VwGH 2003/10/0108

VwGH2003/10/01081.6.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Stöberl und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hofer, über die Beschwerde des J H in G, vertreten durch Dr. Christiane Loidl, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Glacisstraße 67, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 11. März 2003, Zl. 56-15d32/12-2003, betreffend zusätzliche Eintragung in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:

Normen

BBG 1990 §40 Abs1 Z1;
BBG 1990 §42 Abs1;
KfzStG 1992 §2 Abs1 Z12 litb;
BBG 1990 §40 Abs1 Z1;
BBG 1990 §42 Abs1;
KfzStG 1992 §2 Abs1 Z12 litb;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Bundessozialamtes Steiermark vom 27. Mai 2002 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 7. Mai 2002 auf Eintragung des Zusatzes "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in seinen Behindertenpass gemäß § 42 Abs. 1 in Verbindung mit den §§ 46 und 45 Abs. 3 des Bundesbehindertengesetzes, BGBl. Nr. 283/1990 (in der Folge: BBG), abgewiesen.

Nach der Begründung sei die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft oder ohne fremde Hilfe, auch unter Verwendung der zweckmäßigsten Behelfe, ohne Unterbrechung zurückgelegt werden könne oder wenn die Verwendung des erforderlichen Behelfs die Benützung des öffentlichen Transportmittels im hohen Maße erschwere. Es komme bei der Prüfung dieser Frage nicht auf die tatsächliche Entfernung der Wohnung zum öffentlichen Verkehrsmittel an. Die Eintragung des Zusatzes bei psychischen Zwängen (der Beschwerdeführer hatte seinen Antrag mit einer zunehmenden Klaustrophobie seit Myocardinfarkt 1985 begründet, was ihm das Benützen von öffentlichen Verkehrsmitteln unmöglich mache) sei nur dann möglich, wenn diese nachweislich therapieresistent seien und zu wiederholten stationären Aufenthalten in einer psychiatrischen Klinik geführt hätten. Die Eintragung des vom Beschwerdeführer begehrten Zusatzes sei nicht möglich, da ihm laut Stellungnahme des ärztlichen Sachverständigen des Bundessozialamtes Steiermark die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels zumutbar sei.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er im Wesentlichen vorbrachte, nie von einem Sachverständigen des Bundessozialamtes vorgeladen, geschweige denn untersucht worden zu sein. Er kritisierte ferner, dass er nie von einer bevorstehenden Gesetzesänderung verständigt worden sei.

Über Veranlassung der belangten Behörde als Berufungsbehörde erstattete die medizinische Sachverständige folgende "amtsärztliche Stellungnahme":

"Es galt zu beurteilen, ob dem (Beschwerdeführer) die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei.

Aus der Anamnese war u.a. eine Erkrankung der Herzkranzgefäße, ein Zustand nach Herzinfarkt 1986, ein Zustand nach 4-fach-Bypassoperation 1991 und ein Zustand nach Herzkatheteruntersuchung 1996 erhebbar.

In einem internistischen Befund (Dr. H. vom 2.5.2002) wurde eine Klaustrophobie angeführt, welche angeblich das Benützen öffentlicher Verkehrsmittel unmöglich mache.

Insgesamt liegt ein altersentsprechender Allgemeinzustand vor. Von Seiten des Bewegungs- und Stützapparates sind keine gravierenden Einschränkungen gegeben.

Durch die koronare Herzerkrankung und die dadurch bedingten Herzmuskel- und Funktionseinschränkungen ist eine Minderung der allgemeinen Leistungsbreite gegeben. Das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke aus eigener Kraft ist jedoch durchaus möglich und zumutbar.

Bezüglich der angeführten Klaustrophobie liegen keine schlüssigen Befunde vor. Sollte diese Erkrankung bei der Beurteilung berücksichtigt werden, muss es sich nachweislich um eine therapieresistente Symptomatik mit wiederholt erforderlichen stationären Aufenthalten an einer neuro-psychiatrischen Klinik handeln.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass derzeit die Zusatzeintragung 'Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar' in den Behindertenpass des (Beschwerdeführers) nicht gerechtfertigt ist."

Dem Beschwerdeführer wurde das Gutachten der medizinischen Sachverständigen im Rahmen des Parteiengehörs zur Stellungnahme übermittelt.

Der Beschwerdeführer brachte dazu im Wesentlichen vor, die Gutachterin sei nur dazu angehalten worden festzustellen, ob er gerade Glieder habe und ohne Gehbehelfe gehen könne. Er besuche jedoch schon Jahre lang kein Theater, Kino, Bälle, Sportplätze und dergleichen, weil er Platzangst bekomme. Am Ärgsten wäre es für ihn, in einem vollbesetzten Bus oder Straßenbahn zu fahren, da er dann Angstzustände und Schweißausbrüche bekomme. Von Ärzten sei ihm mitgeteilt worden, dass sich sein Zustand bei intensiver Behandlung etwas bessern könne. Das sei der Grund dafür, dass er keinen stationären Spitalsaufenthalt vorweisen könne, denn "etwas besser" sei ihm zu wenig.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundessozialamtes keine Folge gegeben.

Nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensgeschehens und des § 42 Abs. 1 BBG stellte die belangte Behörde in ihrer Begründung fest, dass die Eintragung eines Zusatzes bei psychischen Zwängen nur dann möglich sei, wenn diese nachweislich therapieresistent seien und zu wiederholten stationären Aufenthalten in einer psychiatrischen Klinik geführt hätten. Zum Vorbringen des Beschwerdeführers, dass ihm die Begünstigung auf Grund eines neuen Gesetzes entzogen worden sei und man ihn nicht davon verständigt habe, wurde ausgeführt, es wäre geradezu unmöglich, sämtliche von einem Gesetz betroffenen Bürger vor einer Neufassung darüber zu benachrichtigen. Auf Grund des vorliegenden Sachverhaltes sowie des eingeholten Sachverständigengutachtens sei die belangte Behörde der Auffassung, dass die Eintragung "Unzumutbarkeit eines öffentlichen Verkehrsmittels" in den Behindertenpass des Beschwerdeführers derzeit nicht gerechtfertigt sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der mit "Behindertenpass" überschriebene § 40 Abs. 1 Z. 1 BBG in der Fassung BGBl. I Nr. 150/2002 hat folgenden Inhalt:

"§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50 % ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist."

Im Beschwerdefall ist nach Lage der Verwaltungsakten davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer auf Grund des Bescheides des Landesinvalidenamtes für Steiermark vom 10. März 1986 gemäß § 14 Abs. 2 des Invalideneinstellungsgesetzes 1969 ab 1. November 1985 dem Kreis der begünstigten Invaliden angehört. Die Höhe seiner Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt 60 v.H.

§ 42 Abs. 1 BBG in der genannten Fassung bestimmt:

"§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vor- und Familiennamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen."

Die Bestimmung des § 45 Abs. 3 BBG idF BGBl. I Nr. 150/2002, wonach über Berufungen gegen Bescheide des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen die Bundesberufungskommission entscheidet, ist gemäß § 55 Abs. 3 leg. cit. auf die zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens dieses Bundesgesetzes anhängige Berufungsverfahren nicht anzuwenden. Diese Verfahren sind vom zuständigen Landeshauptmann unter Zugrundelegung der bis 31. Dezember 2002 geltenden Vorschriften zu Ende zu führen. Über die Berufung des Beschwerdeführers hatte daher der Landeshauptmann von Steiermark zu entscheiden.

Im Zusammenhang mit der vom Beschwerdeführer begehrten Eintragung ist zu beachten, dass diese etwa einen der Nachweise der für die Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer maßgebenden Körperbehinderung gemäß § 2 Abs. 1 Z. 12 lit. b Kraftfahrzeugsteuergesetz 1992 darstellt (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 12. Mai 1998, Zl. 96/08/0325).

Nach der genannten Bestimmung sind von der Kraftfahrzeugsteuer Kraftfahrzeuge befreit, die für Körperbehinderte zugelassen sind und von diesen infolge körperlicher Schädigung zur persönlichen Fortbewegung verwendet werden müssen, wenn z.B. der Nachweis der Körperbehinderung durch die Eintragung der "Unzumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" im Behindertenpass erfolgt.

Die belangte Behörde hat ihre Entscheidung im Wesentlichen auf das oben wieder gegebene Gutachten der ärztlichen Sachverständigen gestützt. Danach sei die Eintragung des beantragten Zusatzes bei psychischen Zwängen nur dann möglich, wenn diese nachweislich therapieresistent seien und zu wiederholten stationären Aufenthalten in einer psychiatrischen Klinik geführt hätten.

Die Beschwerde rügt u. a., dass die von der Amtssachverständigen durchgeführte Untersuchung nicht auf die dem Beschwerdeführer von einem Privatsachverständigen attestierte Klaustrophobie eingegangen sei. Das von der belangten Behörde herangezogene Gutachten der ärztlichen Sachverständigen stelle keine ausreichende Grundlage für die getroffene Entscheidung dar, da die klaustrophobischen Zustände des Beschwerdeführers überhaupt nicht untersucht worden seien.

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt zu beurteilen, ob den Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 20. April 2004, Zl. 2003/11/0078, und vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/11/0242).

Die Auffassung, die angeführte Klaustrophobie des Beschwerdeführers könne bei der Beurteilung nur berücksichtigt werden, wenn es sich nachweislich um eine therapieresistente Symptomatik mit wiederholt erforderlichen stationären Aufenthalten an einer neuro-psychiatrischen Klinik handle, entspricht den soeben dargelegten Anforderungen nicht. Den Darlegungen der Sachverständigen kann weder entnommen werden, ob die vom Beschwerdeführer behauptete Klaustrophobie vorliegt, noch, ob die Behauptung des Beschwerdeführers zutrifft, dass diese Erkrankung die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zulasse. Gegebenenfalls hätte sich die Behörde auch mit der Frage auseinander zu setzen, welche Bedeutung die Unterlassung einer zumutbaren und erfolgversprechenden Therapie, wenigstens im Sinne einer Besserung des behaupteten Leidens, hätte. Wenn nach dem Willen des Gesetzgebers auch keine bloß vorübergehenden, sondern nur dauernde Gesundheitsschädigungen, somit wohl "therapieresistente" Erkrankungen, berücksichtigt werden sollen, so ist auch nicht ersichtlich, dass diese Voraussetzung nur dann gegeben ist, wenn ein wiederholter stationärer Aufenthalt an einer Klinik erforderlich war.

Das von der belangten Behörde zur Begründung des angefochtenen Bescheides herangezogene Gutachten der medizinischen Sachverständigen stellt nach dem Gesagten daher keine ausreichende Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung dar.

Aus den dargelegten Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Kostenersatzverordnung 2003. Wien, am 1. Juni 2005

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