VwGH 2004/01/0455

VwGH2004/01/04559.5.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber sowie die Hofräte Dr. Blaschek und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde der M S S (auch M oder F S S alias P alias S H) in W, geboren 1959, vertreten durch Mag. Wolfgang Vinatzer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Börsegasse 12, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 3. Juni 2004, Zl. 245.381/0- XIV/08/03, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §66 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §66 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Bulgarien, reiste nach eigenen Angaben am 3. August 2002 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 14. August 2002 Asyl. Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 3. Dezember 2003 gab sie zu ihren Fluchtgründen - zusammengefasst - an, von ihrem gewalttätigen Ehemann in Bulgarien im August 2002 mit dem Umbringen bedroht worden zu sein. Die bulgarische Polizei "könne" ihr gegen diese Bedrohung nicht helfen, denn sie mische sich in Familienstreitigkeiten nicht ein. Auch finde sie in Bulgarien vor ihrem Mann keine Zuflucht, weil dieser von Bekannten erfahren könne, wo sie sich aufhalte.

Mit Bescheid vom 9. Dezember 2003 wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Bulgarien gemäß § 8 AsylG für zulässig. Seiner Entscheidung legte es die "glaubwürdigen Angaben" der Beschwerdeführerin zu Grunde, argumentierte jedoch in rechtlicher Hinsicht, dass die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Übergriffe durch ihren Ehemann keine Flüchtlingseigenschaft begründen könnten, da die Verfolgung weder von staatlichen Stellen ausgehe noch dem Vorbringen der Beschwerdeführerin zu entnehmen sei, dass die staatlichen Behörden ihres Heimatlandes nicht in der Lage und nicht gewillt gewesen wären, ihr Schutz vor Verfolgung zu bieten. Hinzu komme, dass der Beschwerdeführerin durch Übersiedlung in andere Teile des Herkunftsstaates eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung stehe.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung, in der sie u. a. vorbrachte, sie würde in Bulgarien vor ihrem Mann niemals Ruhe habe und wäre ständig in Lebensgefahr, insbesondere deshalb, weil dieser hervorragende Kontakte zur Polizei habe und die Polizeibehörden derartige Angelegenheiten als "Privatsachen" behandelten.

Die belangte Behörde wies die Berufung - ohne Durchführung einer Berufungsverhandlung - gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.) und stellte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Bulgarien zulässig sei (Spruchpunkt II.). Nach (kurzer) Wiedergabe des Verfahrensganges und allgemeinen Rechtsausführungen begründete die belangte Behörde ihre Entscheidung fallbezogen damit, dass das Bundesasylamt auf Grund schlüssiger Beweiswürdigung zum Ergebnis gekommen sei, das Vorbringen der Beschwerdeführerin sei unglaubwürdig und weder asyl- noch refoulementschutzrelevant. In der Berufung, die keinerlei Sachverhaltsvorbringen enthalten, sondern lediglich auf die Angaben vor dem Bundesasylsenat verwiesen habe, würde nicht einmal ansatzweise dargetan, warum entgegen der Argumentation im erstinstanzlichen Bescheid eine asylrelevante Verfolgung der Beschwerdeführerin glaubhaft sein sollte. Die belangte Behörde als Berufungsbehörde schließe sich daher den diesbezüglich nicht zu beanstandenden Ausführungen des Bundesasylamtes im angefochtenen Bescheid an und erhebe sie zum Inhalt ihres Bescheides.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde hat sich mit der Berufung der Beschwerdeführerin, deren konkreter Inhalt in der Begründung des angefochtenen Bescheides mit keinem Wort erwähnt wird, nicht erkennbar in der gebotenen Weise auseinander gesetzt. Sie hat auf diese vielmehr mit einem offenbar vorformulierten Textbaustein reagiert und damit eine Vorgangsweise gewählt, die im Ergebnis einem - der belangten Behörde im Gesetz nicht eingeräumten - Ablehnungsrecht gleicht (vgl. dazu zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2006, Zl. 2005/01/0229, mwN). Dadurch konnte es offensichtlich auch geschehen, dass die belangte Behörde - aktenwidrig - unterstellte, das Bundesasylamt habe dem Vorbringen der Beschwerdeführerin die Glaubwürdigkeit abgesprochen. Wäre aber - entsprechend den Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid - von der Richtigkeit der Angaben der Beschwerdeführerin (auch zur Schutzunwilligkeit der bulgarischen Sicherheitsbehörden bei Gewaltdelikten gegen Frauen im Familienbereich und zur Bedrohung der Beschwerdeführerin im gesamten Herkunftsstaat) auszugehen, so ließe sich schon die Asylrelevanz dieses Vorbringens nicht ohne Weiteres verneinen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Ein gesonderter Zuspruch der verzeichneten Umsatzsteuer findet in diesen Bestimmungen keine Deckung.

Wien, am 9. Mai 2006

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