VwGH 2003/01/0518

VwGH2003/01/051820.9.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 20. August 2003, Zl. FA7C-11/15153/2002-18, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §19;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
StbG 1985 §11;
AsylG 1997 §19;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
StbG 1985 §11;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,41 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß "§§ 10 und 11 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311/1985 i. d.g.F." ab.

Die belangte Behörde begründete dies damit, der Beschwerdeführer - ein türkischer Staatsangehöriger, der sich seit seiner Einreise am 4. Dezember 1991 ununterbrochen in Österreich befinde und seit 19. April 2000 über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG verfüge - habe sich von 6. Mai 1994 bis 18. April 2000 unrechtmäßig in Österreich aufgehalten; für diesen Zeitraum habe er über keinen Aufenthaltstitel verfügt. Die Auffassung des Beschwerdeführers, durch die zuerkannte vorläufige Aufenthaltsberechtigung sei sein gesamter Aufenthalt in Österreich nachträglich legalisiert worden, teile die Behörde nicht. Es sei nämlich sein Aufenthalt nur nachträglich - aber nicht rückwirkend - derart legalisiert worden, dass seine Ausweisung nicht (mehr) vollzogen werden könne; dies sei aus dem den Beschwerdeführer betreffenden Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes (vom 20. März 2001, Zl. 97/21/0356) zu folgern, wonach sein Aufenthalt zwischen dem rechtskräftigen Abschluss seines ersten Asylverfahrens und der Zuerkennung der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung auf Grund seines zweiten Asylverfahrens "illegal" gewesen sei. Für die Einbürgerungsvoraussetzungen des § 10 StbG bedeute dies, dass - selbst wenn von einer ununterbrochenen Hauptwohnsitz- bzw. ordentlichen Wohnsitzmeldung ausgegangen werde - der Aufenthalt des Beschwerdeführers vom 6. Mai 1994 bis 18. April 2000 unrechtmäßig gewesen sei und deshalb das Einbürgerungserfordernis gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 StbG ("mindestens zehn Jahre Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet") nicht als erwiesen angenommen werden könne. Hinsichtlich der Voraussetzung gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 StbG sei davon auszugehen, dass dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus Sicht der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukomme. Dieses öffentliche Interesse habe der Beschwerdeführer durch seinen unberechtigten Aufenthalt in der Dauer von beinahe sechs Jahren gravierend beeinträchtigt. Sein übriger Aufenthalt, soweit er rechtmäßig gewesen sei, werde dadurch in seinem Gewicht gemindert, dass er auf einen letztlich unberechtigten Asylantrag zurückzuführen sei; dies deshalb, weil "sowohl das 1. Asylverfahren des Antragstellers (damit gemeint ist der Beschwerdeführer) in allen Instanzen negativ als auch das 2. Asylverfahren, das derzeit beim Verwaltungsgerichtshof anhängig ist, bisher in allen Instanzen negativ war". Die Behörde könne daher nicht davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG erfülle, weil sein bisheriges Verhalten keine Gewähr dafür biete, dass er nicht in Zukunft in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen (nämlich die Einhaltung von Aufenthaltsbestimmungen) gefährde; dies deshalb, weil sein bisheriger Aufenthalt nur auf letztlich unberechtigte Asylanträge zurückzuführen sei. Nach dem "Aufenthaltsgesetz" sei nach negativem Abschluss des Asylverfahrens ein Antrag auf Bewilligung nach dem "Aufenthaltsgesetz" vom Ausland aus zu stellen. Derzeit sei für die Behörde eine positive Zukunftsprognose im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG nicht möglich. Aber selbst bei Vorliegen aller Einbürgerungsvoraussetzungen wäre vorliegend eine positive Ermessensentscheidung im Sinne des § 11 StbG "nicht denkbar", weil im Hinblick auf die Unerlaubtheit des Aufenthaltes das Ausmaß der Integration des Beschwerdeführers - welches durch eine tatsächliche Beschäftigung laut einem Versicherungsdatenauszug der Sozialversicherung vom 28. Juni 2000 bis laufend geprägt sei - gegenüber den dargestellten öffentlichen Interessen nicht als überwiegend anzusehen sei. Bei einem vorläufigen Aufenthaltsrecht gemäß § 19 AsylG, einem laufenden Asylverfahren, dessen Ausgang nicht feststehe und allein auf Grund der Dauer eines faktischen Aufenthaltes sei von einer "geglückten Integration" nicht auszugehen, die eine Verleihung der Staatsbürgerschaft rechtfertige.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde, zu der die belangte Behörde eine Gegenschrift erstattete, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Im Beschwerdefall waren die Bestimmungen des StbG 1985 in der Fassung vor der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005 (BGBl. I Nr. 37/2006) anzuwenden.

Die belangte Behörde erachtete die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 1 StbG allein deshalb für "nicht erwiesen", weil der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Zeitraum 6. Mai 1994 bis 18. April 2000 unrechtmäßig gewesen sei.

Diese dem Bescheid zu Grunde gelegte Rechtsauffassung ist unrichtig. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 7. Juni 2000, Zl. 98/01/0081, dargelegt hat, bedarf die Wohnsitzbegründung eines Fremden gegebenenfalls zwar einer besonderen Bewilligung, das bedeutet jedoch nicht, dass die Begründung des Hauptwohnsitzes bzw. seine Beibehaltung allein bei einem rechtmäßigen Aufenthalt möglich ist (vgl. ebenso das hg. Erkenntnis vom 10. April 2003, Zl. 2002/18/0292). Dass der Lauf der Wohnsitzfrist durch ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot unterbrochen worden wäre (vgl. § 15 Abs. 1 lit. a StbG), hat die belangte Behörde nicht festgestellt bzw. nicht angenommen.

Die im angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung, der Aufenthalt des Beschwerdeführers sei während des genannten Zeitraumes unrechtmäßig gewesen, ist daher nicht geeignet, die behördliche Annahme über das Vorliegen einer Unterbrechung der Wohnsitzfrist (während des festgestellten Zeitraumes) zu tragen (vgl. zum Verlust des Hauptwohnsitzes auch das hg. Erkenntnis vom 24. Juni 2003, Zl. 2002/01/0081).

Die belangte Behörde ging des Weiteren davon aus, dass im Fall des Beschwerdeführers das Einbürgerungshindernis des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG erfüllt sei, weil sein bisheriges Verhalten keine Gewähr dafür biete, "dass er nicht in Zukunft in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen (namentlich die Aufenthaltsbestimmungen) gefährdet", weshalb "derzeit eine positive Zukunftsprognose" im Sinne der zitierten Gesetzesstelle nicht möglich sei. Diese Sichtweise (die nicht berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer durch die Verleihung der Staatsbürgerschaft seinen Aufenthalt in Österreich dauerhaft legalisieren würde) entspricht aus den im hg. Erkenntnis vom heutigen Tag (20. September 2006), Zl. 2005/01/0699, angeführten Gründen, auf die gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, nicht der Rechtslage.

Insoweit die belangte Behörde (nach der weiteren Bescheidbegründung) das Ermessen gemäß § 11 StbG zu Lasten des Beschwerdeführers übte bzw. ein Integrationsdefizit annahm, weil er nur über ein vorläufiges Aufenthaltsrecht gemäß § 19 AsylG verfüge (und daher eine "geglückte Integration" nicht vorliege), entspricht diese Rechtsansicht - wie der Verwaltungsgerichtshof dargelegt hat - nicht dem Gesetz (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2004, Zl. 2002/01/0477, und die darin angegebene Judikatur).

Bei der Beurteilung nach § 11 StbG kommt es auf den Stand des Integrationsprozesses im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (das war vorliegend am 27. August 2003) an (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. August 2005, Zl. 2003/01/0152, und die darin angegebene Judikatur). Mit der Integration des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde sich jedoch nur unter dem Blickwinkel der Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes bzw. der Art seines Aufenthaltsrechts auseinandergesetzt. Sie erwähnte im Übrigen nur eine "tatsächliche Beschäftigung" laut einem näher bezeichneten Versicherungsdatenauszug. Weitergehende Feststellungen über die Integration und deren Ausmaß sind im angefochtenen Bescheid nicht erfolgt, weshalb die Ermessensübung der belangten Behörde unter dem von ihr allein herangezogenen Gesichtspunkt der "Integration" auch von daher nicht dem Gesetz entspricht.

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 20. September 2006

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