Normen
B-VG
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2024:V66.2023
Spruch:
I. Punkt 2. der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Hallein vom 19. August 2003, Z6/350‑2135/4‑2003, kundgemacht durch Anbringung von Straßenverkehrszeichen, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
II. Die Salzburger Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Mit den vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B‑VG gestützten Anträgen begehrt das Landesverwaltungsgericht Salzburg, Punkt 2. der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Hallein vom 19. August 2003, 6/350‑2135/4‑2003, als gesetzwidrig aufzuheben.
II. Rechtslage
1. Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Hallein vom 19. August 2003, 6/350‑2135/4‑2003, hat folgenden Wortlaut (Zitat ohne die Hervorhebungen im Original, die angefochtene Wort- und Zeichenfolge ist hervorgehoben):
"Die Bezirkshauptmannschaft Hallein erlässt gemäß §§43 und 94 b StVO 1960 i.d.g.F. nachstehende
Verordnung:
Auf der L 256 Dürrnberg-Landesstraße werden folgende Geschwindigkeitsbeschränkungen verordnet:
1. in Fahrtrichtung Bad Dürrnberg von km 0.325 - km 0,437 '80'
2. für beide Fahrtrichtungen von km 0,437 - km 1,6 '50'
3. für beide Fahrtrichtungen von km 1,61 - km 3,32 '80'
Diese Verordnung ist gemäß §44 StVO durch die Anbringung folgender Verkehrszeichen nach §§52(10)a und b StVO durch die Landesstraßenverwaltung jeweils am Beginn der Geschwindigkeitsbeschränkung und an den vom Sachverständigen in der Verhandlungsschrift vom 5.8.2003 auf Seite 4 genannten Orten aufzustellen und kundzumachen.
Der genaue Zeitpunkt der Aufstellung bzw Anbringung ist der Bezirkshauptmannschaft Hallein schriftlich anzuzeigen.
Für den Bezirkshauptmann:
[…]"
Aus der Bezug habenden Verhandlungsschrift vom 5. August 2003 ergibt sich für den von der angefochtenen Verordnungsbestimmung erfassten Bereich ein weiterer Kundmachungsstandort bei Straßenkilometer 1,52: "gegenüber Einmündung alte Dürrnbergstraße '50' und Zusatztafel mit in beiden Richtungen weisenden Pfeilen".
2. Die für die Beurteilung der Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnungsbestimmung anzuwendenden Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 6. Juli 1960, mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO. 1960), BGBl 159/1960, lauten in der jeweils maßgeblichen Fassung wie folgt (Zitat ohne die Hervorhebungen im Original):
"§43. Verkehrsverbote, Verkehrserleichterungen und Hinweise.
(1) Die Behörde hat für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung
a) […]
b) wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert,
1. dauernde oder vorübergehende Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote, insbesondere die Erklärung von Straßen zu Einbahnstraßen, Maß-, Gewichts- oder Geschwindigkeitsbeschränkungen, Halte- oder Parkverbote und dergleichen, zu erlassen,
2. […]
c)–d) […].
(1a)–(11) […
§44. Kundmachung der Verordnungen.
(1) Die im §43 bezeichneten Verordnungen sind, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft. Der Zeitpunkt der erfolgten Anbringung ist in einem Aktenvermerk (§16 AVG) festzuhalten. […]
(1a)–(5) […]"
III. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Den Anträgen liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Den Beschwerdeführern in den Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Salzburg wird mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Hallein vom 14. März 2023 (V 66/2023) sowie mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Zell am See vom 10. März 2023 (V 67/2023) jeweils eine Übertretung des §52 lita Z10a StVO 1960 zur Last gelegt, weil sie zu einem in den Straferkenntnissen jeweils näher bezeichneten Zeitpunkt in Hallein, auf der L 256, bei Straßenkilometer 1,26 in Fahrtrichtung Bad Dürrnberg, die in diesem, außerhalb eines Ortsgebietes liegenden Bereich kundgemachte zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten haben. Über die Beschwerdeführer wurde daher jeweils gemäß §99 Abs2e StVO 1960 eine Geld- und Ersatzfreiheitsstrafe verhängt.
2. Aus Anlass der Beschwerdeverfahren gegen diese Straferkenntnisse stellt das Landesverwaltungsgericht Salzburg die vorliegenden Anträge und weist hinsichtlich der Präjudizialität der angefochtenen Verordnungsbestimmung darauf hin, dass es diese in den Beschwerdeverfahren anzuwenden habe.
In der Folge legt das Landesverwaltungsgericht Salzburg seine Bedenken gegen die angefochtene Verordnungsbestimmung dar: Eine Überprüfung der tatsächlichen Kundmachungsstandorte des Beginns und des Endes der angefochtenen Geschwindigkeitsbeschränkung durch die Polizeiinspektion Hallein habe ergeben, dass diese nicht mit dem verordnungsmäßig festgelegten Bereich übereinstimmen würden. Die angefochtene Verordnungsbestimmung verordne den Beginn der Geschwindigkeitsbeschränkung bei Straßenkilometer 0,437 und das Ende bei Straßenkilometer 1,6. Tatsächlich sei der Beginn der Geschwindigkeitsbeschränkung jedoch bei Straßenkilometer 0,637 und das Ende bei Straßenkilometer 1,611 kundgemacht. Das Landesverwaltungsgericht Salzburg bringt ferner vor, dass sich das Gutachten des verkehrstechnischen Amtssachverständigen lediglich auf den Bereich zwischen Straßenkilometer 0,63 und Straßenkilometer 1,61 beziehe und im Verordnungsakt nicht dokumentiert sei, dass die verordnungserlassende Behörde ein Ermittlungsverfahren hinsichtlich des darüber hinausgehenden Abschnittes der angefochtenen Geschwindigkeitsbeschränkung geführt hätte.
3. Die verordnungserlassende Behörde hat die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Hallein vom 19. August 2003, 6/350‑2135/4‑2003, sowie die Verhandlungsschrift der straßenpolizeilichen Verhandlung vom 5. August 2003 vorgelegt und mitgeteilt, dass keine weiteren auf die angefochtene Verordnung Bezug habenden Unterlagen auffindbar seien.
4. Die Salzburger Landesregierung hat weder Akten vorgelegt noch eine Äußerung erstattet.
IV. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Anträge erwogen:
1. Zur Zulässigkeit des Antrages
1.1. Der Verfassungsgerichtshof vertritt zu Art89 Abs1 B‑VG beginnend mit dem Erkenntnis VfSlg 20.182/2017 die Auffassung, dass eine "gehörig kundgemachte" generelle Norm – also eine an einen unbestimmten, externen Personenkreis adressierte, verbindliche Anordnung von Staatsorganen – bereits dann vorliegt, wenn eine solche Norm ein Mindestmaß an Publizität und somit rechtliche Existenz erlangt. Es ist nicht notwendig, dass die Kundmachung der Norm in der rechtlich vorgesehenen Weise erfolgt. Demnach haben auch Gerichte gesetzwidrig kundgemachte Verordnungen gemäß Art139 B‑VG anzuwenden und diese, wenn sie Bedenken gegen ihre rechtmäßige Kundmachung haben, vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten. Bis zur Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof sind sie für jedermann verbindlich (vgl VfSlg 20.251/2018).
Die angefochtene Verordnungsbestimmung wurde ausweislich der vom Landesverwaltungsgericht Salzburg vorgelegten Akten durch Aufstellung von Straßenverkehrszeichen kundgemacht, sodass sie mit verbindlicher Wirkung für jedermann zustande gekommen ist.
1.2. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B‑VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was am Vorliegen dieser Voraussetzung zweifeln ließe.
1.3. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag insgesamt als zulässig.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den im Antrag dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).
2.2. Der Antrag ist begründet.
Das Landesverwaltungsgericht Salzburg macht in seinen Anträgen zunächst geltend, dass die Kundmachungsstandorte des Beginns und des Endes der angefochtenen Geschwindigkeitsbeschränkung nicht mit dem verordnungsmäßig festgelegten Bereich übereinstimmen würden.
2.2.1. Gemäß §44 Abs1 StVO 1960 sind die in §43 StVO 1960 bezeichneten Verordnungen, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft.
2.2.2. Der Vorschrift des §44 Abs1 StVO 1960 ist immanent, dass die bezüglichen Straßenverkehrszeichen dort angebracht sind, wo der räumliche Geltungsbereich der Verordnung beginnt und endet. Zwar ist zur Kundmachung von Verkehrsbeschränkungen keine "zentimetergenaue" Aufstellung der Verkehrszeichen erforderlich, jedoch wird dieser Vorschrift nicht Genüge getan und liegt ein Kundmachungsmangel vor, wenn der Aufstellungsort vom Ort des Beginns bzw Endes des verordneten Geltungsbereiches einer Verkehrsbeschränkung signifikant abweicht (vgl zB VwGH 25.6.2014, 2013/07/0294 sowie VfSlg 20.251/2018, jeweils mwN).
2.2.3. Punkt 2. der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Hallein vom 19. August 2003, 6/350-2135/4-2003, verordnet auf der L 256 Dürrnberg Landesstraße für den Bereich von Straßenkilometer 0,437 bis Straßenkilometer 1,6 eine für beide Fahrtrichtungen geltende Geschwindigkeitsbeschränkung von 50 km/h. Wie sich aus dem im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof von der verordnungserlassenden Behörde unwidersprochen gebliebenen Vorbringen des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg ergibt, wurde der Beginn der Geschwindigkeitsbeschränkung jedoch bei Straßenkilometer 0,637 und deren Ende bei Straßenkilometer 1,611 kundgemacht.
2.2.4. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu §44 Abs1 StVO 1960 führt eine derart signifikante Abweichung zu einer nicht ordnungsgemäßen Kundmachung (VfSlg 20.251/2018 mwN). Auch wenn die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur Kundmachung von Verordnungen iSd §44 Abs1 StVO 1960 je nach örtlichen Verkehrsverhältnissen eine bestimmte Fehlertoleranz vorsieht und die Aufstellung der entsprechenden Verkehrszeichen nicht "zentimetergenau" zu erfolgen hat, bewirken die festgestellten Abweichungen von 200 und 11 Metern im vorliegenden Fall eine nicht gesetzmäßige Kundmachung. Die angefochtene Verordnungsbestimmung erweist sich daher schon aus diesem Grund als gesetzwidrig, sodass auf das weitere Vorbringen des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg nicht mehr einzugehen ist.
V. Ergebnis
1. Punkt 2. der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Hallein vom 19. August 2003, 6/350‑2135/4‑2003, ist als gesetzwidrig aufzuheben.
2. Die Verpflichtung der Salzburger Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B‑VG und §59 Abs2 VfGG iVm §2 Abs1 liti Sbg Landes-VerlautbarungsG.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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