VwGH 2000/20/0396

VwGH2000/20/039619.2.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des K in W, vertreten durch Dr. Reinhard Neureiter, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Reichsratsstraße 15, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 2. August 2000, Zl. SD 125/00, betreffend Entziehung des Waffenpasses, zu Recht erkannt:

Normen

StGB §43 Abs2;
StGB §83 Abs1;
TilgG 1972 §2 Abs1;
TilgG 1972 §3 Abs1 Z2;
TilgG 1972 §4 Abs1;
TilgG 1972 §4 Abs2;
TilgG 1972 §4 Abs3;
WaffG 1996 §25 Abs3;
WaffG 1996 §8 Abs1;
WaffG 1996 §8 Abs3 Z4;
WaffG 1996 §8 Abs4;
StGB §43 Abs2;
StGB §83 Abs1;
TilgG 1972 §2 Abs1;
TilgG 1972 §3 Abs1 Z2;
TilgG 1972 §4 Abs1;
TilgG 1972 §4 Abs2;
TilgG 1972 §4 Abs3;
WaffG 1996 §25 Abs3;
WaffG 1996 §8 Abs1;
WaffG 1996 §8 Abs3 Z4;
WaffG 1996 §8 Abs4;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 26. Jänner 2000 wurde der am 9. Februar 1993 ausgestellte Waffenpass des Beschwerdeführers gemäß § 25 Abs. 3 in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Waffengesetz 1996 (im Folgenden kurz: WaffG) entzogen. Begründend verwies die Erstbehörde dazu auf im Strafregister des Beschwerdeführers aufscheinende gerichtliche Verurteilungen, von denen zwei auf § 83 Abs. 1 StGB beruhten. Was das vom Beschwerdeführer an das Bundesministerium für Justiz gerichtete Ansuchen "um Tilgung einer der Vorstrafen wegen vorsätzlicher Körperverletzung" betreffe, so sei diesem Antrag bislang nicht stattgegeben worden.

Der gegen den eingangs erwähnten Bescheid rechtzeitig erhobenen Berufung, in der der Beschwerdeführer vorbrachte, eine der Vorstrafen sei bereits "tilgungsfähig", gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge und bestätigte die Entziehung des Waffenpasses des Beschwerdeführers mit der Maßgabe, dass sich diese "auch auf § 8 Abs. 3 Z. 4 leg. cit. stützt". Begründend stellte die belangte Behörde nach Wiedergabe der maßgeblichen Rechtsvorschriften fest, der Beschwerdeführer sei insgesamt fünf Mal rechtskräftig verurteilt worden. So sei der Beschwerdeführer mit Urteil vom 9. September 1988 wegen § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt und danach zwei Mal gerichtlich wegen Verletzung der Unterhaltspflicht bestraft worden. Mit Urteil vom 17. Juni 1996 sei er schließlich abermals wegen § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil er einer Frau zahlreiche Schläge gegen Gesicht und Körper versetzt hätte, wodurch diese mehrere Blutergüsse auf diversen Körperteilen sowie eine Schürfwunde im Bereich des Nasenrückens erlitten habe. Die dabei verhängten Geldstrafen erreichten zwar nicht das in § 8 Abs. 3 Z. 1 WaffG normierte Strafmaß, doch habe der Beschwerdeführer durch die zweimalige Verurteilung wegen § 83 Abs. 1 StGB den Tatbestand des § 8 Abs. 3 Z. 4 WaffG verwirklicht, sodass ihm mangels waffenrechtlicher Verlässlichkeit der Waffenpass zu entziehen gewesen sei. Zu den beiden Verurteilungen wegen Körperverletzung merkte die belangte Behörde an, dass diese "bis dato nicht getilgt" seien, was sich "zweifelsfrei aus den entsprechenden Bestimmungen des Tilgungsgesetzes" ergebe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Im aktenkundigen Auszug aus dem Strafregister des Beschwerdeführers scheinen folgende Verurteilungen auf:

1. Urteil vom 18. März 1987 (Rechtskraft 8. September 1987) wegen § 159 Abs. 1 Z. 1 und 2 StGB und § 114 Abs. 1 ASVG: drei Monate Freiheitsstrafe bedingt, endgültig nachgesehen am 30. November 1992

2. Urteil vom 9. September 1988 (Rechtskraft 21. Dezember 1988) wegen § 83 Abs. 1 StGB: 40 Tagessätze (im Nichteinbringungsfall: 20 Tage Freiheitsstrafe); Vollzugsdatum:

27. März 1990;

3. Urteil vom 27. Februar 1992 (Rechtskraft 2. März 1992) wegen § 198 Abs. 1 StGB: ein Monat Freiheitsstrafe bedingt, endgültig nachgesehen am 15. Juli 1997;

4. Urteil vom 21. Jänner 1994 (Rechtskraft 26. Jänner 1994) wegen § 198 Abs. 1 StGB - drei Monate Freiheitsstrafe bedingt, Probezeit drei Jahre, endgültig nachgesehen am 2. Juni 1999;

5. Urteil vom 14. Juni 1996 (Rechtskraft 17. Juni 1996) wegen § 83 Abs. 1 StGB: 70 Tagessätze (im Nichteinbringungsfall: 35 Tage Freiheitsstrafe), Vollzugsdatum: 7. März 1997.

In der Beschwerde bestreitet der Beschwerdeführer die genannten Verurteilungen nicht. Er wendet sich vielmehr gegen die Erfüllung des Tatbestandes des § 8 Abs. 3 Z. 4 WaffG und vertritt dazu die Ansicht, die belangte Behörde hätte die Verurteilung des Beschwerdeführers aus dem Jahre 1988 nicht berücksichtigen dürfen. Hinsichtlich dieser Strafe sei nämlich im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides die fünfjährige Tilgungsfrist bereits verstrichen gewesen, sodass die entsprechende Verurteilung gemäß § 8 Abs. 4 WaffG bei Beurteilung der Verlässlichkeit des Beschwerdeführers außer Betracht hätte bleiben müssen.

Gemäß § 25 Abs. 3 WaffG hat die Behörde waffenrechtliche Urkunden zu entziehen, wenn sich ergibt, dass der Berechtigte nicht mehr verlässlich ist.

§ 8 Abs. 3 und 4 WaffG lautet auszugsweise:

"(3) Als nicht verlässlich gilt ein Mensch im Falle einer Verurteilung

1. wegen einer unter Anwendung oder Androhung von Gewalt begangenen oder mit Gemeingefahr verbundenen vorsätzlichen strafbaren Handlung, wegen eines Angriffes gegen den Staat oder den öffentlichen Frieden oder wegen Zuhälterei, Menschenhandels, Schlepperei oder Tierquälerei zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Monaten oder einer Geldstrafe von mehr als 120 Tagessätzen oder

  1. 2. ...
  2. 3. ...
  3. 4. wegen einer in Z 1 genannten strafbaren Handlung, sofern er bereits zweimal wegen einer solchen verurteilt worden ist.

(4) Eine gemäß Abs. 3 maßgebliche Verurteilung liegt nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. Trotz einer nicht getilgten Verurteilung im Sinne des Abs. 3 kann ein Mensch verlässlich sein, wenn das Gericht vom Ausspruch der Strafe abgesehen hat (§ 12 des Jugendgerichtsgesetzes 1988 - JGG, BGBl. Nr. 599); gleiches gilt, wenn das Gericht sich den Ausspruch der Strafe vorbehalten hat (§ 13 JGG) oder die Strafe - außer bei Freiheitsstrafen von mehr als sechs Monaten - ganz oder teilweise bedingt nachgesehen hat, sofern kein nachträglicher Strafausspruch oder kein Widerruf der bedingten Strafnachsicht erfolgte."

Das Tilgungsgesetz 1972 in der im Beschwerdefall maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 146/1999 lautet auszugsweise wie folgt:

"Tilgung von Verurteilungen

§ 1. (1) Die Tilgung gerichtlicher Verurteilungen tritt, sofern sie nicht ausgeschlossen ist (§ 5), mit Ablauf der Tilgungsfrist kraft Gesetzes ein.

(2) ...

Beginn der Tilgungsfrist

§ 2. (1) Die Tilgungsfrist beginnt, sobald alle Freiheits- oder Geldstrafen und die mit Freiheitsentzug verbundenen vorbeugenden Maßnahmen vollzogen sind, als vollzogen gelten, nachgesehen worden sind oder nicht mehr vollzogen werden dürfen.

(2) ...

Tilgungsfrist bei einer einzigen Verurteilung

§ 3. (1) Ist jemand nur einmal verurteilt worden, so beträgt die Tilgungsfrist

1. drei Jahre, wenn er wegen Jugendstraftaten nach den §§ 12 oder 13 des Jugendgerichtsgesetzes 1988 verurteilt worden ist, endet im Fall des § 13 jedoch nicht, bevor das Gericht ausgesprochen hat, dass von der Verhängung einer Strafe endgültig abgesehen wird;

2. fünf Jahre, wenn er zu einer höchstens einjährigen Freiheitsstrafe oder nur zu einer Geldstrafe oder weder zu einer Freiheitsstrafe noch zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist oder wenn er außer im Falle der Z 1 nur wegen Jugendstraftaten verurteilt worden ist;

3. ...

Tilgungsfrist bei mehreren Verurteilungen

§ 4. (1) Wird jemand rechtskräftig verurteilt, bevor eine oder mehrere frühere Verurteilungen getilgt sind, so tritt die Tilgung aller Verurteilungen nur gemeinsam ein.

(2) Die Tilgungsfrist ist im Falle des Abs. 1 unter Zugrundelegung der Summe der in allen noch nicht getilgten Verurteilungen verhängten Strafen nach § 3 zu bestimmen, sie muss aber mindestens die nach § 3 bestimmte Einzelfrist, die am spätesten enden würde, um so viele Jahre übersteigen, als rechtskräftige und noch nicht getilgte Verurteilungen vorliegen. Die zuletzt rechtskräftig gewordene Verurteilung ist mitzuzählen.

(3) Verurteilungen, bei denen die verhängte Freiheits- oder Ersatzfreiheitsstrafe oder deren Summe einen Monat nicht übersteigt, bewirken keine Verlängerung der Tilgungsfrist nach Abs. 2; ebenso wenig werden ihre Tilgungsfristen durch andere Verurteilungen verlängert. Die Tilgung aller Verurteilungen tritt jedoch auch in diesem Fall nur gemeinsam ein (Abs. 1).

(4) ..."

Unstrittig ist im Beschwerdefall, dass der Beschwerdeführer mit Urteilen vom 9. September 1988 und vom 14. Juni 1996 jeweils wegen § 83 Abs. 1 StGB zu unbedingten Geldstrafen verurteilt wurde. War im Bescheiderlassungszeitpunkt keine dieser beiden Verurteilungen getilgt (worauf im Folgenden einzugehen sein wird), so ergibt sich aus § 8 Abs. 3 Z. 4 WaffG - vorbehaltlich der hier nicht in Betracht kommenden Anwendung des Abs. 4 - die unwiderlegliche Rechtsvermutung der waffenrechtlichen Unverlässlichkeit des Beschwerdeführers, die eine weitere Prüfung der Verlässlichkeit im Sinn des § 8 Abs. 1 WaffG erübrigt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 29. Oktober 1998, Zl. 98/20/0308, und vom 29. März 2001, Zl. 2000/20/0563) und gemäß § 25 Abs. 3 WaffG zur Entziehung der waffenrechtlichen Urkunde des Beschwerdeführers führt.

Im Beschwerdefall hängt daher die Erfüllung des Tatbestandes des § 8 Abs. 3 Z. 4 WaffG davon ab, ob die belangte Behörde auch die erwähnte Verurteilung des Beschwerdeführers vom 9. September 1988 zu einer unbedingten Geldstrafe wegen § 83 Abs. 1 StGB der Berufungsentscheidung zugrunde legen durfte oder ob diese Verurteilung im Entscheidungszeitpunkt (kraft Gesetzes, wovon zumindest auch die belangte Behörde ausgeht) bereits getilgt war. Dem bloßen Umstand, dass diese Verurteilung schon vor der Ausstellung des Waffenpasses im Jahr 1993 erfolgte, kommt im vorliegenden Fall keine Bedeutung zu, weil der Wegfall der waffenrechtlichen Verlässlichkeit des Beschwerdeführers im Grund des § 8 Abs. 3 Z. 4 WaffG erst mit seiner weiteren Verurteilung vom 14. Juni 1996 in Betracht kam (insoweit anders daher der dem hg. Erkenntnis vom 26. November 2003, Zl. 99/20/0489, zugrunde liegende Beschwerdefall).

Die Tilgungsfrist betreffend die Verurteilung vom 9. September 1988 begann mit dem Vollzug der verhängten Geldstrafe (§ 2 Abs. 1 Tilgungsgesetz) am 27. März 1990 und beträgt für den Fall der nur einmaligen Verurteilung des Beschwerdeführers gemäß § 3 Abs. 1 Z. 2 leg. cit. fünf Jahre. Noch vor Eintritt der Tilgung dieser Verurteilung wurde der Beschwerdeführer am 27. Februar 1992 und am 21. Jänner 1994 wegen Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 198 Abs. 1 StGB) zu bedingten (und in der Folge endgültig nachgesehenen) Freiheitsstrafen verurteilt. Gemäß § 4 Abs. 1 Tilgungsgesetz trat die Tilgung der Verurteilung vom 9. September 1988 daher erst gemeinsam mit den beiden letztgenannten Verurteilungen und, weil diese beiden Verurteilungen ihrerseits im Zeitpunkt der nachfolgenden Verurteilung vom 14. Juni 1996 noch nicht getilgt waren (die Tilgungsfrist der beiden Verurteilungen wegen Verletzung der Unterhaltspflicht begann infolge der endgültigen Nachsicht der bedingten Freiheitsstrafen gemäß § 43 Abs. 2 StGB mit der Rechtskraft der Strafurteile (2. März 1992 bzw. 26. Jänner 1994) - vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom 13. Februar 1991, Zl. 90/01/0101 -, und betrug gemäß § 3 Abs. 1 Z. 2 Tilgungsgesetz (unter Berücksichtigung der Fristverlängerung nach § 4 Abs. 2 und Abs. 3 Tilgungsgesetz sogar mehr als) fünf Jahre), erst gemeinsam mit der Tilgung der Verurteilung vom 14. Juni 1996 ein.

In einem solchen Fall des Zusammentreffens mehrerer Verurteilungen tritt die gemeinsame Tilgung all dieser Verurteilungen zufolge § 4 Abs. 2 Tilgungsgesetz jedenfalls nicht vor dem Ablauf jener Einzelfrist ein, die am spätesten enden würde. Maßgeblich für die Tilgung der vier zuletzt genannten Verurteilungen des Beschwerdeführers ist nach dem Gesagten daher der Ablauf der Tilgungsfrist der Verurteilung vom 14. Juni 1996, die mit dem Vollzug dieser Verurteilung am 7. März 1997 begann und im Hinblick auf § 3 Abs. 1 Z. 2 Tilgungsgesetz zumindest - die Verlängerung nach § 4 Abs. 2 Tilgungsgesetz noch gar nicht berücksichtigt - fünf Jahre dauerte. Im Bescheiderlassungszeitpunkt (18. August 2000) war diese Frist daher jedenfalls noch nicht abgelaufen, sodass der belangten Behörde - im Ergebnis - beizupflichten ist, wenn sie bei Beurteilung der waffenrechtlichen Verlässlichkeit des Beschwerdeführers entgegen dem Beschwerdestandpunkt auch die Verurteilung vom 9. September 1988 zugrunde gelegt hat.

Damit ergibt sich, dass dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, sodass die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 19. Februar 2004

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