VwGH 2001/14/0153

VwGH2001/14/01532.7.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Mag. Heinzl, Dr. Zorn, Dr. Robl und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. iur. Mag. (FH) Schärf, über die Beschwerde des Dr. K in W, vertreten durch WITAGO Wirtschaftsprüfungs- und SteuerberatungsgmbH in 1190 Wien, Friedlgasse 25/3/17, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat II) vom 31. Mai 2001, RV/82-15/09/99, betreffend Umsatzsteuer 1996, zu Recht erkannt:

Normen

UStG 1994 §12 Abs1 Z1;
UStG 1994 §12 Abs10;
UStG 1994 §12 Abs11;
UStG 1994 §3 Abs1;
UStG 1994 §12 Abs1 Z1;
UStG 1994 §12 Abs10;
UStG 1994 §12 Abs11;
UStG 1994 §3 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 908 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Facharzt für Radiologie.

Für Dezember 1996 machte der Beschwerdeführer Vorsteuern von 342.642,59 S aus dem Einkauf von Röntgenfilmen bei der Fa. F (Rechnung vom 20. Dezember 1996 über brutto 2,055.765,51 S) geltend.

Im Zuge einer abgabenbehördlichen Prüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, die Röntgenfilme seien dem Beschwerdeführer im Dezember 1996 noch nicht übergeben worden, weshalb der Vorsteuerabzug nicht anerkannt werden könne.

Bei Erlassung des Umsatzsteuerbescheides 1996 versagte das Finanzamt dem auf die in Rede stehenden Röntgenfilme entfallenden Umsatzsteuerbetrag die Anerkennung als Vorsteuer.

Der Beschwerdeführer berief gegen diesen Bescheid und brachte vor, die Lieferung der Röntgenfilme sei bereits im Dezember 1996 erfolgt.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Umsätze der Ärzte seien gemäß § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994, soweit sie nach dem 31. Dezember 1996 ausgeführt würden, steuerfrei. Gemäß § 12 Abs. 3 Z 1 UStG 1994 sei der Vorsteuerabzug ausgeschlossen für die Steuer auf Lieferungen und sonstige Leistungen, die zur Ausführung steuerfreier Umsätze dienten. Im Hinblick auf den klaren Wortlaut des § 12 Abs. 3 Z 1 UStG 1994 komme der strittige Vorsteuerabzug nicht in Betracht. Ärzte dürften von Gegenständen des Umlaufvermögens, welche sie Ende 1996 angeschafft hatten und welche am Jahresende noch vorhanden seien, keinen Vorsteuerabzug geltend machen, weil der Zusammenhang nur mit steuerfreien Umsätzen gegeben sei. Nach Ansicht der belangten Behörde sei zwar das zivilrechtliche Eigentum an den Röntgenfilmen bereits im Dezember 1996 auf den Beschwerdeführer übergegangen; dennoch liege aber "in Ermangelung der Abberufung der Ware aus dem Lager der Fa. F" in umsatzsteuerlicher Hinsicht keine Lieferung vor. Allerdings komme der Prüfung der Frage nach dem Zeitpunkt der Lieferung im gegenständlichen Fall keine Bedeutung zu, zumal auch eine im Jahr 1996 ausgeführte Lieferung aus den vorstehend angeführten rechtlichen Erwägungen nicht zum Vorsteuerabzug führe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:

Gemäß § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 sind die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt von der Umsatzsteuer befreit. Gemäß § 29 Abs. 5 UStG 1994 ist § 6 Abs. 1 Z 19 erst auf Umsätze anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 1996 ausgeführt werden.

Gemäß § 12 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 steht der Vorsteuerabzug zu, wenn die Lieferung (für die der Vorsteuerabzug begehrt wird) an den Unternehmer ausgeführt worden ist.

Lieferungen sind grundsätzlich in dem Zeitpunkt ausgeführt, in welchem dem Abnehmer die Verfügungsmacht verschafft wird. Wie der Verwaltungsgerichtshof in dem ebenfalls Lieferungen an einen Facharzt für Radiologie im Jahr 1996 betreffenden Erkenntnis vom 27. Februar 2002, 2000/13/0095, zu Recht erkannt hat, ist für das Vorliegen einer Lieferung maßgebend, ob nach dem Gesamtbild der Verhältnisse - beurteilt nach der Verkehrsauffassung - die Verfügungsbefugnis auf den Abnehmer übergegangen ist. Die Lieferung erfolgt in dem Zeitpunkt, in dem der Abnehmer die Befähigung zur Verfügung erlangt. Wenn auch bei beweglichen Gegenständen die Verfügungsmacht in der Regel durch körperliche Übergabe verschafft wird, gibt es aber auch andere Möglichkeiten, dem Abnehmer die Verfügungsmacht über den Gegenstand der Lieferung zu verschaffen. Zu denken ist in diesem Zusammenhang etwa an die Einigung über den Eigentumsübergang, wenn der Abnehmer den beweglichen Gegenstand schon innehat, oder an das so genannte Besitzkonstitut, wenn der Unternehmer dem Abnehmer das Eigentum überträgt, ohne die Innehabung des beweglichen Gegenstandes aufzugeben, weil er den Gegenstand fortan unter einem anderen Rechtstitel innehaben will. Bleibt der bewegliche Gegenstand beim bisherigen Eigentümer, ergibt sich aus den obigen Erwägungen, dass der Übergang der Verfügungsmacht auf den Erwerber nur dann angenommen werden kann, wenn (zumindest) die wirtschaftliche Substanz des Gegenstandes vom Leistenden auf den Leistungsempfänger übergeht.

Die Verschaffung der Verfügungsmacht ist ein tatsächlicher Vorgang. Erforderlich ist, dass dem Leistungsempfänger tatsächlich Substanz, Wert und Ertrag eines Gegenstandes zugewendet werden. Dies verlangt, dass die wirtschaftliche Substanz des Gegenstandes vom Leistenden auf den Leistungsempfänger übergeht und dies von den Beteiligten endgültig gewollt ist (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis 2000/13/0095).

Somit setzt die Lieferung eines Gegenstandes nicht ausnahmslos dessen körperliche Übergabe voraus. Die belangte Behörde hat in Verkennung der Rechtslage auf die (unterbliebene) körperliche Übergabe abgestellt und es daher unterlassen, Feststellungen darüber zu treffen, ob es zur Übertragung der Verfügungsmacht in dem im hg. Erkenntnis 2000/13/0095 zum Ausdruck gebrachten Sinn gekommen ist.

Die belangte Behörde hat Feststellungen über den Zeitpunkt der Lieferung auch deshalb unterlassen, weil sie die Rechtsauffassung vertritt, für Gegenstände, die einem Arzt im Jahr 1996 geliefert werden und die mit Ablauf des 31. Dezember 1996 noch vorhanden sind, stehe der Vorsteuerabzug gemäß § 12 Abs. 3 UStG 1994 nicht zu, weil der Zusammenhang mit den ab 1. Jänner 1997 steuerbefreiten Umsätzen aus der ärztlichen Tätigkeit gegeben sei. Auch diese Rechtsansicht entspricht nicht dem Gesetz. Ob Gegenstände oder sonstige Leistungen zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet werden, ist nämlich an Hand des wirtschaftlichen Zusammenhanges im Zeitpunkt der Lieferung bzw Erbringung der Leistung an den Unternehmer zu beurteilen (vgl. Ruppe, UStG2, § 12 Tz 164 und Tz 198). Eine spätere Änderung des Zusammenhanges ist eine Änderung der Verhältnisse, die für den Vorsteuerabzug maßgebend waren, sodass (lediglich) eine Korrektur nach Maßgabe des § 12 Abs. 10 oder 11 UStG 1994 vorzunehmen ist.

Sollten im gegenständlichen Fall die Röntgenfilme noch im Laufe des Jahres 1996 an den Beschwerdeführer geliefert worden sein, so sind - eine entsprechende Rechnungslegung vorausgesetzt - die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt gewesen, weil die ärztlichen Leistungen im Jahr 1996 nicht von der Umsatzsteuer befreit gewesen sind. Das im Jahr 1996 entstandene Recht auf Vorsteuerabzug geht nicht dadurch verloren, dass die ärztlichen Leistungen, zu deren Ausführung die Gegenstände dienen, ab dem 1. Jänner des Folgejahres von der Umsatzsteuer befreit sind. Der ab 1. Jänner 1997 gegebene Zusammenhang mit den steuerbefreiten Umsätzen aus der ärztlichen Tätigkeit führt vielmehr zu einer Änderung der Verhältnisse. Diese Änderung der Verhältnisse hätte an sich für das Jahr 1997 (und somit im Rahmen des Umsatzsteuerbescheides 1997) eine Berichtigung der Vorsteuern nach § 12 Abs. 10 bzw. 11 UStG 1994 zur Folge. Die Sonderregelung des Art. XIV Z 3 BGBl. 21/1995 idF BGBl. 756/1996 wird jedoch diese Vorsteuerberichtigung (im Zuge der Veranlagung 1997) ausschließen; ob allerdings der Anwendung der genannten Sonderregelung das Beihilfenregime des Art. 97f EG entgegensteht, braucht im vorliegenden Fall nicht geprüft zu werden.

Der angefochtene Bescheid ist sohin mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich - im Rahmen des gestellten Antrages - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 2. Juli 2002

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