VwGH 2004/04/0072

VwGH2004/04/007224.5.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Bayjones, Dr. Grünstäudl und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, über die Beschwerde der H in M, vertreten durch Weinberger Gangl Bogensperger, Rechtsanwälte GmbH in 5020 Salzburg, Kaigasse 40, gegen den Bescheid des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit vom 8. März 2004, Zl. 324.295/3-I/9/04, betreffend Genehmigung einer gewerblichen Betriebsanlage (mitbeteiligte Partei: C GmbH in S, vertreten durch Dr. Christian Harisch, Dr. Christian Brugger, Mag. Franz Teufl, Mag. Bernhard Wimmer und Dr. Sonja Schindlholzer, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hofhaymerallee 42), zu Recht erkannt:

Normen

GewO 1994 §74 Abs2 Z2;
GewO 1994 §77 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
GewO 1994 §74 Abs2 Z2;
GewO 1994 §77 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 8. März 2004 wies der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit die Berufung (u.a.) der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 29. Juli 2003 ab, mit dem der mitbeteiligten Partei gemäß § 77 GewO 1994 die gewerbebehördliche Genehmigung für die Errichtung einer Tankstelle an einer näher genannten Anschrift nach Maßgabe näher bezeichneter Projektunterlagen unter Einhaltung von im Einzelnen genannten Auflagen sowie "der im Befund der mitfolgenden Niederschrift festgelegten Beschreibung" erteilt wurde.

Begründend stützte sich die belangte Behörde unter anderem auf das Gutachten des gewerbetechnischen Amtssachverständigen vom 17. Dezember 2003 mit (auszugsweise) folgendem Inhalt:

"Im Rahmen des Verfahrens wurde ein schalltechnisches Projekt ... mit Datum vom 17. April 2002 erstellt. Dieses Gutachten wurde seitens der Abteilung I/2 des BMWA insbesondere hinsichtlich der angenommenen Emissionsdaten sowie der daraus errechneten Immissionswerte überprüft. Dabei wurde festgestellt, dass die Emissionswerte für Kraftfahrzeuge sowie jene der Waschanlage sehr gut mit den Erfahrungswerten der Abteilung I/2 übereinstimmen. Kontrollrechnungen für die kritischsten Immissionspunkte ergaben die Richtigkeit der angegebenen Schallpegelwerte. Das vorgelegte schalltechnische Projekt ist daher als schlüssig und nachvollziehbar zu bezeichnen. Zu beachten ist allerdings, dass auf Grund einer Einschränkung der Betriebszeiten durch die Konsenswerberin nun ein Nachtbetrieb nicht stattfindet. Somit sind in der Nacht lediglich die Emissionen technischer Aggregate (Klimagerät etc.) zu berücksichtigen.

Aus dem schalltechnischen Projekt ist ersichtlich, dass selbst am Sonntag zur Tageszeit die prognostizierten betriebsbedingten Emissionsanteile als energieäquivalenter Dauerschallpegel (Leq) mindestens 9 dB unter der vorherrschenden Schall-Ist-Situation liegen. Es ist daher nach Inbetriebnahme der Tankstelle bei Beachtung der mit Bescheid vorgeschriebenen Auflagen keine messtechnisch nachweisbare Veränderung der örtlichen Ist-Situation an den betrachteten Emissionspunkten zu erwarten. Die in den Nachtstunden zu berücksichtigenden Emissionen durch Aggregate liegen im Bereich des örtlichen Grundgeräuschpegels. Zum Schutz der Nachbarn in lärmtechnischer Hinsicht wurden die Auflagen 44 und 66 bis 72 im Bescheid vom 29.7.2003 vorgeschrieben.

...

Die Lage und die Öffnungen der Lärmschutzwände wurden bei den Immissionsprognosen ebenso berücksichtigt wie eine für derartige Betriebsanlagen übliche Anzahl von Zu- und Abfahrten. Ein Fahrverbotsschild für Lkw über 7,5 t, ausgenommen Zulieferer, sowie das Nichtaufstellen einer Lkw-Zapfsäule (das sind Dieselhochleistungszapfsäulen mit z.B. 120 l/pro min Abgabemenge/Zeiteinheit statt der sonst üblichen 40 l/min) stellen aus gewerbetechnischer Sicht geeignete Maßnahmen zur Hintanhaltung von Schwer-Lkw-Verkehr dar."

Rechtlich führte die belangte Behörde schließlich aus, die beim Betrieb von Tankstellen üblichen Geräusche wie Zu- und Abfahrten, Tankvorgänge, Türenschlagen usw. seien berücksichtigt worden. Es sei ein für Tankstellenbesucher übliches, d.h. normales, Kundenverhalten und kein untypisch und ungewöhnlich lautes Verhalten zu Grunde gelegt worden. Laut aufgedrehte Musikanlagen stellten denkmögliche Einzelfälle dar, welche aber die auf 8 Stunden bezogenen Dauerschallpegel kaum beeinflussten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie - wie die mitbeteiligte Partei - die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof macht die Beschwerdeführerin geltend, weder aus den Verfahrensergebnissen noch aus dem angefochtenen Bescheid gehe die Ist-Situation und das Beurteilungsmaß, nämlich die Grenze der zumutbaren Lärmbelastung, hervor. Es fehlten hinreichend konkretisierte lärmtechnische Beurteilungsgrundlagen bezüglich der Emissionswirkung des Kfz-Verkehrs, der durch die beantragte Betriebsanlage zusätzlich hervor gerufen werde.

Es seien lediglich Messungen am Wochenende (Samstag 20:30 Uhr bis Montag 11:00 Uhr) durchgeführt worden, jedoch nicht an Werktagen, an denen erfahrungsgemäß ein wesentlich höheres Verkehrsaufkommen herrsche. Es wären auch entsprechende Messungen während der Werktage und damit korrespondierende Verkehrszählungen - nicht nur wie hier sporadisch am Wochenende - durchzuführen gewesen, um verlässliche Aussagen über die Ist-Situation treffen und entsprechende Prognoseberechnungen für die Lärmbelästigung durch Kfz im gegenständlichen Tankstellenbereich anstellen zu können. Die Lärmmessungen und Verkehrszählungen an einem Wochenende ließen noch keinen Rückschluss zu, dass tatsächlich an einem Wochenende mit der stärksten Verkehrsfrequenz zu rechnen sei. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seien dann, wenn Messungen der von den Betriebsanlagen ausgehenden Immissionen möglich seien, diese vorzunehmen und die bloße Schätzung bzw. Berechnung dieser Immissionen auf Grund von Projektunterlagen unzulässig. Die Sachverständigenangaben hinsichtlich des Lärms stützten sich lediglich auf Berechnungen ausgehend von Projektunterlagen.

Gemäß § 74 Abs. 2 GewO 1994 dürfen gewerbliche Betriebsanlagen nur mit Genehmigung der Behörde errichtet oder betrieben werden, wenn sie wegen der Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer Betriebsweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet sind,

1. das Leben oder die Gesundheit des Gewerbetreibenden, der nicht den Bestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes, BGBl. Nr. 450/1994 in der jeweils geltenden Fassung, unterliegenden mittätigen Familienangehörigen, der Nachbarn oder der Kunden, die die Betriebsanlage der Art des Betriebes gemäß aufsuchen, oder das Eigentum oder sonstige dingliche Rechte der Nachbarn zu gefährden; als dingliche Rechte im Sinne dieses Bundesgesetzes gelten auch die im § 2 Abs. 1 Z. 4 lit. g angeführten Nutzungsrechte,

2. die Nachbarn durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise zu belästigen ...

Gemäß § 77 Abs. 1 GewO 1994 ist die Betriebsanlage zu genehmigen, wenn nach dem Stand der Technik (§ 71a) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zu erwarten ist, dass überhaupt oder bei Einhaltung der erforderlichenfalls vorzuschreibenden bestimmten geeigneten Auflagen die nach den Umständen des Einzelfalles voraussehbaren Gefährdungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 vermieden und Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 2 bis 5 auf ein zumutbares Maß beschränkt werden.

Die Auswirkungen der zu genehmigenden Betriebsanlage bzw. der zu genehmigenden Änderung einer genehmigten Betriebsanlage sind unter Zugrundelegung jener Situation zu beurteilen, in der die Immissionen für die Nachbarn am ungünstigsten, d.h. am belastendsten sind. Ist daher zu erwarten, dass von einer Betriebsanlage bei unterschiedlichen Betriebssituationen unterschiedlich hohe Immissionen auf die Nachbarn einwirken, so ist der Beurteilung im Rahmen der Prüfung des Genehmigungsantrages jene Betriebssituation zu Grunde zu legen, die bei den Nachbarn die höchsten Immissionen erwarten lässt (vgl. zuletzt das hg. Erkenntnis vom 14. September 2005, Zl. 2004/04/0165, mwH).

Dem Einwand der Beschwerdeführerin, die belangte Behörde habe den angefochtenen Bescheid nur auf Berechnungen und nicht auf Messungen der betriebskausalen Emissionen gestützt, ist zunächst entgegenzuhalten, dass - geht man von der im zitierten Gutachten offensichtlich zu Grunde liegenden Annahme aus, die Anlage sei noch gar nicht in Betrieb - diesbezügliche Messungen der belangten Behörde noch gar nicht möglich waren.

Im angefochtenen Bescheid legte die belangte Behörde ihrer Beurteilung der Genehmigungsvoraussetzungen die Angaben des gewerbetechnischen Sachverständigen vom 17. Dezember 2003 zu Grunde. Danach sei bei den Immissionsprognosen "eine für derartige Betriebsanlagen übliche Anzahl von Zu- und Abfahrten" berücksichtigt worden. Schon dies belastet den angefochtenen Bescheid im Hinblick auf die dargestellte Judikatur, wobei die die Nachbarn am meisten belastende Betriebssituation maßgeblich ist, mit Rechtswidrigkeit. Aufgabe der belangten Behörde wird es daher im fortzusetzenden Verfahren sein, auf der Grundlage eines ergänzten Sachverständigen-Gutachtens festzustellen, zu welcher maximalen Kundenfrequenz es bei Auslastung des eingereichten Projekts kommen kann. Auf Basis dieser Betriebssituation wird danach zu prüfen sein, ob die bislang angenommenen Lärmemissionen (diese scheinen nach dem Akteninhalt allerdings lediglich von einem Kundenverkehr von 185 Pkw pro Tag auszugehen) der Beurteilung der betriebskausalen Auswirkungen weiterhin zu Grunde gelegt werden können.

Aus diesem Grund erweist sich der angefochtene Bescheid als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 24. Mai 2006

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