VwGH 2003/08/0144

VwGH2003/08/014415.3.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der S in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Zatlasch, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Mariahilferstraße 49, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 6. März 2003, Zl. MA 15-II-G 19/2000, betreffend Haftung für Sozialversicherungsbeiträge gemäß § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Windmühlgasse 30), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §111;
ASVG §114 Abs2;
ASVG §67 Abs10;
VStG §9;
ASVG §111;
ASVG §114 Abs2;
ASVG §67 Abs10;
VStG §9;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde dem Einspruch der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 23. März 2000 betreffend Haftung für Sozialversicherungsbeiträge teilweise stattgegeben und festgestellt, dass die Beschwerdeführerin als handelsrechtliche Geschäftsführerin gemäß § 67 Abs. 10 ASVG verpflichtet sei, den auf dem Beitragskonto der Beitragsschuldnerin M GmbH rückständigen

"1. Nachtrag 10/97" im Betrag von EUR 8.035,74 zuzüglich Verzugszinsen an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse zu bezahlen. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die Beschwerdeführerin als Geschäftsführerin der M GmbH mit Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse verpflichtet worden sei, rückständige Sozialversicherungsbeiträge der M GmbH in der Höhe von EUR 41.925,28 zu bezahlen. Dieser Betrag habe rückständige Dienstgeber- und Dienstnehmerbeiträge aus den Beitragsmonaten 9/96, 11/96, 3-5/97, 7/97 und 9/97, Beitragszuschläge 7/97 und 8/97 sowie den "1. Nachtrag 10/97" umfasst. Eine Haftung der Beschwerdeführerin für die Dienstgeberbeiträge sowie für die bereits vom Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds überwiesenen Dienstnehmerbeiträge und die Beitragszuschläge sei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht gegeben. Der 1. Nachtrag 10/97 sei hingegen insofern auf einen Meldeverstoß zurückzuführen, als die Beitragsnachweisungen für Juli 1997 und August 1997, die laut Vereinbarung jeweils bis zum 11. des Folgemonats zu erstatten gewesen wären, erst am 15. Oktober 1997 bzw. 16. Oktober 1997 und somit verspätet erstattet worden seien.

Die bei der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse aufliegende Vollmacht an einen Steuerberater berechtige diesen lediglich zur Vertretung der M GmbH in beitragsrechtlichen Angelegenheiten und zur Verfassung und Unterfertigung diesbezüglicher Eingaben, enthalte jedoch keine Bevollmächtigung nach § 35 Abs. 3 ASVG. Die belangte Behörde vertrete die Auffassung, dass sich die Beschwerdeführerin als Geschäftsführerin ein allfälliges Verschulden des Steuerberaters nach den Grundsätzen über die Haftung für Erfüllungsgehilfen zurechnen lassen müsse.

Die Vorschreibung des gegenständlichen Nachtrages sei nach Auskunft der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse erst am 31. Oktober 1997 erfolgt. Da die vom Ehemann der Beschwerdeführerin, der als Generalbevollmächtigter der Beschwerdeführerin die Geschäfte der M GmbH geführt habe, angegebenen Zahlungen in der Höhe von S 180.378,96, die im Übrigen den Beitragsmonaten 11/96, 4/97 und 5/97 gewidmet gewesen seien, bereits am 27. August 1997 und 22. Oktober 1997 erfolgt seien und die ungewidmete Zahlung in Höhe von S 720,-- am 27. August 1997 erfolgt sei, könnten diese keine schuldbefreiende Wirkung auf den

1. Nachtrag 10/97 haben.

Die Haftung der Beschwerdeführerin sei daher für den auf die Dienstgeberbeiträge reduzierten 1. Nachtrag 10/97 (und die von den Dienstgeberbeiträgen berechneten Verzugszinsen) festzustellen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - ebenso wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften (u.a.) die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben dem durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Seit dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000, Zl. 98/08/0191, 0192, Slg. Nr. 15.528/A, vertritt der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung, dass unter den "den Vertretern auferlegten Pflichten" im Sinne des § 67 Abs. 10 ASVG in Ermangelung weiterer, in den gesetzlichen Vorschriften ausdrücklich normierter Pflichten des Geschäftsführers im Wesentlichen nur die Melde- und Auskunftspflichten, soweit diese im § 111 ASVG i.V.m. § 9 VStG auch gesetzlichen Vertretern gegenüber sanktioniert sind, sowie die in § 114 Abs. 2 ASVG umschriebene Verpflichtung zur Abfuhr einbehaltener Dienstnehmerbeiträge zu verstehen sind.

§ 111 ASVG normiert, dass Dienstgeber und sonstige nach § 36 ASVG meldepflichtige Personen (Stellen), im Falle einer Bevollmächtigung nach § 35 Abs. 3 oder § 36 Abs. 2 ASVG die Bevollmächtigten, die der ihnen auf Grund dieses Bundesgesetzes (u.a.) obliegenden Verpflichtung zur Erstattung von Meldungen und Anzeigen nicht oder nicht rechtzeitig nachkommen oder in den ihnen obliegenden Meldungen, Anzeigen und Auskünften unwahre Angaben machen, eine Verwaltungsübertretung begehen, wenn die Handlung nicht nach anderer Bestimmung einer strengeren Strafe unterliegt.

Soweit die Beschwerdeführerin ausführt, dass keine Verkürzung der Ansprüche des Sozialversicherungsträgers durch etwaige Meldevergehen eingetreten sei, zeigt sie im Ergebnis einen wesentlichen Verfahrensmangel auf. Wie der Verwaltungsgerichtshof in dem bereits zitierten Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000 ausgeführt hat, ist Voraussetzung für eine Haftung im Sinne des § 67 Abs. 10 ASVG nicht nur, dass der Verstoß gegen § 111 ASVG verschuldet erfolgt, sondern auch, dass er für die gänzliche oder teilweise Uneinbringlichkeit einer Beitragsforderung kausal ist.

Die belangte Behörde hat zur Frage der Kausalität keine Ermittlungen durchgeführt und im angefochtenen Bescheid keine Feststellungen dazu getroffen. Aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich zudem, dass die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse am 14. Juli 1997 den Antrag auf Konkurseröffnung über das Vermögen der M GmbH gestellt hat und der Konkurs mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 21. Oktober 1997 eröffnet wurde. Die der Beschwerdeführerin zur Last gelegten Meldepflichtverstöße betreffen die Beitragsnachweisungen für die Monate Juli und August 1997, die nach der zwischen der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse und der M GmbH geschlossenen Vereinbarung am 11. August 1997 bzw. am 11. September 1997 zu erstatten gewesen wären. Im Hinblick darauf, dass die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse zum Zeitpunkt der von der Beschwerdeführerin zu erstattenden Meldungen bereits den Konkursantrag betreffend das Vermögen der M GmbH gestellt hatte und damit die Zahlungsunfähigkeit der Primärschuldnerin behauptet hat, wäre die nähere Prüfung der Kausalität geboten gewesen.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Das auf Ersatz der Beschwerdegebühr gerichtete Begehren war im Hinblick auf die auch vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende sachliche Gebührenfreiheit gemäß § 110 ASVG abzuweisen.

Wien, am 15. März 2005

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