht, die jedoch auf Grund der Kompliziertheit der geologischen Vorgänge kurzfristig überhaupt nicht quantifizierbar gewesen seien. Im Beschwerdefall liege "eine Bilanzberichtigung" vor, weil durch die Ermittlungsarbeit der Großbetriebsprüfung festgestellt worden sei, dass das Jahresergebnis der Gesellschaft 1994 unrichtig dargestellt gewesen sei. Mit der Erstellung der Prüferbilanz sei eine neue "berichtigende" Bilanzerstellung vorgenommen worden. Demnach sei die zwischenzeitig erworbene bessere Kenntnis über die die Rückstellung begründende Ursache zum Bilanzstichtag zu berücksichtigen. Wie im Rahmen des Betriebsprüfungsverfahrens nachgewiesen worden sei und "jederzeit durch eine neuerliche Bucheinsicht feststellbar ist", seien allein an Abwehrkosten für die Ansprüche, die die Versicherungsdeckung übersteigen, 10 Mio. S an Gutachtens- und Rechtsanwaltsvertretungskosten aufgelaufen, deren Rückstellung im Jahr des Schadensfalles, nämlich 1994, begehrt worden sei.

Einer ergänzenden Eingabe der Beschwerdeführerin an die belangte Behörde vom 2. November 2001 ist zu entnehmen, dass der Tunnelverbruch "rein an Abwehr- und Gutachterkosten insgesamt einen Betrag von S 12,494.956,00 verursacht" habe (die Haftpflichtversicherer hätten 20 Mio. S in einem Vergleich mit B. als Beitrag zur Schadensabgeltung bezahlt). Folgender "zeitlicher Ablauf des Wissensstandes und der Betriebsausgaben" sei vorgelegen:

"Bilanz 31.12.1994

Diese wird im Frühsommer 1995 erstellt.

Meinungsstand:

Der Generalunternehmer B. hat die alleinige Schuld an den

katastrophalen Auswirkungen des Tunnelverbruchs. Die an

Ort und Stelle anwesenden Ingenieure von (Beschwerdeführerin) haben alle Vorkehrungen und Überwachungsmaßnahmen sorgfältig beobachtet. Hätte B. die Tunnelsohle mit der vorgeschriebenen Betonstärke plan- und ordnungsgemäß betoniert, wäre kein Zusammenbrechen der Tunnel erfolgt.

Maßnahmen des Bilanzerstellers:

Der Schadensfall geht zur Gänze zu Lasten von B. und trifft

nicht (Beschwerdeführerin).

Bilanz 31.12.1995

Diese wird im Frühsommer 1996 erstellt.

Meinungsstand:

Die geologischen und bautechnischen Untersuchungen durch die "Heath and Safety Executive" und verschiedene Gutachter haben bereits begonnen. Es wird erwartet, dass eigene Anwälte in England die Interessenwahrung für (Beschwerdeführerin) vornehmen müssen, um die Schuldlosigkeit in einem Zivilverfahren unter Beweis stellen zu können.

Maßnahmen des Bilanzerstellers:

Für Anwaltskosten wird ein Betrag von S 350.000,00 rückgestellt. Diese Rückstellung wird im Rahmen der später stattfindenden Betriebsprüfung zeitlich in das Jahr 1994 vorverlegt.

Bilanz 31.12.1996

Diese wird im Frühsommer 1997 erstellt.

Meinungsstand:

Die Gutachter sind mit ihrer Befundaufnahme noch immer

beschäftigt. Es fallen kaum Aufwendungen für die Abwehr dieses Schadens an.

Maßnahmen des Bilanzerstellers:

Die Rückstellung in Höhe von S 350.000,00, die für 1995

gebildet wurde, kann per 31.12.1996 unverändert aufrecht bleiben.

Bilanz 31.12.1997

Diese wird im Frühsommer 1998 erstellt.

Meinungsstand:

Die Bewertung des Risikos H. kann scheinbar aufrecht erhalten werden. Überdies hat eine Betriebsprüfung begonnen. Der rufmäßige Schaden, den die Berufungswerberin erlitten hat, ist in den ansteigenden Verlusten, die aus Umsatzeinbrüchen herrühren, ersichtlich.

Bilanz 31.12.1998 und 31.12.1999

Der "Health and Safety Executive" kommt zum Ergebnis einer Mitschuld der Ingenieure von (Beschwerdeführerin). Die Bewegungen im London Ton waren schon mehrere Tage vor dem Tunnelverbruch durch die Messungen ersichtlich gewesen. Die Haftpflichtversicherer der Gesellschaft erklären, dass die Deckungssummen durch den Schadensfall weit überschritten werden. Es gibt erhebliche Kosten für Gegengutachten und österreichische und englische Anwälte. Dieser Sachverhalt wird der Betriebsprüfung vor der Schlussbesprechung am 21.12.1998 mitgeteilt. Es wird beantragt, zusammen mit den anderen Bilanzberichtigungen 1994 auch diesem Umstand Rechnung zu tragen.

Der bis Dezember 1998 angefallene Betriebsaufwand für Abwehrkosten übersteigt bereits die Grenze von S 10 Mio. Die Behörde lässt lediglich S 350.000,00 als Betriebsausgabe im Jahr 1994 zu und verneint die nachfolgenden Abwehrkosten als abzugsfähig in 1994.

Dieser Ablauf von 1995 bis 1998 zeigt den Informationsstand, der von den Mitarbeitern der Geschäftsleitung und der kaufmännischen Verwaltung gegenüber vertreten wurde. Es ist menschlich verständlich, dass die vor Ort tätigen Ingenieure primär jedes schuldhafte Verhalten von sich weisen. Ein nachträglich eingesetzter Gutachter benötigt auf Grund der komplizierten Sachverhalte sehr lange Zeit, um den Befund zu erheben und darauf ein Gutachten stützen zu können.

Die Tatsache aber, dass dieses Procedere der Schadensabwicklung geraume Zeit benötigt, ändert nichts an der Tatsache, dass ein präsumtiver Erwerber, der zum 31.12.1994 das Unternehmen gekauft hätte, sehr wohl die Folgeschäden, die zahlungsmäßig erst später zur Auswirkung kommen, als Rückstellung für drohende Verluste bei der Betriebsvermögensermittlung angesetzt hätte. Damit ist klargestellt, dass das Betriebsvermögen zum 31.12.1994 bereits durch den Schadensfall gemindert war und dies auch in der Festsetzung der Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage 1994 Auswirkung finden muss."

Als Zeugen für die Entwicklung "im Wissenstand der Geschäftsleitung und des Bilanzerstellers" wurden in dem Schriftsatz die beiden Geschäftsführer der Beschwerdeführerin sowie ihr Prokurist als Zeugen genannt.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab.

Im angefochtenen Bescheid wird die Sachverhaltsdarstellung der Beschwerdeführerin für die Betriebsprüfung vom 11. Dezember 1998 wie folgt wiedergegeben:

"Im Jahr 1993 wurde (Beschwerdeführerin) von der englischen Baufirma B. mit der Detailplanung und der Beratung bei den Vortriebsarbeiten für die U-Bahn-Tunnel im Bereich H. beauftragt.

In der Nacht vom 20. auf den 21. Oktober 1994 ereignete sich auf dieser Baustelle ein Tunnelverbruch während des Vortriebes, wobei erheblicher Sachschaden, jedoch kein Personenschaden entstand.

Die Tatsache, dass dieser Tunnelverbruch an einem der meistfrequentierten Plätze Londons geschah, wodurch großräumige Verkehrsumleitungen, Behinderungen und die Evakuierung eines größeren Bürogebäudes wegen Einsturzgefahr notwendig waren, veranlasste (Beschwerdeführerin) dazu, die Schadenshöhe damals mit mehreren Millionen Schilling einzuschätzen.

Aus heutiger Sicht gibt es dazu Schätzungen von Versicherungen, die zwischen 1 und 2 Mrd. Schilling liegen.

Für (Beschwerdeführerin) war damals wie heute die Verschuldensfrage insofern klar, als wir uns nach wie vor für unschuldig halten.

Während die ersten 2,5 Jahre nach dem Verbruch dafür aufgewendet wurden, den Schaden technisch weitestgehend zu beheben, kam am 8.8.1997 von der HSE (Health & Safety Executive) - vergleichbar mit unserem Arbeitsinspektorat - ein Schreiben, in dem uns ein möglicher Strafprozess in Aussicht gestellt wurde.

Durch diese dramatische Wende ist es uns daher erst seit dieser Zeit möglich, für den im Oktober 1994 erfolgten Vorfall eine adäquate Rückstellung anzusetzen, wobei dies in Anbetracht der Schadenshöhe von 1-2 Mrd ATS bereits bei einem geringfügigen Mitverschuldensanteil eine relativ große Summe ergibt.

Nimmt man nur die im Zeitraum 1-10/98 aufgelaufenen Kosten

Rechtsanwaltskosten Österreich/England

ca 6,6 Mio ATS

Gutachterkosten

ca 1,4 Mio ATS

eigene Personalkosten/Reisekosten

ca 2,0 Mio ATS

so ergibt dies einen Betrag von ca 10 Mio ATS."

 

Wie der Aktenlage (Sachverhaltsdarstellung der Beschwerdeführerin vom 11. Dezember 1998: "Durch diese dramatische Wende - mit 8.8.1997 wurde ein Strafprozess in Aussicht gestellt - ist es uns daher erst seit dieser Zeit möglich, für den im Oktober 1994 erfolgten Vorfall eine adäquate Rückstellung anzusetzen") zu entnehmen sei - so die Ausführungen der belangten Behörde im Erwägungsteil des angefochtenen Bescheides -, seien die geltend gemachten Rechtsanwaltskosten "Österreich/England, Gutachterkosten und eigene Personal/Reisekosten in Höhe von S 10 Mio infolge eines aus betrieblichen Gründen geführten Prozesses im Zeitraum 1-10/98 aufgelaufen". Um diese Kosten einer Rückstellung zuführen zu können, müsse bereits am Bilanzstichtag klar sein, dass ein Prozess bevorstehe und die Erhebung der Klage nur mehr eine reine Formsache sei. Wenn auch zum Bilanzstichtag 31. Dezember 1994 die den Prozess begründende Handlung gesetzt gewesen sei, sei zu diesem Zeitpunkt weder ein Prozess anhängig gewesen, noch habe die Beschwerdeführerin nach ihren Ausführungen in der Berufung und in der Sachverhaltsdarstellung ernsthaft rechnen müssen, dass ihr durch den Ausgang eines Prozesses besondere Aufwendungen erwachsen würden. Nach den Angaben der Beschwerdeführerin sei am 8. August 1997 von der Health & Safety Executive ein Schreiben gekommen, in dem ein möglicher Strafprozess in Aussicht gestellt worden sei. Schließlich sei im Jahr 1998 tatsächlich Anklage gegen die Beschwerdeführerin erhoben worden. Die streitgegenständlichen Kosten könnten daher frühestens bei der Bilanzerstellung zum 31. Dezember 1997 Berücksichtigung finden.

Zum Vorbringen der Beschwerdeführerin hinsichtlich eines präsumtiven Erwerbers zum Bilanzstichtag 31. Dezember 1994 sei festzuhalten, dass zum Bilanzstichtag 31. Dezember 1994 selbst von den technischen Verantwortlichen der Beschwerdeführerin eine Verschuldensfrage als nicht gegeben angenommen worden sei. Daher könne sich "dieser Umstand bei einer Betriebsvermögensermittlung eines präsumtiven Erwerbers zum oben angeführten Zeitpunkt nicht auswirken".

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Beschwerde nach Erstattung einer Gegenschrift und Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 9 Abs. 1 EStG 1988 idF SteuerreformG 1993, BGBl. 818/1993, "dürfen" Rückstellungen gebildet werden für Anwartschaften auf Abfertigungen, laufende Pensionen und Anwartschaften auf Pensionen, sonstige ungewisse Verbindlichkeiten und für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften.

Die Bildung von Rückstellungen ist nach § 9 Abs. 3 leg.cit. nur dann zulässig, wenn konkrete Umstände nachgewiesen werden können, nach denen im jeweiligen Einzelfall mit dem Vorliegen oder dem Entstehen einer Verbindlichkeit (eines Verlustes) ernsthaft zu rechnen ist.

Gemäß § 4 Abs. 2 EStG 1988 muss der Steuerpflichtige die Vermögensübersicht (Jahresabschluss, Bilanz) nach den allgemeinen Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung erstellen. Ist die Vermögensübersicht nicht nach diesen Grundsätzen erstellt oder verstößt sie gegen zwingende Vorschriften dieses Bundesgesetzes, so muss er sie auch nach dem Einreichen beim Finanzamt berichtigen. Ein Bilanzansatz, der unter Verwertung der bis zur Bilanzerstellung gewonnenen Erkenntnisse mit entsprechender Sorgfalt gebildet wurde, ist solange als den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung und den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes entsprechend anzusehen, als nichts Gegenteiliges hervorkommt. Ein solcher Ansatz hat gewissermaßen die Vermutung ordnungsgemäßer Bilanzierung für sich. Wenn sich aber nachträglich dennoch herausstellt, dass der Bilanzansatz nach den Verhältnissen am Bilanzstichtag objektiv unrichtig ist, und dem Steuerpflichtigen die Umstände bei Bilanzerstellung bekannt waren, ist die Bilanz zwingend zu berichtigen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis 22. November 2002, 99/15/0075). Bei der Gewinnermittlung nach § 5 Abs. 1 EStG 1988 - die Beschwerdeführerin ermittelt ihren Gewinn nach dieser Bestimmung - besteht innerhalb des von den steuerlichen Vorschriften vorgegebenen Rahmens eine Verpflichtung zur Bildung von Rückstellungen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 7. Oktober 2003, 99/15/0246, 0247).

Der Verwaltungsgerichtshof ist stets von einem eigenständigen steuerlichen Rückstellungsbegriff ausgegangen und hat als Voraussetzung einer steuerrechtlich anzuerkennenden Rückstellung in seiner Rechtsprechung regelmäßig verlangt, dass ein die Vergangenheit betreffender Aufwand bestimmter Art, dessen wirtschaftliche Veranlassung im Abschlussjahr gelegen ist, ernsthaft, somit mit größter Wahrscheinlichkeit, droht (vgl. beispielsweise die hg. Erkenntnisse vom 7. August 2001, 97/14/0066, vom 26. Mai 2004, 2000/14/0181, und vom 13. April 2005, 2001/13/0122). Eine Rückstellung darf gewinnmindernd nur für das Jahr gebildet werden, in dem der Aufwand wirtschaftlich verursacht ist. Entscheidend sind die Verhältnisse am Bilanzstichtag, wobei auf den Kenntnisstand im Zeitpunkt der Bilanzerstellung abzustellen ist (vgl. Hofstätter/Reichel, Die Einkommensteuer, III B, Tz 70 f zu § 9, mwN). Der Frage der so genannten subjektiven Richtigkeit der Bilanz kommt in jenen Fällen Bedeutung zu, in denen es um "Umstände" oder "Verhältnisse" geht, welche am Bilanzstichtag bereits vorlagen, dem Steuerpflichtigen aber bis zur Bilanzerstellung noch nicht bekannt waren, und welche ein gewissenhafter Abgabepflichtiger bei Anwendung der nötigen Sorgfalt auch nicht kennen musste (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 18. November 2003, 2001/14/0050).

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage ist auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nicht zu erkennen, dass die Beschwerdeführerin im Beschwerdefall mit der durch die belangte Behörde bestätigten Versagung der von ihr begehrten Rückstellungsbildung für das Jahr 1994 in ihren Rechten verletzt worden wäre.

Die Beschwerde sieht (neben einer handelsrechtlichen Verpflichtung zur Rückstellungsbildung) auch die einkommensteuerrechtlichen Voraussetzungen für eine Rückstellungsbildung nach § 9 Abs. 3 EStG 1988 als erfüllt an, "weil im Einzelfall (des Tunneleinbruchs) mit dem Vorliegen und Entstehen einer Verbindlichkeit (mehr als) ernsthaft zu rechnen war". Die Verpflichtung zur Bildung einer Rückstellung zum 31. Dezember 1994 für Ansprüche im Zusammenhang mit dem Tunneleinbruch ergebe sich daraus, dass der Beschwerdeführerin schon zum 8. Dezember 1994 bekannt gewesen sei, dass "a) der Tunneleinbruch stattgefunden hat, b) ein Schaden in Höhe von hunderten Millionen Schilling eingetreten war und c) der Bauherr B. bereits den Ersatz des Schadens und der entstehenden Kosten begehrt hat."

Zu diesem Vorbringen ist zu sagen, dass nach der oben wiedergegebenen Schilderung des "zeitlichen Ablaufes des Wissenstandes und der Betriebsausgaben" lt. dem Vorbringen der Beschwerdeführerin in ihrer Eingabe an die belangte Behörde vom 2. November 2001 kein Anhaltspunkt dafür bestand, dass nach dem "Meinungsstand" zum Zeitpunkt der Erstellung der Bilanz zum 31. Dezember 1994 im Frühsommer 1995 aus "den katastrophalen Auswirkungen des Tunnelverbruchs" konkret der Beschwerdeführerin ein Schaden bzw. eine Schadenersatzverpflichtung in der in der Beschwerde auch nur unbestimmt angesprochenen Höhe von "hunderten Millionen Schilling" gedroht hätte. Darauf, dass lt. den Beschwerdeausführungen "bis zum Abschluss der Betriebsprüfung für die Jahre 1993 bis 1995" die Ansprüche gegenüber der Beschwerdeführerin aus dem Tunneleinbruch "dahin konkreter" geworden seien, "dass der Schaden nicht 'nur' mehrere ATS Mio. Schilling, sondern ATS 3 Mrd. ausmacht, die Beschwerdeführerin selbst gerichtlich verfolgt wurde und bis dahin bereits Abwehr- und Gutachterkosten sowie Bußgelder in Höhe von ATS 22 Mio. - zusätzlich zum Sachschaden - von der Beschwerdeführerin tatsächlich aufgewendet bzw. dieser auferlegt wurden", kam es vor dem Hintergrund der Maßgeblichkeit des auf den Zeitpunkt der Bilanzerstellung zu beziehenden Grundsatzes der subjektiven Richtigkeit der Bilanz nicht an.

Soweit die Beschwerdeführerin zur Begründung ihres Standpunktes das Schreiben des Bauherrn B. vom 8. Dezember 1994 ins Treffen führt, mit dem dieser noch im Dezember 1994 "den Ersatz des gesamten Schadens einschließlich Kosten gegenüber der Beschwerdeführerin geltend gemacht" habe, ist Folgendes zu sagen:

In diesem auch in den Verwaltungsakten einliegenden Schreiben wies B. darauf hin, dass im Zusammenhang mit dem Tunnelverbruch eine Reihe von Untersuchungen angestellt würden, um die Ursache dieses Verbruches herauszufinden. Unter diesen Umständen "müssen wir Sie darauf hinweisen, dass wir für den Fall, dass uns irgendwelche Kosten oder Verluste aus der Nichteinhaltung Ihrer vertraglichen Verpflichtungen erwarten, diese Kosten von Ihnen rückfordern werden. Wir schlagen Ihnen daher vor, Ihre Versicherung von unseren Absichten zu informieren".

Warum allein auf Grund dieses Schreibens eine konkrete Inanspruchnahme der Beschwerdeführerin für einen "Schaden in Höhe von hunderten Millionen Schilling" oder auch in Höhe der begehrten Rückstellung von 10 Mio. S ernstlich gedroht hätte, ist nicht nachvollziehbar, zumal nach dem bereits oben angesprochenen "Meinungsstand" zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung für das Jahr 1994 ohnedies von einer sorgfältigen Auftragserfüllung durch die Beschwerdeführerin auszugehen war und B. außerdem auch nur allgemein eine Information der Versicherung vorschlug. Dass, wie dies erstmals in der Beschwerde behauptet wird, mit dem Schreiben der B. vom 8. Dezember 1994 auch der Beginn eines "Prozessrechtsverhältnisses" vor "angelsächsischen Gerichten" verbunden gewesen wäre, ist dem angesprochenen Schreiben nicht zu entnehmen.

Die Beschwerde, die im Übrigen nicht konkret auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid zur Versagung der Rückstellungsbildung (in der sich aus der Sachverhaltsdarstellung an die Betriebsprüfung vom 11. Dezember 1998 ergebenden Höhe von 10 Mio. S) aus der Sicht eines (erst) 1997 in Aussicht gestellten Strafprozesses eingeht, war damit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 26. Juli 2006

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