VwGH 2000/13/0157

VwGH2000/13/015717.10.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Fuchs, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. iur. Mag. (FH) Schärf, über die Beschwerde der LB in W, vertreten durch Biel & Partner, Rechtsanwälte KEG in Wien I, Rauhensteingasse 1, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat II) vom 13. Juli 2000, Zl. RV/266-15/10/94, betreffend Einkommensteuer für 1991 und 1992, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §115 Abs1;
BAO §115 Abs2;
BAO §166;
BAO §177;
BAO §179 Abs2;
BAO §183 Abs4;
EStG §16 Abs1 Z8 litb;
BAO §115 Abs1;
BAO §115 Abs2;
BAO §166;
BAO §177;
BAO §179 Abs2;
BAO §183 Abs4;
EStG §16 Abs1 Z8 litb;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schenkungsvertrag vom 30. April 1991 erwarb die Beschwerdeführerin ein im 6. Wiener Gemeindebezirk gelegenes Mietshaus. In der Einkommensteuererklärung für das Jahr 1991 wird aus der Vermietung dieser Liegenschaft ein Werbungskostenüberschuss von S 189.561,82 ausgewiesen. Unter den Werbungskosten findet sich - gestützt auf ein Sachverständigengutachten vom 6. März 1992 - eine Gebäudeabschreibung (AfA) in Höhe von S 293.710,-- .

In dem angeschlossenen Sachverständigengutachten wird als AfA-Bemessungsgrundlage der Gebäudezeitwert für maßgeblich erklärt und dieser (ausgehend von Neubauwerten und unter Berücksichtigung entsprechender Abschläge) mit S 8,820.000,-- bemessen. Die angenommene 30-jährige Restnutzungsdauer des im Jahr 1906 errichteten Mietshauses wird im Gutachten argumentativ aus der "starken Neubautätigkeit" abgeleitet, welche erwarten lasse, dass "Objekte der vorliegenden Kategorie" im Jahr 2004 im Regelfall nicht mehr als nutzbares Wirtschaftsgut bestehen werden. Die Annahme einer wirtschaftlichen Restnutzungsdauer von etwa 30 Jahren sei daher auch nach der durchgreifenden Instandsetzung unter den "jetzt bekannten und auch absehbaren Umständen" gerechtfertigt.

Mit Vorhalt des Finanzamtes vom 2. August 1993 wurde der Beschwerdeführerin mitgeteilt, dass dem vorgelegten Sachverständigengutachten sowohl hinsichtlich der Ermittlung der fiktiven Anschaffungskosten als auch des AfA-Satzes nicht gefolgt werden könne und daher die Einholung eines weiteren Gutachtens beabsichtigt sei.

Der vom Finanzamt in der Folge beauftragte Sachverständige P. setzte sich in seinem Gutachten vom 21. März 1994 zunächst mit dem von der Beschwerdeführerin vorgelegten Gutachten auseinander. Er kam dabei zum Schluss, dass das von der Beschwerdeführerin beauftragte Gutachten als Beweismittel unbrauchbar sei, weil es sich im Wertmaßstab vergriffen habe und demnach mit dem Gesetz, das den Ansatz der fiktiven Anschaffungskosten verlange, nicht im Einklang stehe. Bei der Ermittlung der Restnutzungsdauer gehe das von der Beschwerdeführerin vorgelegte Gutachten von einer im Jahr 1974 getroffenen Aussage von Dipl. Ing. L. aus, wonach auf Grund der regen Neubautätigkeit die Restlebensdauer des Altwohnungsbestandes mit 30 Jahren begrenzt sei. Folgte man dieser These, würde die Restnutzungsdauer des gegenständlichen Gebäudes bereits im Jahre 2004, somit nicht 30 Jahre, sondern schon 13 Jahre nach dem Schätzungsstichtag enden. Im Übrigen handle es sich bei der im Jahr 1974 vertretenen These um eine marktfremde Fiktion, weil Neubauwohnungen auf Grund der Preisentwicklung für viele Bevölkerungsschichten unerschwinglich seien und zudem die Wohnbautätigkeit zwischenzeitig abgenommen habe.

Sodann ermittelte der Gutachter P. die fiktiven Anschaffungskosten unter Heranziehung eines (zur Berücksichtigung der Marktverhältnisse um 35 % gekürzten) Sachwertes von S 19,416.253,-- und eines Ertragswertes von Null mit dem arithmetischen Mittel von gerundet S 6,4 Mio. Abzüglich eines mit 52,1 % geschätzten Anteiles für Grund und Boden ergaben sich demnach fiktive Anschaffungskosten für das Gebäude von rund S 3,1 Mio. Zur Untermauerung seiner Verkehrswertermittlung verwies der Gutachter weiters auf im Einzelnen angeführte tatsächlich erzielte Kaufpreise vergleichbarer Objekte, welche sich zwischen gerundet S 2,3 Mio. und S 7,8 Mio. bewegten.

Hinsichtlich der Restnutzungsdauer wird in dem Gutachten auf die massive Bauweise des Gebäudes und den einwandfreien Bauzustand hingewiesen, weshalb eine Gesamtlebensdauer von 135 Jahren zu erwarten sei. Auch die wirtschaftliche Nutzungsdauer werde im Beschwerdefall nicht kürzer sein, weil die tatsächlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Umstände auf dem Wohnungssektor in absehbarer Zeit keine umwälzende Entspannung erwarten ließen und durch weniger bemittelte Bevölkerungsschichten eine entsprechende Nachfrage zu erwarten sei. Ausgehend von der demnach mit 50 Jahren anzunehmenden Restnutzungsdauer und fiktiven Anschaffungskosten des Gebäudes von S 3,1 Mio. bemaß der Gutachter die Absetzung für Abnutzung mit S 62.000,--.

Über Vorhalt dieses Gutachtens erklärte die Beschwerdeführerin, dieses erscheine insoweit nicht schlüssig, als es im Vergleich zu dem von ihr vorgelegten Gutachten bei einem niedrigeren Gebäudewert zu einer längeren Restnutzungsdauer gelange. Wenn sich das Gebäude in "einem derart schlechten Zustand" befände, müsste zumindest die Restnutzungsdauer entsprechend niedriger bemessen werden. Da "offensichtlich beide Gutachter die Interessen ihrer Auftraggeber in den Vordergrund ihrer Bewertungen" gestellt hätten, unterbreitete die Beschwerdeführerin ein Vergleichsanbot im Mittel der beiden Gutachten.

Nach Rücksprache mit dem Gutachter P. (der in einer Äußerung vom 21. Mai 1994 den Vorwurf der Parteilichkeit von sich wies) schloss sich das Finanzamt diesem Vergleichsvorschlag nicht an und legte den Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 1991 und 1992 Abschreibungsbeträge von jeweils S 62.000,-- zugrunde.

In der dagegen erhobenen Berufung verwies die Beschwerdeführerin erneut auf das von ihr vorgelegte Sachverständigengutachten und bezeichnete das vom Finanzamt eingeholte Gutachten als nicht schlüssig, weil es "einen niedrigen AfA-Satz mit einem niederen Baurestwert verknüpfe".

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Die von der Beschwerdeführerin in ihrer Berufung behauptete Unschlüssigkeit des vom Finanzamt eingeholten Gutachtens liege nicht vor. Vielmehr gehe der Gutachter P. zutreffend vom Bauzustand des Gebäudes aus, während der von der Beschwerdeführerin beauftragte Gutachter C. unzutreffenderweise auf eine aus Sicht des Jahres 1974 erwartete starke Neubautätigkeit abstelle. Diese Annahme habe sich zwischenzeitig bereits als unrichtig erwiesen. Eine Gesamtlebensdauer von 135 Jahren erscheine im Hinblick auf den vom Gutachter P. festgestellten einwandfreien Bauzustand des in Massivbauweise errichteten Gebäudes nicht überhöht. Der vom Gutachter P. ermittelte "niedere Wert" sei nicht auf den Bauzustand zurückzuführen, sondern auf die Einbeziehung des Ertragswertes in die Ermittlung der fiktiven Anschaffungskosten. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes komme dem Ertragswert im gegenständlichen Zusammenhang überragende oder sogar ausschließliche Bedeutung zu. Die vom Gutachter P. vorgenommene praxisübliche Mittelung bzw. Gewichtung von Substanz- und Ertragswert erscheine der belangten Behörde als zutreffend. Das von der Beschwerdeführerin vorgelegte Gutachten lasse den Ertragswert zu Unrecht völlig außer Ansatz. Da die Beschwerdeführerin gegen die detaillierte Berechnung des Gutachters P. (Abschläge, Zuschläge, Vergleichsliegenschaften) keinerlei Einwendungen vorgebracht habe, erweise sich das Berufungsvorbringen als unbegründet.

Über die dagegen erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die Beschwerdeführerin sieht sich in ihrem Recht auf Parteiengehör dadurch verletzt, dass ihr die ablehnende Äußerung des vom Finanzamt bestellten Gutachters P. zu ihrem Vergleichsvorschlag nicht zur Kenntnis gebracht worden sei.

Mit diesem Vorbringen wird eine relevante Verletzung von Verfahrensvorschriften nicht aufgezeigt. Das Ausmaß des Parteiengehörs ist in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage zu sehen. Einer Entscheidung dürfen nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen die Parteien des Abgabenverfahrens Stellung nehmen konnten. Hiernach bestimmen sich Inhalt und Ausmaß des Parteiengehörs. Naturgemäß sind nur solche Tatsachen der Partei vor Abschluss des Verfahrens zur Kenntnis zu bringen, die in der Sache überhaupt wesentlich, also entscheidungswesentlich sind (vgl. Stoll, BAO-Kommentar, S. 1283, mit Hinweisen auf hg. Rechtsprechung). Im Beschwerdefall hat sich die belangte Behörde maßgeblich auf das Gutachten des Sachverständigen P. gestützt. Dieses Gutachten wurde der Beschwerdeführerin unbestritten zur Kenntnis gebracht. Dass der Gutachter P. dem von der Beschwerdeführerin erhobenen Vorwurf seiner Parteilichkeit mit Schreiben vom 21. Mai 1994 entgegen getreten ist und die Feststellungen seines Gutachtens aufrecht erhalten hat, sind Umstände, die der Beschwerdeführerin nicht zur Kenntnis gebracht werden mussten. Entscheidend war, dass die Abgabenbehörde das Gutachten des Sachverständigen P. ungeachtet der von der Beschwerdeführerin dagegen vorgebrachten Einwände als zutreffend erachtet hat, was die Beschwerdeführerin der Begründung der erstinstanzlichen Bescheide vom 22. Juni 1994 entnehmen konnte. Im Übrigen gelingt es der Beschwerdeführerin aber auch nicht, die Relevanz des von ihr gesehenen Verfahrensmangels aufzuzeigen. Wenn die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang nämlich vorbringt, sie hätte bei Kenntnis der ablehnenden Haltung des Gutachters P. ausdrücklich auf das von ihr vorgelegte Gutachten vom 6. März 1992 hingewiesen, ist ihr zu erwidern, dass sich die belangte Behörde mit dem zuletzt genannten Gutachten ohnedies auseinander gesetzt hat.

Als weitere Verletzung von Verfahrensvorschriften rügt die Beschwerdeführerin das Unterbleiben einer mündlichen Berufungsverhandlung. In dieser Verhandlung hätten nach Ansicht der Beschwerdeführerin die divergierenden Darstellungen der beiden Sachverständigen erörtert und allenfalls ein dritter Gutachter ("Obergutachter") bestellt werden müssen. Die Rüge ist unberechtigt. Gutachten sind Beweismittel, die der Behörde zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes dienen. Die Sachverhaltsfeststellung ist aber ausschließlich Sache der Behörde. Im Beschwerdefall hat sich die belangte Behörde mit dem von der Beschwerdeführerin vorgelegten Gutachten auseinander gesetzt. Sie hat sodann im angefochtenen Bescheid dargelegt, warum sie diesem Gutachten nicht folgen könne, und warum sie andererseits die gutachterlichen Äußerungen des Sachverständigen P. für schlüssig erachte. Der Verwaltungsgerichtshof vermag nicht zu erkennen, aus welchen Gründen ein weiteres Gutachten hätte eingeholt werden sollen. Gemäß § 284 Abs. 1 BAO war die belangte Behörde aber auch nicht gehalten, eine mündliche Verhandlung vor dem Berufungssenat durchzuführen, da ein darauf abzielender Parteienantrag unstrittig nicht vorlag.

In der Sache selbst wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die vom Gutachter P. vorgenommene Ertragswertermittlung. Ausgehend von einem höheren monatlichen Nettoertrag als im Gutachten P. angenommen, hätte die belangte Behörde einen Ertragswert von gerundet S 2 Mio. ihrer Berechnung zugrunde legen und dementsprechend zu fiktiven Anschaffungskosten des Gebäudes von rund S 5,7 Mio. gelangen müssen. Dieses Vorbringen verstößt, worauf in der Gegenschrift zutreffend hingewiesen wird, gegen das vor dem Verwaltungsgerichtshof zu beachtende Neuerungsverbot, weil im Verwaltungsverfahren Einwendungen gegen die Ermittlung des Ertragswertes nicht erhoben wurden.

Die Beschwerdeführerin rügt weiters die Heranziehung des Ertragswertes bei Ermittlung der fiktiven Anschaffungskosten mit der Begründung, in diesem Wert sei auch ein auf den Grund und Boden entfallender Anteil enthalten. Mit diesen Ausführungen zeigt die Beschwerdeführerin eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides gleichfalls nicht auf: Die Abgabenbehörde war vor die Aufgabe gestellt, die "fiktiven Anschaffungskosten" des unentgeltlich erworbenen Gebäudes zum Schenkungsstichtag zu ermitteln; dies konnte nur im Schätzungswege geschehen. Das Gesetz enthält keine Vorschrift, wie die fiktiven Anschaffungskosten von der Abgabenbehörde zu schätzen sind (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 21. Oktober 1993, 92/15/0079, und vom 20. Juli 1999, 98/13/0109). Wenn die belangte Behörde dazu die Ansicht vertreten hat, dass sich der Marktpreis von Mietobjekten auch am Ertragswert orientiere, weshalb bei Ermittlung der fiktiven Anschaffungskosten nicht ausschließlich auf den Sachwert abgestellt werden dürfe, kann dies nicht als rechtswidrig erkannt werden. Es trifft wohl zu, dass im Ertragswert auch ein auf den Grund und Boden entfallender Entgeltsanteil enthalten ist. Diesen Umstand hat der Gutachter und ihm folgend die belangte Behörde aber ohnedies dadurch berücksichtigt, dass zunächst auch der Sachwert einschließlich des Bodenwertes angesetzt und erst aus dem aus Sach- und Ertragswert gebildeten arithmetischen Mittel ein geschätzter Anteil für Grund und Boden ausgeschieden wurde. Wie der Gutachter zu einer Aufteilung des Verkehrswertes im Verhältnis von 52,1 % (Grund und Boden) und 47,9 % (Gebäude) gekommen ist, wird im Gutachten vom 21. März 1994 ausführlich begründet. Einwendungen dagegen wurden von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren nicht erhoben. Ihr nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof erstattetes Vorbringen, bei Miethäusern entfalle regelmäßig lediglich ein Anteil von 20 bzw. 25 % auf Grund und Boden, verstößt daher gleichfalls gegen das Neuerungsverbot.

Soweit sich die Beschwerdeführerin in dem "Recht auf AfA-Berechnung nach den erhobenen Kaufpreisen" verletzt erachtet, ist ihr zunächst zu entgegnen, dass ein derartiges Recht nicht besteht. Die belangte Behörde war, wie bereits oben ausgeführt, vielmehr dazu berufen, die fiktiven Anschaffungskosten im Schätzungswege zu ermitteln. Dass der dabei von ihr gewählte Weg, das Sachwert- und Ertragswertverfahren zu kombinieren, den Verkehrswert verfehlt habe, lässt sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen. Die Ermittlung der fiktiven Anschaffungskosten durch Heranziehen von Vergleichspreisen wurde von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren nicht begehrt; geschweige denn aufgezeigt, dass diese Methode im Beschwerdefall ein zutreffenderes Ergebnis zeitigen könnte. Der von der Beschwerdeführerin vor dem Verwaltungsgerichtshof unternommene Versuch, die vom Gutachter P. angeführten beiden Höchstpreise als relevant hinzustellen, alle übrigen vom Gutachter P. gleichfalls erhobenen niedrigeren Werte aber zu ignorieren, muss deshalb erfolglos bleiben.

Die Beschwerde erweist sich sohin als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 17. Oktober 2001

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