VwGH 2001/16/0591

VwGH2001/16/059118.6.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Steiner, Dr. Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Valenta, über die Beschwerde der H GmbH in K, vertreten durch die Dr. Arnold Rechtsanwalts-Kommandit-Partnerschaft in Wien I, Wipplingerstraße 10, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Tirol vom 26. Juni 2000, Zl. RV- 389/1-T6/94 , betreffend Rechtsgebühr, zu Recht erkannt:

Normen

GebG 1957 §17 Abs2;
GebG 1957 §17 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Im Zuge einer bei der Beschwerdeführerin am 7. September 1998 durchgeführten Betriebsprüfung wurde eine Urkunde aufgefunden, die - auszugsweise - folgenden Inhalt und folgende Merkmale aufweist:

Die als "Kaufvertrag mit Ratenzahlung des Kaufpreises" betitelte Urkunde nennt die Beschwerdeführerin als Verkäuferin, eine im Zagreb/Kroatien sesshafte Käuferin und zwei Bürgen aus Zadar/Kroatien. Die Bürgschaftserklärung bezieht sich auf die im "Annex I Garantie" des Vertrages formulierten Vertragsverpflichtungen.

Die Punkte 9 und 10 der Urkunde lauten wie folgt:

"Artikel 9.

(1) Dieser Vertrag wurde in sechs gleichlautenden Ausfertigungen verfasst, von denen drei Ausfertigungen der Verkäufer erhält, zwei Ausfertigungen der Käufer und eine Ausfertigung der Bürge.

(2) Als Zeichen der Annahme aller Rechte und Verpflichtungen aus diesem Vertrag unterzeichnen die Parteien eigenhändig den Vertrag.

Artikel 10.

(1) Dieser Vertrag wurde seitens des Rechtsvertreters des Verkäufers, Rechtsanwalt Mladen G aus Zagreb verfasst und dieser wird seitens des Verkäufers bevollmächtigt, alle Geschäfte die an die Verfassung des Vertrages, die Gründung des Pfandrechtes und die Kontrolle der Vertragsdurchführung gebunden sind, zu führen."

Die Urkunde trägt (unter Beisetzung der Firmenwortlaute bzw. Namen der beteiligten Personen) jeweils Unterschriften, nennt den Rechtsvertreter der Käuferin (RA Mladen G, Zagreb) als Vertragsverfasser und trägt vor den Unterschriften den Zusatz "In Kundl, 24. Oktober 1994".

Ganz am Ende der in den Verwaltungsakten befindlichen Urkunde ist ein offenbar durch die schlechte Qualität der Fotokopie bedingt nur sehr schlecht lesbarer Siegelabdruck angebracht, bei dem es sich um das auch auf dem Titelblatt der Urkunde ersichtliche Anwaltssiegel des RA Mladen G aus Zagreb handeln könnte.

Das Schriftbild der maschinell beschriebenen Urkunde bedient sich nicht der in Österreich üblichen Schreibweise für Umlaute (zB: Qualitaet; Verkaeufer; Kaeufer etc) und verwendet für die kroatische Sprache übliche Aussprachesymbole.

Der Annex der Urkunde ist in Kroatischer Sprache gehalten und trägt vor den der Käuferurkunde entsprechenden Unterschriften den Zusatz "U Kundlu, 24. listopada 1994."

Mit Bescheid vom 8. Oktober 1998 setzte das Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern in Innsbruck (im Folgenden kurz: Finanzamt) Rechtsgebühr gemäß § 33 TP 7 Abs. 1 Z 1 GebG (Bürgschaftserklärungen) im Höhe von S 128.888,-- sowie weiters gemäß § 9 Abs. 2 leg. cit. eine Gebühr in der Höhe von 100% (S 128.888,--) und für fünf Gleichschriften gemäß § 25 Abs. 1 GebG eine Gebühr von S 644.440,-- fest.

Dagegen berief die Beschwerdeführerin im Wesentlichen mit folgender Begründung:

"Der Vertrag wurde vom Rechtsanwalt Herrn Mladen G in Zagreb verfasst. Dies ist auch unmittelbar einsichtig, denn die Schreibmaschine, mit der der Vertrag geschrieben wurde, kennt keine Umlaute, sondern verwendet stattdessen stets Doppellaute (ae statt ä, ue statt ü etc). Es gibt in Österreich wohl keine Schreibmaschine, die für Verträge verwendet wird und Umlaute nicht kennt. Weiters wird in Art. 8 als Gerichtsstand Zagreb vereinbart.

Irreführend ist der auf der letzten Seite angeführte Ort, nähmlich Kundl, als Ort der Unterzeichnung. Aus dieser Ortsangabe hat das Finanzamt vermutlich geschlossen, dass die Errichtung der Urkunde im Inland erfolgte. Wie aus beiliegendem Schreiben des Anwaltes Herrn G hervorgeht, wurde der Vertrag am 24.10.94 in seinem Büro in Zagreb unterzeichnet. Auf der letzten Seite des Kaufvertrages ist auch der Siegelstempel des Anwaltes G angebracht.

Da in den der Unterzeichnung vorausgehenden Gesprächen ursprünglich die Unterzeichnung in Österreich vorgesehen war, war zuerst als Unterzeichnungsort Kundl eingesetzt worden. Da der am 25.10.94 vereinbarte Termin mit dem Gericht in Zadar wegen eines Sicherstellungsverfahrens zum gegenständlichen Geschäft eingehalten werden musste, wurde der Ort der Unterzeichnung in letzter Stunde nach Zagreb verlegt. Wegen des Zeitdruckes wurde - nachlässigerweise - der Ort der Unterzeichnung nicht mehr geändert. Zu bedenken ist, dass eine Autofahrt von Kundl nach Zagreb etwa fünf Stunden beansprucht, und eine Autofahrt von Zagreb nach Zadar etwa vier Stunden, und somit bei einer Unterzeichnung in Kundl am 24.10.94 der Gerichtstermin in Zadar am 25.10.94 gar nicht mehr hätte wahrgenommen werden können.

Der Ort der Unterschriftsleistung ist somit Zagreb, womit keine Gebührenpflicht nach § 16 (1) eintritt."

Dazu wurde die beglaubigte Übersetzung einer Erklärung des RA Mladen G vom 19.Oktober 1998 vorgelegt, die Zagreb als Ort des Vertragsabschlusses und die Richtigkeit des Berufungsvorbringens bestätigt.

Das Finanzamt wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom 9. Dezember 1998 als unbegründet ab. Dagegen stellte die Beschwerdeführerin fristgerecht den Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz, wobei sie eine ergänzende Stellungnahme der Rechtsanwälte Mladen G sen. und jun. vom 28. Dezember 1998 vorlegte, in der unter anderem vorgebracht wird, dass der Kaufvertrag von RA Mladen G jun. im Auftrag des Mladen G sen. mit dem roten Siegel des Rechtsanwaltsbüros versehen worden sei. Dabei handle es sich um ein schweres Metallgerät, dass nie Dritten übergeben worden sei.

Aus der Erklärung der Rechtsanwälte Mladen G geht überdies hervor, dass ebenfalls am 24. Oktober 1994 in der Rechtsanwaltskanzlei in Zagreb zur Vorbereitung des Gerichtstermines am 25. Oktober 1994 in Zadar eine "Sicherstellungsvorschreibung" und ein Protokollentwurf errichtet worden seien.

Vorgelegt wurde außerdem die beglaubigte Übersetzung eines am 25. Oktober 1994 vor dem Gemeindegericht Zadar errichteten Protokolls, das als Beginn der Amtshandlung 11.00 Uhr und als Ende

11.20 Uhr sowie als anwesende Personen u.a. den vertretungsbefugten Direktor der Käuferin Marinko C und den Bürgen Slavko S nennt.

Die belangte Behörde wies die Berufung als unbegründet ab, wobei sie davon ausging, dass sich aus dem Inhalt der Urkunde Kundl als Ort ihrer Errichtung eindeutig ergebe. Gegen den eindeutigen Urkundenwortlaut sei ein Gegenbeweis gemäß § 17 Abs. 2 GebG nicht zulässig.

Ergänzend führte die belangte Behörde dazu noch folgende aus:

"... Der Hinweis auf die Schreibmaschine und die fehlende

Doppellaute geht schon deshalb ins Leere, weil nach Art. 10 dieser Vertrag durchaus vom rechtlichen Vertreter in Zagreb verfasst worden sein konnte, dies aber nicht ausschließt, dass nach dem eindeutigen und zu keinem Zweifel Anlass gebenden Vertragsinhalt der solcherart vorgefertigte Vertrag dann in Kundl von den Vertragsparteien unterfertigt worden war. Der Umstand des Gerichtstermines am 25.10.1994 in Zadar vermag ebenfalls nicht die Unmöglichkeit der Unterschriftsleistung am 24.10.1994 in Kundl aufzuzeigen, denn - wie in der Berufung selbst ausgeführt - beträgt die Fahrzeit von Kundl nach Zagreb mit dem Auto etwa 5 Stunden und dann weiter nach Zadar nochmals 4 Stunden, sodass bei Unterfertigung des Vertrages in Kundl am Vortag der Gerichtstermin in Zadar am nächsten Tag durchaus eingehalten werden konnte. Überdies soll nicht unerwähnt bleiben, dass diese Strecken auch gegebenenfalls mit einem Flugzeug oder dem Zug zurückgelegt werden hätten können. Neben der sich aus § 17 Abs. 1 GebG ergebenden Rechtslage lässt sich demzufolge auch in freier Beweiswürdigung aus der ausdrücklichen und eindeutigen Protokollierung des Vertragsortes Kundl im Vertrag im Konnex gesehen mit der von der Berufungswerberin selbst ausgestellten Rechnung 941693 vom 6.12.1994 und dem zu deren Rechtfertigung ergangenen Schreiben vom 21.11.1995 schlüssig folgern, dass der Vertragserrichtungsort im Vertrag richtig wiedergegeben und die vorgebrachten gegenteiligen Äußerungen bloße Schutzbehauptungen zur Vermeidung der österreichischen Gebührenpflicht sind. Dies gilt auch für die im Zuge des Berufungsverfahrens vorgelegte "Bestätigung" des rechtlichen Vertreteres der Berufungswerberin RA Mladen G, denn es widerspricht wohl jeglicher Erfahrung, dass man bei Unterfertigung eines solchen Vertragswerkes unter einem solchen Zeitdruck stand, dass man nicht zumindest den Ort der Vertragsunterfertigung von Kundl auf Zagreb abändern und damit "richtig stellen" hätte können. Auch scheint es völlig unglaubwürdig, dass alle Beteiligten "in letzter Stunde "die Änderung des Ortes der Vertragsunterzeichnung bzw. zum Vertragsabschluss vereinbart und daher diese dadurch notwendigen Änderungen nicht in den Vertragstext aufgenommen werden konnte, denn eine solche Vertragsunterzeichnung, an der ein ausländischer Vertragpartner teilnimmt, setzt wohl eine vorherige einvernehmliche Absprache und Festlegung des Termines und des Ortes voraus. ..."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die ursprünglich an den Verfassungsgerichtshof erhobene und von diesem nach Ablehnung ihrer Behandlung antragsgemäß an den Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die Beschwerdeführerin erachtet sich insbesondere in ihrer Freiheit von Rechtsgebühr gemäß § 33 TP 7 GebG verletzt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.

Die Beschwerdeführerin replizierte auf die Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 17 GebG lautet auszugsweise:

"(1) Für die Festsetzung der Gebühren ist der Inhalt der über das Rechtsgeschäft errichteten Schrift (Urkunde) maßgebend. Zum Urkundeninhalt zählt auch der Inhalt von Schriften, der durch Bezugnahme zum rechtsgeschäftlichen Inhalt gemacht wird.

(2) Wenn aus der Urkunde die Art oder Beschaffenheit eines Rechtsgeschäftes oder andere für die Festsetzung der Gebühren bedeutsame Umstände nicht deutlich zu entnehmen sind, so wird bis zum Gegenbeweis der Tatbestand vermutet, der die Gebührenschuld begründet oder die höhere Gebühr zur Folge hat.

..."

Zu den für die Festsetzung der Gebühren bedeutsamen Umständen zählt unter anderem mit Rücksicht auf die Bestimmung des § 16 Abs. 1 GebG der Ort der Urkundenerrichtung. Nach der letztzitierten Gesetzesstelle erfordert die Gebührenpflicht die Errichtung der Urkunde im Inland.

Ein Anwendungsfall des § 16 Abs. 2 GebG ist nach dam übereinstimmenden Standpunkt beider Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nicht gegeben.

Nach ständiger hg. Judikatur setzt die Anwendbarkeit des § 17 Abs. 2 GebG voraus, dass die für die Gebührenbemessung bedeutsamen Umstände aus der Urkunde nicht eindeutig zu entnehmen sind (vgl. dazu zB die bei Fellner, MGA Stempel- und Rechtsgebühren6 unter E 62 zu § 17 GebG referierte hg. Judikatur).

§ 17 Abs. 2 leg. cit. greift in jenen Fällen ein, in denen die Urkunde verschiedene Deutungen zulässt (Fellner aaO E 82). Insbesondere dann, wenn in einer Berufung vorgebracht wird, dass der Urkunde Umstände, die für die Gebührenbemessung bedeutsam sind, nicht deutlich zu entnehmen sind, ist der Partei Gelegenheit zum Gegenbeweis zu geben (Fellner aaO E 67).

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage kann dem Argument der Beschwerde, auf Grund der Schreibweise des in Rede stehenden Kaufvertrages und des beigesetzten Siegels werde die Urkunde hinsichtlich des in ihr genannten Ortes der Errichtung ("Kundl") in Frage gestellt, Berechtigung nicht versagt werden. Von einer Eindeutigkeit iS der zu § 17 Abs. 2 GebG vorliegenden Judikatur in Bezug auf den Errichtungsort im Inland kann daher nicht gesprochen werden. Die belangte Behörde durfte daher keineswegs den Standpunkt einnehmen, ein Gegenbeweis gemäß § 17 Abs. 2 GebG wäre im vorliegenden Fall ausgeschlossen. Bereits dadurch hat sie aber den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, was zu seiner Aufhebung führen muss (§ 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG).

Insoweit die belangte Behörde ihren Bescheid darüber hinaus mit Beweiswürdigungsargumenten abzusichern sucht, ist ihr - schon im Hinblick auf das fortzusetzende Verfahren - entgegen zu halten, dass ihre Beweiswürdigung unschlüssig ist, indem sie gegen allgemeines menschliches Erfahrungsgut verstößt. Es widerspricht nämlich einerseits der allgemeinen Erfahrung, dass eine Anreise von Kundl nach Zadar über Zagreb "mit dem Zug" schneller möglich wäre als mit dem Auto und es entspricht andererseits der allgemeinen Erfahrung, dass im Fall der kurzfristigen Änderung zB des Vertragsabschlussortes bereits vorbereitete Texte häufig nicht mehr korrigiert werden. Dazu kommt, dass es ebenfalls der allgemeinen Erfahrung entspricht, dass drei kroatische und ein österreichischer Vertragspartner einen ursprünglich für 24. Oktober in Kundl/Tirol geplanten Vertragserrichtungstermin angesichts eines für den 25. Oktober vor einem Gericht in Zadar für 11.00 Uhr anberaumten Termines nach Kroatien (im vorliegenden Fall nach Zagreb) verlegen, weil es ohne besonderen Grund niemand auf sich nehmen wird, zuerst aus Kroatien für den 24. Oktober nach Kundl anzureisen, wenn er schon am 25. Oktober um 11.00 Uhr in Zadar bei Gericht zu erscheinen hat.

Die belangte Behörde wird somit im Lichte dieser durch das allgemeine menschliche Erfahrungsgut abgesicherten Umstände die Beweiskraft der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Erklärungen ihrer Rechtsanwälte aus Zagreb neu zu bewerten haben.

Ein Eingehen auf die übrigen Beschwerdeargumente war mit Rücksicht auf die ausgesprochene Aufhebung des angefochtenen Bescheides entbehrlich.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VO BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 18. Juni 2002

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