Spruch:
Dem Antrag wird nicht stattgegeben.
Begründung
Mit Beschluss vom 29. Mai 2001 wurde das Verfahren über die oben angeführte, zu Zl 2000/14/0198 protokollierte Beschwerde eingestellt, weil dem Mängelbehebungsauftrag des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Dezember 2000 insofern nicht zur Gänze entsprochen worden war, als dem Verbesserungsschriftsatz eine weitere Ausfertigung der ursprünglichen, an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde nicht angeschlossen und auch die der ursprünglichen Beschwerde angeschlossen gewesenen, gesetzlich vorgeschriebenen Beilagen nicht wieder vorgelegt worden waren.
Im vorliegenden Antrag wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung der der Beschwerde anhaftenden Mängel begehrt. Begründend wird ausgeführt, es sei der Schriftsatz "Ergänzung der Bescheidbeschwerde" vom zuständigen Rechtsanwaltsanwärter Mag. A. diktiert und zur Übertragung in die Schreibabteilung gegeben worden. Nach Übertragung des Schriftsatzes und der Vorkontrolle des Inhaltes sei dieser in dreifacher Ausfertigung mit einer Halbschrift zur Unterfertigung dem zuständigen Rechtsanwalt inklusive der erforderlichen Beilagen vorgelegt worden. Dies sei in der Form erfolgt, dass in ein Fach einer so genannten Unterschriftsmappe sämtliche zu unterfertigenden Schriftstücke samt den erforderlichen Beilagen gelegt worden seien, damit der zuständige Rechtsanwalt diese unterschreiben und die Anzahl der Beilagen kontrollieren habe können. Zu diesem Zeitpunkt seien demnach die drei genannten Schriftsätze mit der Halbschrift obenauf gelegen; diese seien in weiterer Folge auch unterfertigt worden. Darunter hätten sich die weiteren Ausfertigungen der ursprünglichen Bescheidbeschwerde an den Verfassungsgerichtshof, und zwar zweifach mit einer weiteren Ausfertigung gemäß dem Auftrag des Verwaltungsgerichtshofes befunden. Unter diesen Schriftsätzen hätten sich auch die drei Kopien des angefochtenen Bescheides befunden. Sämtliche Unterlagen seien also zum Zeitpunkt der Kontrolle durch den Rechtsanwalt vollständig in einem Fach der Unterschriftsmappe gewesen und sollten nach dessen Anweisung "somit" gesammelt kuvertiert an den Verwaltungsgerichtshof gesendet werden. Diese Unterschriftsmappe (mit den unterfertigten Schriftstücken samt Beilagen) sei dann gemeinsam mit dem Handakt durch den Rechtsanwaltsanwärter Mag. A. in die Poststelle der Kanzlei gebracht worden, mit dem Auftrag, die ordnungsgemäße Versendung der Schriftstücke zu veranlassen. Grundsätzlich würden sämtliche Versandstücke von einer Sachbearbeiterin kuvertiert und danach zur Post gebracht. Nach "dieser endgültigen Ausfertigung" durch die Kanzleimitarbeiterin werde ein Eigenexemplar des verfassten Schriftsatzes (dies sei ein vollständiger Schriftsatz mit der Abkürzung EE) in den Handakt gelegt; dieses Eigenexemplar bedeute, dass die Eingabe an das zuständige Gericht oder die zuständige Verwaltungsbehörde getätigt worden sei. Im vorliegenden Fall seien durch die bisher fehlerfrei arbeitende Kanzleiangestellte Anita S. die Schriftsätze mit den beiden Verfassungsgerichtshof-Beschwerden sowie einer weiteren Ausfertigung für das Finanzministerium und die Kopien des bekämpften Bescheides auf den Handakt gelegt worden und hätten danach gesamt kuvertiert werden sollen. Frau Anita S. sei seit 26. Jänner 1998 in der Kanzlei beschäftigt und arbeite bereits 15 Jahren in Rechtsanwaltskanzleien. Sie habe sich bisher als äußerst zuverlässig erwiesen. Durch einen Fehler sei dann irrtümlich nur ein oberer Teil der gesamten Unterlagen (dh drei Ausfertigungen des ergänzenden Schriftsatzes mit Halbschrift sowie zwei mitgesendete Ausfertigungen der Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof) in ein Kuvert gegeben worden, der untere Teil, dh die dritte Ausfertigung der Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof sowie die darunter liegenden Kopien des bekämpften Bescheides - also die im Beschluss vom 29. Mai 2001 angeführten fehlenden Beilagen -, seien jedoch "im Akt liegen geblieben". Irrtümlicherweise sei darauf die (schon erwähnte) Gleichschrift mit dem Vermerk gelegt worden, dass das Poststück ordnungsgemäß versendet worden sei; das Kuvert mit der unzureichenden Anzahl an Schriftstücken sei hingegen verklebt und zu den Postversandstücken gelegt worden. Die restlichen Unterlagen seien im Handakt liegen geblieben. Bei der Tagesbesprechung der bearbeiteten Akten habe Rechtsanwaltsanwärter Mag. A. die Frage des zuständigen Rechtsanwaltes, ob alles ordnungsgemäß versendet worden sei, bejaht. Dieses Verhalten stelle ein für die Beschwerdeführerin unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis dar, weil weder der Beschwerdeführerin noch ihrem Vertreter eine Verletzung der Sorgfaltspflicht angelastet werden könne. Nach ordnungsgemäßer Kontrolle der Anzahl der Schriftstücke und Übergabe der Poststücke an den Rechtsanwaltsanwärter und eine mit dem Kuvertieren der Post jahrelang beauftragte Kanzleisachbearbeiterin hätte von einer tatsächlichen und ordentlichen Durchführung der Expedierung der Sendung ausgegangen werden können. Die Beschwerdeführerin und ihr Vertreter hätten den Grund der Versäumung der aufgetragenen Frist und den daraus resultierenden Rechtsnachteil nicht verschuldet. Dem Antrag sind eidesstattliche Erklärungen der Anita S., des Mag. A. sowie des Rechtsanwaltes Dr. M. angeschlossen, in welchen im Wesentlichen der im Antragsvorbringen zusammengefasste Sachverhalt aus Sicht der jeweiligen Person dargestellt wird. Anita S. erklärt demgegenüber allerdings, das sie die nicht mitgesandten Beilagen in den Handakt abgelegt habe (im Antragsvorbringen wird ausgeführt, dass die Beilagen anlässlich der Kuvertierung "im Akt liegen blieben"). Mag. A. erklärte überdies ergänzend, dass die Herstellung und Ablage der erforderlichen Beilagen in die Unterschriftenmappe von ihm veranlasst worden sei.
Gemäß § 46 Abs 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgeführt hat (vgl etwa den hg Beschluss vom 31. Oktober 2000, 2000/15/0157), gibt ein dem Rechtsanwalt widerfahrenes Ereignis einen Wiedereinsetzungsantrag für die Partei nur dann ab, wenn dieses Ereignis für den Rechtsanwalt selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war. Ein Verschulden des Rechtsanwaltes, das über den minderen Grad des Versehens hinausgeht, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen. Das Verschulden von Kanzleikräften stellt für den Rechtsanwalt dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinne der obigen Ausführungen dar, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Kanzleikräften nachgekommen ist. Der Rechtsanwalt muss seine Kanzlei so organisieren, dass die richtige und fristgerechte Erledigung von gerichtlichen Aufträgen sichergestellt ist. Dabei wird durch entsprechende Kontrolle dafür vorzusorgen sein, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Der Rechtsanwalt verstößt demnach auch dann gegen die ihm obliegende Sorgfaltspflicht, wenn er weder im Allgemeinen noch im Besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Fall des Versagens einer Kanzleikraft Fristversäumungen auszuschließen geeignet sind.
Vor dem Hintergrund des im Antrag und durch die Erklärungen der beteiligten Personen dargestellten Ablaufes der Ereignisse ist aber ein solches Kontrollsystem nicht erkennbar: In der Darstellung der Ereignisse bleibt unerwähnt, dass im Rubrum der vom Rechtsanwaltsanwärter Mag. A. konzipierten Beschwerdeergänzung lediglich der Hinweis "3-fach, 1 HS" aufscheint. Da der Rechtsvertreter der Antragstellerin den von Mag. A. verfassten Schriftsatz und die von diesem angeschlossenen Beilagen zwar kontrollierte, aber offenbar nicht beanstandete, dass die Beilagen im Rubrum nicht angeführt sind, muss davon ausgegangen werden, dass die mit der Konzeption von Schriftstücken befassten Sachbearbeiter keiner Anweisung unterliegen, anzuschließende Beilagen im Rubrum zu erwähnen, aber auch die mit der Kuvertierung von Schriftsätzen befassten Kanzleiangestellten keiner Anweisung unterliegen, Hinweise im Rubrum der Schriftsätze zu beachten, und allenfalls fehlende Übereinstimmungen aufzuzeigen. Beim Fehlen solcher Anweisungen müsste aber in anderer Weise Vorsorge getroffen werden, dass Beilagen, die einem vom Rechtsvertreter unterschriebenen Schriftstück bei der Unterschrift kontrollierterweise angeschlossen sind, im Zuge der weiteren Behandlung des Schriftstückes von diesem nicht mehr getrennt (und in den Handakt abgelegt) werden können. Im vorliegenden Fall wurden solche Maßnahmen aber weder dargetan noch können sie vorliegen, wenn es - etwa durch die Nähe von Unterschriftenmappe und Handakt (im Antragsvorbringen wird diesbezüglich ausgeführt, dass die Unterschriftenmappe "gemeinsam mit dem Handakt" in die Kanzlei gebracht worden sei) - geschehen kann, dass von den in einem Fach einer Unterschriftenmappe liegenden Schriftstücken, welche nach den (allgemeinen oder individuellen) Anweisungen des Rechtsanwaltes gesammelt abzufertigen sind, ein (nur durch "oberer" und "unterer" definierter) Teil der zum Anschluss an das Schriftstück vorgesehenen Beilagen tatsächlich dem Schriftstück angeschlossen, der andere Teil aber in den in der Kanzlei verbleibenden Handakt abgelegt wird.
Das Fehlen einer entsprechenden Kanzleiorganisation stellt aber eine dem Rechtsvertreter zuzurechnende Verletzung der ihm obliegenden Sorgfaltspflicht dar, die über einen geringen Grad des Versehens hinausgeht.
Dem Wiedereinsetzungsantrag war daher ein Erfolg zu versagen. Wien, am 7. August 2001
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