VwGH 2000/18/0092

VwGH2000/18/009213.10.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde des R B in Wien, geboren am 15. November 1981, vertreten durch den Vater H B in Wien, dieser vertreten durch Mag. DI Markus Petrowsky, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Rainergasse 3, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 20. Dezember 1999, Zl. SD 1018/99, betreffend Entziehung eines Reisepasses und eines Personalausweises, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §39 Abs2;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
PaßG 1992 §14 Abs1 Z3 litf;
PaßG 1992 §15 Abs1;
PaßG 1992 §19 Abs2;
StbG 1985 §10 Abs1 Z2;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
StGB §43;
TilgG 1972 §1 Abs5;
TilgG 1972 §6 Abs1;
TilgG 1972 §6 Abs2 Z2;
TilgG 1972 §6 Abs5;
VwRallg;
AVG §39 Abs2;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
PaßG 1992 §14 Abs1 Z3 litf;
PaßG 1992 §15 Abs1;
PaßG 1992 §19 Abs2;
StbG 1985 §10 Abs1 Z2;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
StGB §43;
TilgG 1972 §1 Abs5;
TilgG 1972 §6 Abs1;
TilgG 1972 §6 Abs2 Z2;
TilgG 1972 §6 Abs5;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 20. Dezember 1999 wurden dem Beschwerdeführer gemäß § 15 Abs. 1 iVm § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f Passgesetz 1992 (PassG), BGBl. Nr. 839, der von der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung am 24. Juni 1996 ausgestellte Reisepass Nr. A 0354983 sowie der von der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung am 7. März 1997 ausgestellte Personalausweis mit der Nr. 5332505 entzogen.

Am 23. November 1998 sei gegen den Beschwerdeführer von Beamten des Gendarmerieposten Preßbaum Strafanzeige wegen des Verdachtes des Verbrechens nach dem Suchtmittelgesetz erstattet worden. Dem Beschwerdeführer sei vorgeworfen worden, mehrmals in Holland und Wien Suchtgift gekauft und in Preßbaum weiterverkauft zu haben. Zur Überprüfung der Richtigkeit dieses Vorwurfes sei das Gerichtsurteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 4. März 1999, mit welchem der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens nach § 28 Abs. 2 Suchtmittelgesetz (Erzeugen, Einführen, Ausführen oder In-Verkehr-setzen einer großen Suchtgiftmenge) und wegen des Verbrechens des Einbruchsdiebstahles zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Monaten rechtskräftig verurteilt worden sei, angefordert worden. Auf Grund dieses Urteils stehe fest, dass der Beschwerdeführer am 28. Oktober 1998 mit zwei Komplizen in Amsterdam 200 g Marihuana und 50 g Cannabisharz im Wert von S 20.000,-- gekauft und das Suchtgift im Zug, und zwar in Kopfstützen und Armlehnen versteckt, nach Österreich geschmuggelt habe. Nur wenige Tage später, am 31. Oktober 1998, sei der Beschwerdeführer abermals mit seinen beiden Komplizen nach Amsterdam gereist und habe Cannabisprodukte im Wert von S 36.000,-- gekauft, um sie in Österreich weiterzuverkaufen. Auch diesmal hätten sie das Suchtgift wieder in den Kopfstützen und Armlehnen des Zugabteiles versteckt, seien aber entdeckt und zur Anzeige gebracht worden.

Der Beschwerdeführer habe somit Suchtgift in einer großen Menge eingeführt. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei derartigen strafbaren Handlungen die Wiederholungsgefahr immanent. Es sei daher die Annahme gerechtfertigt, dass der Beschwerdeführer den Pass auch in Hinkunft dazu benützen werde, um entgegen den bestehenden Vorschriften Suchtgift einzuführen oder in Verkehr zu setzen. Daran könne auch der Umstand, dass die Freiheitsstrafe bedingt nachgesehen worden sei, nichts ändern. Der Einwand des Beschwerdeführers, seine Verurteilung unterliege gemäß § 6 Abs. 5 Tilgungsgesetz 1972 (TilgG), BGBl. Nr. 68, der Beschränkung der Auskunft, gehe ins Leere, weil der Beschwerdeführer nicht verhalten worden sei, die Verurteilung im Passentziehungsverfahren anzugeben und auch keine Strafregisterauskunft eingeholt worden sei. Dem angefochtenen Bescheid liege nicht die Verurteilung, sondern das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers zu Grunde.

2. Die gegen diesen Bescheid zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde wurde von diesem Gerichtshof mit Beschluss vom 6. März 2000, B 258/00, unter Ablehnung ihrer Behandlung an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Vor dem Verwaltungsgerichtshof beantragt der Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des PassG haben folgenden Wortlaut:

"§ 14. (1) Die Ausstellung, die Erweiterung des Geltungsbereiches und die Änderung eines Reisepasses sind zu versagen, wenn

...

3. Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Passwerber den Reisepass benützen will, um

...

f) entgegen den bestehenden Vorschriften Suchtgift in einer großen Menge zu erzeugen, einzuführen, auszuführen oder in Verkehr zu setzen, ..."

§ 15. (1) Ein Reisepass, dessen Gültigkeitsdauer nicht länger als fünf Jahre abgelaufen ist, ist zu entziehen, wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden oder eintreten, die die Versagung der Ausstellung des Reisepasses rechtfertigen.

...

§ 19. ...

(2) Auf die Ausstellung, die Gültigkeitsdauer und ihre Einschränkung, die Vorlagepflicht, die Versagung und die Entziehung von Personalausweisen, weiters auf die Miteintragung von Kindern und auf die Ungültigerklärung einer Miteintragung sowie auf die Abnahme von Personalausweisen sind die diesbezüglichen, die gewöhnlichen Reisepässe betreffenden Bestimmungen dieses Bundesgesetzes einschließlich der §§ 9 Abs. 7 und 15 Abs. 5 mit der Maßgabe anzuwenden, dass Entziehungsverfahren oder Verfahren zur Ungültigerklärung der Miteintragung auf gültige Personalausweise beschränkt sind."

2.1. Der Beschwerdeführer hat nach den unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid - unter Verwendung des nunmehr entzogenen Reisepasses - in zwei Fällen eine große Suchtgiftmenge in Holland angekauft und nach Österreich eingeführt bzw. einzuführen versucht. Er hat seinen Pass somit bereits mehrmals zur Begehung der in § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f PassG umschriebenen strafbaren Handlungen verwendet. Im Hinblick auf das Erfahrungswissen, dass gerade bei einem Delikt gemäß § 28 Suchtmittelgesetz die Wiederholungsgefahr besonders groß ist (vgl. etwa das auf die Vorgängerbestimmung des § 12 Suchtgiftgesetz bezugnehmende, auch hier maßgebliche hg. Erkenntnis vom 19. Oktober 1999, Zl. 97/18/0443), kann die Ansicht der belangten Behörde, dass die Annahme gerechtfertigt sei, der Beschwerdeführer werde den Pass (bzw. den Personalausweis) dazu benützen, um entgegen den bestehenden Vorschriften Suchtgift in einer großen Menge zu erzeugen, einzuführen, auszuführen oder in Verkehr zu setzen, nicht als rechtswidrig erkannt werden, zumal sich die Wiederholungsgefahr beim Beschwerdeführer bereits insofern manifestiert hat, als er wegen mehrerer derartiger Tathandlungen verurteilt worden ist.

2.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, aus der bedingten Nachsicht der vom Gericht verhängten Strafe ergebe sich, dass die bloße Androhung des Vollzuges genüge, um ihn von weiteren Straftaten abzuhalten. Dem widerspreche die Ansicht der belangten Behörde, wonach die Annahme gerechtfertigt sei, dass der Beschwerdeführer seinen Pass zur Begehung der in § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f PassG genannten Straftaten verwenden werde.

Dem ist entgegenzuhalten, dass die Passbehörde die Frage des Vorliegens eines Grundes für die Entziehung eines Passes oder eines Personalausweises - hiebei handelt es sich um eine administrativ-rechtliche Maßnahme und nicht eine Strafe (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. November 1999, Zl. 99/18/0292) - nach den hiefür vom Gesetz vorgegebenen Kriterien eigenständig zu beurteilen hat, ohne an die Erwägungen des Gerichtes bei der Entscheidung über die bedingte Nachsicht der verhängten Strafe gebunden zu sein (vgl. etwa das zum Fall der bedingten Entlassung aus einer Freiheitsstrafe ergangene, auch hier maßgebliche hg. Erkenntnis vom 21. September 1999, Zl. 99/18/0267).

3.1. Der Beschwerdeführer wendet sich vor allem dagegen, dass die belangte Behörde seine gerichtliche Verurteilung zur Begründung der getroffenen Maßnahmen herangezogen hat, obwohl diese Verurteilung von der Beschränkung der Auskunft gemäß § 6 TilgG umfasst sei. Mit dieser Bestimmung habe der Gesetzgeber erkennbar die Wertung getroffen, dass Verurteilungen wie die vorliegende von Behörden nur für bestimmte Angelegenheiten, zu welchen die Vollziehung des Passgesetzes nicht gehöre, berücksichtigt werden dürften. Beschaffe sich die Behörde die Information über derartige Verurteilungen auf andere Wege als über die Einholung einer Strafregisterauskunft, stelle das eine Umgehung von § 6 TilgG dar. Die Verwertung von strafbaren Handlungen, die einer von der beschränkten Auskunft umfassten Verurteilung zu Grunde lägen, im Rahmen von nicht in § 6 TilgG genannten Verfahren, könne "nicht im Sinne des Gesetzes sein".

3.2. Die Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als sechs Monaten erfolgte wegen einer Jugendstraftat. Derartige Verurteilungen sind gemäß § 6 Abs. 2 Z. 2 TilgG sofort mit Rechtskraft von der Beschränkung der Auskunft umfasst. Dies bedeutet, dass eine Auskunft aus dem Strafregister nur den in § 6 Abs. 1 TilgG genannten Behörden zu den dort genannten Zwecken erteilt werden darf. Die Durchführung eines Passentziehungsverfahrens ist darin nicht aufgezählt. Hätte die belangte Behörde daher eine Strafregisterauskunft betreffend den Beschwerdeführer eingeholt, wäre die Verurteilung darin nicht aufgeschienen. Gemäß § 6 Abs. 5 TilgG wäre der Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren auch nicht verpflichtet gewesen, die Verurteilung anzugeben.

3.3. Für die Verwirklichung des Passversagungsgrundes gemäß § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f PassG ist erforderlich, dass die Annahme gerechtfertigt ist, der Passwerber werde entgegen den bestehenden Vorschriften Suchtgift in einer großen Menge erzeugen, einführen, ausführen oder in Verkehr setzen. Im Rahmen der Beurteilung, ob diese Annahme gerechtfertigt ist, ist eine Prognose über das künftige Verhalten anzustellen, wobei als Grundlage dafür insbesondere das gesamte bisherige (Fehl)Verhalten der Partei heranzuziehen ist.

Eine solche auf dem bisherigen Gesamt(fehl)verhalten der Partei basierende Prognose ist etwa bei der Beurteilung des Vorliegens des Staatsbürgerschaftsverleihungshindernisses gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 oder bei der Frage, ob die als Voraussetzung für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes normierte, in § 36 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 umschriebene Annahme gerechtfertigt ist, zu treffen. Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann bei diesen Entscheidungen auch das - der Behörde auf irgendeine Weise bekannt gewordene - getilgten Verurteilungen zu Grunde liegende Fehlverhalten berücksichtigt werden (vgl. zu § 10 Abs. 1 Z. 6 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 etwa das Erkenntnis vom 8. März 1999, Zl. 98/01/0255; zu § 36 Abs. 1 FrG etwa das Erkenntnis vom 19. Mai 2000, Zl. 99/21/0223), obwohl solche Verurteilungen gemäß § 1 Abs. 5 TilgG in Strafregisterauskünfte und in Strafregisterbescheinigungen überhaupt nicht aufgenommen werden dürfen. Dies findet seine Rechtfertigung darin, dass die genannten Bestimmungen - anders als etwa § 10 Abs. 1 Z. 2 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 oder § 36 Abs. 2 Z. 1 Fremdengesetz 1997 - nicht auf eine formelle Prüfung des Vorliegens bestimmter Verurteilungen abstellen, sondern eine materielle Prüfung des Gesamtverhaltens der Partei verlangen. Bei dieser Prüfung hat die Behörde alles zu berücksichtigen, was für die anzustellende Prognose relevant ist. Dabei hat die Behörde nach § 39 Abs. 2 AVG von Amts wegen vorzugehen. Dass die Strafregisterbehörden über bestimmte Verurteilungen keine Auskunft erteilen dürfen, ist dafür ohne Bedeutung.

Da - wie dargestellt - für die Frage, ob der Passversagungsgrund gemäß § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f PassG vorliegt, ebenfalls eine derartige materielle Prüfung durchzuführen ist, kann auch dabei das bereits getilgten oder der beschränkten Auskunft unterliegenden Verurteilungen zu Grunde liegende Fehlverhalten der Partei herangezogen werden.

4. Auf Grund des nach Ausstellung des Reisepasses und des Personalausweises eingetretenen Versagungsgrundes des § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f PassG hat die belangte Behörde den Reisepass gemäß § 15 Abs. 1 und den Personalausweis gemäß § 19 Abs. 2 leg. cit. zu Recht entzogen. Die sich somit als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 13. Oktober 2000

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