Normen
AVG §60;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §11a;
StbG 1985 §12;
StbG 1985 §13;
StbG 1985 §14;
AVG §60;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §11a;
StbG 1985 §12;
StbG 1985 §13;
StbG 1985 §14;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß §§ 10, 11a, 12, 13 und 14 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG) ab.
Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer sei im Jahre 1970 in der Türkei geboren worden, sei türkischer Staatsangehöriger und habe seit 19. Juli 1990 ununterbrochen seinen Hauptwohnsitz in Österreich. Er habe in der Türkei eine Lehre als Koch absolviert und habe seit seiner Einreise in Österreich bei verschiedenen Arbeitgebern gearbeitet. Er sei der Vater eines unehelichen Kindes, das die österreichische Staatsbürgerschaft besitze. Seit 23. Februar 2000 sei er als Koch in einer Pizzeria tätig. Als Grund für das Ansuchen um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft habe er angegeben, seit über zehn Jahren in Österreich wohnhaft zu sein und hier ein Kind zu haben.
Mit Urteil des Bezirksgerichtes D vom 31. Jänner 1994 sei der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen a S 600,-- verurteilt worden, weil er am 24. Juli 1992 in Hohenems einer anderen Person mindestens einen Faustschlag ins Gesicht versetzt habe, wodurch diese verletzt worden sei.
Mit Urteil des Bezirksgerichtes F vom 27. März 2000 sei der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Wochen verurteilt worden, weil er in der Zeit vom 1. Februar 1998 bis 27. März 2000 für seinen Sohn keine Unterhaltszahlungen geleistet habe. Er habe seine im Familienrecht begründete Unterhaltspflicht gröblich verletzt und dadurch bewirkt, dass der Unterhalt ohne Hilfe von anderer Seite gefährdet gewesen wäre.
Von der Bezirkshauptmannschaft D sei er wie folgt bestraft worden:
"mit Bescheid Zl. X-alt-1995/0265, wegen einer Übertretung nach § 103 Abs. 2 KFG 1967 mit einer Geldstrafe von S 500,--;
mit Bescheid Zl. X-alt-1995/4259, wegen einer Übertretung nach § 103 Abs. 2 KFG 1967 mit einer Geldstrafe von S 600,--;
mit Bescheid vom 23.03.1995, Zl. X-alt-1995/9365, wegen Übertretungen nach den §§ 9 Abs. 2 und 99 Abs. 3 lit. a StVO mit einer Geldstrafe von S 600,--;
mit Bescheid vom 23.03.1995, Zl. X-alt-1995/9365, wegen Übertretungen nach den §§ 102 Abs. 1 und 7 Abs. 1 KFG in Verbindung mit 4 Abs. 4 lit. b KDV mit einer Geldstrafe von S 800,--;
mit Bescheid Zl. X-alt-1996/12052, wegen einer Übertretung nach § 22 Abs. 1 Z 2 Meldegesetz mit einer Geldstrafe von S 200,--;
mit Bescheid vom 01.06.1999, Zl. X-9-2000/4355, wegen einer Übertretung nach § 43 Abs. 4 lit. b KFG mit einer Geldstrafe von S 800,--;
mit Bescheid vom 12.01.2000, Zl. X-9-2000/4032, wegen Übertretung nach § 107 Abs. 1 Z 4 in Verbindung mit § 31 Abs. 1 Fremdengesetz mit einer Geldstrafe von S 500,--."
Von der Bezirkshauptmannschaft F sei der Beschwerdeführer mit Bescheid vom 7. Februar 2000, Zl. X-9-2000/6990, "wegen einer Übertretung nach § 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 3 Abs. 2 und § 4 Abs. 2 Kurzparkzonen-Überwachungs-VO mit einer Geldstrafe von S 400,--" bestraft worden.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde nach Darstellung der Vorschrift des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG zum unbestrittenen Sachverhalt aus, dass die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen der Verletzung der Unterhaltspflicht als schwer wiegend gewertet werden müsse. Dies deshalb, weil über einen derart langen Zeitraum keinerlei Zahlungen geleistet worden seien. Zwischen den Jahren 1996 und 2000 sei der Beschwerdeführer wegen acht Verwaltungsübertretungen bestraft worden. "Gesamthaft gesehen" sei der Beschwerdeführer immer wieder, sowohl gerichtlich als auch verwaltungsbehördlich, negativ in Erscheinung getreten. In diesem Zusammenhang sei auch bemerkenswert, dass der Beschwerdeführer im Rahmen einer Niederschrift bei der Bezirkshauptmannschaft D als besonders berücksichtigungswürdigen Grund die Vaterschaft zu einem österreichischen Kind angeführt habe, obwohl er gerade für dieses Kind über einen Zeitraum von zwei Jahren keinerlei Unterhaltszahlungen geleistet habe. Dieses Verhalten lasse den Schluss zu, dass der Beschwerdeführer möglicherweise auch in Zukunft wesentliche Vorschriften missachten werde, die zur Abwehr und Unterdrückung von Gefahren für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit bzw. für die anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen erlassen worden seien. Es könne daher derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer Gewähr dafür biete, keine Gefahr für die eben genannten Interessen zu sein; der Beschwerdeführer erfülle daher die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG nicht.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die belangte Behörde hat die Versagung der Verleihung der Staatsbürgerschaft ausschließlich mit dem Mangel der Verleihungsvoraussetzung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG begründet.
§ 10 StbG in der Fassung der Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998, BGBl. I Nr. 124, lautet auszugsweise:
"Verleihung
§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn
...
6. er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet;
..."
Bei der Klärung der Frage, ob die Verleihungsvoraussetzung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG gegeben ist, ist vom Gesamtverhalten des Einbürgerungswerbers auszugehen. Dieses ist wesentlich durch das sich aus der Art, Schwere und Häufigkeit der von ihm begangenen Straftaten ergebende Charakterbild bestimmt. Hiebei stellt der Gesetzgeber nicht auf formelle Gesichtspunkte ab, sondern es ist lediglich maßgebend, ob es sich um Rechtsbrüche handelt, die den Schluss rechtfertigen, der Betreffende werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung - oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte Rechtsgüter - erlassene Vorschriften missachten. Aus der Art, der Schwere und der Häufigkeit solcher Verstöße kommt die negative Einstellung des Betreffenden gegenüber den zur Hintanhaltung von Gefahren für Leben, Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit erlassenen Gesetze in deutlicher Weise zum Ausdruck (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt das Erkenntnis vom 25. März 2003, Zl. 2001/01/0427). Dabei spielt es keine Rolle, ob die Verstöße von den Gerichten oder von den Verwaltungsbehörden zu ahnden waren und ob es sich um eine Angelegenheit der allgemeinen Sicherheitspolizei oder einer speziellen Verwaltungspolizei handelt (vgl. etwa das Erkenntnis vom 4. April 2001, Zl. 99/01/0369).
Es bedarf unter dem Blickwinkel des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG einer materiellen Prüfung der Persönlichkeit des Einbürgerungswerbers. Eine solche Prüfung gebietet einen Rückgriff auf die den rechtskräftigen Verurteilungen zugrundeliegenden Taten, weil nur so ein Rückschluss auf das Charakterbild des Staatsbürgerschaftswerbers möglich ist. Im Einzelnen heißt das, dass die Behörde die maßgeblichen Tathandlungen, die näheren Umstände und den Zeitpunkt der Tatbegehung zu ermitteln hat (vgl. das Erkenntnis vom 24. November 1999, Zl. 99/01/0323).
Taten haben grundsätzlich dann weniger Gewicht, wenn sie weiter zurückliegen. Dabei ist auch der Zeitraum des Wohlverhaltens nach einer Straftat zu beachten (vgl. das Erkenntnis vom 7. September 2000, Zl. 2000/01/0117).
Vor diesem rechtlichen Hintergrund durfte sich die belangte Behörde zur Beurteilung der von ihr herangezogenen verwaltungsbehördlichen Bestrafungen nicht darauf beschränken, die übertretenen Verwaltungsstraftatbestände sowie die hiefür über den Beschwerdeführer verhängten Verwaltungsstrafen zu zitieren; sie hätte vielmehr nähere Feststellungen über das diesen Bestrafungen zugrundeliegende, einer Beurteilung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG zuzuführende, Verhalten des Beschwerdeführers zu treffen gehabt. Dabei werden allerdings im vorliegenden Fall die vier - nach der Aktenzahl (1995) - zumindest fünf Jahre zurückliegenden Verwaltungsübertretungen bei der vorzunehmenden Beurteilung nur dann ins Gewicht fallen, wenn besonders gefährliche Umstände hervorkämen oder die Taten eine besondere Schwere aufwiesen. Nur wenn eben solche Umstände vorlägen könnte hier auch die vom Beschwerdeführer im Jahre 1992 - somit etwa neun Jahre vor Bescheiderlassung einmalig - zugefügte Körperverletzung zu seinen Lasten berücksichtigt werden.
Bei ihrer negativen Prognose stellte die belangte Behörde die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen der Verletzung der Unterhaltspflicht in den Mittelpunkt der Betrachtung. Der Beschwerdeführer wurde wegen dieses Deliktes zu einer dreiwöchigen Freiheitsstrafe verurteilt, wobei - wie zwar dem Akt, nicht aber dem angefochtenen Bescheid zu entnehmen ist - als mildernd der bisherige ordentliche Lebenswandel des Beschwerdeführers und sein Geständnis gewertet wurden. Erschwerend kamen - nach der Aktenlage - keine Umstände hinzu. Die belangte Behörde wertete ausschließlich die lange Dauer der Unterhaltsverletzung und die Unterlassung jeglicher Zahlung, ohne dass nähere Umstände der Begehung der strafbaren Handlung ermittelt worden wären. In der Beschwerde behauptet der Beschwerdeführer etwa, er sei "zum genannten Zeitpunkt" ohne Beschäftigung gewesen und habe die Zahlungen (gemeint wohl: den seinem Sohn gewährten Unterhaltsvorschuss) mittlerweile refundiert. Nun ist die Verletzung der Unterhaltspflicht durchaus kein Bagatelldelikt, allerdings ist allein aus den von der belangten Behörde angenommenen Gründen - ohne weitere Feststellungen - die von ihr gezogene Schlussfolgerung nicht abzuleiten.
Die fehlenden Feststellungen über nähere Umstände des festgestellten verwaltungsbehördlich und gerichtlich strafbaren Verhaltens des Beschwerdeführers verwehren dem Verwaltungsgerichtshof die nachprüfende Kontrolle der von der belangten Behörde vertretenen Ansicht, der Beschwerdeführer erfülle nicht die Verleihungsvoraussetzung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Die im Betrag
von S 2.500,-- entrichtete Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG war im Betrag von EUR 181,68 zuzusprechen.
Wien, am 15. Mai 2003
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