VwGH 2001/20/0303

VwGH2001/20/030317.9.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des O in W, geboren 1970, vertreten durch Dr. Hanno Preissecker, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Habsburgergasse 5, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 2. Februar 2001, Zl. 219.933/0-III/07/00, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am 19. Juni 2000 in das Bundesgebiet ein und stellte am 21. Juni 2000 einen Asylantrag. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 18. Juli 2000 gab er an, er sei seit 1997 Mitglied des OPC (Oodua People's Congress), dessen Ziele gegen die nigerianische Regierung gerichtet seien; der OPC kämpfe für die Autonomie der Volksgruppe der Yoruba, während die nigerianische Regierung von der Volksgruppe der Haussa dominiert werde. Zum Grund für das Verlassen seines Herkunftsstaates befragt, gab der Beschwerdeführer an:

"A(ntwort): Am 25./26. November 1999 gab es einen Aufstand bzw. eine Auseinandersetzung und Unruhen zwischen Yoruba und Haussa, die sich auf dem Keto-Markt in Lagos zutrugen. OPC-Leute mischten sich in diese Auseinandersetzung ein, da sie ... für die Rechte der Yoruba eintreten. Der Keto-Markt wird von den Haussa kontrolliert und die Yoruba wollten den Markt mit Recht zurück haben. Auf Grund dieser Auseinandersetzungen gab die Regierung, die sich aus Haussa-Leuten zusammensetzt, den Befehl ..., dass OPC-Mitglieder verhaftet und erschossen werden sollen. Deswegen ergriff ich die Flucht.

F(rage): Weshalb gab die Regierung diesen Befehl?

A: Die Keto-Unruhen waren sehr große Unruhen und die Regierung machte die OPC dafür verantwortlich. Es starben auch sehr viele Menschen.

F: Wie gingen diese Auseinandersetzungen vor sich?

A: Haussas haben Zugang zu den Waffenlagern der Regierung und

haben Schusswaffen bei den Auseinandersetzungen verwendet und damit Personen verletzt bzw. getötet. Wir selbst hatten Messer und sonstige Dinge, deren wir habhaft werden konnten. Wir warfen Steine oder auch Gegenstände. Wir steckten ein paar Marktbuden in Brand. Es starben Leute beiderseits, d.h. es wurden Leute beider Seiten umgebracht. ...

F: Was genau taten Sie während dieser Unruhen?

A: Ich kämpfte als OPC-Mitglied, ich warf mit Flaschen, aber

ich brachte niemanden um. Ich warf auch mit Molotowcocktails und zerstörte fremdes Eigentum. Ich wurde bei diesen Auseinandersetzungen auch an meinem linken Unterarm verletzt, wovon auch die von mir angegebene Narbe stammt.

F: Wie wurden diese Unruhen aufgelöst ... ?

A: Wir flüchteten, als die Polizei mit Panzerwägen anrückte. ...

F: Was geschah, nachdem Sie davongelaufen waren?

A: Ich konnte auf Grund der Vorfälle nicht mehr nach Hause

zurück und versteckte mich in der Grenzstadt Badagry. Ich dachte erst, dass auch die Folgen dieser Unruhen nicht so schwerwiegend sein würden, jedoch gab die Regierung noch am 26.11.1999 den Beschluss heraus, dass alle OPC-Mitglieder verhaftet und erschossen werden sollten. Daher konnte ich nicht nach Hause zurück ...

F: Besteht ein Haftbefehl gegen Sie in Nigeria?

A: Ja, gegen OPC-Mitglieder.

F: Gegen Sie persönlich, ein Haftbefehl mit Ihrem Namen darauf?

A: Das weiß ich nicht, weil ich davongelaufen bin. ... So

lange die jetzige Regierung in Nigeria an der Macht ist, bin ich dort nicht sicher."

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 6. November 2000 den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte fest, dass dessen Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria zulässig sei. Es ging davon aus, dass der Beschwerdeführer im November 1999 an ethnisch motivierten gewalttätigen Auseinandersetzungen teilgenommen und in der Folge Nigeria verlassen habe, "ohne polizeilichen Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen zu sein bzw. diese wahrgenommen zu haben". Weiters traf das Bundesasylamt Feststellungen darüber, dass es Ende November 1999 bei dem vom Beschwerdeführer genannten Markt zu blutigen Zusammenstößen zwischen Angehörigen der Haussa und der Yoruba gekommen sei, dass es auch in der Folge zahlreiche gewaltsame Ausschreitungen unter Beteiligung des OPC gegeben habe und seitens der nigerianischen Regierung gegen die Verantwortlichen der Gewaltausbrüche vorgegangen werde. Die Abweisung des Asylantrages begründete das Bundesasylamt damit, dass das staatliche Vorgehen nicht aus asylrelevanten Gründen, sondern wegen des Verdachtes krimineller Handlungen erfolgt sei.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung des Beschwerdeführers erging nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung der nunmehr angefochtene Bescheid der belangten Behörde. Die belangte Behörde bestätigte die den Asylantrag gemäß § 7 AsylG abweisende Entscheidung des Bundesasylamtes, stellte jedoch fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria gemäß § 8 AsylG iVm § 57 Abs. 1 FrG nicht zulässig sei. Ihrer Entscheidung legte die belangte Behörde zugrunde, dass der Beschwerdeführer als Mitglied des OPC an den Unruhen vom 25. November 1999 beteiligt gewesen sei, dort mit Molotowcocktails geworfen und fremdes Eigentum zerstört habe. Weiters stellte die belangte Behörde fest, dass vom Präsidenten Nigerias im November 1999 angeordnet worden sei, "jede Person, die sich selbst als Mitglied des OPC bezeichne, zu verhaften und bei Widerstand gegen die Verhaftung auf der Stelle zu erschießen". Die gewalttätigen Ausschreitungen hätten in der Folge angedauert, wobei es im Zuge des Einsatzes der Sicherheitskräfte immer wieder zu "exzessiver Gewaltanwendung" gekommen sei. Den von der belangten Behörde übernommenen Feststellungen des Bundesasylamtes und jenen der belangten Behörde ist zu entnehmen, dass es im Jänner und im Oktober 2000 zur Verhaftung von Anführern und zahlreichen mutmaßlichen Mitgliedern des OPC gekommen ist. Weiters stellte die belangte Behörde fest, dass "staatliche Repressalien gegenüber bestimmten Personen allein wegen ihrer politischen Überzeugung, Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" seit der Machtübernahme durch die jetzige Zivilregierung nicht mehr zu beobachten seien. Die belangte Behörde folgerte rechtlich, die Verfolgung von OPC-Mitgliedern (und anderen gewaltbereiten Bewegungen) erfolge nicht deshalb, um die Mitglieder wegen ihrer politischen Gesinnung zu treffen, sondern allein deshalb, um die von diesen Bewegungen ausgehenden Gewaltexzesse einzudämmen bzw. hintanzuhalten. Das politische Ziel des OPC (Schaffung eines eigenen Yoruba-Staates) trete beim staatlichen Vorgehen gegen OPC-Mitglieder "völlig in den Hintergrund, da das den Maßnahmen zugrunde liegende Motiv der Sicherheitskräfte ist, Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten bzw. wiederherzustellen". Die Gewährung von Refoulement-Schutz begründetet die belangte Behörde damit, dass gegen OPC-Mitglieder seitens der staatlichen Behörden mit massiver Gewalt vorgegangen werde und deren rigorose Verhaftung sowie deren sofortige Erschießung für den Fall, dass sie sich der Verhaftung entziehen sollten, angeordnet worden sei, sodass eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit bestehe, dass der Beschwerdeführer im Zuge von Gewaltexzessen unmenschlich behandelt oder getötet werde.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung droht (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der FlKonv genannten Endigungs- oder Ausschließungsgründe vorliegt. Flüchtling im Sinne der FlKonv ist gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 dieser Konvention, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Flüchtling ist auch, wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Die belangte Behörde hat die Flüchtlingseigenschaft im Ergebnis mit der Begründung verneint, dem Beschwerdeführer drohe in seinem Heimatstaat eine nicht asylrelevante Strafverfolgung und dies damit begründet, dass die Verfolgung von OPC-Mitgliedern durch die staatlichen Behörden nicht erfolge, um die Mitglieder wegen ihrer politischen Gesinnung zu treffen, sondern allein deshalb, um die von dieser Bewegung ausgehenden Gewaltexzesse einzudämmen bzw. hintanzuhalten.

Diese Argumentation der belangten Behörde greift bei der Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdeführer aus asylrelevanten politischen und/oder ethnischen Gründen Verfolgung zu befürchten hat, allerdings zu kurz. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, reicht es für die Annahme einer asylrechtlich relevanten Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung aus, dass eine staatsfeindliche politische Gesinnung zumindest unterstellt wird und die Aussicht auf ein faires staatliches Verfahren zur Entkräftung dieser Unterstellung nicht zu erwarten ist (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 30. September 1997, 96/01/0871, und vom 12. September 2002, Zl. 2001/20/0310), oder dass die Strafe für ein im Zusammenhang mit einem ethnischen oder politischen Konflikt stehendes Delikt so unverhältnismäßig hoch festgelegt wird, dass die Strafe nicht mehr als Maßnahme einzustufen wäre, die dem Schutz legitimer Interessen des Staates dient (vgl. in diesem Sinne etwa die Erkenntnisse vom 16. September 1999, Zl. 98/20/0543, und vom heutigen Tag, Zl. 99/20/0126, mit weiteren Nachweisen).

Im Hinblick darauf, dass die belangte Behörde festgestellt hat, dass im Falle einer Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit bestehe, dass dieser von staatlichen Ordnungskräften im Zuge von Gewaltexzessen unmenschlich behandelt oder getötet werde - was auch zur Gewährung von Abschiebungsschutz geführt hat - hätte die Abweisung des Asylantrages wegen des Fehlens asylrelevanter Verfolgung die Feststellung vorausgesetzt, dass im Falle der Verhaftung des Beschwerdeführers durch ein faires staatliches Verfahren sichergestellt würde, dass dieser nicht nur wegen seiner Mitgliedschaft im OPC, sondern ausschließlich wegen der von ihm begangenen strafbaren Handlungen bestraft würde, und die ihm drohende Strafe nicht so unverhältnismäßig hoch festgelegt würde, dass sie nicht mehr als Maßnahme einzustufen wäre, die dem Schutz legitimer Interessen des Staates dient.

In der Beschwerde wird zutreffend darauf hingewiesen, dass ein maßgeblicher Teil der von der belangten Behörde als Grund für das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Mitglieder des OPC angeführten Unruhen sich erst im Jahr 2000, als der Beschwerdeführer Nigeria bereits verlassen hatte, ereignete. Weiters wird in der Beschwerde auf Berichte hingewiesen, aufgrund deren nicht auszuschließen ist, dass der OPC vom nigerianischen Präsidenten für die ethnischen Zusammenstöße verantwortlich gemacht wurde, obwohl keine ausreichenden Hinweise auf eine führende Rolle des OPC vorhanden waren, dass "wahllose Verhaftungen" im Zusammenhang mit der Suche nach OPC-Mitgliedern erfolgten, und diese Organisation von der Regierung zum Sündenbock für jeden Aufruhr in der Bevölkerung gestempelt werde, ohne die jeweiligen Ursachen und Indizien eingehend zu prüfen. Weiters wird in der Beschwerde geltend gemacht, dass der Beschwerdeführer nicht dem "militanten Flügel" des OPC angehört habe. Die erwähnten Berichte legen einerseits nahe, dass es im Hinblick auf die staatliche Verfolgung von Mitgliedern des OPC einen fließenden Übergang zwischen politisch motivierten Sanktionen und Strafverfolgung bzw. Verbrechensbekämpfung gibt und dass es andererseits nicht unwahrscheinlich ist, dass Mitglieder der betreffenden Gruppierung einer wahllosen und rechtsstaatlichen Grundsätzen keineswegs entsprechenden Strafverfolgung ausgesetzt sind.

Die belangte Behörde hat hingegen allein aus ihrer Feststellung, dass die Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der öffentlichen Ruhe und Ordnung das maßgebliche Motiv für das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Mitglieder des OPC sei, abgeleitet, dass ein asylrelevanter Fluchtgrund beim Beschwerdeführer ausscheide, ohne weitere Ermittlungen durchzuführen, die eine Klärung der oben erwähnten Umstände ermöglicht hätten. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass dem Beschwerdeführer eine in ihrer konkreten Ausformung als Verfolgung im Sinne der FlKonv (aus politischen und/oder ethnischen Gründen) anzusehende Strafverfolgung wegen seiner Zugehörigkeit zu der (aufgrund der von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen durchaus politische Ziele verfolgenden) Yoruba-Organisation droht, hätte die belangte Behörde weitere Ermittlungen über die dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr drohenden Folgen vornehmen und dazu Feststellungen treffen müssen. Diese wären rechtlich dahin zu prüfen gewesen, ob sie eine asylrelevante Verfolgung oder - wovon die belangte Behörde bisher ausgegangen ist - eine legitime Strafverfolgung darstellen.

Da der Sachverhalt somit in einem wesentlichen Punkt der Ergänzung bedarf, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 17. September 2003

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