VwGH 2004/18/0330

VwGH2004/18/03303.7.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schiffkorn, über die Beschwerde des NO in S, geboren am 13. September 1972, vertreten durch Dr. Heribert Schar und Partner, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Leopoldstraße 31a, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 3. September 2004, Zl. III 4033-83/04, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §36 Abs1 Z1;
StGB §105;
StGB §106 Abs1;
StGB §107 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs1 Z1;
StGB §105;
StGB §106 Abs1;
StGB §107 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) vom 3. September 2004 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 Z. 1 iVm den §§ 37 bis 39 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.

Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 17. Mai 2004 sei der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der schweren Nötigung gemäß § 105, § 106 Abs. 1 StGB und wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung gemäß § 107 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 280 Tagessätzen, davon 160 Tagessätze bedingt auf drei Jahre, rechtskräftig verurteilt worden. Er habe in Schwaz Ende Februar 2004 Susanne F. durch gefährliche Drohung, und zwar durch Ohrfeigen, sohin durch Gewalt, und durch die Ankündigung, er würde ihr widrigenfalls die Kehle durchschneiden, sohin durch Drohung mit dem Tode, zu einer Handlung, nämlich zur Aufrechterhaltung der Beziehung, genötigt. Weiters habe er am 7. März 2004 in Schwaz Karin S. gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar indem er angekündigt habe, er würde mit mehreren Kollegen an ihrem Arbeitsplatz erscheinen, sie vergewaltigen und zusammenschlagen.

Sein Gesamtfehlverhalten zeige deutlich seine negative Einstellung gegenüber der Rechtsordnung. Er sei nicht gewillt, die Rechtsordnung in erforderlicher Weise zu achten und sein Verhalten den Gesetzen anzupassen. Sein Aufenthalt im Bundesgebiet stelle eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar (§ 36 Abs. 1 Z. 1 FrG). Ein relevanter Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG liege vor. Dieser Eingriff mache das Aufenthaltsverbot gegen ihn im Grund des § 37 Abs. 1 FrG aber nicht unzulässig. Die sich im Gesamtfehlverhalten manifestierende Neigung seiner Person, sich über die Rechtsordnung hinwegzusetzen, mache die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele der Verhinderung (weiterer) strafbarer Handlungen, des Schutzes der Rechte anderer dringend geboten. Die familiären oder privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet wögen höchstens gleich schwer wie die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbots, weshalb die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auch im Grund des § 37 Abs. 2 FrG zulässig sei.

Der Beschwerdeführer habe ab 1996 in Deutschland gelebt, bevor er dort im Jahr 2000 mit einem Aufenthaltsverbot belegt und in die Türkei abgeschoben worden sei. Er habe in der Türkei ein Ehepaar aus der Schweiz kennen gelernt, das dort Urlaub gemacht und ihn zu einem Besuch in die Schweiz eingeladen habe. Im August 2002 sei er auf der Grundlage eines befristeten schweizerischen Visums von der Türkei in die Schweiz geflogen. Nach rechtswidriger Einreise aus der Schweiz sei er nunmehr seit September 2002 als Asylwerber in Österreich aufhältig. Am österreichischen Arbeitsmarkt sei er nicht integriert. Er habe in Schwaz einen großen Freundes- und Bekanntenkreis. Dementsprechend gut sei der Beschwerdeführer im Bundesgebiet integriert. Eine enge Bindung habe er zu seiner Schwester, die (gut integriert) in Schwaz lebe, ihn finanziell unterstütze und welcher der Beschwerdeführer helfe. Er lebe jedoch mit ihr nicht in einem gemeinsamen Haushalt. Seit ca. August 2003 sei der Beschwerdeführer mit der Österreicherin Susanne F. liiert und lebe mit dieser in einem gemeinsamen Haushalt in Schwaz. Nach einer kurzen Trennung unterhalte er nunmehr wieder eine Beziehung zu dieser Frau. Wie Susanne F. in einem Schreiben vom 14. August 2004 an die Fremdenpolizei mitgeteilt habe, hätten sie beide vor zu heiraten. Den Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt am 27. September 2002 zufolge lebten seine Eltern sowie seine Ehefrau in der Türkei.

Die Verhinderung strafbarer Handlungen und der Schutz der Rechte anderer hätten einen großen öffentlichen Stellenwert und ein großes öffentliches Gewicht. Ein Aufenthaltsverbot-Verbotsgrund gemäß den §§ 38 und 35 FrG komme nicht zum Tragen. Die Dauer des Aufenthaltsverbotes entspreche § 39 Abs. 1 FrG und den für seine Erlassung maßgeblichen Umständen. Bis zum Wegfall des Grundes für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes, nämlich der Gefährlichkeit für die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit, sei das Verstreichen von fünf Jahren vonnöten. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick darauf, dass keine Umstände vorlägen, die nicht bereits im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigt worden wären, könne von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens gemäß § 36 Abs. 1 FrG Abstand genommen werden. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer erstmals verurteilt worden sei, ändere nichts an seinem schweren strafbaren Verhalten Ende Februar 2004 und am 7. März 2004. Auch die Situation des Beschwerdeführers (starke psychische Belastung, weil er "seit Jahren quer durch Europa auf der Flucht" sei und "ständig verfolgt" werde) habe sich nicht geändert. Er könne jederzeit wieder in eine ihm nicht genehme Situation geraten und z.B. von Eifersucht geplagt werden, infolgedessen er wiederum nicht mehr "Herr seiner selbst" sei, auch wenn jetzt "bestes Einvernehmen" mit seiner Freundin Susanne

F. bestehe. Dazu, dass er nunmehr mit Unterstützung der Susanne F. in Österreich Fuß fassen wolle, dass sie sich gegenseitig unterstützten und Susanne F. ihm helfe, von seinen Ängsten und psychischen Qualen auf Grund der jahrelangen Verfolgungen loszukommen und dass beim Beschwerdeführer mit keinen weiteren strafbaren Handlungen zu rechnen wäre, werde bemerkt, dass trotz dieses positiven Wollens auf Seiten des Beschwerdeführers und der seiner Freundin das Risiko seines Verbleibes im Bundesgebiet für die Rechte anderer zu groß sei. Sollte der Beschwerdeführer der Meinung sein, sein Verhalten in der Beziehung zu seiner Frau sei Privatsache, so unterliege er einem Irrtum. In dem Kulturkreis, in dem der Beschwerdeführer das Gastrecht in Anspruch nehme, sei dies nicht so. Dazu, dass er "jeglichen Kontakt zu seinem Heimatland abgebrochen habe" werde bemerkt, dass er dort zuletzt von 2000 bis 2002 gelebt habe, dass für die Interessenabwägung das in Österreich geführte Privat- oder Familienleben maßgeblich sei und dass ein Aufenthaltsverbot nicht anordne, wohin der Fremde auszureisen habe bzw. allenfalls abgeschoben werde.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

1.1. Unter Zugrundelegung der im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen hat die belangte Behörde zutreffend keinen der in § 36 Abs. 2 FrG normierten Tatbestände als erfüllt angesehen. Ein Aufenthaltsverbot kann jedoch - was die belangte Behörde richtig erkannt hat - auch ausschließlich auf § 36 Abs. 1 FrG gestützt werden, wenn triftige Gründe vorliegen, die zwar nicht die Voraussetzungen der in § 36 Abs. 2 leg. cit. angeführten Fälle aufweisen, jedoch in ihrer Gesamtheit die in § 36 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme rechtfertigen. Die in § 36 Abs. 2 leg. cit. genannten Sachverhalte sind dabei als Maßstab für die Schwere jener Tatsachen heranzuziehen, die bei der Verhängung eines bloß auf § 36 Abs. 1 FrG gegründeten Aufenthaltsverbotes vorliegen müssen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 28. September 2004, Zl. 2001/18/0161, mwN).

1.2. Die Beschwerde stellt die im angefochtenen Bescheid genannte rechtskräftige Verurteilung und das dieser zu Grunde liegende Fehlverhalten nicht in Abrede, bestreitet jedoch, dass das Verhalten des Beschwerdeführers die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 FrG erfülle.

Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 17. Mai 2004 wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der schweren Nötigung sowie wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung zu einer teilweise bedingten Geldstrafe von 280 Tagessätzen verurteilt, weil er Ende Februar 2004 seine Lebensgefährtin durch gefährliche Drohung, nämlich durch Androhung, er werde ihr die Kehle durchschneiden, und durch Ohrfeigen zur Aufrechterhaltung der Beziehung genötigt habe und er zudem Anfang März 2004 eine ihrer Freundinnen gefährlich bedroht habe, indem er ankündigte, er würde mit mehreren Kollegen an ihrem Arbeitsplatz erscheinen, sie vergewaltigen und zusammenschlagen.

Der Verwaltungsgerichtshof kann der belangten Behörde nicht entgegen treten, wenn sie aus diesem Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers die Gefahr der Begehung weiterer (einschlägiger) Straftaten ableitete und zum Ergebnis kam, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit iS des § 36 Abs. 1 Z 1 FrG gefährde, hat doch dieser durch sein Verhalten gravierend gegen das große öffentliche Interesse an der Verhinderung der Gewaltkriminalität verstoßen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. März 2003, Zl. 2000/18/0074). Der seit dem Fehlverhalten des Beschwerdeführers im Februar und im März 2004 verstrichene Zeitraum ist viel zu kurz, um die genannte Gefahr als vermindert oder als weggefallen zu betrachten und eine positive Zukunftsprognose zu treffen. Auch der Umstand, dass sich - wie die Beschwerde vorbringt - eines seiner Opfer (seine Lebensgefährtin) mit dem Beschwerdeführer ausgesöhnt hat, bietet keine Gewähr dafür, dass er in Zukunft keine schwere Nötigung bzw. keine gefährliche Drohung mehr begehen wird.

Dass der Beschwerdeführer - wie er in seiner Beschwerde vorbringt - Susanne F. ungefähr einen Monat nach Erlassung des angefochtenen Bescheides geheiratet habe, kann daran schon in Anbetracht des im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbots (vgl. § 41 Abs. 1 VwGG) nichts ändern.

2.1. Die Beschwerde bekämpft den angefochtenen Bescheid auch im Grund des § 37 FrG. Der Beschwerdeführer unterhalte mit Susanne F. wieder eine Beziehung. Zwischen ihnen sei Einvernehmen hergestellt worden. Eine Abschiebung würde eine tiefgreifende Erschütterung der Familie bedeuten, die die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbots bei weitem übersteige.

2.2. Die belangte Behörde hat den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet seit September 2002 und seine Beziehung zu seiner Lebensgefährtin sowie zu seiner Schwester berücksichtigt und zutreffend einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff in sein Privat- und Familienleben im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG angenommen. Sie hat aber - unter Bedachtnahme auf seine persönlichen Interessen - ebenso zutreffend den Standpunkt vertreten, dass das gegen den Beschwerdeführer erlassene Aufenthaltsverbot gemäß § 37 Abs. 1 FrG zulässig sei, liegt doch dem Beschwerdeführer zur Last, seine Lebensgefährtin durch Drohung und Ohrfeigen zur Aufrechterhaltung der Beziehung genötigt sowie deren Freundin durch die Androhung, sie gemeinsam mit Kollegen zu vergewaltigen, gefährlich bedroht zu haben. Dieses im Licht des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung der Gewaltkriminalität verwerfliche Fehlverhalten lässt das Aufenthaltsverbot zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, zur Verhinderung (weiterer) strafbarer Handlungen durch den Beschwerdeführer sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, somit zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen, dringend geboten erscheinen.

Im Licht dieser Erwägungen erweist sich auch das Ergebnis der von der belangten Behörde gemäß § 37 Abs. 2 FrG vorgenommenen Abwägung als unbedenklich. Die aus der Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers ableitbaren persönlichen Interessen werden in ihrem Gewicht dadurch deutlich gemindert, dass sein bisheriger Aufenthalt nur auf Grund der Stellung eines Asylantrages rechtmäßig war und er - was er in der Beschwerde nicht bestreitet -

in Deutschland im Jahr 2000 mit einem Aufenthaltsverbot belegt und von dort in die Türkei abgeschoben wurde, wo sich seine Eltern und seine (frühere) Ehefrau befinden und wo er bis zu seiner Ausreise in die Schweiz und Weiterreise nach Österreich im Jahr 2002 gelebt hat. Von daher gesehen hat die belangte Behörde der durch sein Fehlverhalten bewirkten Gefährdung der öffentlichen Interessen und damit den nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbots zutreffend kein geringeres Gewicht beigemessen als den Auswirkungen dieser Maßnahme auf seine Lebenssituation und die seiner Familie, zumal die aus dem bisherigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet resultierende Integration in der für sie wesentlichen sozialen Komponente durch die von ihm verübten Straftaten eine erhebliche Beeinträchtigung erfahren hat.

3. Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Wien, am 3. Juli 2007

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