VfGH V113/89

VfGHV113/898.10.1990

Gesetzmäßigkeit einer Einfriedungsverordnung im Hinblick auf §9 Abs3 Vlbg BauG; Mindestabstand von Einfriedungen vom Straßenrand im Interesse der Verkehrssicherung (Schneeräumung) und des Ortsbildschutzes; sachliche Rechtfertigung der Anknüpfung an die straßenrechtliche Einteilung öffentlicher Verkehrsflächen

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Verordnung B-VG Art18 Abs2 B-VG Art148e B-VG Art148i Abs2 Verordnung der Gemeindevertretung von Hittisau über die Ausgestaltung von Einfriedungen an öffentlichen Verkehrsflächen vom 26.04.88, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 02.05, bis 17.05.88 Vlbg BauG 1972 §9 Abs3 Vlbg Landesverfassung Art58 Abs2 Vlbg StraßenG §37
B-VG Art7 Abs1 / Verordnung B-VG Art18 Abs2 B-VG Art148e B-VG Art148i Abs2 Verordnung der Gemeindevertretung von Hittisau über die Ausgestaltung von Einfriedungen an öffentlichen Verkehrsflächen vom 26.04.88, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 02.05, bis 17.05.88 Vlbg BauG 1972 §9 Abs3 Vlbg Landesverfassung Art58 Abs2 Vlbg StraßenG §37

 

Spruch:

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit einem auf Art58 Abs2 der Vorarlberger Landesverfassung, LGBl. Nr. 30/1984, gestützten Antrag begehrt der Landesvolksanwalt von Vorarlberg die Aufhebung der Verordnung der Gemeindevertretung Hittisau über die Ausgestaltung von Einfriedungen an öffentlichen Verkehrsflächen gemäß §9 Abs3 des Baugesetzes vom 26.4.1988, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 2.5. bis 17.5.1988, von der Bezirkshauptmannschaft Bregenz zur Kenntnis genommen mit Schreiben vom 4.5.1988, Zl. I-201-16, (kurz: Einfriedungsverordnung) gemäß Art139 B-VG wegen Gesetzwidrigkeit. Diese Verordnung hat folgenden Wortlaut:

"Verordnung

der Gemeindevertretung Hittisau über die Ausgestaltung von Einfriedungen an öffentlichen Verkehrsflächen gemäß §9 Abs3 des Baugesetzes.

I

Einfriedungen, die nicht mindestens 1,50 m vom Fahrbahnrand einer Bundes-, Landes- oder Gemeindestraße oder nicht mindestens 0,75 m von einer anderen öffentlichen Verkehrsfläche entfernt sind, dürfen nicht als Mauer oder Trockenmauer ausgestaltet werden.

II

Diese Verordnung gilt für das gesamte Gemeindegebiet Hittisau.

Der Bürgermeister ... "

Der Landesvolksanwalt hegt das Bedenken, daß die Einfriedungsverordnung weder in §9 Abs3 des Vorarlberger Baugesetzes, LGBl. Nr. 39/1972, noch in einer anderen Norm eine gesetzliche Deckung findet. Die Einfriedungsverordnung diene - jedenfalls auch - der Reservierung von Grundflächen für die spätere Errichtung von Gehsteigen. Diese sei in §10 des Vorarlberger Straßengesetzes, LGBl. Nr. 8/1969 idgF, aber derart geregelt, daß keine Möglichkeit einer Grundstücksreservierung für eine später allenfalls zu erwartende Gehsteigerrichtung bestehe.

Ferner führt der Landesvolksanwalt unter Hinweis auf §9 Abs1 zweiter Satz Vorarlberger Baugesetz aus, "daß für Lage und Dimension von Einfriedungen an öffentlichen Verkehrsflächen das Straßengesetz mit dessen §37 maßgebend sein soll", sodaß sich §9 Abs3 Vorarlberger Baugesetz tatsächlich nur auf die Ausgestaltung beziehe, worunter "aber schon nach dem dem Worte eigentümlichen Sinne nicht die Lage der Einfriedung in bezug auf den Straßenrand zu verstehen (ist), denn damit befaßt sich das Straßengesetz abschließend".

Soweit die Einfriedungsverordnung mit der Notwendigkeit der Schneeräumung begründet werde, fehlt es nach Meinung des Landesvolksanwaltes an einer über die diesbezüglich abschließende Regelung des §37 Abs3 des Vorarlberger Straßengesetzes hinausgehenden gesetzlichen Grundlage. Sie sei aber auch deshalb nicht vorstellbar, weil der Gesetzgeber nicht zwischen Mauern und allenfalls Holzzäunen unterscheide, "welche ... der Schneeablagerung ein gleiches Hindernis wären wie eine Mauer".

Der Landesvolksanwalt hält es schließlich für unsachlich, "die Gemeindestraßen anders zu behandeln als die Genossenschaftsstraßen und die öffentlichen Privatstraßen", weil jene auch in der Gemeinde Hittisau nicht von größerer Bedeutung als diese seien und sich in der Natur durch nichts voneinander unterscheiden würden.

Dem Landesvolksanwalt fehlt es schließlich "an jeder Begründung, weshalb eine Ausgestaltung einer Einfriedung in einer geringeren Entfernung als der in der Verordnung genannten den Interessen des Verkehrs oder dem Schutz des Landschafts- und Ortsbildes zuwiderlaufen soll, in der angegebenen oder größeren Entfernung aber nicht".

2. Die Vorarlberger Landesregierung hält in ihrer Äußerung die Einfriedungsverordnung für gesetzmäßig. Ihrer Meinung nach geht der Vorwurf der Gesetzwidrigkeit der Verordnung, weil sie der Reservierung von Grundflächen für die spätere Errichtung von Gehsteigen diene, ins Leere. Die Verordnung sei auch nicht mangels Regelung der Ausgestaltung von Einfriedungen gesetzwidrig, weil sie dem Grundeigentümer nicht vorschreibe, "in welchem Abstand zur öffentlichen Verkehrsfläche er Einfriedungen errichten darf oder welche Ausmaße die Einfriedung aufzuweisen hat". "Lediglich für den Fall, daß er die Einfriedung in Form einer Mauer oder Trockenmauer ausgestalten möchte, hat er die Vorschriften der betreffenden Verordnung zu beachten."

Nach Meinung der Vorarlberger Landesregierung könne es nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden, daß "die Schneeräumung und somit auch die Ablagerung des Schnees eine die Interessen des Verkehrs betreffende Angelegenheit darstellt". Die Verordnungsermächtigung des §9 Abs3 des Baugesetzes erwähne aber ausdrücklich, daß durch Verordnung Vorschriften über die Ausgestaltung von Einfriedungen an öffentlichen Verkehrsflächen zu erlassen sind, wenn dies im Interesse des Verkehrs erforderlich ist.

Die unterschiedliche Behandlung der Bundes-, Landes- und Gemeindestraßen einerseits sowie der Genossenschaftsstraßen und öffentlichen Privatstraßen andererseits, ist nach Auffassung der Vorarlberger Landesregierung deswegen sachlich gerechtfertigt, weil es eine Reihe von Unterscheidungsmerkmalen zwischen den beiden Gruppen von Straßen gebe, "die eine unterschiedliche Behandlung im Sinne der Verordnung rechtfertigen (z.B. Art der Straßenbenützer, Frequenz der Straße, Lage der Straße im Hinblick auf das bebaute und unbebaute Gebiet, u. dgl.)". Eine unterschiedliche Behandlung der Ausgestaltung von Einfriedungen an öffentlichen Verkehrsflächen könne schließlich aus Rücksichten des Ortsbildes eine wichtige Rolle spielen.

3. Dieser Äußerung der Vorarlberger Landesregierung schließt sich die Gemeinde Hittisau vollinhaltlich an und weist noch zusätzlich darauf hin, daß die Einfriedungsverordnung "eine bestimmte Vereinheitlichung bei der Erstellung solcher Einfriedungen (ermöglicht) und ... schlußendlich der Erhaltung des gewachsenen Ortsbildes (dient)...".

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Legitimation des Landesvolksanwaltes von Vorarlberg zur Antragstellung ergibt sich aus Art58 Abs2 der Vorarlberger Landesverfassung, LGBl. Nr. 30/1984, in Verbindung mit den Art148

i Abs2 und 148 e B-VG. Der Antrag ist sohin zulässig.

2. Der Verfassungsgerichtshof ist der Meinung, daß die Einfriedungsverordnung der Gemeinde Hittisau in §9 Abs3 des Vorarlberger Baugesetzes eine hinlängliche gesetzliche Grundlage findet.

§9 des Vorarlberger Baugesetzes lautet:

"(1) Einfriedungen an der Grenze des Nachbargrundstückes dürfen dieses ohne Zustimmung des Nachbarn nicht um mehr als 1,80 m überragen. Für Einfriedungen an öffentlichen Verkehrsflächen gilt der §37 des Straßengesetzes.

(2) Vor der Einbringung eines Bauantrages für Einfriedungen nach §23 Abs1 litd kann bei der Behörde die Bestimmung der Lage der Einfriedung beantragt werden. Im übrigen gelten die Vorschriften des §5 sinngemäß.

(3) Die Gemeindevertretung hat für die ganze Gemeinde oder für bestimmte Straßenzüge durch Verordnung Vorschriften über die Ausgestaltung von Einfriedungen an öffentlichen Verkehrsflächen zu erlassen, wenn dies im Interesse des Verkehrs oder des Schutzes des Landschafts- und Ortsbildes erforderlich ist."

Zur "Ausgestaltung von Einfriedungen an öffentlichen Verkehrsflächen" im Sinne des §9 Abs3 Vorarlberger Baugesetz zählt insbesondere die Bestimmung des Materials, aus dem Einfriedungen errichtet werden dürfen. Es ist daher nichts dagegen einzuwenden, daß eine Gemeinde durch Verordnung die bauliche Ausgestaltung und damit insbesondere die Verwendung von Mauern oder Trockenmauern für Einfriedungen an öffentlichen Verkehrsflächen regelt. Sie darf entsprechende Beschränkungen allerdings nur vorsehen, sofern diese Beschränkungen gemäß §9 Abs3 Vorarlberger Baugesetz "im Interesse des Verkehrs oder des Schutzes des Landschafts- und Ortsbildes erforderlich" sind.

"Im Interesse des Verkehrs" liegt es jedenfalls, vom Schnee geräumte Straßen benutzen zu können. Es erscheint dem Gerichtshof daher einsichtig, Mauerwerk an öffentlichen Verkehrsflächen, das für die Schneeräumung und -ablagerung unter Umständen ein besonderes Hindernis darstellt, soweit zurücksetzen zu lassen, daß besagte Schneeräumung und -ablagerung nicht behindert wird. Durch eine derartige baupolizeiliche, weil den baulichen Charakter der Einfriedung berücksichtigende Regelung werden die ebenfalls "Einfriedungen" betreffenden Vorschriften des §37 des Vorarlberger Straßengesetzes nicht berührt, wie auch §9 Abs1 letzter Satz Vorarlberger Baugesetz zu entnehmen ist. Zu berücksichtigen ist auch, daß eine aus Mauerwerk errichtete Einfriedung an einer öffentlichen Verkehrsfläche, sofern sie nahe an dieser errichtet wird, zu einer Gefährdung des Verkehrs führen kann, sodaß die Sicherung eines gehörigen Abstandes für gemauerte Einfriedungen auch aus diesem Grunde im Interesse des Verkehrs liegt. Beide, auf die Interessen des Verkehrs zielenden Motive der Gemeinde gelangten in der ursprünglichen Fassung des Beschlusses der Gemeindevertretung von Hittisau vom 10.11.1987 deutlich zum Ausdruck und waren auch für den Beschluß über die Einfriedungsverordnung vom 26.4.1988 weiterhin maßgeblich.

Daß die Einfriedungsverordnung speziell für Einfriedungen, die als Mauer oder Trockenmauer ausgestaltet werden, gilt, erklärt sich aber auch aus der Absicht der Gemeinde, für derartige Einfriedungen, die für den Charakter eines Ortsbildes von besonderer Bedeutung sind, einheitliche Mindestabstände vom Straßenrand festzulegen. Mit Rücksicht auf das Ortsbild ist es aber auch nicht gesetzwidrig, wenn an Bundes-, Landes- und Gemeindestraßen für gemauerte Einfriedungen ein Mindestabstand von 1,50 m, bei anderen öffentlichen Verkehrsflächen hingegen nur von 0,75 m angeordnet wird.

Sachlich gerechtfertigt und daher auch unter dem Aspekt des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes nicht zu beanstanden ist es, wenn in der Verordnung hinsichtlich der Einfriedungen an öffentlichen Verkehrsflächen an die vom Gesetzgeber vorgeformte straßenrechtliche Einteilung der öffentlichen Verkehrsflächen angeknüpft wird, die ihrerseits auf der Verkehrsbedeutung und dementsprechenden baulichen Gestaltung der Straßen beruht. Ob und wieweit in der Gemeinde Hittisau dieser straßenrechtlichen Einteilung stets faktisch Rechnung getragen wurde, ist im gegebenen Zusammenhang belanglos, zumal gerade aus der Sicht des Gleichheitssatzes eine pauschalierende Betrachtung zulässig ist, sodaß die Regelung der Einfriedungsverordnung nicht dadurch unsachlich wird, daß einzelne öffentliche Verkehrsflächen den Gemeindestraßen in ihrer Verkehrsbedeutung und baulichen Gestalt ähnlich sind, mögen sie auch nicht als solche gewidmet sein.

Angesichts des für die Schneeräumung und -ablagerung ebenso wie für die Verkehrssicherung erforderlichen, sohin im Interesse des Verkehrs gelegenen Mindestabstandes von Einfriedungen an öffentlichen Verkehrsflächen sowie des zum Schutz des Ortsbildes erforderlichen differenzierten Abstandes der als Mauerwerk gestalteten Einfriedungen bei Bundes-, Landes- oder Gemeindestraßen einerseits und anderen öffentlichen Verkehrsflächen anderseits, teilt der Verfassungsgerichtshof die im Antrag des Landesvolksanwaltes von Vorarlberg aufgezeigten Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der Einfriedungsverordnung nicht. Rechtlich belanglos ist, ob die durch §9 Abs3 des Vorarlberger Baugesetzes jedenfalls gedeckte Einfriedungsverordnung auch andere, zusätzliche, von der Rechtsordnung möglicherweise unmittelbar nicht beabsichtigte Effekte aufweist, wie etwa die behauptete Reservierung von Grundstücksteilen für die Anlage von Gehsteigen.

Mit Rücksicht auf die erschöpfende Erörterung in den im Verfahren vorgelegten Schriftsätzen konnte der Antrag des Landesvolksanwaltes von Vorarlberg gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung abgewiesen werden.

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