VwGH 2002/01/0497

VwGH2002/01/04979.9.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des J in G, geboren 1968, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 21. Oktober 2002, Zl. 231.769/0-XI/38/02, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §28;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §28;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein der albanischen Volksgruppe angehörender Staatsangehöriger der (ehemaligen) Bundesrepublik Jugoslawien aus dem Kosovo, reiste am 12. September 2002 in das Bundesgebiet ein und beantragte in der Folge die Gewährung von Asyl. Diesen Antrag begründete er bei seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt im Wesentlichen wie folgt:

"Ich lege als Beweismittel vor: einen Zeitungsartikel aus der Zeitung 'Bota Sot' vom 18.9.2002: Zwei Brüder meiner Mutter wurden am 11.9.2002 umgebracht. Eine Person wurde verletzt.

...

Frage: Gehören Sie einer der im Kosovo vertretenen Minderheiten an?

Antwort: Nein, ich bin Kosovo-Albaner. Ich gehöre zu keiner Minderheit.

Frage: Aus welchen Gründen haben Sie Ihre Heimat den Kosovo verlassen?

Antwort: Unser Haus wurde von unbekannten Personen zwei Mal in der Nacht unter Beschuss genommen. Das war Anfang August 2002, sowie das 2. Mal ca Mitte August. Diese unbekannten Personen sind auch bei mir zu Hause und haben auch nach mir gefragt. Das war etwa um den 16. oder 17. August 2002. Daraufhin habe ich beschlossen, Kosovo zu verlassen, und bin am 2.9.2002 von zuhause weg.

Frage: Was sind das für Personen, zu welcher Gruppe gehören diese? Was wollen diese?

Antwort: Ich kenne sie nicht, ich weiß es nicht, was diese wollen. Vielleicht sind es die, die meine Verwandten am 11.9.2002 getötet haben. Die KFOR war nach dem Anschlag auf meine Verwandten am Tatort im Dorf Uca (Bezirk Skeneraj oder Bezirk Istog) dort und hat alles aufgenommen. Man fahndet nach den Tätern, aber es gibt keine konkreten Spuren oder Hinweise. Man weiß nur, dass es automatische Waffen waren, die verwendet worden sind. Ich selbst habe nie etwas getan und weiß daher nicht, weshalb man gerade nach mir suchen könnte. Auch meine Verwandten sind für mich ohne Grund getötet worden, das sind arme Bauern. Ich wüsste keinen Grund, weshalb man sie töten sollte. Als Beweis dafür lege ich den Zeitungsbericht vor. Er zeigt Bilder vom Begräbnis und am obersten Bild ist links der verletzte U. H. zu sehen. Das ist der Bruder meiner Mutter.

Frage: In diesem Artikel vermutet der Journalist, dass serbische Paramilitärs der Tat verdächtigt werden, aber etwas Genaueres nicht gesagt werden kann.

Antwort: Ich kann dazu auch nichts Näheres sagen. Diese Leute sind in Zivil. Bei mir zuhause hat vorige Woche jemand nach mir gefragt. Es hat jemand in der Nacht an die Tür geklopft, meine Frau und meine Kinder trauten sich nicht aufzumachen. Bei Nachbarn haben diese zwei Männer dann nach meinem Aufenthalt gefragt. Diese Männer sprachen albanisch, aber es ist nicht sicher, dass es Albaner waren. Der Pkw wurde oben in den Hügeln geparkt. Das hat mir meine Frau gestern telefonisch mitgeteilt. Ich sagte ihr, sie soll das Haus verlassen.

Frage: Was vermuten Sie als Hintergrund für diese Bedrohung?

Antwort: Ich weiß es nicht, ich habe nur Zeitungen verkauft. Es könnten Räuber sein.

Frage: Liegen neben diesen noch andere Gründe für Ihren

Asylantrag vor?

Antwort: Nein, sonst hatte ich keine Probleme.

Frage: Hatten Sie im Kosovo in irgendeiner anderen Form Probleme, durch eine Organisation, oder auch durch Einzelpersonen, bzw. waren Sie irgendwelchen Übergriffen ausgesetzt?

Antwort: Nein, aber ich mache mir Sorgen um meine Frau und meine Kinder. Ich hatte gute Beziehungen zu den UNMIK-Polizisten, diese Station ist aber 50 km von mir zuhause entfernt. Dort, wo ich lebe, ist es sehr einsam, in den Bergen, es stehen höchstens 3 - 4 Häuser zusammen. Ich bin Bauer und habe zur Zeit nur eine Kuh.

VORHALT: Es ist allgemein bekannt, dass Kriminalität hoch und die wirtschaftliche Situation im Kosovo derzeit schlecht ist. Die Versorgungslage ist jedoch als gesichert zu bezeichnen. Internationale Kräfte gewähren Schutz und eine Existenzbedrohung liegt nicht vor. Antwort: Dazu gebe ich an: Die KFOR-Truppen sind erst 24 Stunden nach dem Vorfall in Uca zum Tatort gekommen. Wir sind sehr weit abgelegen und wir haben keinen Pkw.

Frage: Weshalb ziehen Sie nicht in andere Bereiche Kosovos, die als sicher zu bezeichnen sind?

Antwort: Von was soll ich dort leben, ich habe dort kein Land zu bearbeiten.

F: Gibt es konkrete Hinweise, dass Ihnen bei Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohen? Hätten Sie im Falle Ihrer Rückkehr in den Kosovo mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen?

Antwort: Wer sollte mir etwas antun. Ich fürchte mich nur vor diesen Kriminellen."

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.); außerdem stellte sie gemäß § 8 AsylG iVm § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Bundesrepublik Jugoslawien, autonome Provinz Kosovo, zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Die belangte Behörde traf zunächst Feststellungen "Zur allgemeinen Situation im Kosovo". In deren Rahmen führte sie ua. zum Punkt "Allgemeine Sicherheitslage" aus, dass im Kosovo weiterhin eine Atmosphäre der (teilweisen) Gesetzlosigkeit und Gewaltbereitschaft, aber keine systematische Gewalt herrsche. Bezüglich des oben wiedergegebenen Vorbringens des Beschwerdeführers traf die belangte Behörde - anders als das Bundesasylamt, das diese Angaben ausdrücklich für glaubwürdig erachtet hatte - keine Feststellungen. Das sei nicht erforderlich, weil diesem Vorbringen keine Asylrelevanz zukomme. Den Behauptungen über Übergriffe durch Unbekannte mit unbekannten Motiven, wobei es sich nach den Vermutungen des Beschwerdeführers möglicherweise um Räuber gehandelt habe, sei kein Anknüpfungspunkt zu einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv genannten Gründe zu entnehmen; der Beschwerdeführer habe bezüglich dieser von Privatpersonen ausgehenden Verfolgung selbst die Vermutung geäußert, es könnte sich bei den Tätern vielleicht um Räuber handeln, bei einer Rückkehr in den Kosovo fürchte er sich jedenfalls nur vor diesen Kriminellen. Überdies wäre es dem Beschwerdeführer - dessen Haus seinen Angaben zufolge in einer sehr einsamen Gegend stehe, daher würde es sehr lange dauern, bis Hilfe bei einem allfälligen Überfall eintreffen würde - möglich, in einem anderen, dichter besiedelten Teil des Kosovo Zuflucht zu finden. Wenn er darauf hingewiesen habe, in einem anderen Teil des Kosovo kein Land zu besitzen, sodass er nicht wisse, wovon er dort leben solle, so lege er damit nicht dar, dass ihm in einem anderen Teil des Kosovo mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung durch die ihm unbekannten Personen mit ihm unbekannten Motiven drohen würde, weshalb - unbeschadet des Nichtvorliegens einer asylrelevanten Verfolgung - vom Vorliegen einer "inländischen Fluchtalternative" in einem anderen Teil der autonomen Provinz Kosovo auszugehen sei. Die Gewährung von Asyl komme daher nicht in Betracht, im Hinblick auf die bestehende "inländische Fluchtalternative" sei auch nicht von einer Gefährdung iS des § 57 FrG auszugehen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde hat die Gewährung von Asyl zunächst mit dem Argument versagt, dass das vom Beschwerdeführer geltend gemachte Bedrohungsszenario keine Verbindung zu einem Konventionsgrund erkennen lasse. Dabei ging die belangte Behörde erkennbar von der Überlegung aus, dass der Beschwerdeführer nicht anzugeben vermocht hatte, wer die von ihm geschilderten Verfolgungshandlungen begangen habe bzw. welche Motive hinter diesen Handlungen steckten; gemäß seinen Angaben könnten es "Räuber" sein, er fürchte sich "nur vor diesen Kriminellen".

Bei rechtsrichtiger Betrachtungsweise hätte sich die belangte Behörde nicht darauf zurückziehen dürfen, dass der Beschwerdeführer im eben dargestellten Sinn keine näheren Auskünfte geben konnte. Wie der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen hat, ist die Frage nach dem in Betracht kommenden Konventionsgrund nicht immer ausschließlich auf Basis des Vorbringens des Asylwerbers zu beantworten. Nach den Umständen des Falles können zur Abklärung des Sachverhaltes zusätzliche Ermittlungen geboten sein (vgl. - wenn auch in anderem Zusammenhang - das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2002, Zl. 99/20/0509; siehe auch die Ausführungen im UNHCR-Handbuch unter Abs. 66 f). Im vorliegenden Fall gab der Beschwerdeführer zwar an, dass die ihm nachstellenden Personen "Räuber" sein könnten. Seinem Vorbringen ist indes nichts zu entnehmen, was auf einen "normalen" kriminellen Hintergrund, etwa auf ein beabsichtigtes Vermögensdelikt, hindeutet. Will man den zielgerichteten Aktionen gegen die Person des Beschwerdeführers - gemäß seinen Behauptungen wurde sein Haus zweimal beschossen und wurde zweimal nach ihm gefragt - nicht "Grundlosigkeit" (im Sinn eines völlig planlosen Vorgehens) unterstellen, so müssen daher andere Motive in Betracht gezogen werden. Dabei wäre angesichts der amtsbekannten Umstände im Kosovo (interethnische und politische Spannungen einerseits, hohe Gewaltbereitschaft andererseits; siehe dazu auch die Feststellungen der belangten Behörde "Zur allgemeinen Situation im Kosovo") durchaus auch an Umstände zu denken, denen unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens eines Konventionsgrundes Bedeutung beizumessen wäre. Dies umso mehr, als neben dem Beschwerdeführer selbst gemäß seinen Angaben auch andere Familienmitglieder Opfer von - tödlich verlaufenen - Angriffshandlungen geworden sind, ohne dass dafür ein rein krimineller Hintergrund ersichtlich wäre. Nicht zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass in dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Zeitungsartikel, in dem über die Tötung seiner Familienangehörigen berichtet wird, die Vermutung aufgestellt worden ist, dass serbische Paramilitärs der Tat verdächtigt würden.

Nach dem Gesagten hätte die belangte Behörde vor Verneinung des Vorliegens eines Konventionsgrundes nähere Ermittlungen über im Kosovo, insbesondere in der Heimatregion des Beschwerdeführers (Skenderaj), anzutreffende Verfolgungsmuster mit möglicherweise asylrechtlich relevantem Hintergrund anzustellen gehabt. Zur Klarstellung sei festgehalten, dass dies selbstverständlich nicht die Pflicht inkludiert, gleich einer Strafverfolgungsbehörde die Nachstellungen gegenüber dem Beschwerdeführer selbst oder die Ermordung seiner beiden Onkel aufzuklären. Ergäben allerdings weitere Ermittlungen, dass Bedrohungsmuster in der vom Beschwerdeführer geschilderten Form ein bekanntes Phänomen darstellen und in dem einen oder anderen Fall auf einem Konventionsgrund beruhen, so ließe sich allein aus der nicht näher eruierbaren Situation des Beschwerdeführers nicht der Standpunkt vertreten, ein Anknüpfungspunkt zu einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der FlKonv genannten Gründe sei nicht zu erkennen.

Im Hinblick auf das eben Ausgeführte kommt es entscheidungswesentlich auf das zweite - den Ausspruch nach § 8 AsylG allein tragende - Argument der belangten Behörde an, dem Beschwerdeführer stehe in einem dichter besiedelten Teil des Kosovo, außerhalb seiner Heimatregion, eine interne Schutzalternative offen. Dieses Argument fußt darauf, der Beschwerdeführer habe nicht dargetan, dass ihm in einem anderen Teil des Kosovo mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die von ihm dargestellte Verfolgung drohen würde.

Die von der belangten Behörde zur internen Schutzalternative angestellten Überlegungen vermögen ihre Entscheidung schon deshalb nicht zu tragen, weil nicht konkret ausgeführt wird, wo der Beschwerdeführer tatsächlich Schutz vor der von ihm geltend gemachten Bedrohung finden könnte. Dass er seinerseits auf die Frage, weshalb er nicht in andere Bereiche des Kosovo ziehe, die als sicher zu bezeichnen seien, nur antwortete, er habe dort kein Land zu bearbeiten, wovon solle er dort leben, gestattete es der belangten Behörde nicht, ohne Weiteres das (abstrakte) Vorhandensein derartiger "sicherer Bereiche" (dichter besiedelter Teile des Kosovo ohne Verfolgungsgefahr) zu unterstellen. Wenn die belangte Behörde argumentiert, der Beschwerdeführer habe nicht dargetan, dass ihm in einem anderen Teil des Kosovo mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung drohen würde, so verkennt sie, dass es - dem "Ausschlusscharakter" der internen Schutzalternative entsprechend - Sache der Behörde sein muss, die Existenz einer internen Schutzalternative aufzuzeigen und nicht umgekehrt Sache des Asylwerbers, die Annahme einer theoretisch möglichen derartigen Alternative zu widerlegen (vgl. dazu das UNHCR-Arbeitspapier von Hathaway/Foster, Internal Protection/Relocation/Flight Alternative as an Aspect of Refugee Status Determination (2001), 49).

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die belangte Behörde in zweierlei Hinsicht die Rechtslage verkannte. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Wien, am 9. September 2003

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