VwGH 2001/18/0228

VwGH2001/18/022827.11.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Bazil, über die Beschwerde der S N in Wien, geboren am 10. April 1968, vertreten durch Dr. Romana Zeh-Gindl, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Franz Josefs-Kai 5/10, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 2. Oktober 2001, Zl. SD 826/01, betreffend die Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Angelegenheit einer Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §10 Abs2;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
AVG §10 Abs2;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Die Bundespolizeidirektion Wien (die erstinstanzliche Behörde) wies mit Bescheid vom 16. März 2001 die Beschwerdeführerin, eine jugoslawische Staatsangehörige, gemäß § 34 Abs. 1 Z. 2 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, aus

2. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 2. Oktober 2001 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen ihre Ausweisung gemäß § 71 Abs. 1 AVG abgewiesen.

Der Bescheid vom 16. März 2001, mit dem die Ausweisung der Beschwerdeführerin verfügt worden sei, sei ihrem rechtsfreundlichen Vertreter in dessen Kanzlei am 29. März 2001 ordnungsgemäß zugestellt worden. Die zweiwöchige, in der Rechtsmittelbelehrung des Bescheides richtig wiedergegebene Berufungsfrist sei ungenützt verstrichen.

Mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist vom 10. Mai 2001 habe die Beschwerdeführerin geltend gemacht, es hätte nach Zustellung des Ausweisungsbescheides zwischen ihrem rechtsfreundlichen Vertreter und ihr Verständigungsschwierigkeiten gegeben, man hätte aneinander vorbei geredet. Die Beschwerdeführerin wäre von ihrem Rechtsanwalt ersucht worden, einen Geldbetrag zu erlegen, den sie auch bezahlt hätte. Sie hätte daher angenommen, dass auch Berufung erhoben werden würde. Am 23. April 2001 hätte die Beschwerdeführerin eine neue rechtsfreundliche Vertreterin aufgesucht; in weiterer Folge hätte sich ergeben, dass der frühere Rechtsbeistand die Einbringung einer Berufung unterlassen hätte. Der von der Beschwerdeführerin gezahlte Geldbetrag wäre für offene Gebühren, nicht jedoch ein Akonto für die Erhebung der Berufung gewesen. In der vorliegenden Berufung wende die Beschwerdeführerin ergänzend ein, dass sie an der Versäumung der Berufungsfrist ebensowenig ein Verschulden träfe wie an einer anderweitigen Verbuchung des noch innerhalb der Berufungsfrist erlegten Akontobetrages.

Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG sei gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleide, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft mache, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert gewesen sei, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen, und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens treffe.

Als Ereignis im Sinn des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG sei jedes Geschehen ohne jede Beschränkung auf Vorgänge in der Außenwelt anzusehen. Ein Ereignis sei dann unabwendbar, wenn es durch einen Durchschnittsmenschen objektiv nicht habe verhindert werden können. Es sei als unvorhergesehen zu werten, wenn es die Partei tatsächlich nicht einberechnet habe und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht habe erwartet werden können. Bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist treffe das Verschulden des Parteienvertreters die Partei. § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG beziehe sich in seinem unmittelbaren Anwendungsbereich auf die Partei, in dem sich aus § 12 AVG ergebenden Anwendungsbereich auf die von einer Partei bevollmächtigten Personen. Dass der rechtsfreundliche Vertreter der Beschwerdeführerin durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der fristgerechten Einbringung einer Berufung gehindert gewesen wäre, sei nicht geltend gemacht worden. Dieser Rechtsanwalt hätte jedenfalls vorsorglich Berufung erheben müssen, sodass die Beschwerdeführerin - da der Klient grundsätzlich für die Handlungen und Unterlassungen seines anwaltlichen Vertreters einzustehen habe - die Folgen dieser Unterlassung zu tragen habe.

Auch widerspreche die Vorgangsweise des Anwaltes, die Erhebung der Berufung (offenbar) von einem Honorarvorschuss abhängig zu machen, der Bestimmung des § 11 Abs. 1 RAO, insbesondere aber auch § 11 Abs. 2 leg. cit., wonach der Rechtsanwalt gehalten sei, seine Partei noch durch 14 Tage, von der Zustellung des Bescheides an gerechnet, insoweit zu vertreten als nötig, um diese vor Rechtsnachteilen zu schützen. Sollte daher - solches sei aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin erkennbar -

das Einbringen einer Berufung von einer Akontozahlung abhängig gemacht worden sein, stelle dies eine Verkennung rechtsanwaltlicher Standespflichten und daher eine sowohl vorhersehbare als auch abwendbare Ursache für die Versäumung der Berufungsfrist dar.

Da sohin die Voraussetzungen zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gegeben gewesen seien, sei der Berufung keine Folge zu geben gewesen, ohne dass auf die Auswirkungen der Ausweisung auf das Familienleben der Beschwerdeführerin Bedacht zu nehmen gewesen wäre.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, der Sache nach Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, diesen aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die vorliegende Beschwerde zieht die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen über den Zeitpunkt der Zustellung des Ausweisungsbescheides und über das Verstreichen der Berufungsfrist nicht in Zweifel, sodass die Rechtsansicht der belangten Behörde, die Frist zur Erhebung einer Berufung gegen den Ausweisungs-Bescheid sei versäumt worden, keinen Bedenken begegnet. Somit ist die wesentliche Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Wiedereinsetzungsantrages erfüllt (vgl. § 71 Abs. 1 AVG).

2.1. Die Beschwerde wendet gegen den angefochtenen Bescheid indes ein, dass die Behörde erster Instanz hätte überprüfen müssen, ob im Fall der Beschwerdeführerin ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis vorgelegen wäre und dass sie sohin ohne ihr eigenes Verschulden gehindert gewesen wäre, die Frist zur Erhebung der Berufung einzuhalten. Die Beschwerdeführerin habe im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bereits ausgeführt, dass ein ausdrücklicher Auftrag für die Erhebung der Berufung vorgelegen wäre, dem ihr damaliger Anwalt aus missverständlichen Gründen nicht nachgekommen wäre. Dieses Missverständnis habe erst durch die nunmehrige Rechtsvertreterin nach mehreren Erhebungen aufgeklärt werden können. Ein Verschulden der Beschwerdeführerin liege keinesfalls vor. Es könne auch nicht angehen, dass jede Versäumung der Frist, aus welchen Gründen immer, durch gewählte oder zugeteilte Vertreter hier ausdrücklich "1:1" auf den Beschwerdeführer selbst umgerechnet werde, weil es sich in den gegenständlichen Angelegenheiten nicht um solche handle, die vermögensrechtlicher Natur seien und eine Entschädigung durch einen Haftpflichtversicherer eines Anwaltes ermöglichten. Es hätte, da das Wohl einer gesamten Familie und auch eines Kleinkindes auf dem Spiel stehe, sehr wohl eine genauere Überprüfung der Umstände durchgeführt werden und insbesondere der als Zeuge beantragte Rechtsanwalt Dr. D. einvernommen werden müssen, wie es zu der Versäumung der gegenständlichen Frist gekommen sei und aus welchen Gründen er die gegenständliche Berufung nicht erhoben habe. Der gegenständliche Bescheid leide daher an einer materiell-rechtlichen und auch an einer formalen Rechtswidrigkeit, da einerseits ein Zeuge nicht vernommen und andererseits gegen Grundsätze der Menschlichkeit verstoßen worden sei.

2.2. Mit diesem Vorbringen vermag die Beschwerdeführerin eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht aufzuzeigen.

Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen, und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei. Dabei stellt ein dem Rechtsanwalt wiederfahrenes Ereignis einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Rechtsanwalt selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handelt. Ein Verschulden des Rechtsanwaltes, das über den minderen Grad des Versehens hinausgeht, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber bzw. sein Vertreter darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben. Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige, bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa das hg. Erkenntnis vom 3. August 2000, Zl. 2000/18/0032, mwN).

2.3. Die Beschwerdeführerin zieht die Richtigkeit der im angefochtenen Bescheid erfolgten Wiedergabe ihres zur Begründung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erstatteten Vorbringens nicht in Zweifel. Sie wendet sich auch nicht gegen die Beurteilung der belangten Behörde, dass ihren ehemaligen Rechtsfreund ein Verschulden an der Versäumung der Berufungsfrist treffe. Vielmehr wendet sie sich dagegen, für sein Verschulden ungeteilt einstehen zu müssen. Auf dem Boden der dargestellten Rechtslage begegnet jedoch die Beurteilung der belangten Behörde, dass das Verschulden des Parteienvertreters die Partei treffe, keinen Bedenken. Vor allem aus § 10 Abs. 2 AVG ergibt sich, dass die Folgen eines Versehens des Rechtsanwaltes die Partei treffen, weil der Vertretene grundsätzlich für Handlungen und Unterlassungen seines Vertreters einzustehen hat, mithin auch eine vom Vertreter verschuldete Fristversäumnis dem Vertretenen selbst zum Verschulden angerechnet werden muss (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 2001, Zl. 98/18/0225, mwN).

Auch lässt die Beschwerde die Beurteilung der belangten Behörde, die im Zuwarten ihres ehemaligen Rechtsfreundes mit der Erhebung der Berufung bis zum Erlag eines Akontos für die Berufung eine vorhersehbare und abwendbare Ursache für die Versäumung der Berufungsfrist sah, unbekämpft. Diese Beurteilung begegnet im Hinblick auf das bereits zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Jänner 2001 keinen Bedenken.

3. Mit ihrem Vorbringen, es hätte eine genauere Überprüfung der Umstände durchgeführt und insbesondere der als Zeuge beantragte Rechtsanwalt Dr. D. einvernommen werden müssen, vermag die Beschwerdeführerin keinen relevanten Verfahrensmangel aufzuzeigen, ist es doch vorerst Sache der Partei, die zur Begründung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand tauglichen Umstände im Sinn des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG zu behaupten. Erfüllt der Wiedereinsetzungswerber nicht einmal dieses Erfordernis, kommt die Durchführung eines Verfahrens zur Glaubhaftmachung solcher Umstände nicht in Betracht (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 2001, mwN).

4. Schließlich räumt die Bestimmung des § 71 Abs. 1 AVG der Behörde kein Ermessen ein, in dessen Rahmen sie die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Umstände ("Wohl einer gesamten Familie und auch eines Kleinkindes") hätte berücksichtigen können.

5. Da somit bereits der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 27. November 2001

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