VwGH 2003/06/0153

VwGH2003/06/015325.4.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Rosenmayr und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fritz, über die Beschwerde des JK in N, vertreten durch Dr. Josef-Michael Danler, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Colingasse 3, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 14. August 2003, Zl. Ve1-8-2/1-3vA, betreffend Ersatzvornahme nach dem VVG, zu Recht erkannt:

Normen

VwGG §30 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §63 Abs1;
VwGG §30 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §63 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 5. Juni 2000 wurde dem Beschwerdeführer die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung eines Schafstalles erteilt. Nach den einen integrierenden Bestandteil dieses Bescheides bildenden Einreichplänen beträgt die talseitige Wandhöhe des beantragten Schafstalles 7 m.

Nachdem der Beschwerdeführer das Bauvorhaben abweichend von dieser Bewilligung mit einer talseitigen Wandhöhe von 10,45 m ausgeführt hatte, suchte er dafür mit Eingabe vom 9. November 2000 nachträglich um Erteilung der baubehördlichen Bewilligung an. Dieses Bauansuchen wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Gemeindevorstandes der Gemeinde F vom 21. Dezember 2000 gemäß § 26 Abs. 3 lit. a Tiroler Bauordnung 1998 (TBO 1998) abgewiesen und der dagegen gerichteten Vorstellung mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 19. Juni 2001 keine Folge gegeben. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher dem Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung dieser Beschwerde mit Beschluss vom 8. August 2001 keine Folge gab.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Gemeindevorstandes der Gemeinde F vom 15. März 2002 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 37 Abs. 1 TBO aufgetragen, binnen vier Wochen den der Baubewilligung vom 5. Juni 2000 entsprechenden Zustand herzustellen.

Mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 10. Oktober 2002 wurde die dagegen erhobene Vorstellung des Beschwerdeführers als unbegründet abgewiesen. Der dagegen vom Beschwerdeführer beim Verwaltungsgerichtshof erhobenen Beschwerde wurde von diesem mit Beschluss vom 25. Februar 2002, Zl. AW 2002/06/0056, gemäß § 30 Abs. 2 VwGG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Mit Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 5. Dezember 2002 wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, den dem Bescheid des Gemeindevorstandes der Gemeinde F entsprechenden Zustand bis zum 20. Jänner 2003 herzustellen, und ihm widrigenfalls die Ersatzvornahme angedroht.

Die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck ordnete sodann mit Bescheid vom 17. Februar 2003 gemäß § 4 Abs. 1 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes 1991 (VVG) die Ersatzvornahme an und schrieb dem Beschwerdeführer gemäß § 4 Abs. 2 VVG die Zahlung der voraussichtlichen Kosten für die Ersatzvornahme in der Höhe von EUR 25.000,-- vor.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers hinsichtlich der Anordnung der Ersatzvornahme in Spruchpunkt I als unbegründet abgewiesen. Der Berufung hinsichtlich des Kostenvorauszahlungsauftrages wurde in Spruchpunkt II Folge gegeben, dieser insoferne behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck verwiesen.

Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung nach Darstellung des bisherigen Verwaltungsgeschehens und der maßgeblichen Rechtslage hinsichtlich des Spruchpunktes I im Wesentlichen wie folgt: Voraussetzung für die Vollstreckung nach den Bestimmungen des VVG sei, dass ein entsprechender Titelbescheid vorliege, dass dieser gegenüber dem Verpflichteten wirksam geworden sei und dass der Verpflichtete seiner Verpflichtung innerhalb der gesetzten Frist und bis zur Einleitung des Vollstreckungsverfahrens nicht nachgekommen sei. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stehe die Erhebung einer Vorstellung oder einer Beschwerde bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts der Vollstreckung eines letztinstanzlichen gemeindebehördlichen Bescheides nicht entgegen. Daraus ergebe sich, dass nach einem auf Gemeindeebene abgeschlossenen Verfahren, in dem die nachträgliche Erteilung der Baubewilligung versagt wurde, der Auftrag zur Herstellung des ursprünglich bewilligten Zustandes ohne Abwarten der Entscheidung einer Vorstellungsbehörde oder eines Gerichtshofes öffentlichen Rechts von den Baubehörden rechtmäßig erteilt werden dürfe. Darüber hinausgehende Einwände seien vom Beschwerdeführer nicht erhoben worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich - im Umfang der Anordnung der Ersatzvornahme - die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes 1991 - VVG (BGBl. Nr. 53/1991 idF BGBl. I Nr. 137/2001) lauten auszugsweise wie folgt:

"§ 4. (1) Wenn der zu einer Arbeits- oder Naturalleistung Verpflichtete dieser Pflicht gar nicht oder nicht vollständig oder nicht zur gehörigen Zeit nachgekommen ist, so kann die mangelnde Leistung nach vorheriger Androhung auf Gefahr und Kosten des Verpflichteten bewerkstelligt werden.

(2) Die Vollstreckungsbehörde kann in einem solchen Fall dem Verpflichteten die Vorauszahlung der Kosten gegen nachträgliche Verrechnung auftragen. Der Auftrag zur Vorauszahlung ist vollstreckbar.

...

§ 10. (1) Auf das Vollstreckungsverfahren sind, soweit sich aus diesem Bundesgesetz nicht anderes ergibt, der I. und der IV. Teil und hinsichtlich der Rechtsmittelbelehrung die §§ 58 Abs. 1 und 61 des AVG sinngemäß anzuwenden.

(2) Die Berufung gegen eine nach diesem Bundesgesetz erlassene Vollstreckungsverfügung kann nur ergriffen werden, wenn

  1. 1. die Vollstreckung unzulässig ist oder
  2. 2. die Vollstreckungsverfügung mit dem zu vollstreckenden Bescheid nicht übereinstimmt oder

    3. die angeordneten oder angewendeten Zwangsmittel im Gesetz nicht zugelassen sind oder mit § 2 im Widerspruch stehen.

(3) Die Berufung hat keine aufschiebende Wirkung. Sie geht an den Landeshauptmann, sofern es sich aber um eine Angelegenheit im selbständigen Wirkungsbereich des Landes handelt, an die Landesregierung. Die demnach zuständige Behörde entscheidet endgültig.

..."

Der Beschwerdeführer erblickt eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darin, dass die von der belangten Behörde als entscheidungsrelevant herangezogene Sach- und Rechtslage unrichtig beurteilt worden und in einem wesentlichen Punkt unvollständig sei. Der von der belangten Behörde vertretene Standpunkt, dass das beim Verwaltungsgerichtshof behängende Beschwerdeverfahren, dessen Gegenstand der Titelbescheid sei, der Einleitung des Vollstreckungsverfahrens nicht entgegenstehe, sei offensichtlich nur dann anwendbar, wenn der Bescheidbeschwerde gegen den Titelbescheid keine aufschiebende Wirkung zukomme. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung verhindere die Vollstreckbarkeit des angefochtenen Rechtsaktes, sodass die Einleitung eines Zwangsvollstreckungsverfahrens unzulässig sei.

Dieses Vorbringen ist wohlbegründet. Im beschwerdegegenständlichen Vollstreckungsverfahren sollte der Bescheid des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde vom 15. März 2002 vollstreckt werden, der den baupolizeilichen Auftrag enthielt, binnen vier Wochen den der Baubewilligung vom 5. Juni 2000 entsprechenden Zustand herzustellen. Dass der Beschwerdeführer gegen den Titelbescheid eine Verwaltungsgerichtshofbeschwerde eingebracht hatte, worauf er während des gesamten Verwaltungsverfahrens auch hingewiesen hatte, machte für sich allein die Einleitung des Vollstreckungsverfahrens noch nicht unzulässig. Mit der Erlassung des Beschlusses vom 25. Februar 2003, Zl. AW 2002/06/0056, wurde der Beschwerde jedoch die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Die vorläufige Maßnahme der aufschiebenden Wirkung gemäß § 30 Abs. 2 VwGG einer beim Verwaltungsgerichtshof erhobenen Beschwerde bewirkt, dass der "Vollzug" des angefochtenen Verwaltungsaktes in einem umfassenden Sinn ausgesetzt, also seine Vollstreckbarkeit und die durch ihn bewirkte Gestaltung der Rechtslage, seine Tatbestandswirkungen und seine Bindungswirkungen zum Zwecke der Sicherung eines möglichen Erfolges der Beschwerde gemäß § 63 Abs. 1 VwGG suspendiert werden. Bis zur Entscheidung über die Beschwerde dürfen aus dem angefochtenen Verwaltungsakt jedenfalls keine für den Beschwerdeführer nachteiligen Rechtsfolgen gezogen werden; dies unabhängig davon, ob die Beschwerde - aus welchen Gründen immer - letztlich erfolglos bleibt oder zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 2004, Zl. 2002/06/0150 m.w.N.). Diese Wirkungen der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sind von allen Behörden in jeder Lage des Verfahrens zu berücksichtigen.

Zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides vom 14. August 2003 war der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes, mit dem der Beschwerde betreffend den Titelbescheid die aufschiebende Wirkung erteilt worden war, unbestritten wirksam erlassen. Damit waren seine Rechtswirkungen für die Dauer des diesbezüglichen Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof vorläufig ausgesetzt. Maßnahmen zur Vollstreckung des angefochtenen Bescheides waren daher rechtswidrig, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 25. April 2006

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte