VwGH 2000/11/0048

VwGH2000/11/004820.9.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des M in S, vertreten durch Mag. Peter Handler, Rechtsanwalt in 8530 Deutschlandsberg, Hollenegger Straße 6 A, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 13. Jänner 2000, Zl. 11- 39-928/99-1, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §67a Abs1 Z2;
B-VG Art129a Abs1 Z2;
FSG 1997 §7 Abs1;
FSG 1997 §7 Abs3 Z5;
FSG 1997 §7 Abs5;
KDV 1967 §58 Abs1;
KFG 1967 §58 Abs1 idF 1984/522;
AVG §67a Abs1 Z2;
B-VG Art129a Abs1 Z2;
FSG 1997 §7 Abs1;
FSG 1997 §7 Abs3 Z5;
FSG 1997 §7 Abs5;
KDV 1967 §58 Abs1;
KFG 1967 §58 Abs1 idF 1984/522;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Einer Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Graz vom 7. Oktober 1999 zufolge trat der Beschwerdeführer am 18. September 1999 als Lenker eines dem Kennzeichen nach bezeichneten Pkw die Fahrt an, ohne sich vorher, obwohl ihm dies zumutbar war, überzeugt zu haben, dass das von ihm zu lenkende Kfz den hiefür in Betracht kommenden Vorschriften entspricht, weil am Pkw zwei Vorderreifen montiert waren, die nicht mehr die erforderliche Profiltiefe von 1,6 mm aufwiesen. Der Beschwerdeführer habe dadurch § 102 Abs. 1 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 KFG 1967 in Verbindung mit § 4 Abs. 4 KDV.1967 verletzt. Diese Strafverfügung erwuchs in Rechtskraft.

Die Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg entzog mit Bescheid vom 10. November 1999 dem Beschwerdeführer gemäß § 24 Abs. 1 in Verbindung mit § 25 Abs. 1 und 3 des Führerscheingesetzes (FSG) die Lenkberechtigung auf die Dauer von drei Monaten, gerechnet vom Tag der Zustellung dieses Bescheides. Begründend wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer sei am 21. September 1999 von der Bundespolizeidirektion Graz angezeigt worden, weil die beiden Vorderreifen des von ihm gelenkten Kraftfahrzeuges sowohl an der Außenseite als auch auf der Lauffläche des gesamten Reifenumfangs eine Profiltiefe von 1,0 mm und weniger aufgewiesen hätten. Der Beschwerdeführer habe vor der Bundespolizeidirektion Graz angegeben, keine genaue Kontrolle vor Fahrtantritt durchgeführt zu haben. Das Verwaltungsstrafverfahren sei bereits rechtskräftig abgeschlossen worden. Der Beschwerdeführer habe somit ein Kraftfahrzeug gelenkt, dessen technischer Zustand und weitere Verwendung eine Gefährdung der Verkehrssicherheit darstellten, wobei die technischen Mängel dem Fahrer vor Fahrtantritt hätten auffallen müssen, und dadurch den Tatbestand des § 7 Abs. 3 Z. 5 FSG verwirklicht, weshalb gemäß § 25 Abs. 3 FSG eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen gewesen sei.

In seiner dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer insbesondere vor, eine am 27. September 1999 durchgeführte Vorderachsvermessung habe einen Spurfehler ergeben, die äußere Reifenhälfte habe sehr wohl die erforderliche Profiltiefe gehabt, die Reifen seien nur innen abgefahren gewesen. Überdies sei ihm sowohl vor als auch nach diesem Vorfall kein Fehlverhalten vorzuwerfen gewesen.

Ohne weitere Ermittlungsschritte durchzuführen, wies der Landeshauptmann von Steiermark die Berufung mit Bescheid vom 13. Jänner 2000 gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. In der Begründung führte der Landeshauptmann von Steiermark aus, aus dem Verwaltungsstrafverfahren ergebe sich, dass beim Kraftfahrzeug des Berufungswerbers an den beiden Vorderreifen auf dem gesamten Umfang keine Mindestprofiltiefe von 1,6 mm mehr bestanden hätte. Die Erstbehörde habe sich zu Recht auf das Ergebnis des Strafverfahrens bei der Bundespolizeidirektion Graz gestützt. Sie sei an diese rechtskräftige Entscheidung gebunden und deshalb auch nicht gehalten gewesen, ein neuerliches Beweisverfahren durchzuführen. Gleiches gelte für die Berufungsbehörde. Schon die Erstbehörde habe in ihrer Entscheidung "sehr wohl berücksichtigt", dass sich der Beschwerdeführer angeblich nie etwas habe zu Schulden kommen lassen. Dies deshalb, weil sie ohnehin die gesetzlich vorgeschriebene Mindestentzugsdauer verhängt habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Vorschriften des FSG lauten (auszugsweise):

"§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 5) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen die Verkehrssicherheit gefährden wird, insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr, Trunkenheit oder einen durch Suchtgift oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand.

...

(3) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:

...

5. ein Kraftfahrzeug lenkt, dessen technischer Zustand und weitere Verwendung eine Gefährdung der Verkehrssicherheit (§ 58 Abs. 1 KFG 1967) darstellt, sofern die technischen Mängel dem Lenker vor Fahrtantritt auffallen hätten müssen;

...

(5) Für die Wertung der in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend.

...

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder

...

§ 25.

...

(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen. ... ."

§ 7 Abs. 1 KFG 1967 lautet (auszugsweise):

"§ 7. (1) Kraftfahrzeuge ... müssen mit Reifen ... versehen sein, die nach ihrer Bauart, ihren Abmessungen und ihrem Zustand auch bei den höchsten für das Fahrzeug zulässigen Achslasten und bei der Bauartgeschwindigkeit des Fahrzeuges verkehrs- und betriebssicher sind. ...;"

§ 4 Abs. 4 KDV.1967 lautet (auszugsweise):

"§ 4.

...

(4) Die Tiefe der für die Ableitung des Wassers von der Lauffläche des Reifens erforderlichen Vertiefungen des Laufstreifens (Profiltiefe) muss im mittleren Bereich der Lauffläche, der etwa drei Viertel der Laufflächenbreite einnimmt, bei Kraftfahrzeugen mit einer Bauartgeschwindigkeit von mehr als 25 km/h ... am gesamten Umfang mindestens 1,6 mm ... betragen. ... ."

Unstrittig ist im vorliegenden Fall die rechtskräftige Bestrafung des Beschwerdeführers mit Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Graz vom 7. Oktober 1999 wegen des im Beschwerdefall relevanten Vorfalls vom 18. September 1999. Zwar trifft es, wie die belangte Behörde annimmt, zu, dass sie an diese rechtskräftige Bestrafung gebunden ist, doch steht damit für sie als Entziehungsbehörde nach Spruch und Begründung der Strafverfügung nur fest, dass der Beschwerdeführer zwei Vorderreifen mit einer Profiltiefe in Höhe von weniger als 1,6 mm zu verantworten hatte.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Verwendung eines Pkws mit z.B. zwei profillosen Reifen bereits eine Gefährdung der Verkehrssicherheit im Sinn des § 7 Abs. 3 Z. 5 FSG dar (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Mai 2001, Zl. 99/11/0228, mwN). Allerdings bewirkt das Unterschreiten der in § 4 Abs. 4 KDV 1967 vorgesehenen Mindestprofiltiefe allein noch nicht, dass eine bestimmte Tatsache im Sinn des § 7 Abs. 3 Z. 5 FSG vorliegt. Letztere Bestimmung stellt darauf ab, ob der technische Zustand und die weitere Verwendung des gelenkten Fahrzeugs eine Gefährdung der Verkehrssicherheit im Sinn des § 58 Abs. 1 KFG 1967 darstellt. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 30. Mai 2001, Zl. 2001/11/0037, unter Rückgriff auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. Juni 1973, Slg. Nr. 7091, näher dargelegt hat, stellt nicht jeder anlässlich einer Überprüfung vorgefundene Mangel eines Fahrzeugs, der die Ursache des nicht verkehrs- und betriebssicheren Zustandes desselben bildet, schon einen solchen dar, bei dessen Vorliegen die Verkehrssicherheit durch die weitere Verwendung des Fahrzeuges gefährdet wird. Zur Frage der Zulässigkeit der vorläufigen Abnahme der Kennzeichen hat der Verwaltungsgerichtshof im erwähnten Erkenntnis ausgesprochen, dass ein anlässlich einer Überprüfung an Ort und Stelle entdeckter Mangel nur dann einen Akt der unmittelbaren verwaltungsbehördlichen Befehls- und Zwangsgewalt durch Abnahme des Zulassungsscheins und der Kennzeichentafeln erlaubt, wenn er sich augenscheinlich als so schwer erweist, dass unter Zugrundelegung von kraftfahrtechnischem Erfahrungswissen befürchtet werden muss, es werde sich bei (bestimmungsgemäßer) weiterer Verwendung des Fahrzeugs im Straßenverkehr eine Unfallsituation ergeben. Diese Überlegungen sind schon im Hinblick auf den in § 7 Abs. 3 Z. 5 FSG enthaltenen Hinweis auf § 58 Abs. 1 KFG 1967 auch für die Beurteilung, ob eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 3 Z. 5 FSG vorliegt, maßgebend.

Die Annahme der Behörde im Beschwerdefall, es liege eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 3 Z. 5 FSG vor, hätte demnach hinreichende Feststellungen über den Zustand der Reifen am Fahrzeug des Beschwerdeführers vorausgesetzt, die den Rückschluss darauf zugelassen hätten, dass bei Verwendung des Fahrzeugs im oben dargestellten Sinn der Eintritt einer Unfallsituation zu befürchten wäre. Solche Feststellungen hat die belangte Behörde, die sich ganz offensichtlich ausschließlich auf das Faktum der rechtskräftigen Bestrafung des Beschwerdeführers stützte, in Verkennung der Rechtslage unterlassen und schon deswegen den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhalts behaftet.

Wie der Beschwerdeführer aber zutreffend ausführt, hat die belangte Behörde die von ihr als erwiesen angenommene bestimmte Tatsache auch nicht - obwohl dies geboten gewesen wäre - einer Wertung im Sinn des § 7 Abs. 5 FSG unterzogen. § 7 Abs. 1 FSG erfährt in Ansehung von bestimmten Tatsachen nach § 7 Abs. 3 Z. 5 FSG keine Ausnahme (vgl. das bereits erwähnte hg. Erkenntnis vom 30. Mai 2001, Zl. 99/11/0228, mwN).

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 20. September 2001

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