VwGH 2005/01/0415

VwGH2005/01/041522.11.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des L, zuletzt in T, nach eigenen Angaben geboren 1988, vertreten durch Mag. Dr. Herbert Schrittesser, Rechtsanwalt in 2340 Mödling, Enzersdorfer Straße 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 15. Juni 2005, Zl. 260.607/0-V/15/05, betreffend §§ 5 und 5a Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

32003R0343 Dublin-II Art10 Abs1;
AsylG 1997 §32 Abs6 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §5 Abs1;
AsylG 1997 §5a Abs1;
AsylG 1997 §5a Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
32003R0343 Dublin-II Art10 Abs1;
AsylG 1997 §32 Abs6 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §5 Abs1;
AsylG 1997 §5a Abs1;
AsylG 1997 §5a Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein Staatsangehöriger von Gambia und am 18. April 2005 in das Bundesgebiet eingereist, beantragte die Gewährung von Asyl. Dabei erklärte er, 1988 geboren worden zu sein.

Bei seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt im Beisein eines Rechtsberaters als gesetzlichem Vertreter wurde dem Beschwerdeführer vorgehalten, er habe in Spanien - ein 'Eurodac-Treffer' hatte ergeben, dass der Beschwerdeführer dort am 22. Juli 2004 erkennungsdienstlich behandelt worden war - angegeben, bereits 1983 geboren worden zu sein; auf Grund seines Verhaltens und seines Erscheinungsbildes müsse davon ausgegangen werden, dass 1983 sein tatsächliches Geburtsjahr sei. Der Beschwerdeführer beharrte auf dem Geburtsdatum 1988 und führte aus, er habe in Spanien, von wo aus er im Übrigen einmal nach Marokko "zurückgeschickt" worden sei, ein Geburtsjahr 1983 angegeben, weil er gedacht habe, so leichter Arbeit zu finden. In der Niederschrift über seine Einvernahme ist weiter festgehalten:

"Der Rechtsberater in der EAST spricht als gesetzlicher Vertreter des Asylwerbers der Auffassung der Behörde nicht zu".

Mit Bescheid vom 6. Mai 2005 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers - nach Einholung einer spanischen Aufnahmeerklärung, in der dessen Geburtsdatum mit 10. Dezember 1983 angeführt ist - gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen. Unter einem wurde festgestellt, dass für die Prüfung des Asylantrages gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO Spanien zuständig sei, und wurde der Beschwerdeführer gemäß § 5a Abs. 1 iVm § 5a Abs. 4 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Spanien ausgewiesen. Das Bundesasylamt stellte fest, dass der Beschwerdeführer bereits volljährig sei, und begründete diese Annahme damit, dass sein äußeres Erscheinungsbild, sein Verhalten und Auftreten darauf schließen ließen, dass das von ihm vor dem Bundesasylamt angegebene Lebensalter nicht der Richtigkeit entspreche; es sei davon auszugehen, dass er zumindest das 22. Lebensjahr bereits vollendet habe.

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer beim Bundesasylamt am 10. Mai 2005 "gem. § 24 ZustellG" (so die im Akt erliegende Übernahmsbestätigung) persönlich ausgefolgt. In der dagegen erhobenen Berufung blieb der Beschwerdeführer dabei, erst am 10. Dezember 1988 geboren worden zu sein. Er beantragte insbesondere die Durchführung einer Berufungsverhandlung und brachte (ua.) vor, "das praktizierte Verfahren für Altersfestsetzung" sei im Gesetz nicht begründet und willkürlich.

Mit Bescheid vom 15. Juni 2005 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ab. Außerdem sprach sie wie das Bundesasylamt aus, dass für die Prüfung seines Asylantrages Spanien zuständig sei und dass er gemäß § 5a Abs. 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Spanien ausgewiesen werde. Bezüglich der in der Berufung geltend gemachten "nicht berücksichtigten Minderjährigkeit" sei ihm entgegenzuhalten, dass seine Volljährigkeit durch Augenschein festgestellt worden und dass die Minderjährigkeit des Beschwerdeführers auch aus der Sicht der belangten Behörde nicht glaubhaft sei. So bleibe er eine vernünftige Erklärung schuldig, warum er in Spanien als Volljähriger geführt werde. Seine diesbezügliche Erklärung, gedacht zu haben, mit dem Geburtsdatum 1983 leichter Arbeit zu finden, spreche einzig dafür, dass er allein aus wirtschaftlichen Gründen nach Spanien eingereist sei. Warum sich ein politisch oder religiös Verfolgter bewusst älter ausgeben sollte, als er in Wahrheit sei, sei letztlich unergründlich. Festzuhalten bleibe weiters, dass der Beschwerdeführer kein personenbezogenes Dokument vorgelegt habe, obwohl angesichts seiner behaupteten - zwangsweisen - Reisebewegung zwischen Spanien und Marokko sicherlich irgendein diesbezügliches Papier "existieren müsste". Hiezu komme, dass in den letzten Monaten eine große Anzahl von Asylanträgen von angeblich minderjährigen Staatsbürgern von Gambia vorgelegt worden sei, wobei sich in allen Fällen ergeben habe, dass diese Asylwerber in Spanien als volljährige Personen aufgetreten seien.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Auch in seiner Beschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, dass er erst 1988 geboren worden sei. Trifft diese Behauptung zu, so wäre schon die ohne Einschaltung eines gesetzlichen Vertreters erfolgte "Zustellung" des erstinstanzlichen Bescheides unwirksam gewesen. Dieser Bescheid wäre damit rechtlich nicht existent geworden, was - an Stelle der vorliegenden meritorischen Entscheidung der belangten Behörde - zu einer Zurückweisung der Berufung hätte führen müssen.

Die belangte Behörde hat offenbar erkannt, dass sich die Beurteilung, der Beschwerdeführer sei entgegen seinen Behauptungen volljährig, nicht allein auf den Augenschein des Bundesasylamtes - dass der den Beschwerdeführer einvernehmende Organwalter dieser Behörde in Fragen der Altersbeurteilung über eine besondere fachliche Qualifikation verfüge, lässt sich dem Akt nicht entnehmen; seiner Einschätzung steht zudem die gegenteilige Ansicht des dem Beschwerdeführer beigestellten Rechtsberaters gegenüber - gründen ließ. Sie hat sich daher veranlasst gesehen, ergänzende Überlegungen anzustellen, aus denen sich die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers, er sei noch minderjährig, ergebe. Ob eine derartige Nachbegründung einer nicht ausreichenden erstinstanzlichen Beweiswürdigung im Sinn des hg. Erkenntnisses vom 23. Jänner 2003, Zl. 2002/20/0533, iVm den hg. Erkenntnissen vom 16. April 2002, Zl. 2002/20/0003, und vom 24. Februar 2005, Zl. 2004/20/0336, auch vor dem Hintergrund der mit der AsylG-Novelle 2003 neu geschaffenen Bestimmung des § 32 Abs. 6 AsylG die Durchführung der in der Berufung beantragten Berufungsverhandlung, von deren Durchführung die belangte Behörde ohne Begründung abgesehen hat, erforderlich gemacht hätte - wofür sich Argumente ins Treffen führen ließen -, braucht hier nicht geklärt zu werden. Auch diese oben wiedergegebenen ergänzenden Überlegungen erweisen sich nämlich als nicht tauglich: Einerseits, soweit auf die Erklärung des Beschwerdeführers, wieso er sich in Spanien älter ausgegeben habe, Bezug genommen wird, werden in Wahrheit nur Argumente gegen die materielle Berechtigung des Asylantrages ins Spiel gebracht, andererseits ist es keineswegs zwingend, dass die zwangsweise Verbringung des Beschwerdeführers von Spanien nach Marokko mit Hilfe eines auch ihm zugänglichen und nunmehr in seinem Besitz befindlichen "Papiers" bewerkstelligt wurde. Was schließlich Erfahrungen mit anderen Asylwerbern anlangt, so kann daraus schon deshalb nichts gewonnen werden, weil sich die nicht näher dargestellten Vergleichsfälle einer nachprüfenden Kontrolle entziehen. Insgesamt ergibt sich somit, dass die Annahme, der Beschwerdeführer sei entgegen seiner Darstellung bereits volljährig, keine tragfähige Grundlage hat. Der bekämpfte Bescheid ist daher mit einem Verfahrensmangel behaftet, weshalb er im Hinblick auf die obigen Erwägungen betreffend die Konsequenzen einer allfälligen Minderjährigkeit des Beschwerdeführers gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 22. November 2005

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte