Normen
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
Verordnung der Gemeindevertretung der Gemeinde Klaus vom 03.02.88 über die Festsetzung der Entschädigung des Bürgermeisters
Vlbg GdG
Vlbg GdG 1985 §28
Vlbg GdG 1985 §30 Abs1
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
Verordnung der Gemeindevertretung der Gemeinde Klaus vom 03.02.88 über die Festsetzung der Entschädigung des Bürgermeisters
Vlbg GdG
Vlbg GdG 1985 §28
Vlbg GdG 1985 §30 Abs1
Spruch:
Der Satz "Diese Verordnung tritt mit 1.1.1988 in Kraft." in der Verordnung der Gemeindevertretung der Gemeinde Klaus vom 3. Februar 1988 über die Festsetzung der Entschädigung des Bürgermeisters, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel der Gemeinde Klaus in der Zeit von 22. Februar 1988 bis 11. März 1988, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
Im übrigen wird dem Antrag keine Folge gegeben.
Die Vorarlberger Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Landesvolksanwalt von Vorarlberg stellte unter Berufung auf Art58 Abs2 des Gesetzes über die Verfassung des Landes Vorarlberg (Landesverfassung - LV), LGBl. 30/1984, den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge die Verordnung der Gemeindevertretung der Gemeinde Klaus vom 3. Februar 1988 über die Festsetzung der Entschädigung des Bürgermeisters zur Gänze als gesetzwidrig aufheben. Er legte seine Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit dieser Verordnung folgendermaßen dar:
"Die Mitgliederzahl der Gemeindevertretung von Klaus beträgt 21 (§34 Abs1 des Gemeindegesetzes, LGBl 1965/45 idF der Kundmachung LGBl 1985/40, im folgenden als GG zitiert). Die vorstehende Verordnung wurde laut Protokoll über die Sitzung der Gemeindevertretung vom 3.2. (Anlage 2) mit den Stimmen von 11 Abgeordneten beschlossen. Diese 11 Stimmen sind nach der Anmerkung im Protokoll jene der Fraktion der ÖVP. Zu dieser Fraktion gehört der Bürgermeister selbst. Dies bedeutet, daß die Entschädigung des Bürgermeisters mit dessen eigener Stimme beschlossen wurde. Die Opposition hat sich an den Landesvolksanwalt mit dem Ersuchen gewandt, ihr Auskunft über die Rechtskonformität der Behauptung zu geben, daß der Bürgermeister nicht als befangen von dem in Rede stehenden Verwaltungshandeln ausgeschlossen gewesen wäre.
Bei Erteilung der erbetenen Auskunft (§2 Abs1 erster Satz des Gesetzes über den Landesvolksanwalt, LGBl 1985/29) kamen dem Antragsteller Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Verordnung, weil an der Verordnungserlassung ein nach §28 GG ausgeschlossenes Mitglied mitgewirkt hat und weil die Verordnung mit rückwirkender Kraft ausgestattet wurde, ohne daß hiezu eine Ermächtigung vorläge.
In einer zwischen der Landesregierung und dem Landesvolksanwalt geführten Korrespondenz hat die Landesregierung die Auffassung vertreten, die Auslegung von §28 und §30 GG führe nicht zum Ergebnis, daß der Bürgermeister selbst an der Abstimmung nicht hätte teilnehmen dürfen. Die tragenden Gründe für diese Auffassung sind:
- 1. Daß die Festsetzung der Entschädigung des Bürgermeisters in der Rechtsform der Verordnung zu erfolgen habe (§30 Abs2 GG), und
- 2. auf Verordnungen nach §28 Abs5 des GG die Befangenheitsbestimmungen nicht anwendbar seien, weil es sich um Anordnungen an einen unbestimmten Personenkreis handle.
Der Landesvolksanwalt pflichtet den Gedanken der Landesregierung bei, daß eine Festsetzung der Entschädigung des Bürgermeisters (abstrakter Begriff) dann nicht in Zusammenhang mit den Bestimmungen über die Befangenheit gebracht werden darf, wenn erkennbar ist, daß es sich um eine Regelung handelt, die nicht auf eine konkrete - gar noch gerade amtierende - Person abstellt. Dies bedeutet, daß in aller Regel eine Komponente von Dauerhaftigkeit und Abstraktheit erkennbar sein muß. Um den von der Landesregierung genannten Kriterien zu entsprechen, müßte die Norm also in aller Regel auf Dauer ausgelegt, für mehrere Amtsträger gedacht und frei von persönlichkeitsbezogenen Komponenten sein.
Die nun in Kritik gezogene Verordnung befaßt sich ausschließlich mit der Entschädigung des Bürgermeisters und knüpft mit der Einstufung B/V/10 an ein individuelles Zumessungsmerkmal an. Daß diese Verordnung den Grundbezug des Bürgermeisters durch die Aufhebung des 1. Absatzes der Verordnung vom 9.7.1985 (Anlage 3) eliminiert und aus jener Verordnung bürgermeisterbezogen nur noch das Kilometergeld übrigbleibt, ist ein weiterer Grund für die Beantragung der Aufhebung der Verordnung, weil mit einer bloßen Ausgleichsentschädigung sicherlich nicht eine angemessene Entschädigung im Sinne von §30 GG festgelegt wurde. Wahrscheinlich wird dem Bürgermeister irrtümlich - im offenen Widerspruch zur klaren Anordnung der Verordnung vom 3.2.88 - auch ein Grundbezug nach der Einstufung B/V/10 ausbezahlt, doch erfolgt diese Ausbezahlung offenkundig ohne Rechtstitel. Weil ein Bürgermeister aber Anspruch auf eine angemessene Entschädigung hat, erweist sich die Verordnung mit der bloßen Zuerkennung einer Ausgleichsentschädigung als im Widerspruch zur genannten Norm stehend.
Die Vorläufer der Entschädigungsverordnung vom 8.2.1988 zeigen, daß die Entschädigung des konkret amtierenden Bürgermeisters jeweils seinem Alter angemessen erfolgte und daher nie eine abstrakte Festsetzung war. Es ist auch unvorstellbar, daß ein anderer Bürgermeister - egal welcher beruflichen Prävenienz - mit dem Ausscheiden des jetzigen Bürgermeisters aus dem Amt mit B/V/10 eingestuft würde. Wäre die Festlegung der Entschädigung des Bürgermeisters etwa so erfolgt, daß der jeweilige Bürgermeister unter sinngemäßer Heranziehung eines Vorrückungsstichtages nach der Verwendungsgruppe B in analoger Anwendung des Gemeindebedienstetenrechtes eingestuft würde, so wäre dies ein System, das auf mehrere Bürgermeister, also auf den Bürgermeister von Klaus in Vorarlberg an sich und unabhängig vom jeweiligen Organwalter und dessen Lebensalter anwendbar wäre; da somit die Voraussetzungen von §28 Abs5 GG (... von Anordnungen die sich an einen unbestimmten Personenkreis richten,...) erfüllt wären, läge eine Befangenheit des jeweils amtierenden Bürgermeisters nicht vor. Bei einem solchen System könnte auch nicht davon gesprochen werden, daß der Bürgermeister seine eigene Entschädigung (im engeren Sinne) mitbeschließe.
Im Jahre 1988 gab es in Vorarlberg eine öffentliche Diskussion um die Anhebung der Bezüge der Bürgermeister als Ausgleich für den Entfall der Steuerfreiheit eines Teiles derselben. Als Folge dieser Diskussion hat der Volksanwalt von allen Vorarlberger Gemeinden die geltenden Verordnungen über die Entschädigungen von Bürgermeistern und deren beide Vorläufer eingeholt. Teils schriftlich und teils mündlich haben etwa 80 % der amtierenden Bürgermeister dem Landesvolksanwalt gegenüber erklärt, daß sie selbstverständlich an der Abstimmung über die Bemessung ihrer Entschädigung nicht teilgenommen hätten. Diese Äußerungen erfolgten offensichtlich aus einem natürlichen Rechtsempfinden.
Im Gegensatz zur Landesregierung glaubt der Landesvolksanwalt, daß bei der Festsetzung einer Entschädigung nach §30 des GG die in §28 Abs1 GG festgelegte Befangenheit durch Abs5 deswegen nie aufgehoben werden kann, weil die Zumessung der Entschädigung nach §30 Abs1 stets ein Individualakt zu sein hat. Aus dem dem Wort 'Entschädigung' eigenen Sinn ist zunächst festzustellen, welcher Schaden dem jeweils amtierenden Bürgermeister durch die Ausübung seines Amtes entsteht. Sodann ist als objektivierbares Kriterium die Einwohnerzahl der Gemeinde und schließlich als ein subjektives Kriterium der Umfang der Tätigkeit des Bürgermeisters maßgebend. Der (tatsächliche) Umfang der Tätigkeit wird von Bürgermeister zu Bürgermeister verschieden sein und es wird der Gemeindevertretung freistehen, eine bei Antritt eines Bürgermeisters festgesetzte Entschädigung nach einem angemessenen Zeitraum der Beobachtung infolge des höheren oder geringeren Umfanges der Tätigkeit des Bürgermeisters zu belassen, herabzusetzen oder zu erhöhen. Die Erfahrung zeigt auch, daß anläßlich der Bereitschaft eines Politikers zur Übernahme des Amtes des Bürgermeisters darüber gesprochen wird, was zu bezahlen sein werde, um den gewünschten Mann zu bekommen. Es ist nach Auffassung des Landesvolksanwaltes aus Wortlaut und Sinn von §30 (1) GG durchaus legitim, daß ein aus dem Berufsleben kommender Mitbürger, der sich um eine solche Funktion bewirbt oder der bereit ist, eine solche Funktion zu übernehmen, die Vorstellung hat, für den Einkommensverlust entschädigt werden zu wollen, der ihm durch die politische Funktion entsteht. Das Gesetz könnte möglicherweise auch so ausgelegt werden, daß der jeweilige Inhaber der Funktion ex lege einen Anspruch auf Entschädigung dessen hat, was ihm an sonstigem Einkommen durch die Übernahme der Funktion entgeht. Bei dem auf das Individium abstellenden Entschädigungsanspruch nach §30 Abs1 ist es überhaupt fraglich, ob der Gesetzgeber berechtigt war, die Festsetzung durch Verordnung vorzusehen, weil dadurch die sonst rechtlich verpönte verschleierte Verfügung in Verordnungsform zur Regel erhoben würde.
Der antragstellende Landesvolksanwalt ist der Überzeugung, daß die vorliegende Verordnung sich nicht mehr an einen unbestimmten Personenkreis richtet, aufgrund dessen die Bestimmungen über die Befangenheit nach §28 GG nicht mehr gelten würden. Es handelt sich um die Sache des Bürgermeisters selbst, sodaß er sich der Ausübung des Amtes als Mitglied der Gemeindevertretung zu enthalten gehabt hätte. Das Protokoll über die Gemeindevertretungssitzung vom 3.2.1988 zeigt, daß der Bürgermeister in Befolgung dieses Gebotes sich aus dem Sitzungssaal zunächst entfernt hat. Die folgende Abstimmung war dann allerdings durch seine Teilnahme rechtswidrig. Diese Rechtswidrigkeit war aber dadurch qualifiziert, daß der in Kritik gezogene Beschluß nur mit seiner eigenen Stimme zustandegekommen ist. Es hat somit im konkreten Fall der Bürgermeister mit seiner eigenen Stimme seine Entschädigung beschlossen. Aichelreiter legt in Österreichisches Verordnungsrecht, Band 1, Seite 754 (II D/7, Mängel der Willensbildung) dar, daß die Nichtwahrnehmung der Befangenheit dann eine Verordnung mit Rechtswidrigkeit belastet, wenn sie auf das Ergebnis von Einfluß ist. Dies trifft hier ebenso zu, wie die Aussage im gleichen Abschnitt des zitierten Werkes, daß bei Verordnungserzeugung die Befangenheit dann angenommen werden kann (und wohl muß), wenn der Inhalt der Verordnung weitgehend individualisiert ist.
Im übrigen ist die kundgemachte Fassung der Verordnung auch dadurch mit Rechtswidrigkeit belastet, daß sie ohne eine dies rechtfertigende Rechtsgrundlage die Rückwirkung normiert (vgl. VfSlg 8875)."
2. Die Vorarlberger Landesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnung verteidigt, zu der vom Landesvolksanwalt von Vorarlberg behaupteten Gesetzwidrigkeit der rückwirkenden Inkraftsetzung dieser Verordnung jedoch nicht Stellung nimmt.
Der Bürgermeister der Gemeinde Klaus hat die die Erlassung der Verordnung betreffenden Akten vorgelegt. Eine Äußerung der Gemeindevertretung der Gemeinde Klaus wurde nicht erstattet.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Zulässigkeit des Antrages erwogen:
1. Die Legitimation des Landesvolksanwaltes von Vorarlberg zur Antragstellung ergibt sich aus Art58 Abs2 der (Vlbg.) Landesverfassung und aus Art148i Abs2 B-VG iVm Art148e B-VG (vgl. VfSlg. 10.966/1986, 11.277/1987, 11.463/1987; VfGH 1.12.1988 V18/88, 1.3.1989 V25/88, 8.10.1990 V113/89).
2.a) Der angefochtene Beschluß der Gemeindevertretung der Gemeinde Klaus vom 3. Februar 1988 hat folgenden Wortlaut:
"Verordnung über die Festsetzung der Entschädigung des Bürgermeisters:
Die Gemeindevertretung von Klaus hat auf Grund des §30 GG., LGBl. Nr. 40/1985, mit Beschluß vom 3.2.1988 verordnet:
Als Ausgleich für den Wegfall des Werbungskostenpauschales sowie die Reduzierung der Aufwandsentschädigung von 35 % auf 10 % ab 1.1.1988 wird dem Bürgermeister eine Ausgleichsentschädigung in Höhe von 43 % seiner bisherigen Funktionsentschädigung (B/V/10) gewährt. Diese gelangt 14-mal zur Auszahlung.
Gleichzeitig vermindert sich die Aufwandsentschädigung, die jährlich 12-mal gewährt wird und von der Funktionsentschädigung (B/V/10 zuzüglich Ausgleichsentschädigung) zu bemessen ist, auf 10 % v.Hundert.
Diese Verordnung tritt mit 1.1.1988 in Kraft. Gleichzeitig verliert der 1. Absatz der Verordnung vom 9.7.1985 seine Wirksamkeit."
Dieser Beschluß wurde durch Anschlag an der Amtstafel der Gemeinde in der Zeit von 22. Februar 1988 bis 11. März 1988 kundgemacht.
b) Der in diesem Beschluß erwähnte erste Absatz der Verordnung der Gemeindevertretung der Gemeinde Klaus vom 9. Juli 1985 (richtig: 3. Juli 1985) hat folgenden Wortlaut:
"Die Entschädigung des Bürgermeisters beträgt die Höhe des Bezuges eines Gemeindebeamten der Verwendungsgruppe B DKL. 5/9, mit zweijähriger Vorrückung, sowie eine 35%-ige Aufwandsentschädigung. Die AE wird jährlich 12-mal ausbezahlt."
3.a) Der angefochtene Beschluß der Gemeindevertretung hat seine Rechtsgrundlage in §30 des (Vlbg.) Gemeindegesetzes, LGBl. 40/1985 (im folgenden: GemeindeG). Nach dem ersten Satz des Abs1 dieser Bestimmung hat der Bürgermeister Anspruch auf eine angemessene Entschädigung. Ihre Höhe darf 80 vH der Bemessungsgrundlage gemäß §10 des Bürgermeister-Pensionsgesetzes nicht unterschreiten (§30 Abs1 zweiter Satz GemeindeG). Die dem Bürgermeister gebührende Entschädigung ist - gleich den übrigen in §30 Abs1 GemeindeG vorgesehenen Entschädigungen - durch Verordnung festzusetzen (§30 Abs2 erster Satz GemeindeG). Hiebei sind die Einwohnerzahl der Gemeinde und der Umfang der Tätigkeit des Bürgermeisters zu berücksichtigen (§30 Abs2 zweiter Satz GemeindeG).
b) Inhaltlich stellt sich der gegenständliche Beschluß der Gemeindevertretung - wie insbesondere aus dem letzten Satz ("Gleichzeitig verliert der 1. Absatz der Verordnung vom 9.7.1985 seine Wirksamkeit.") hervorgeht - als Änderung der von der Gemeindevertretung am 3. Juli 1985 beschlossenen "Verordnung über die Festsetzung der Entschädigung des Bürgermeisters und der Mitglieder von sonstigen Gemeindeorganen" dar, soweit diese die Entschädigung des Bürgermeisters regelt.
c) Der Verfassungsgerichtshof vermag die Auffassung des Landesvolksanwaltes von Vorarlberg, daß sich der Beschluß der Gemeindevertretung vom 3. Februar 1988 seinem Inhalt nach lediglich auf die Bezüge jenes Bürgermeisters beziehe, der sich zum Zeitpunkt der Beschlußfassung durch die Gemeindevertretung im Amt befunden habe, nicht zu teilen. Insbesondere kann aus dem Umstand, daß bei der Festsetzung der dem Bürgermeister gebührenden Entschädigung an die Höhe des einem Gemeindebeamten der Verwendungsgruppe B, Dienstklasse V, Gehaltsstufe 10, gebührenden Gehalts angeknüpft wird, ein solcher Schluß nicht gezogen werden.
Der in Rede stehende Beschluß trifft in Abänderung einer bestehenden generellen Regelung (Verordnung vom 3. Juli 1985) hinsichtlich der dem (jeweiligen) Bürgermeister gebührenden Entschädigung eine bindende Teilregelung. Ein Beschluß dieses Inhaltes gestaltet, wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 8997/1980 mit Hinweis auf Vorjudikatur dargelegt hat, die Rechtslage einer bestimmten Kategorie von Gemeindefunktionären - hier: des Bürgermeisters - gegenüber der Gemeinde und weist inhaltlich jene Merkmale auf, die einen solchen Rechtsakt als Rechtsverordnung qualifizieren.
Der Verfassungsgerichtshof vermag daher das Bedenken des Landesvolksanwaltes von Vorarlberg, es handle sich bei dem Beschluß in Wahrheit um einen individuellen, lediglich in die Form einer Verordnung gekleideten Verwaltungsakt (und damit um eine - verfassungsrechtlich unzulässige - "verschleierte Verfügung in Verordnungsform"; vgl. dazu etwa VfSlg. 1685/1948, 3820/1960, 3859/1960), nicht zu teilen.
Zusammenfassend ergibt sich, daß der in Rede stehende Beschluß die rechtliche Qualität einer Rechtsverordnung besitzt.
d) Die im Antrag des Landesvolksanwaltes von Vorarlberg vorgebrachten Bedenken richten sich gegen den Beschluß der Gemeindevertretung vom 3. Februar 1988 seinem ganzen Inhalt nach.
e) Da sämtliche Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist der Antrag zulässig.
III. In der Sache hat der Verfassungsgerichtshof erwogen:
1.a) §28 GemeindeG bestimmt, daß sich (ua.) der Bürgermeister im Falle seiner Befangenheit der Ausübung seines Amtes zu enthalten hat. Handelt es sich um Angelegenheiten, die in Kollegialorganen in nichtöffentlicher Sitzung behandelt werden, so hat (ua.) der Bürgermeister, soweit er nicht ausdrücklich zur Auskunftserteilung zugezogen wird, für die Dauer der Beratung und Beschlußfassung den Sitzungsraum insbesondere dann zu verlassen, wenn es um die Erörterung von Angelegenheiten geht, an denen er selbst beteiligt ist (Abs1). Diese Vorschrift gilt nicht für Wahlen und für die Erlassung von Anordnungen, die sich an einen unbestimmten Personenkreis richten (Abs5).
Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage betreffend das spätere Gesetz LGBl. 35/1985, mit dem diese Bestimmung (damals: §24 Abs5 GemeindeG) eingeführt worden war (7. Beilage im Jahre 1985 zu den Sitzungsberichten des XXIV. Vorarlberger Landtages, Zu ArtI (Zu Z. 15)), führen hiezu folgendes aus:
"In Ergänzung des Abs3 soll ausdrücklich festgehalten werden, daß die Befangenheitsbestimmungen sowohl bei Wahlen als auch bei der Erlassung von Verordnungen oder bei Erlassung von Regelungen im Rahmen der Privatautonomie (Benützungsregelungen, Anstaltsordnungen) nicht zur Anwendung kommen."
b) Beim angefochtenen Beschluß der Gemeindevertretung handelt es sich, wie bereits unter II. 3. dargelegt, um eine Verordnung (weshalb die Frage der Nichtanwendbarkeit der Vorschriften über die Befangenheit bei der Erlassung von Regelungen der Privatautonomie hier auf sich beruhen kann). Mit Rücksicht darauf, daß, wie eben aufgezeigt, nach dem Willen des Gesetzgebers die die Befangenheit von Gemeindeorganen regelnden Vorschriften des §28 GemeindeG für die Erlassung von Verordnungen nicht anzuwenden sind, erweist sich das Bedenken des Landesvolksanwaltes von Vorarlberg, der angefochtene Beschluß der Gemeindevertretung sei wegen Befangenheit des an der Beschlußfassung mitwirkenden Bürgermeisters gesetzwidrig, schon aus diesem Grund als nicht begründet.
2. Der Verfassungsgerichtshof vermag aber auch das Bedenken des Landesvolksanwaltes von Vorarlberg, die mit der angefochtenen Verordnung festgesetzte Entschädigung des Bürgermeisters sei nicht "angemessen" iS des §30 Abs1 erster Satz GemeindeG, nicht zu teilen. Dieses Bedenken geht von der Prämisse aus, daß (mit dem letzten Satz dieser Verordnung) die im ersten Absatz der bereits erwähnten Verordnung der Gemeindevertretung vom 3. Juli 1985 enthaltene Regelung über die Entschädigung des Bürgermeisters ersatzlos beseitigt worden sei. Diese Annahme trifft jedoch nicht zu: Zwar findet sich in der angefochtenen Verordnung keine ausdrückliche Bestimmung über die Höhe der (Grund-)Entschädigung des Bürgermeisters. Aus dem Wortlaut dieser Verordnung ergibt sich jedoch klar, daß die verordnungserlassende Behörde davon ausging, daß eine derartige Entschädigung dem Bürgermeister - nach wie vor -
gebührt (arg. "... 43 % seiner bisherigen Funktionsentschädigung
(B/V/10) ..."; "... von der Funktionsentschädigung (B/V/10 ...) zu
bemessen ..."), wobei nunmehr an das Gehalt eines Gemeindebeamten der Verwendungsgruppe B, Dienstklasse V, Gehaltsstufe 10 (nach der Verordnung vom 3. Juli 1985: Gehaltsstufe 9), angeknüpft wird.
3.a) Der Landesvolksanwalt von Vorarlberg bringt vor, daß die angefochtene Verordnung "ohne eine dies rechtfertigende Rechtsgrundlage die Rückwirkung normiert".
b) Dieses Bedenken ist begründet.
Im vorletzten Satz der (von der Gemeindevertretung am 3. Februar 1988 beschlossenen) Verordnung wurde der Zeitpunkt ihres Inkrafttretens mit 1. Jänner 1988 festgesetzt. Die Verordnung wurde iS des §32 Abs1 GemeindeG durch Anschlag an der Amtstafel der Gemeinde unter Einhaltung einer Kundmachungsfrist von zwei Wochen (in der Zeit von 22. Februar bis 11. März 1988) kundgemacht; sie wäre somit, hätte sie nicht einen anderen Zeitpunkt des Inkrafttretens festgelegt, gemäß §32 Abs1 letzter Satz GemeindeG mit Beginn des auf die Kundmachung folgenden Tages in Kraft getreten. In der Festlegung des 1. Jänner 1988 als Zeitpunkt des Inkrafttretens liegt mithin eine rückwirkende Inkraftsetzung.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist die rückwirkende Inkraftsetzung einer Verordnung nur zulässig, wenn dies durch Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist (s. etwa VfSlg. 167/1922, 312/1924, 2966/1956, 7139/1973, 7787/1976, 8875/1980).
Das GemeindeG enthält keine ausdrückliche Ermächtigung, Verordnungen der hier in Rede stehenden Art rückwirkend in Geltung zu setzen. Ebensowenig ist eine sonstige landesrechtliche Norm auffindbar, die eine derartige Ermächtigung enthielte. Eine solche hat auch die Vorarlberger Landesregierung nicht aufgezeigt.
c) Da es somit an einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung zur rückwirkenden Inkraftsetzung der angefochtenen Verordnung fehlt, ist der aus dem Spruch ersichtliche Teil dieser Verordnung mit Gesetzwidrigkeit belastet.
d) Diese Verordnungsbestimmung war daher als gesetzwidrig aufzuheben.
e) Im übrigen war dem Antrag des Landesvolksanwaltes von Vorarlberg aus den dargelegten Gründen keine Folge zu geben.
4. Die Verpflichtung der Vorarlberger Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und aus §60 Abs2 VerfGG.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung getroffen werden.
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