Normen
AsylG 1997 §28;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnC Z5;
AsylG 1997 §28;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnC Z5;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Albanien, reiste am 11. Jänner 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 12. Jänner 1999 Asyl. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 12. Jänner 2000 gemäß § 7 AsylG ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Albanien gemäß § 8 AsylG für zulässig.
Die vom Beschwerdeführer dagegen erhobene Berufung wurde von der belangten Behörde mit dem angefochtenen Bescheid "gemäß den §§ 7, 8 AsylG abgewiesen".
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Der Beschwerdeführer hat seinen Asylantrag in erster Instanz im Wesentlichen damit begründet, dass er als Mitglied einer Jugendorganisation der oppositionellen Demokratischen Partei schon im Anschluss an eine Demonstrationsteilnahme im September 1998 von Beamten in Zivilkleidung festgenommen und für 24 Stunden in Polizeigewahrsam gehalten worden sei. Im Dezember 1998 sei er an der Organisation eines Hungerstreiks von Studenten in Tirana beteiligt gewesen. Die Polizei habe den Hungerstreik am 17. Dezember 1998 gewaltsam aufgelöst, wobei es dem Beschwerdeführer aber gelungen sei, davonzukommen, ohne geschlagen zu werden. Er sei in seine Heimatstadt Fier zurückgekehrt. Dort seien in der Folge Personen in Zivil aufgetaucht, die sich als Polizisten ausgegeben und nach dem Beschwerdeführer gefragt hätten, woraufhin der Beschwerdeführer sich bis zu seiner Ausreise versteckt gehalten habe. Die Personen in Zivil hätten den Beschwerdeführer wegen der Teilnahme an dem Hungerstreik gesucht und die Familie des Beschwerdeführers unter Druck gesetzt. Im Falle einer Rückkehr fürchte der Beschwerdeführer um sein Leben. Einer seiner Freunde, der auch an dem Hungerstreik beteiligt gewesen sei, sei von "solchen Leuten" zu Hause angetroffen und mitgenommen worden. Er sei zusammengeschlagen und schwer verletzt worden. Danach habe er sich bei den Behörden beschwert und die Antwort bekommen, dass man ihm nicht helfen könne. Insbesondere in Tirana gebe es keinen Schutz vor solchen Leuten, die den Beschwerdeführer wegen der Teilnahme an dem Streik einschüchtern wollten, obwohl sie sicher nicht die Berechtigung zu einem solchen Vorgehen hätten. Sie würden zu diesem Zweck organisiert, möglicherweise von der Regierung oder der an der Macht befindlichen Partei. In dem seit dem Hungerstreik verstrichenen Jahr habe sich die politische Situation nicht verändert.
Auch in der Verhandlung vor der belangten Behörde betonte der Beschwerdeführer, die Sozialistische Partei, gegen die sich seine damaligen politischen Aktivitäten gerichtet hätten, sei nach wie vor an der Macht. In Bezug auf ihm vorgehaltene Berichte hob er u. a. hervor, darin sei weiterhin von Misshandlung und Todesfällen in Polizeigewahrsam die Rede.
Die belangte Behörde zog der Verhandlung einen Sachverständigen bei, der ausführte, das politische Klima radikalisiere sich wieder und es sei mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 50 % damit zu rechnen, dass das Land demnächst wieder in einen chaosähnlichen Zustand stürze. Die Polizei habe insbesondere in den höheren Ebenen Verbindungen zu den politischen Parteien. Rein nach der Gesetzeslage dürfe dem Beschwerdeführer nichts passieren. Die tatsächliche Lage entspreche der Gesetzeslage aber umso weniger, je größer die Entfernung zu Tirana sei. In Tirana selbst würde der Sachverständige "die Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Abweichung von der Gesetzeslage mit nicht mehr als 20 % (also nur als 'entfernte Möglichkeit') einstufen", und zwar u. a. wegen der Präsenz internationaler Beobachter. Daran würde sich auch für den Fall des Eintritts des zuvor erwähnten chaosähnlichen Zustandes "nicht viel ändern".
In Erörterung seiner Ausführungen mit dem Beschwerdeführer pflichtete der Sachverständige diesem bei, dass international bekannte Persönlichkeiten vor Übergriffen besser geschützt seien als Personen unterhalb dieser Ebene, die sich etwa bei der Organisation von Demonstrationen engagiert hätten. "Jedenfalls ausschließen" könne der Sachverständige aber, "dass, abgesehen von nie ausschließbaren Einzelfällen, einfache Teilnehmer an Demonstrationen deswegen verfolgt werden".
Gestützt auf diese Ausführungen des Sachverständigen vertritt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid - ohne die Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers in Zweifel zu ziehen - die Ansicht, eine asyl- oder refoulementschutzrelevante Gefährdung des Beschwerdeführers sei danach "jedenfalls nunmehr ... jedenfalls in Tirana ... als nicht genügend wahrscheinlich" anzusehen. Der Beschwerdeführer könne "nicht etwa als im Sinne der Darlegung des Sachverständigen höher gefährdeter Aktivist betrachtet werden", sondern er sei "bloß als einfacher Teilnehmer oppositioneller Aktivitäten hervorgetreten" und der Sachverständige habe "ausgeschlossen", dass dies, abgesehen von nie ausschließbaren Einzelfällen, Verfolgung nach sich ziehe. Die Wahrscheinlichkeit, dass "in Abweichung von der Gesetzeslage ... etwas passiert", habe der Sachverständige "mit nicht mehr als 20 %" angegeben. Im Übrigen hätten schon die seinerzeitigen, vom Beschwerdeführer angeführten Beeinträchtigungen nicht die erforderliche Intensität aufgewiesen.
Diese Ausführungen vermögen den angefochtenen Bescheid deshalb nicht zu tragen, weil es die belangte Behörde verabsäumt hat, die Ausführungen des Sachverständigen in Beziehung dazu zu setzen, dass der Beschwerdeführer seinem Vorbringen nach wegen der Teilnahme an dem Hungerstreik im Dezember 1998 (über dessen Verlauf und Folgen die belangte Behörde keine Feststellungen getroffen hat) sogar in seinem vom Ort des Geschehens entfernten Heimatort bereits konkret gesucht und ein Freund, bei dem diese Suche erfolgreich gewesen sei, schwer verletzt worden sei. Dies unterstellend hätte die belangte Behörde mit dem Sachverständigen erörtern müssen, ob es sich hiebei um einen der "nie ausschließbaren Einzelfälle" handeln solle, ob derartige Vorfälle nach Ansicht des Sachverständigen schon 1998 nur in Fier, aber nicht in Tirana möglich gewesen oder - im Sinne einer der Sache nach auf Art. 1 Abschnitt C Z 5 FlKonv abstellenden Betrachtung - seither bestimmte für derartige Gefährdungen relevante und auch dauerhafte Sachverhaltsänderungen eingetreten seien, oder ob der Sachverständige sich in seiner - nicht näher begründeten - prozentuellen Einschätzung eines möglichen Auseinanderklaffens von Sach- und Rechtslage allenfalls nur auf Vorgangsweisen im Rahmen offiziellen Behördenhandelns bezogen habe. Derartige Erörterungen, insbesondere des Problemkreises gewaltsamer Einschüchterungen politischer Gegner durch "Zivilisten" im Umkreis des Sicherheitsapparates, werden im angefochtenen Bescheid aber nicht dargestellt (vgl. zu ähnlichen Problemen des Verhältnisses von Ausführungen eines Sachverständigen zum Parteivorbringen zuletzt etwa die - Asylwerber aus Indien betreffenden - hg. Erkenntnisse vom 3. Juli 2003, Zl. 2000/20/0419 und Zl. 2000/20/0484).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Das Mehrbegehren findet in diesen Vorschriften keine Deckung.
Wien, am 16. Juli 2003
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