VwGH 2006/01/0147

VwGH2006/01/014727.2.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Mag. Nedwed und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des M P U in S, vertreten durch Dr. Wolfgang Zankl, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Thumegger Bezirk 7 a, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 28. März 2006, Zl. S- 564/ED/06, betreffend Verpflichtung zur erkennungsdienstlichen Behandlung und Ladung, zu Recht erkannt:

Normen

SPG 1991 §65 Abs1;
SPG 1991 §65 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer gemäß § 65 Abs. 1 iVm § 65 Abs. 4 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) "verpflichtet, sich erkennungsdienstlich behandeln zu lassen", und gemäß § 19 AVG zum Zwecke der Vornahme der erkennungsdienstlichen Behandlung zu einer näher angeführten Zeit zum Dauerdienst des Stadtpolizeikommandos (SPK - Kriminalreferat) vorgeladen.

Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dem Beschwerdeführer werde einer Anzeige der Polizeiinspektion Hof bei Salzburg zufolge vorgeworfen, er stehe in dringendem Verdacht, in betrügerischer Weise durch Vortäuschen seiner Zahlungsfähigkeit ein näher bezeichnetes Unternehmen vorsätzlich am Vermögen geschädigt sowie weiters Dienstnehmer- und Dienstgeberanteile aus seinem Unternehmen dem Sozialversicherungsträger (GKK Salzburg) vorsätzlich vorenthalten zu haben. In beiden Fällen hafte in Summe ein Schaden von EUR 38.374,32 aus. Es liege daher "der Verdacht des Verg./Verbr. Nach §§ 146 ff und 153 c StGB (Betrug/Hinterziehung von Dienstnehmer- und Dienstgeberanteilen)" vor. Bereits am 21. September 2005 sei der Beschwerdeführer wegen des Verdachts des schweren Betrugs in zwei Fällen der Staatsanwaltschaft Salzburg "zur Anzeige gebracht" worden. Damals habe der Beschwerdeführer offenbar in betrügerischer Absicht zwei näher bezeichnete Firmen geschädigt, wobei ein Schaden in Höhe von insgesamt EUR 20.396,41 entstanden sei. Laut Einschätzung des die Anzeige erstattenden Sachbearbeiters des koordinierten Kriminaldienstes handle es sich beim Beschwerdeführer um einen Wiederholungstäter, wobei derzeit ein Schaden von EUR 58.770,73 aushafte.

Der Beschwerdeführer habe trotz mehrmaliger Ladungen nicht an der erkennungsdienstlichen Behandlung mitgewirkt und diese ohne bescheidmäßige Vorladung - nach Rücksprache mit seinem Rechtsvertreter - verweigert.

Zweifelsfrei lasse sich dieser Sachverhalt unter die §§ 65 Abs. 1 und 16 Abs. 2 SPG subsumieren.

Auf Grund des festgestellten Sachverhaltes stehe folgende Verdachtslage im Raum: Der Beschwerdeführer habe innerhalb relativ kurzer Zeit mehrmals strafbare Handlungen gegen fremdes Vermögen gesetzt. Dem Sozialversicherungsträger seien Dienstnehmer- und Dienstgeberanteile vorsätzlich vorenthalten worden. Unabhängig voneinander habe der Beschwerdeführer mehrere Firmen durch betrügerisches Vortäuschen seiner Zahlungsfähig- und Zahlungswilligkeit um hohe Geldbeträge geschädigt. In der Folge sei der Beschwerdeführer zu keiner der geplanten Einvernahmen erschienen und habe somit offensichtlich nicht mit den Polizeidienststellen kooperieren und weitere Angaben zu seiner Person verschleiern wollen. Offensichtlich sei der Beschwerdeführer und/oder sein Unternehmen seit geraumer Zeit in Liquiditätsproblemen. Um diese finanziellen Engpässe zu verschleiern bzw. zu überbrücken, habe der Beschwerdeführer in betrügerischer Absicht "dritte Personen bzw. Firmen und Gebietskörperschaften" geschädigt. Es liege eine sehr hohe Schadenssumme vor.

Durch die Begehung von mehreren von einander unabhängig durchgeführten betrügerischen Aktivitäten innerhalb kürzester Zeit "mit den diesbezüglichen Anzeigeerstattungen an die StA" habe der Beschwerdeführer "selbst durch die Begehung einschlägiger strafbarer Handlungen die Argumentationslinie für die Behörde auf weitere bevorstehende gefährliche Angriffe im Sinne des SPG gelegt". Es sei aufgrund der aushaftenden Beträge der Geschädigten davon auszugehen, dass sich die finanziellen Probleme des Beschwerdeführers weiter verstärken würden und er "als weiteren Ausweg" versuchen werde, erneut Vermögensdelikte zu setzen und weitere Opfer zu schädigen. Dies sei bereits aus der "Abneigung gegen Vorladungen zu Polizeiinspektionen und der Angst vor Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung" des Beschwerdeführers ersichtlich.

Somit sei die im Sinne des § 77 Abs. 2 SPG tatbildlich erforderliche Vorbeugungswirkung gegeben, da die erkennungsdienstliche Behandlung erforderlich sei, um der Begehung gefährlicher Angriffe durch den Betroffenen durch sein Wissen um die Möglichkeit seiner Wiedererkennung entgegenzuwirken. Zwar könne durch die erkennungsdienstliche Behandlung keiner Abgabenhinterziehung wirksam begegnet werden, jedoch lasse sich "allgemein im Hinblick auf die anderen verwirklichten strafbaren Handlungen des Betroffenen sehr wohl aus den zu prognostizierenden gefährlichen Angriffen (...) die Erforderlichkeit der Vorbeugung ableiten, (...) zumal grundsätzlich durch die Ermittlung erkennungsdienstlicher Daten im Bereich von Vermögens- und Betrugsdelikten sehr wohl vorgebeugt werden kann (Vorhalt Lichtbild zur Wieder Erkennung z.B. bei Kreditbetrügern oder Hinterlassung von Fingerabdrücken auf Urkunden, Kreditkarten etc.)".

Im Hinblick auf die hohe Schadenssumme, das mehrmalige Begehen einschlägiger Vermögensdelikte und die Rückfallgefahr des Beschwerdeführers sei die Verhältnismäßigkeit im Sinne der §§ 51 und 29 SPG vorliegend gegeben.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 65 Abs. 1 SPG sind die Sicherheitsbehörden ermächtigt, einen Menschen, der im Verdacht steht, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn er im Rahmen einer kriminellen Verbindung tätig wurde oder dies sonst auf Grund von Umständen in der Person des Betroffenen oder nach der Art der begangenen mit Strafe bedrohten Handlung zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe des Betroffenen erforderlich erscheint.

Zu diesem Zweck hat die Behörde eine konkrete fallbezogene Prognose zu treffen, bei der sie sich mit den Einzelheiten des von ihr im Sinne der ersten Voraussetzung des § 65 Abs. 1 SPG angenommenen Verdachtes, mit der Art des dadurch verwirklichten Deliktes, mit den daraus unter Bedachtnahme auf die Persönlichkeit des Betroffenen zu ziehenden Schlüssen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, dass er gefährliche Angriffe begehen werde, und mit der Frage des daraus abzuleitenden Erfordernisses einer "Vorbeugung" durch eine erkennungsdienstliche Behandlung auseinanderzusetzen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Juli 2003, Zl. 2002/01/0592, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird; weiters zuletzt die hg. Erkenntnisse vom 20. September 2006, Zl. 2006/01/0243, und vom heutigen Tage, Zl. 2005/01/0803).

Im vorliegenden Fall hat sich die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides mit den Einzelheiten des von ihr angenommenen Verdachtes, mit der Art der dadurch verwirklichten Delikte (bei denen es sich entgegen den Beschwerdebehauptungen um gefährliche Angriffe iS des § 16 Abs. 2 Z 1 SPG handelt) und auch mit den daraus unter Bedachtnahme auf die Persönlichkeit des Betroffenen zu ziehenden Schlüssen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, dass er gefährliche Angriffe begehen werde, auseinandergesetzt.

Hinsichtlich der Frage des daraus abzuleitenden Erfordernisses einer "Vorbeugung" durch eine erkennungsdienstliche Behandlung meldet die belangte Behörde aber selbst Zweifel an, indem sie ausführt, einer Abgabenhinterziehung könne mit einer erkennungsdienstlichen Behandlung nicht wirksam begegnet werden. Ihren eigenen Bedenken entgegnet die belangte Behörde alleine mit abstrakten spezialpräventiven Überlegungen, nach denen der Begehung gefährlicher Angriffe durch den Betroffenen "durch sein Wissen um die Möglichkeit seiner Wiedererkennung" entgegen gewirkt und Vermögens- und Betrugsdelikten "grundsätzlich" durch die Ermittlung erkennungsdienstlicher Daten vorgebeugt werden könne. Für letzteres führt die Behörde zwar Beispiele an ("Vorhalt Lichtbild zur Wieder Erkennung z.B. bei Kreditbetrügern oder Hinterlassung von Fingerabdrücken auf Urkunden, Kreditkarten etc."). Eine konkrete fallbezogene Prognose, die darauf eingeht, ob diese Beispiele auch für den vorliegenden Fall zutreffen, in dem der Beschwerdeführer - wie von der belangten Behörde selbst festgestellt - die ihm vorgeworfenen Handlungen zwar durch "Vortäuschen" seiner "Zahlungsfähig- und Zahlungswilligkeit", aber dennoch "im Rahmen der Führung eines Unternehmens" und daher offenbar nicht unerkannt begangen hat, fehlt jedoch.

Da dem angefochtenen Bescheid daher insgesamt eine nach der oben angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erforderliche konkrete fallbezogene Prognose fehlt, war dieser wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer im zugesprochenen Pauschalbetrag für Schriftsatzaufwand bereits enthalten ist.

Wien, am 27. Februar 2007

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