VfGH V196/88

VfGHV196/8814.3.1989

Individualantrag auf Aufhebung der Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Schwaz/Tirol vom 2. Mai 1984, mit der das Füttern von Tauben im Ortsgebiet ausnahmslos verboten wird;

Verwaltungsstrafverfahren anhängig, fehlende Legitimation

Normen

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

1.1. Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Schwaz/Tirol erließ am 2. Mai 1984, gestützt auf §28 der Tiroler Gemeindeordnung 1966, folgende Verordnung:

"§1

Im Ortsgebiet von Schwaz (innerhalb der Ortstafeln) ist das Füttern von Tauben zur Vermeidung ihrer weiteren Zuwanderung und Vermehrung ausnahmslos verboten.

§2

Übertretungen nach §1 dieser ortspolizeilichen Verordnung werden mit einer Geldstrafe bis zu S 5.000,-- oder mit Arreststrafe bis zu drei Wochen bestraft.

§3

Diese Verordnung tritt am 1. Juni 1984 in Kraft."

Die Verordnung wurde durch öffentlichen Anschlag an der Amtstafel in der Zeit vom 3. Mai 1984 bis 17. Mai 1984 und vom 4. Juni 1984 bis 19. Juni 1984 kundgemacht.

1.2. In ihrem auf Art139 B-VG gestützten Antrag begehrt die Einschreiterin, der Verfassungsgerichtshof wolle die Verordnung der Stadtgemeinde Schwaz/Tirol vom 2. Mai 1984, mit der das Füttern von Tauben im Ortsgebiet von Schwaz ausnahmslos verboten wird, zur Gänze aufheben.

Die Antragstellerin bringt vor, sie habe vor Erlassung der angefochtenen Verordnung auf dem Balkon ihrer Wohnung stets Singvögel, Dohlen und Tauben gefüttert. Die Verordnung verbiete ihr das Füttern von Tauben und verletze sie daher unmittelbar in ihren Rechten.

1.3. Die Tiroler Landesregierung und der Gemeinderat der Stadtgemeinde Schwaz/Tirol erstatteten - unter Vorlage der bezughabenden Akten - Äußerungen, in denen sie die Gesetzmäßigkeit der Verordnung verteidigen. Die Tiroler Landesregierung beantragt jedoch primär, den Antrag mangels Legitimation als unzulässig zurückzuweisen.

1.4. Die Antragstellerin wurde mit Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Schwaz vom 25. August 1988 schuldig erkannt, sie habe an mehreren - näher bezeichneten - Tagen zu bestimmten Zeiten auf dem Balkon des Hauses Franz-Josef-Straße 15, Schwaz, Tauben gefüttert und dadurch § 1 der Verordnung über das Verbot des Taubenfütterns verletzt. Über sie wurde eine Geldstrafe, im Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt. Gegen dieses Straferkenntnis erhob die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 12. September 1988 Berufung, über die zum Zeitpunkt der Einbringung des Individualantrags beim Verfassungsgerichtshof (7. November 1988) noch nicht entschieden worden war.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Zulässigkeit des Antrages erwogen:

2.1. Voraussetzung der Antragslegitimation ist einerseits, daß der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch die angefochtene Verordnung - im Hinblick auf deren Gesetzwidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, daß die Verordnung für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, daß die Verordnung in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle ihrer Gesetzwidrigkeit - verletzt.

Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, daß die Verordnung selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteter Weise - rechtswidrigen Eingriffes zu Verfügung steht (VfSlg. 10511/1985).

2.2. Ein solcher zumutbarer Weg besteht grundsätzlich dann, wenn ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren bereits anhängig ist, das dem von der generellen Rechtsnorm Betroffenen letztlich Gelegenheit bietet, die Einleitung eines amtswegigen Normprüfungsverfahrens durch den Verfassungsgerichtshof anzuregen. Eine Ausnahme besteht nur für den Fall, daß besondere, außergewöhnliche Umstände vorliegen, um der Partei des gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahrens trotz der ihr dort offenstehenden Möglichkeiten das Recht auf Einbringung eines Normprüfungsantrags einzuräumen (vgl. zB VfSlg. 8312/1978, 8552/1979, 10251/1984). Zwar ist es unzumutbar, ein Strafverfahren zu provozieren, um solcherart Gelegenheit zu bekommen, ein amtswegiges Normprüfungsverfahren zu initiieren (vgl. zB VfSlg. 8396/1978, 8464/1978). Ist ein Strafverfahren aber ohnehin bereits anhängig, so ist es dem Beschuldigten durchaus zumutbar, den administrativen Instanzenzug auszuschöpfen und sodann beim Verfassungsgerichtshof Beschwerde nach Art144 B-VG zu erheben und darin seine Bedenken gegen die generelle Norm vorzubringen (vgl. VfGH 5.10.1987 V18/87, 13.6.1988 V89,90/87).

2.3. Ein derartiges Verwaltungsstrafverfahren war gegen die Antragstellerin im Zeitpunkt der Einbringung ihres Individualantrages beim Verfassungsgerichtshof anhängig (s. Punkt 1.4.).

Mit Berufungserkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Schwaz vom 14. Feber 1989 wurde die Berufung der Antragstellerin gegen das Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Schwaz vom 25. August 1988 als unbegründet abgewiesen. Das Berufungserkenntnis stützt sich ausdrücklich auf die Verordnung der Stadtgemeinde Schwaz/Tirol, mit der das Füttern von Tauben im Ortsgebiet von Schwaz ausnahmslos verboten wird. Für den Fall einer Verfassungsgerichtshofbeschwerde wäre diese Verordnung präjudiziell im Sinne des Art139 Abs1 B-VG. Der Verfassungsgerichtshof wäre verpflichtet - wenn er gegen die Verordnung Bedenken ob ihrer Gesetzmäßigkeit hätte - ein amtswegiges Verordnungsprüfungsverfahren einzuleiten.

Da sohin ein anderer zumutbarer Weg gegeben war, die gegen die angefochtene Verordnung sprechenden Bedenken geltend zu machen, ist der Antrag mangels Legitimation als unzulässig zurückzuweisen.

3. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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