VwGH 2001/11/0037

VwGH2001/11/003730.5.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des Ing. Mag. M in W, vertreten durch Mag. Günther Reiffenstuhl, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Hofenedergasse 3/1/2, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 29. Juni 1995, Zl. UVS- 02/20/0017/94, betreffend Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Abnahme der Kennzeichentafeln, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §67a Abs1 Z2;
B-VG Art129a Abs1 Z2;
KFG 1967 §57 Abs7 idF 1984/522;
KFG 1967 §57 Abs8 idF 1984/522;
KFG 1967 §58 Abs1 idF 1984/522;
AVG §67a Abs1 Z2;
B-VG Art129a Abs1 Z2;
KFG 1967 §57 Abs7 idF 1984/522;
KFG 1967 §57 Abs8 idF 1984/522;
KFG 1967 §58 Abs1 idF 1984/522;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die vom Beschwerdeführer erhobene Maßnahmenbeschwerde gemäß Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG und § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG als unbegründet abgewiesen. Diese Beschwerde war gegen die am 13. Oktober 1993 erfolgte Abnahme der Kennzeichentafeln von dem nach dem Kennzeichen bestimmten, auf den Beschwerdeführer zugelassenen Pkw durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien gerichtet.

Der Beschwerdeführer erhob zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser hat mit Beschluss vom 4. Oktober 1999, B 1954/97, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend; er beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die maßgeblichen Bestimmungen des KFG 1967 in der im Hinblick auf den Zeitpunkt der Durchführung des in Rede stehenden Aktes unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anzuwendenden Fassung der 9. Kraftfahrgesetz-Novelle, BGBl. Nr. 552/1984, lauten (auszugsweise):

"§ 57. Verfahren bei der Überprüfung

...

(7) Entspricht das Fahrzeug nicht den Vorschriften (Abs. 6), so hat die Behörde auszusprechen, welche Mängel zu beheben sind und bei Fahrzeugen, die sich nicht in verkehrs- und betriebssicherem Zustand befinden oder bei denen übermäßig Lärm, Rauch, übler Geruch oder schädliche Luftverunreinigungen verursacht werden, wann das Fahrzeug zur neuerlichen Prüfung vorzuführen ist.

(8) Wird die Verkehrssicherheit durch die weitere Verwendung des Fahrzeuges gefährdet, so sind bei Gefahr im Verzug, unbeschadet der Bestimmungen des § 44 Abs. 1 lit. a über die Aufhebung der Zulassung, der Zulassungsschein und die Kennzeichentafeln unverzüglich abzunehmen.

...

§ 58. Prüfung an Ort und Stelle

(1) Die Wirksamkeit der Teile und Ausrüstungsgegenstände eines Fahrzeuges, die bei seinem Betrieb betätigt werden und für die Verkehrs- oder Betriebssicherheit von Bedeutung sind, und der Zustand seiner Reifen kann jederzeit von der Behörde, in deren örtlichem Wirkungsbereich sich das Fahrzeug befindet, oder von den ihr zur Verfügung stehenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes an Ort und Stelle geprüft werden. Wird die Verkehrssicherheit durch die weitere Verwendung des Fahrzeuges gefährdet, so sind die Bestimmungen des § 57 Abs. 8 anzuwenden.

... ."

Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 28. Juni 1973, Slg. Nr. 7091, dargelegt hat, unterscheidet § 57 KFG 1967 in seinen Abs. 7 und 8 im Hinblick auf das negative Ergebnis einer vorgenommenen (wiederkehrenden oder besonderen) Überprüfung zwischen Fahrzeugen, die sich nicht in verkehrs- und betriebssicherem Zustand befinden, und solchen, durch deren weitere Verwendung die Verkehrssicherheit gefährdet wird. Aus dieser Unterscheidung folgt, dass nicht bereits jedweder bei der Überprüfung vorgefundene Mangel, der die Ursache des nicht verkehrs- und betriebssicheren Zustandes des Fahrzeuges bildet, zugleich ein solcher ist, bei dessen Vorliegen die Verkehrssicherheit durch die weitere Verwendung des Fahrzeuges gefährdet wird. Dies gilt wegen der im zweiten Satz des § 58 Abs. 1 enthaltenen Verweisung auf § 57 Abs. 8 KFG 1967 entsprechend auch für solche Mängel, die aus Anlass einer in dem durch den ersten Satz des § 58 Abs. 1 KFG 1967 umschriebenen Umfang vorgenommenen Prüfung an Ort und Stelle festgestellt werden. Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich dieser Auffassung - hier bezogen auf das KFG 1967 in der Fassung der 9. KFG-Novelle -

an.

Ein anlässlich einer Überprüfung an Ort und Stelle entdeckter Mangel wird daher nur dann einen Akt der unmittelbaren verwaltungsbehördlichen Befehls- und Zwangsgewalt durch Abnahme des Zulassungsscheines und der Kennzeichentafeln erlauben, wenn er sich augenscheinlich als so schwer erweist, dass unter Zugrundelegung von kraftfahrtechnischem Erfahrungswissen befürchtet werden muss, es werde sich bei (bestimmungsgemäßer) weiterer Verwendung des Fahrzeuges im Straßenverkehr eine Unfallsituation ergeben.

Aufgabe des zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines solchen Akts der unmittelbaren verwaltungsbehördlichen Befehls- und Zwangsgewalt (durch Abnahme des Zulassungsscheins und der Kennzeichentafeln) zuständigen unabhängigen Verwaltungssenates ist es daher zunächst, im Einzelfall Feststellungen darüber zu treffen, in welchem Zustand sich das überprüfte Fahrzeug befunden hat, als es von den Organen der Behörde geprüft wurde. Davon ausgehend hat der unabhängige Verwaltungssenat zu klären (erforderlichenfalls unter Zuhilfenahme eines Sachverständigengutachtens), ob die Organe der Behörde schon auf der Grundlage von einschlägigem Erfahrungswissen angesichts des Fahrzeugzustandes den Eintritt einer Unfallssituation bei Verwendung des Fahrzeuges im oben dargestellten Sinn zu befürchten hatten. Bejahendenfalls wäre in rechtlicher Sicht davon auszugehen, dass durch die weitere Verwendung des Fahrzeuges im Sinne des § 58 Abs. 1 KFG 1967 die Verkehrssicherheit gefährdet wäre. Die Abnahme des Zulassungsscheins und der Kennzeichentafeln erwiese sich diesfalls unter der weiteren Voraussetzung von Gefahr im Verzug als rechtmäßig.

Den umschriebenen Feststellungserfordernissen wird der angefochtene Bescheid jedoch nicht gerecht. Anlass für die bekämpfte Abnahme der Kennzeichentafeln war nach der Begründung des angefochtenen Bescheides, dass die einschreitenden Sicherheitswachebeamten (insbesondere S.) bei einer Besichtigung des Fahrzeuges des Beschwerdeführers nach ihrem Dafürhalten Risse an den Reifen des Fahrzeuges bemerkten und die Reifen auf sie einen "ausgetrockneten Zustand" machten, worauf sie die Ansicht vertraten, eine weitere Verwendung des Fahrzeuges würde die Verkehrssicherheit gefährden. Die belangte Behörde begnügte sich im angefochtenen Bescheid damit, die Aussagen der einschreitenden Beamten über ihren jeweils an Ort und Stelle gewonnenen Eindruck vom Zustand der Reifen anzuführen sowie darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer "Risse an den Reifen" und einen "ausgetrockneten Zustand" nicht bestritten habe. Begründete Feststellungen über den Zustand der Reifen (nach Wiedergabe der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens und der vorgenommenen Beweiswürdigung) fehlen im angefochtenen Bescheid jedoch ebenso wie eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die einschreitenden Beamten schon angesichts der von ihnen vorgefundenen Reifen auf eine Unfallgefahr - im Lichte der obigen Ausführungen - schließen durften.

Da die belangte Behörde somit in Verkennung der Rechtslage diejenigen Feststellungen zu treffen unterlassen hat, die es ermöglichen würden, ihre rechtliche Beurteilung zu überprüfen, die weitere Verwendung des Fahrzeuges hätte wegen der mangelhaften Reifen die Verkehrssicherheit im Sinne des § 58 Abs. 1 KFG 1967 gefährdet, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 30. Mai 2001

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