Normen
ASVG §153;
SHG Wr 1973 §10;
SHG Wr 1973 §11 Z3;
SHG Wr 1973 §13 Abs5;
SHG Wr 1973 §16;
ASVG §153;
SHG Wr 1973 §10;
SHG Wr 1973 §11 Z3;
SHG Wr 1973 §13 Abs5;
SHG Wr 1973 §16;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Am 29. Juni 1999 beantragte der Beschwerdeführer die Zuerkennung einer Geldaushilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Er begehrte die Zuerkennung der "RS-Diff." und die Übernahme von Kosten unter dem Titel "Röntgen für Zahnspangen der Kinder" (S 624,--), für einen Kühlschrank (S 4.090,--), für die Firmung seines Sohnes (S 800,--) und Hortgebühren (S 4.800,--).
Mit Bescheid vom 29. Juni 1999 wies der Magistrat der Stadt Wien den Antrag ab, wobei sich Spruchpunkt 1. offenbar auf die begehrte "Richtsatz-Differenz" und Spruchpunkt 2. auf "diversen Sonderbedarf" bezieht.
In der Begründung ihres Bescheides stellte die Erstbehörde dem Einkommen für Mai in der Höhe von S 12.568,-- den Richtsatz für zwei Erwachsene und zwei Kinder (S 12.113,--) zuzüglich maximal möglicher Miete für Juni 1999 in der Höhe von S 3.300,-- abzüglich Mietenselbstbehalt von S 835,--, gegenüber. Sie berücksichtigte außerdem ein "restliches anzurechnendes Einkommen des Vormonats von S 6.820,--" und kam zu einer Richtsatzüberschreitung von S 4.810,--.
Hinsichtlich des Sonderbedarfs vertrat sie die Auffassung, dass die Kinder des Beschwerdeführers als Mitversicherte krankenversichert seien. Alle Rechnungen seien bei der Wiener Gebietskrankenkasse einzureichen. Leistungen, welche diese nicht gewähre, könnten auch vom Sozialamt nicht übernommen werden. Firmungskosten und Hortgebühren seien gemäß § 12 des Wiener Sozialhilfegesetzes im Sozialhilferichtsatz enthalten und könnten nicht zusätzlich berücksichtigt werden. Die Rechnung über den Kühlschrank sei bereits am 29. Mai 1999 bezahlt worden, sodass die Geldmittel dafür vorhanden gewesen seien.
Gegen den Bescheid vom 29. Juni 1999 erhob der Beschwerdeführer Berufung und führte aus, die berechnete Richtsatzüberschreitung von S 4.810,-- sei falsch. Wie er der Behörde mitgeteilt habe, bestünden Bankschulden von mehr als S 32.000,--, die nicht auf Kauflust sondern auf die Not zurückzuführen seien. Die Gebietskrankenkasse übernehme von den Kosten für die Zahnspangen nur einen Teil. Dass Firmungskosten im Richtsatz enthalten seien, treffe nicht zu. Die notwendige Anschaffung des Kühlschrankes sei nicht aus vorhandenen Mitteln finanziert worden, sondern habe den Minussaldo erhöht.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid.
In der Begründung des angefochtenen Bescheides wies die belangte Behörde auf den Inhalt der §§ 8 Abs. 1 und 2, 10 Abs. 1, 12 und 13 Abs. 3 und 4 (erster und zweiter Satz) des Wiener Sozialhilfegesetzes - WSHG hin und führte aus, eingegangene Schulden seien kein von der Sozialhilfe abzudeckender Bedarf. Die bei der Bank bestehenden Schulden seien daher nicht zu berücksichtigen. Es sei daher nach wie vor von einer Richtsatzüberschreitung von S 4.810,-- auszugehen, sodass der Lebensbedarf der Familie des Beschwerdeführers gedeckt sei.
Im Hinblick auf die §§ 12 und 13 Abs. 3 WSHG sei davon auszugehen, dass der Richtsatz auch die Teilnahme am kulturellen Leben ermögliche. Daher habe jeder Hilfe Suchende mit dem Richtsatz auch seine religiösen Bedürfnisse und die seiner Familie abzudecken. Ein Sonderbedarf sei abzulehnen, weil der Berechnung ohnehin ein erhöhter Richtsatz (S 12.113,--) zu Grunde gelegt worden sei. Nach der Verordnung der Wiener Landesregierung betreffend die Festsetzung von Richtsätzen in der Sozialhilfe hätte der Richtsatz für ein Ehepaar mit zwei Kindern nur S 10.417,-
- betragen. Der um S 1.696,-- erhöhte Richtsatz decke den Sonderbedarf des Beschwerdeführers und seiner Familie ab, sodass weitere Richtsatzüberschreitungen nicht mehr erforderlich seien. Auf Grund der Subsidiaritätsbestimmung könnten Leistungen, die von den zuständigen Sozialversicherungsträgern nicht gewährt werden könnten, nicht aus Sozialhilfemitteln übernommen werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Für den Beschwerdefall sind folgende Bestimmungen des WSHG
von Bedeutung:
"Anspruch
§ 8. (1) Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes hat nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen dieses Abschnittes, wer den Lebensbedarf für sich und die mit ihm in Familiengemeinschaft lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhält.
....
Einsatz der eigenen Mittel
§ 10. (1) Hilfe ist nur insoweit zu gewähren, als das Einkommen und das verwertbare Vermögen des Hilfe Suchenden nicht ausreichen, um den Lebensbedarf (§ 11) zu sichern.
....
Lebensbedarf
§ 11. (1) Zum Lebensbedarf gehören
- 1. Lebensunterhalt,
- 2. Pflege,
- 3. Krankenhilfe,
- 4. Hilfe für werdende Mütter und Wöchnerinnen,
- 5. Hilfe zur Erziehung und Erwerbsbefähigung.
(2) Der Lebensbedarf kann in Form von Geldleistungen, Sachleistungen oder persönlicher Hilfe gesichert werden.
Lebensunterhalt
§ 12. Der Lebensunterhalt umfasst insbesondere Unterkunft, Nahrung, Bekleidung, Körperpflege, Hausrat, Beheizung, Beleuchtung, Kochfeuerung und andere persönliche Bedürfnisse. Zu den persönlichen Bedürfnissen gehört auch die Pflege der Beziehungen zur Umwelt und die Teilnahme am kulturellen Leben in angemessenem Ausmaß.
Geldleistungen
§ 13 (1) Die Bemessung von Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes hat unter Anwendung von Richtsätzen zu erfolgen. Die Richtsätze sind durch Verordnung der Landesregierung festzusetzen.
.....
(3) Der Richtsatz ist so zu bemessen, dass er den monatlichen Bedarf an Nahrung, Beleuchtung, Kochfeuerung, Instandsetzung der Bekleidung, Körperpflege, Wäschereinigung sowie in angemessenem Ausmaß den Aufwand für die Pflege der Beziehungen zur Umwelt und die Teilnahme am kulturellen Leben deckt.
(4) Der Richtsatz kann im Einzelfall überschritten werden, wenn infolge der persönlichen oder familiären Verhältnisse des Hilfe Suchenden ein erhöhter Bedarf besteht. Dies gilt insbesondere bei alten, kranken oder behinderten Menschen sowie bei Familien mit Kindern....
...
(5) Der Richtsatz kann im Einzelfall unterschritten und auf das zum Lebensunterhalt unerlässliche Maß beschränkt werden, wenn der Hilfe Suchende trotz Ermahnung mit den ihm zur Verfügung gestellten Mitteln nicht zweckmäßig umgeht. Ist der Hilfe Suchende trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitsmöglichkeit (§ 9 Abs. 1) nicht gewillt, seine Arbeitskraft zur Beschaffung seines Lebensbedarfes einzusetzen, so ist der Richtsatz bis zu 50% zu unterschreiten. Der Lebensunterhalt unterhaltsberechtigter Angehöriger sowie des Lebensgefährten darf dadurch jedoch nicht beeinträchtigt werden.
...
Krankenhilfe
§ 16. (1) Die Krankenhilfe umfasst
- 1. Heilbehandlung einschließlich Zahnbehandlung,
- 2. Versorgung mit Heilmitteln, Heilbehelfen, Körperersatzstücken und Zahnersatz,
3. Untersuchung, Behandlung, Unterbringung und Pflege in Krankenanstalten,
4. Krankentransport.
(2) Zur Wiederherstellung oder Besserung der Gesundheit kann auch die Behandlung in Kuranstalten und Heilbädern gewährt werden.
(3) Für die Gewährung der in Abs. 1 Z. 1 und 2 sowie in Abs. 2 bezeichneten Leistungen der Krankenhilfe sind durch Verordnung der Landesregierung Einkommensrichtsätze festzusetzen. diese Richtsätze sind unter Bedachtnahme auf die Mehraufwendungen festzusetzen, die dem Hilfe Suchenden neben den Kosten der medizinischen Behandlung durch die Krankheit entstehen."
Bei der Hilfegewährung nach dem WSHG ist grundsätzlich situationsbezogen auf die aktuelle Notlage abzustellen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 23. Juni 1998, Zl. 97/08/0114, m.w.N.), weshalb es bei der Beurteilung der Hilfsbedürftigkeit einerseits rechtswidrig ist, zum Nachteil des Hilfe Suchenden Beträge als eigene Mittel des Hilfe Suchenden im Sinne des § 10 WSHG zu berücksichtigen, über die der Hilfe Suchende nicht verfügt, nach Meinung der Behörde aber verfügen sollte (der unzweckmäßige Umgang mit Mitteln kann bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen zu einer Richtsatzkürzung gemäß § 13 Abs. 5 WSHG führen). Andererseits kann der Hilfe Suchende seine Hilfsbedürftigkeit nicht mit Schulden, die er in der Vergangenheit zur Abwendung einer Notlage eingegangen ist, begründen, es sei denn, dass sie sich zur Zeit der Entscheidung über die Hilfegewährung noch im Sinne einer aktuellen oder unmittelbar drohenden Notlage des Hilfe Suchenden ausgewirkt haben (siehe auch dazu das oben zitierte Erkenntnis vom 23. Juni 1998). Die belangte Behörde hat in Verkennung dieser Rechtslage keine Ermittlungen darüber geführt, ob der Beschwerdeführer über den als "restliches Einkommen des Vormonats" bezeichneten Betrag verfügt hat. Was die vom Beschwerdeführer behaupteten Schulden betrifft, reichen die Sachverhaltsfeststellungen nicht aus, um beurteilen zu können, welche Schulden der Beschwerdeführer hat, worauf diese zurückzuführen sind und in welcher Weise sich diese auf seine Notlage auswirken.
Soweit im angefochtenen Bescheid die vom Beschwerdeführer geltend gemachten "Firmungskosten" behandelt werden, kann mangels näherer Sachverhaltsfeststellungen nicht beurteilt werden, um welchen Aufwand es sich dabei handeln soll und ob dieser zu dem durch den Richtsatz zu deckenden Bedarf im Sinne des § 12 Abs. 3 WSHG zu zählen ist oder einen die Richtsatzüberschreitung rechtfertigenden erhöhten Bedarf darstellt.
Mit ihren - offensichtlich die Kosten "Röntgen für Zahnspangen" betreffenden - Ausführungen, auf Grund der Subsidiarität der Sozialhilfe könnten Leistungen, die von den zuständigen Sozialversicherungsträgern nicht gewährt werden könnten, auch aus Sozialhilfemitteln nicht gewährt werden, hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt. Zu den Voraussetzungen für den Anspruch auf Krankenhilfe, dazu gehört auch die Zahnbehandlung, gehört die medizinische Notwendigkeit. Dies gilt sowohl für den Grund als auch für das Ausmaß der Hilfegewährung. Insoweit kann in Ermangelung konkreter Regelungen im WSHG auf sozialversicherungsrechtliche Bestimmungen (siehe § 153 ASVG) zurück gegriffen werden (siehe Pfeil, Österreichisches Sozialhilferecht (1989), 460 m.w.N.). Soweit die Satzung eines Trägers der Krankenversicherung nur eine teilweise Kostenübernahme vorsieht, kann es trotz Bestehens der Krankenversicherung dazu kommen, dass der Sozialhilfeträger die Kosten in der Höhe des vom Hilfe Suchenden zu tragenden Selbstbehaltes im Rahmen der Krankenhilfe zu übernehmen hat (siehe Pfeil, a.a.O., 461). Es trifft daher nicht zu, dass bei Bestehen einer gesetzlichen Krankenversicherung Leistungen im Rahmen der Krankenhilfe nach dem WSHG nicht in Betracht kämen. Die belangte Behörde hat sohin in Verkennung der Rechtslage keine Ermittlungen betreffend die medizinische Notwendigkeit der kieferorthopädischen Behandlung der Kinder des Beschwerdeführers durchgeführt.
Zu den im erstinstanzlichen Verfahren vom Beschwerdeführer zur Begründung des Sonderbedarfes herangezogenen Hortgebühren enthält weder der angefochtene Bescheid noch die Beschwerde Ausführungen. Mangels konkreten Vorbringens des Beschwerdeführers und mangels jeglicher Ausführungen in der Begründung des angefochtenen Bescheides zu diesem Thema kann nicht beurteilt werden, aus welchen Gründen die Unterbringung der Kinder im Hort notwendig sein soll und insoweit ein Sonderbedarf gegeben sein kann. Die belangte Behörde wird im fortzusetzenden Verfahren mit dem Beschwerdeführer zu erörtern haben, ob und mit welcher Begründung er das diesbezügliche Begehren auf Richtsatzüberschreitung wegen Sonderbedarfs aufrechterhält, und dazu allenfalls ein Ermittlungsverfahren durchzuführen haben.
Aus den oben dargelegten Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer in den in der zitierten Verordnung genannten Pauschalbeträgen für Schriftsatzaufwand bereits enthalten ist und der Beschwerdeführer auf Grund der ihm bewilligten Verfahrenshilfe die Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG nicht zu entrichten hatte.
Wien, am 20. Februar 2001
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