Normen
AVG §63 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVG §63 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
Spruch:
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern jeweils Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführer, slowakische Staatsangehörige, wurden am 23. Mai 2002 durch Gendarmeriebeamte der Bezirkshauptmannschaft Tulln vorgeführt. Dort wurden sie mit Hilfe einer Dolmetscherin vernommen und es wurden ihnen anschließend die Bescheide über die Erlassung eines bis 23. Mai 2007 befristeten und auf § 36 Abs. 1 Z 2 und Abs. 2 Z 8 Fremdengesetz 1997 gestützten Aufenthaltsverbotes ausgefolgt. In einer "Übernahmeerklärung" wurde Folgendes bestätigt:
"Ich bestätige die Übernahme
...
des Bescheides Bezirkshauptmannschaft Tulln vom, mit dem über
mich ein Aufenthaltsverbot verhängt wurde
Die Übernahme erfolgte ohne Zwang durch die Behörde freiwillig und mit meiner Zustimmung und ich habe den Inhalt der Bescheide auf Grund meiner ausreichenden Deutschkenntnisse verstanden.
Ich verzichte freiwillig und ohne jeglichen Zwang durch die Behörde auf die Ergreifung eines Rechtsmittels. Mir ist bekannt, dass der Bescheid infolge dessen sofort rechtskräftig und vollstreckbar wird.
Die Übernahmeerklärung(en) wurde(n) mir vom Dolmetscher/von der Dolmetscherin (siehe Niederschrift) übersetzt."
Gegen die eingangs genannten Bescheide erhoben die Beschwerdeführer Berufungen mit dem Vorbringen, dass sie zwar anlässlich der Aushändigung der Bescheide "auf die Ausführung eines Rechtsmittels verzichtet haben könnten", ihnen jedoch die Tragweite einer derartigen Erklärung "in keinster Weise" geläufig gewesen sei.
Die belangte Behörde holte Stellungnahmen der Bezirkshauptmannschaft Tulln und der damals anwesenden Dolmetscherin ein. Die erstinstanzliche Behörde gab am 23. September 2002 bekannt, die Beschwerdeführer seien über die Tragweite des Rechtsmittelverzichtes und die Rechtsfolgen in ihrer Landessprache informiert worden. Ein Willensmangel sei seitens der Behörde nicht erkennbar gewesen. Es sei "keinerlei wie auch immer gearteter Druck" seitens der Behörde auf die Fremden ausgeübt worden. Die Dolmetscherin gab am 24. August 2002 schriftlich an, sie habe den Beschwerdeführern den Inhalt des Aufenthaltsverbotsbescheides, der Niederschrift und der Übernahmeerklärung in deren Muttersprache übersetzt und es sei der Rechtsmittelverzicht freiwillig und ohne jeglichen Zwang durch die Behörde erfolgt. Die Beschwerdeführer hätten sie gefragt, inwieweit eine Berufung Aussicht auf Erfolg habe. Diese Frage hätte die Dolmetscherin an die Referentin der erstinstanzlichen Behörde und die Vertreter des Arbeitsinspektorates weitergeleitet. Diese hätten erklärt, dass "eine Berufung keinen Sinn hätte und die Entscheidung dadurch keinesfalls geändert würde".
Ausgehend von diesen Darstellungen wies die belangte Behörde mit den angefochtenen Bescheiden die Berufungen mit der Begründung als unzulässig zurück, dass das Motiv für die Abgabe eines Rechtsmittelverzichtes ohne Bedeutung sei, solange keine Anhaltspunkte vorlägen, dass die Partei durch der Behörde zuzurechnende Drohungen mit rechtswidrigem Verhalten zur Abgabe des Rechtsmittelverzichtes bestimmt worden sei. Der Berufungsverzicht der Beschwerdeführer sei unter Beiziehung eines Dolmetschers in deren Landessprache getätigt worden und die Beschwerdeführer seien auch über die Rechtsfolgen informiert worden. Von den Beschwerdeführern sei "keine Äußerung zur eingeräumten Stellungnahme" gemacht worden. In Verbindung mit den Stellungnahmen der Dolmetscherin und der Bezirkshauptmannschaft Tulln könne davon ausgegangen werden, dass beim Berufungsverzicht "kein Willensmangel Ihrer Person vorlag und dass er ohne Druck und in Kenntnis seiner Rechtsfolgen abgegeben wurde".
Die gegen diese Bescheide an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerden trat dieser nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom 24. Februar 2003, B 12/03, 13/03, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Dieser hat nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde über die wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhanges verbundenen - ergänzten - Beschwerden erwogen:
Gemäß § 63 Abs. 4 AVG ist eine Berufung nicht mehr zulässig, wenn die Partei nach Zustellung oder Verkündung des Bescheides ausdrücklich auf die Berufung verzichtet hat.
Der Berufungsverzicht ist somit eine von der Partei vorgenommene Prozesshandlung, der die Wirkung anhaftet, dass eine von der Partei eingebrachte Berufung einer meritorischen Erledigung nicht zugeführt werden darf. Ein einmal ausgesprochener Berufungsverzicht kann auch nicht mehr zurückgenommen werden. Das Vorliegen eines Berufungsverzichtes ist besonders streng zu prüfen und es ist ein anlässlich der Abgabe eines Berufungsverzichtes vorliegender Willensmangel zu Gunsten der Partei zu beachten (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 10. März 1994, Zl. 94/19/0601, und vom 22. November 2005, Zl. 2005/05/0320). Dem Motiv für die Erklärung, die Berufung zurückzuziehen, kommt für sich allein keine rechtserhebliche Bedeutung zu (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 1988, Zlen. 88/02/0002 bis 0005). Werden jedoch durch eine irreführende bzw. unvollständige Rechtsbelehrung falsche Vorstellungen über die Folgen und Möglichkeiten einer Berufung erweckt, oder wird die Erklärung über den Rechtsmittelverzicht unter dem Druck der Haft abgegeben, so liegt ein rechtserheblicher Willensmangel vor (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis Zl. 94/19/0601).
Im vorliegenden Fall wurde zwar kein Druck auf die Partei ausgeübt, die Berufung zurückzuziehen, es wurde ihr jedoch bedeutet, dass die Berufung "keinen Sinn hätte" und die Entscheidung "dadurch keinesfalls geändert würde". Es kann zwar nicht als rechtswidrig gesehen werden, wenn die Behörde eine Prognose über die Erfolgsaussichten einer Berufung abgibt. Durch die weitere Erklärung, dass eine Abänderung der Entscheidung "keinesfalls" in Betracht kommt, wird jedoch eine falsche Vorstellung über die Folgen und Möglichkeiten einer Berufung hervorgerufen. Führt diese unrichtige Vorstellung, dass nämlich eine Berufung in keinem Fall Erfolg haben könnte, zur Abgabe eines Rechtsmittelverzichtes, so wurde dieser durch einen - von der Behörde veranlassten - Willensmangel verursacht. Dieser Willensmangel hat zur Folge, dass die Verzichtserklärung - ohne Prüfung der Frage, ob sie überhaupt iSd § 63 Abs. 4 AVG "nach Zustellung" des Bescheides abgegeben wurde - als unwirksam anzusehen ist.
Indem die belangte Behörde in den vorliegenden Fällen von einer Wirksamkeit des Berufungsverzichtes ausgegangen ist, hat sie die angefochtenen Bescheide mit Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes belastet, weshalb diese gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben waren.
Bei diesem Ergebnis kann dahin stehen, dass die vorhin zitierte offensichtlich standardisierte "Übernahmeerklärung" in ihrem Hinweis auf ein Verstehen des Bescheides auf Grund vorhandener Deutschkenntnisse nicht den Tatsachen entsprechen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 25. Oktober 2006
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