Normen
AVG §59 Abs1;
AVG §66 Abs4;
FSG 1997 §24 Abs1 Z1;
FSG 1997 §24 Abs3;
FSG 1997 §25 Abs3;
FSG 1997 §7 Abs1;
FSG 1997 §7 Abs2;
FSG 1997 §7 Abs4 Z3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §59 Abs1;
AVG §66 Abs4;
FSG 1997 §24 Abs1 Z1;
FSG 1997 §24 Abs3;
FSG 1997 §25 Abs3;
FSG 1997 §7 Abs1;
FSG 1997 §7 Abs2;
FSG 1997 §7 Abs4 Z3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer die Lenkberechtigung für die Klassen A und B für die Dauer von zwei Jahren, gerechnet ab 18. Jänner 2002 (dem Tag der Zustellung des erstinstanzlichen Mandatsbescheides vom 16. Jänner 2002), entzogen. Weiters wurde ihm die Absolvierung einer Nachschulung (Allgemeines Einstellungs- und Verhaltenstraining) vor Ablauf der Entziehungsdauer aufgetragen.
In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, auf Grund des rechtskräftigen Urteiles des Landesgerichtes St. Pölten vom 28. September 2001 stehe fest, dass der Beschwerdeführer am 12. Mai 2001 Beamte des Gendarmeriepostens N. an einer Amtshandlung, nämlich seiner Festnahme, mit Gewalt dadurch zu hindern versucht habe, dass er sie mit Händen und Füßen attackierte, um sich der Fixierung zu entziehen. Dabei habe er zwei der genannten Beamten, die Abschürfungen erlitten, vorsätzlich am Körper verletzt. Er habe dadurch das Vergehen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt gemäß §§ 15, 269 Abs. 1 erster Fall StGB und das Vergehen der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1 und 84 Abs. 2 Z. 4 StGB begangen. Über ihn sei eine Freiheitsstrafe von vier Monaten verhängt worden, die gemäß § 43 Abs. 1 StGB bedingt nachgesehen worden sei. Es liege somit eine bestimmte Tatsache gemäß § 7 Abs. 4 Z. 3 FSG vor, die die Verkehrsunzuverlässigkeit gemäß § 7 Abs. 1 leg. cit. indiziere. Das Wohlverhalten seit der Tat falle im Hinblick auf das durchgeführte Strafverfahren und das anhängige Verfahren zur Entziehung der Lenkberechtigung nicht entscheidend ins Gewicht. Die Wertung dieser strafbaren Handlungen führe zu dem Schluss, dass beim Beschwerdeführer ein erhöhtes Maß an Gewalttätigkeit und mangelndem Rechtsempfinden vorliege, was zur "Negierung der der Gesellschaft innewohnenden Interessen" führe. Die Verkehrszuverlässigkeit müsse daher verneint werden. Zur Abrundung des Persönlichkeitsbildes des Beschwerdeführers sei heranzuziehen, dass ihm mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom 14. August 1997 die Lenkberechtigung wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand für die Zeit vom 19. August 1997 bis 19. Februar 1998 entzogen worden sei. Weiters sei ihm mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom 21. Juli 1999 die Lenkberechtigung wegen "massiver Geschwindigkeitsübertretung" für die Dauer von zwei Wochen entzogen worden. Mit dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 8. Mai 1998 sei der Beschwerdeführer wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 und § 27 Abs. 1 und § 27 Abs. 1 und 2 Z. 1 und 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt worden. Mit dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 11. Februar 1999 sei über den Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 128 Abs. 1 Z. 4 und 129 Z. 1 StGB eine Zusatzstrafe von 120 Tagessätzen verhängt worden. Mit dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 29. Februar 2000 sei über den Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 2 StGB eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt worden. Der Beschwerdeführer weise laut Vorstrafenausdruck vom 15. Jänner 2002 zahlreiche Verwaltungsstrafen auf. Es stehe somit fest, dass der Beschwerdeführer nicht bereit sei, sich an gesetzliche Vorschriften zu halten. Es könne auch nicht erwartet werden, dass er aus einer neuerlichen Entziehung der Lenkberechtigung für eine relativ kurze Zeit in Zukunft die entsprechenden Konsequenzen ziehen werde. Es könne nicht angenommen werden, dass er vor Ablauf von zwei Jahren die Verkehrszuverlässigkeit wieder erlangen werde.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Für den Beschwerdefall sind folgende Bestimmungen des Führerscheingesetzes - FSG (in der von der belangten Behörde anzuwendenden Fassung vor der 5. FSG-Novelle BGBl. I Nr. 81/2002) maßgebend:
"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung
§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:
...
2. verkehrszuverlässig sind (§ 7),
...
Verkehrszuverlässigkeit
§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 5) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen die Verkehrssicherheit gefährden wird, insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr, Trunkenheit oder einen durch Suchtgift oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand.
(2) Als nicht verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 4) und ihrer Wertung (Abs. 5) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart sich weiterer schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird, die durch das Lenken von Kraftfahrzeugen erleichtert werden.
...
(4) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 2 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand
...
3. eine strafbare Handlung gegen Leib und Leben gemäß den §§ 75, 76, 84 bis 87 StGB oder wiederholt gemäß dem § 83 StGB begangen hat,
...
(5) Für die Wertung der in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend.
...
Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung Allgemeines
§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit
1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder
...
(3) Bei der Entziehung kann die Behörde auch zusätzlich begleitende Maßnahmen (Nachschulung oder Driver Improvement mit oder ohne Fahrprobe, Einstellungs- und Verhaltenstraining oder Aufbauseminar) anordnen. Sie hat eine Nachschulung anzuordnen, wenn die Entziehung in der Probezeit (§ 4) erfolgt.
...
Dauer der Entziehung
§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen.
...
(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen. Wurden begleitende Maßnahmen gemäß § 24 Abs. 3 angeordnet, so endet die Entziehungsdauer nicht vor Befolgung der Anordnung.
..."
Auf Grund der Bindung an das rechtskräftige Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 28. September 2001 hatte die belangte Behörde davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer die darin bezeichneten strafbaren Handlungen am 12. Mai 2001 begangen hat. Auf Grund des vom Beschwerdeführer begangenen Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ 83, 84 Abs. 2 Z. 4 StGB hat die belangte Behörde mit Recht das Vorliegen einer bestimmten Tatsache gemäß § 7 Abs. 4 Z. 3 FSG angenommen. Die belangte Behörde hat - im Einklang mit der hg. Rechtsprechung (siehe das hg. Erkenntnis vom 23. April 2002, Zl. 2001/11/0346, mwN) - zutreffend ausgeführt, dass die Zuordnung der in § 7 Abs. 4 Z. 3 FSG genannten strafbaren Handlungen gegen Leib und Leben zu jenen strafbaren Handlungen im Sinne des § 7 Abs. 2 FSG, die durch das Lenken von Kraftfahrzeugen erleichtert werden, verfehlt ist und die Begehung strafbarer Handlungen im Sinne des § 7 Abs. 4 Z. 3 FSG die Verkehrsunzuverlässigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 FSG indiziert.
Der angefochtene Bescheid erweist sich jedoch deshalb als rechtswidrig, weil die ihm zugrunde liegende Annahme, auf Grund der im Verhalten des Beschwerdeführers vom 12. Mai 2001 gelegenen bestimmten Tatsache und deren Wertung sei für die Zeit bis zum 18. Jänner 2004 anzunehmen, dass der Beschwerdeführer auf Grund seiner Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen die Verkehrssicherheit gefährden wird, verfehlt ist. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass dem Beschwerdeführer nach der Aktenlage am 15. Februar 2000 - nachdem die Lenkberechtigung zuvor bis 2. März 2000 befristet worden war - eine auf die Dauer von drei Jahren befristete Lenkberechtigung für die Klassen A und B erteilt wurde, wobei diese Befristung ihren Grund nach dem Gutachten des amtsärztlichen Sachverständigen vom 15. Februar 2000 ausschließlich in der in der Vergangenheit gelegenen Suchtgiftabhängigkeit des Beschwerdeführers hatte, weshalb halbjährliche Harnuntersuchungen für notwendig gehalten wurden. Den im angefochtenen Bescheid genannten Verurteilungen wegen des Verbrechens des Raubes und wegen des Verbrechens des schweren Diebstahles durch Einbruch liegen Straftaten zugrunde, die viele Jahre zurück liegen (der Raub wurde am 4. April 1996 begangen, weshalb die ausgesprochene Freiheitsstrafe als Zusatzstrafe verhängt wurde; die Diebstähle wurden in der Zeit von 1991 bis 1997 begangen). Diese strafbaren Handlungen durfte die belangte Behörde zwar im Rahmen der Wertung berücksichtigen, doch fallen sie deshalb nicht entscheidend zum Nachteil des Beschwerdeführers ins Gewicht, weil sie viele Jahre vor der nunmehr verfügten Entziehung der Lenkberechtigung, die Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist, begangen wurden und zudem aus ihnen nicht auf die von der belangten Behörde angenommene Sinnesart gemäß § 7 Abs. 1 FSG geschlossen werden kann.
Der Hinweis der belangten Behörde auf zahlreiche Verwaltungsstrafen lässt nicht erkennen, welche strafbaren Handlungen die belangte Behörde im Rahmen der Wertung der bestimmten Tatsache und der Prognose über den Zeitpunkt der Wiedererlangung der Verkehrszuverlässigkeit für maßgebend angesehen hat. Die im vorgelegten Verwaltungsakt befindlichen Ausdrucke betreffend Verwaltungsstrafen beinhalten - mit einer Ausnahme - durchwegs Verwaltungsstrafverfahren, die schon vor der Erteilung der Lenkberechtigung am 15. Februar 2000 abgeschlossen waren. Bei einer Verwaltungsstrafe wegen der Übertretung des § 82 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz wird das Datum 5. Juli 2001 angeführt. Aus der Aktenlage ist nicht ersichtlich, ob diese Bestrafung mit dem strafbaren Verhalten des Beschwerdeführers vom 12. Mai 2001 in Zusammenhang steht. Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, würde eine derartige Übertretung im Rahmen der Prognose über den Zeitpunkt der Wiedererlangung der Verkehrszuverlässigkeit nicht derart schwer ins Gewicht fallen, dass beim Beschwerdeführer die Verkehrszuverlässigkeit gemäß § 7 Abs. 1 FSG bis Jänner 2004 verneint werden müsste.
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die von der belangten Behörde festgesetzte Entziehungsdauer bei weitem überhöht ist und die belangte Behörde mit einer wesentlich kürzeren Dauer hätte das Auslangen finden können. Da der Ausspruch über die Dauer der Entziehung von jenem über die Entziehung der Lenkberechtigung nicht trennbar ist (vgl. dazu die zur gleichartigen Rechtslage nach § 73 KFG 1967 ergangenen hg. Erkenntnisse vom 28. November 1983, Slg. Nr. 11.237, und vom 6. August 1996, Zl. 96/11/0105), war die verfügte Entziehung der Lenkberechtigung zur Gänze aufzuheben.
Der Beschwerdeführer hat zwar die Anordnung der Nachschulung nicht angefochten, doch war auch dieser Teil des angefochtenen Bescheides aufzuheben, weil die Anordnung der Nachschulung gemäß § 24 Abs. 3 FSG eine Entziehung der Lenkberechtigung voraussetzt und mit der Aufhebung der Entziehung demnach die Grundlage für die Anordnung der Nachschulung fehlt.
Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 29. April 2003
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