VwGH 2004/06/0135

VwGH2004/06/013526.1.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Rosenmayr und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fritz, über die Beschwerde der A Gesellschaft m.b.H. in N, vertreten durch Dr. Adolf Concin und Dr. Heinrich Concin, Rechtsanwälte in 6700 Bludenz, Mutterstraße 1a, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom 20. Juli 2004, Zl. BHFK-II-4151-2004/0004, betreffend eine Bausache (mitbeteiligte Partei: Marktgemeinde F, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §59 Abs1;
AVG §66 Abs4;
BauG Vlbg 2001 §26 Abs1;
BauRallg;
B-VG Art119a Abs5;
GdG Vlbg 1985 §83 Abs7;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;
AVG §59 Abs1;
AVG §66 Abs4;
BauG Vlbg 2001 §26 Abs1;
BauRallg;
B-VG Art119a Abs5;
GdG Vlbg 1985 §83 Abs7;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird, insoweit Spruchpunkt I des Berufungsbescheides vom 15. April 2004 aufgehoben wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge von Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in Höhe von EUR 1.269,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin suchte mit Eingabe vom 23. Jänner 2003 bei der mitbeteiligten Marktgemeinde um die Erteilung der Baubewilligung zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit 11 Wohneinheiten auf dem Grundstück Nr. 1744/1, GB F I, an.

Mehrere Nachbarn wandten sich in der Bauverhandlung am 25. Februar 2003 gegen dieses Vorhaben.

Mit Bescheid vom 15. September 2003 erteilte der Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde der Beschwerdeführerin die Baubewilligung für die Errichtung des angeführten Bauvorhabens unter Vorschreibung zahlreicher Auflagen (Spruchpunkt I). Die erhobenen Einwände der Nachbarn betreffend die Baunutzungszahl wurden teils zurückgewiesen (Spruchpunkt III.), teils auf den Rechtsweg verwiesen (Spruchpunkt IV.).

In der dagegen erhobenen Berufung machten die Nachbarn die Verletzung sonstiger öffentlicher Interessen (Orts- und Landschaftsschutzinteressen) sowie raumplanungsrechtlicher Vorschriften geltend.

Mit Berufungsbescheid vom 15. April 2004 wies die Gemeindevertretung der mitbeteiligten Marktgemeinde die Berufung der Nachbarn als unzulässig zurück (Spruchpunkt I) und änderte zudem in Spruchpunkt II den erstinstanzlichen Bescheid dahingehend ab, dass die erteilte Baubewilligung versagt wurde. Der Spruch dieses Bescheides lautete:

"I. Die Berufung von ... wird gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 26 Abs. 1 und 2 als unzulässig zurückgewiesen.

II. Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit den §§ 17 und 28 Abs. 3 des Baugesetzes, LGBl. 52/2001 im Spruchpunkt I dahin gehend abgeändert, dass die beantragte Baubewilligung für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit 11 Wohnungen auf der GST-Nr. 1744/1 aus GB 92106 F I versagt wird."

Die Berufungsbehörde begründete Spruchpunkt I dieses Bescheides im Wesentlichen damit, dass die von den Nachbarn geltend gemachte Beeinträchtigung des Orts- und Landschaftsbildes durch das Bauvorhaben keine Nachbarrechte betreffe und die Einwendungen der Nachbarn daher als unzulässig zurückzuweisen seien. Die Versagung der Baubewilligung in Spruchteil II sei in einem Verstoß des Vorhabens gegen das zu erhaltende Orts- und Landschaftsbild gemäß §§ 17 Vlbg. BauG gelegen. Aus den Ausführungen der beiden vorliegenden raumplanerischen Gutachten und nach der Beurteilung des im Auflageverfahren stehenden Bebauungsplanes ergäben sich Widersprüche, die die bisher vorgenommene positive Beurteilung als nicht gerechtfertigt erscheinen ließen.

Die Beschwerdeführerin erhob gegen Spruchpunkt II dieses Bescheides der Gemeindevertretung der mitbeteiligten Marktgemeinde betreffend die Versagung der erstinstanzlich erteilten Baubewilligung Vorstellung.

Mit dem angefochtenen Bescheid hob die belangte Behörde den Berufungsbescheid vom 15. April 2004 zur Gänze (also die Spruchpunkte I und II) auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeindevertretung der Marktgemeinde F zurück. Sie führte dazu im Wesentlich aus, dass sie, obwohl ihre Prüfungsbefugnis im Hinblick auf den Antrag in der Vorstellung auf Spruchteil II des Berufungsbescheides beschränkt sei, im konkreten Fall davon ausgehe, der gesamte Bescheid sei Gegenstand des Vorstellungsverfahrens. Gemäß § 83 Abs. 7 GG habe die Aufsichtsbehörde den Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde zurückzuverweisen, wenn Rechte des Einschreiters verletzt worden seien. Würde nur der bekämpfte Spruchteil II aufgehoben, hätte dies zur Folge, dass die Gemeindevertretung als Berufungsbehörde nicht mehr in der Sache selbst entscheiden könne. Eine eingeschränkte Prüfung würde den aufsichtsbehördlichen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verstoßes gegen die Bestimmung des § 83 Abs. 7 Vlbg Gemeindegesetz (GG) belasten. Daher sei von einer nicht trennbaren Einheit der Spruchpunkte I und II in rechtlicher Hinsicht auszugehen und der gesamte Berufungsbescheid unterliege der aufsichtsbehördlichen Prüfung.

Spruchpunkt I des Berufungsbescheides, mit dem die Berufung der Nachbarn als unzulässig zurückgewiesen worden sei, sei verfehlt. Die Berufungsbehörde hätte in der Sache selbst entscheiden müssen und mangels Geltendmachung subjektiver Nachbarrechte die Berufung abweisen müssen.

In der dagegen erhobenen Beschwerde wird Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde geltend gemacht. Der angefochtene Bescheid wird nur in dem Umfang angefochten, in dem er nicht nur Spruchpunkt II des Berufungsbescheides vom 15. April 2004, sondern den Berufungsbescheid zur Gänze und somit auch seinen (von der Beschwerdeführerin nicht bekämpften) Spruchpunkt I aufgehoben hat.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift (die belangte Behörde mit Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde) erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 83 Abs. 7 Vorarlberger Gemeindegesetz (GG), LGBl. Nr. 40/1985, hat die Aufsichtsbehörde (bei Entscheidung über eine Vorstellung) den Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde zurückzuverweisen, wenn durch den Bescheid Rechte des Einschreiters verletzt wurden. Die Gemeinde ist bei der neuerlichen Entscheidung an die Rechtsansicht der Aufsichtsbehörde gebunden.

Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass sich aus dem Umfang der Anfechtung des gemeindebehördlichen Bescheides durch den Vorstellungswerber eine Beschränkung des Prüfungsrechtes der Aufsichtsbehörde ergebe. Nur im Umfang der Anfechtung könne ein Bescheid durch die Aufsichtsbehörde wegen Verletzung von Rechten des Vorstellungswerbers aufgehoben werden. Darüber hinaus fehle der Aufsichtsbehörde die Entscheidungszuständigkeit. Die Beschwerdeführerin habe nur Spruchpunkt II des Berufungsbescheides bekämpft und nur dessen Aufhebung beantragt. § 83 Abs. 7 GG müsse im vorliegenden Fall teleologisch reduziert werden. Spruchpunkt I des Berufungsbescheides sei, da er unbekämpft geblieben sei, in Rechtskraft erwachsen. In rechtkräftige Bescheide könne nur unter den Voraussetzungen des § 68 Abs. 2 bis Abs. 4 AVG eingegriffen werden. Diese lägen nicht vor und habe sich die belangte Behörde auch nicht darauf gestützt.

Diesem Vorbringen kommt Berechtigung zu. Das Prüfungsrecht der Aufsichtsbehörde wird durch den Umfang der Anfechtung des gemeindebehördlichen Bescheides durch den Vorstellungswerber eingeschränkt. Nur in dem Umfang, in dem dieser den gemeindebehördlichen Bescheid auch angefochten hat, besteht ein Prüfungsrecht der Aufsichtsbehörde und kann der Bescheid im Falle der Verletzung subjektiver Rechte aufgehoben werden. Soweit der Bescheid nicht angefochten wurde, fehlt der Aufsichtsbehörde die Entscheidungszuständigkeit (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 1980, Zl. 2968/79, sowie die Ausführungen in Fröhler/Oberndorfer, Das Österreichische Gemeinderecht, 3.14.4.4.6.2.1). Abweichendes kann sich im Falle der Untrennbarkeit der verschiedenen Spruchteile des gemeindebehördlichen Bescheides ergeben.

Da die Vorstellung der Beschwerdeführerin allein den sie belastenden und in ihre Rechte eingreifenden Spruchpunkt II des Berufungsbescheides, mit dem die in erster Instanz erteilte Baubewilligung in eine Versagung der Bewilligung geändert wurde, bekämpfte, kam der belangten Behörde keine Entscheidungszuständigkeit zu, über den die Berufung der Nachbarn betreffenden zurückweisenden Spruchpunkt I des Berufungsbescheides abzusprechen. Grundlage für einen solchen Abspruch wäre allein eine entsprechende Vorstellung der von diesem Spruchpunkt betroffenen Nachbarn gewesen. Wenn die belangte Behörde unter Berufung auf § 83 Abs. 7 GG bei Entscheidung über die Vorstellung der Beschwerdeführerin allein gegen Spruchpunkt II von einem untrennbaren Zusammenhang von Spruchpunkt I und II des Berufungsbescheides ausgeht, kann ihr nicht gefolgt werden.

§ 83 Abs. 7 GG ist im vorliegenden Fall - darin ist der Beschwerdeführerin gleichfalls zuzustimmen - teleologisch zu reduzieren. Im vorliegenden Fall kam, da bereits die Berufungsbehörde mit Spruchpunkt II ihre ihr auf Grund der Berufung der Nachbarn zustehende Entscheidungsbefugnis überschritten und damit rechtswidrig gehandelt und in die Rechtssphäre der Beschwerdeführerin eingegriffen hat, nur die Aufhebung dieses Spruchpunktes in Betracht.

Die Unzuständigkeit der Berufungsbehörde für die Erlassung des Spruchpunktes II des Berufungsbescheides ergab sich wiederum daraus, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. den hg. Beschluss eines verstärkten Senates vom 3. Dezember 1980, VwSlg. Nr. 10317/A) Sache im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG im Berufungsverfahren eines Baubewilligungsverfahrens im Falle eines eingeschränkten Mitspracherechtes des Berufungswerbers (wie des Nachbarn im Baubewilligungsverfahren) nur der Themenkreis ist, bezüglich dessen dem Berufungswerber ein Mitspracherecht zusteht (vgl. hiezu auch die hg. Erkenntnisse vom 9. Juni 1994, Zl. 94/06/0058, und vom 24. Jänner 1991, Zl. 89/06/0106).

Der angefochtene Bescheid war daher, soweit mit ihm Spruchpunkt I des Berufungsbescheides aufgehoben wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des konkreten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 26. Jänner 2006

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