VwGH 2000/01/0225

VwGH2000/01/022521.12.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Pelant, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 10. Mai 2000, Zl. 214.244/0-IV/10/99, betreffend Feststellung gemäß § 8 Asylgesetz und Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung (mitbeteiligte Partei: SS in W), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §37;
FrG 1997 §57;
EMRK Art3;
EMRK Art8;
AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §37;
FrG 1997 §57;
EMRK Art3;
EMRK Art8;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird in Ansehung der Spruchpunkte 3 und 4 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger der "BR Jugoslawien", reiste am 28. Mai 1999 in das Bundesgebiet ein, stellte am 4. Juni 1999 einen Antrag auf Gewährung von Asyl und wurde am 10. November 1999 niederschriftlich einvernommen. Mit dem Bescheid des Bundesasylamtes vom 18. November 1999 wurde der Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 4/1999 - AsylG, abgewiesen. Weiters wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Jugoslawien gemäß § 8 AsylG zulässig sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Berufung. Die belangte Behörde wies die Berufung nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, welcher der Mitbeteiligte unentschuldigt fernblieb, ab. Am 10. Februar 2000 brachte der Mitbeteiligte einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein, weil er gesundheitsbedingt an der Teilnahme an der Verhandlung vom 28. Jänner 2000 unvorhersehbar verhindert gewesen sei. Er legte eine an seine Ehegattin erteilte Vollmacht sowie ein ärztliches Attest bei. Er machte als neues Vorbringen geltend, dass seiner Ehegattin und seinen minderjährigen Kindern die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden sei und eine Abschiebung die Familie unzulässigerweise zerreißen würde.

In der mündlichen Verhandlung vom 22. Februar 2000 zog die Vertreterin des Mitbeteiligten die Berufung gegen Spruchpunkt I des erstinstanzlichen Bescheides (Abweisung des Asylantrages) zurück.

In der Folge erließ die belangte Behörde den nunmehr angefochtenen Bescheid. Dessen Spruch lautet:

"1) Dem Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Verhandlung vom 28. Jänner 2000 wird stattgegeben.

2) Der mündlich verkündete Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 28. Jänner 2000, Zahl: 214.244/3-IV/10/00, wird von Amts wegen behoben.

3) Gemäß § 8 AsylG iVm § 57 des Fremdengesetzes, BGBl. I Nr. 75/1997, (FrG), wird festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung von SS in die Bundesrepublik Jugoslawien nicht zulässig ist.

4) In Erledigung der Berufung von SS vom 07.12.1999 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.11.1999, Zahl: 99 07.824-BAW, wird der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass SS eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 22.02.2001 erteilt wird."

Die belangte Behörde traf zu den Familienverhältnissen des Mitbeteiligten folgende Feststellungen:

"a) Die Eheschließung zwischen Asylwerber und seiner Gattin erfolgte am 19. Juli 1999 (ca. 3 1/2 Monate nach Einreise des Asylwerbers in das Bundesgebiet) vor dem Standesamt Wien Ottakring (Urkunde Nr. 404/1999).

b) Die gemeinsamen Kinder A und B sind in Wien zur Welt gekommen (Geburtsurkunde Standesamt Innere Stadt Wien 1288/1998 vom 14. Juli 1998 und 4196/1999 vom 8. September 1999).

c) Der Ehegattin VS geb. 04.11.1976 wurde die österreichische Staatsbürgerschaft am 22. Februar 2000 verliehen und die Verleihung auf die unter b) genannten Kinder (sowie ein weiteres Kind der Ehegattin des Asylwerbers) erstreckt. (Bescheid 22.02.2000, Zahl MA 61/IV-S 199/00 des Amtes der Wiener Landesregierung)."

In rechtlicher Sicht führte die belangte Behörde zu Spruchpunkt 3 und 4 aus:

"Im gegenständlichen Fall ist somit nur mehr die Entscheidung gem. § 8 AsylG 97 Gegenstand ('Sache') des Berufungsverfahrens.

a) Artikel 8 EMRK sieht einen absoluten Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens vor.

Ein Eingriff einer öffentlichen Behörde (in Ausübung ihres Rechtes) ist nur insoweit statthaft, als dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und Verhinderung von strafbaren Handlungen zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

b) In seinen Ausführungen 'Die Bedeutung der EMRK für Asylsuchende und Flüchtlinge' führt Prof. Dr. Kälin im Mai 1997 aus:

'Der EMRK legt keinen fest definierten Begriff des Familienlebens fest. Dieser wird vielmehr den sich wandelnden gesellschaftlichen Vorstellungen sowie den spezifischen Umständen des Einzelfalles angepasst gesehen werden müssen. Künftige Gemeinschaften fallen etwa dann in den Schutzbereich des Artikel 8 EMRK, wenn ausreichende Hinweise für die Annahme eines künftigen Zusammenlebens bestehen.' (Unterstreichung durch Mitglied)

c) Im Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, Villinger, Seite 327 ff., ist ausgeführt:

'Artikel 8 EMRK schützt im Weiteren die vielfältigen Formen menschlichen Zusammenlebens in einer Familie.' Familienleben im Sinne dieser Bestimmung besteht dann, wenn die Familie tatsächlich existiert und die Mitglieder eine gewisse Nähe zueinander aufweisen.' (Unterstreichung durch Mitglied)

4. Aus dem Beweisverfahren steht fest, dass der Ehegattin des BW und den minderjährigen Kindern aus der aufrechten Ehe des BW die österreichische Staatsbürgerschaft im Laufe des anhängigen Berufungsverfahrens verliehen wurde.

Der ordentliche Wohnsitz der Familie, somit Mittelpunkt des Familienlebens liegt in Österreich.

5. Es wäre eine bewusste Missachtung des Artikels 8 EMRK und des Rechtes auf Familieneinheit, dem Ehegatten, auf den die Erstreckung der österreichischen Staatsbürgerschaft (derzeit noch) nicht möglich war, sozusagen damit zu 'bestrafen', dass eine Feststellung dahingehend erfolgt, dass eine Zurückschiebung, Abweisung oder Zurückweisung in seine Heimat zulässig wäre, nur weil aus formellen Gründen eine Erstreckung der Staatsbürgerschaft noch nicht erfolgen konnte und eine Niederlassungsbewilligung (mangels ausstehender Unterlagen aus dem Heimatstaat) noch nicht erteilt werden konnte.

Im Rahmen eines Abspruches über § 8 Asylgesetz sind die gemäß

Artikel 3 (und somit auch Artikel 8) EMRK sich ergebende absolute Rechte der EMRK zu berücksichtigen, so dass hier ein gewichtiges Hindernis im Sinne einer unmenschlichen Behandlung durch Trennung der Familie gegeben wäre, welche dem Sinngehalt des § 8 Asylgesetz und § 57 Fremdengesetz zuwider liefe.

6. Der Asylwerber hat persönliche Verfolgungsgründe in seinem Asylantrag vorgebracht.

Er hat nach einem umfassenden Beweisverfahren und nach Ergebnis der Befragung eines Sachverständigen über die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse Jugoslawiens seine Berufung im Spruchpunkt I auch zurückgezogen.

Er hat eingesehen, dass diese Verfolgung 'im in der von ihm subjektiv befürchteten Form nicht (mehr) gegeben ist.'

Somit war nur mehr die Frage des Non-Refoulement 'Sache' des Verfahrens.

Dies ändert nichts an der Situation, dass die Ehegattin und die ehelichen Kinder nunmehr als österreichische Staatsbürger ihren Wohnsitz in Österreich haben und ein gerechtfertigtes Interesse an der Aufrechterhaltung der Familieneinheit gegeben ist.

8. Somit ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in seine Heimat nicht zurückgeschoben, abgeschoben oder rückgewiesen werden kann, da eine Trennung der Familie rücksichtlich der erstgenannten Bestimmung des Artikel 8 EMRK als nicht zulässig anzusehen ist.

9. Wenn der Unabhängige Bundesasylsenat im Rahmen einer Berufung abweichend von der erstinstanzlichen Entscheidung auf Nichtmöglichkeit einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung erkennt, ist mit diesem Ausspruch gemäß § 8 Asylgesetz 1997 zugleich die erstmalige Feststellung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 15 Asylgesetz 1997 zu verbinden.

Dies erfolgte unter vollinhaltlicher Ausschöpfung des gesetzlichen Rahmens von einem Jahr, ausgehend von der Amtskenntnis dahingehend, dass der übliche Verfahrensablauf zur Beschaffung der für die Niederlassungsgenehmigung notwendiger Papiere für den Asylwerber bei der Heimatbehörde des Heimatlandes einige Zeit (und Aufwand) in Anspruch nimmt, und üblicherweise bei weitem diese gesetzliche Frist übersteigt.

Somit war die Ausschöpfung der einjährigen Frist im konkreten Fall (siehe Spruch) gerechtfertigt."

Gegen die Spruchpunkte 3 und 4 des angefochtenen Bescheides richtet sich die auf § 38 Abs. 5 zweiter Satz AsylG gestützte Amtsbeschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Ist ein Asylantrag abzuweisen, so hat die Behörde gemäß § 8 AsylG von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist (§ 57 FrG).

Eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat ist gemäß § 57 FrG dann unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass

"(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist."

Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, dass der in § 8 Asylgesetz zitierte § 57 FrG "sich geradezu selbstredend auf eine Bedrohung durch den Herkunftsstaat" beziehe.

Dies ist unrichtig, wie der Verwaltungsgerichtshof mit ausführlicher Begründung im hg. Erkenntnis vom 8. Juni 2000, Zl. 99/20/0203, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausgeführt hat.

Dennoch ist die Beschwerde berechtigt. Denn im Gegensatz zu dem von § 57 FrG mitumfassten Inhalt des Art. 3 EMRK (vgl. zur ständigen Rechtsprechung und Lehre Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, 1999, Rz 324 bis 326, und die hierin zitierten Judikate) ist der Inhalt des Art. 8 EMRK nicht vom Prüfungsumfang des § 8 AsylG umfasst. Wie der Beschwerdeführer richtig ausführt, nimmt der österreichische Gesetzgeber auf Art. 8 EMRK erst bei der Setzung konkreter Maßnahmen zur Außerlandesbringung durch die Bestimmung des § 37 des Fremdengesetzes 1997, BGBl. I Nr. 75 - FrG, Bedacht.

Da die EMRK keine Bindung der Vertragsstaaten dergestalt beinhaltet, in welcher Form sie welchen innerstaatlichen Behörden die Umsetzung des materiellen Inhaltes der EMRK überbinden, liegen gegen die vom österreichischen Gesetzgeber gewählte Vorgangsweise der Berücksichtigung des Art. 8 EMRK erst im Ausweisungs- oder Aufenthaltsverbotsverfahren keine Bedenken vor, zumal die Anordnung der Zuständigkeit der Asylbehörden für die Nonrefoulement-Prüfung des § 8 AsylG im Wesentlichen dem Zweck der Verfahrenskonzentration (im Hinblick auf die der asylrelevanten Verfolgung ähnelnden Tatbestände des § 57 FrG) dient (vgl. RV 686 BlgNR 20. GP, Seite 20).

Die im gegenständlichen Fall bei Außerlandesbringung des Mitbeteiligten erfolgende Trennung der Familie unterliegt dem Schutzbereich des Art. 8 EMRK. Die belangte Behörde hat den gegenständlichen Sachverhalt zu Unrecht dem Art. 3 EMRK (und damit dem § 57 FrG) unterstellt. Sie hat in Folge dieser Verkennung der Rechtslage zu Unrecht eine ihr nicht zustehende Entscheidungskompetenz nach § 8 AsylG in Anspruch genommen.

Der angefochtene Bescheid erweist sich daher im bekämpften Umfang mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 21. Dezember 2000

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