Normen
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2019:G96.2019
Spruch:
I. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.
II. Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten Antrag begehrt der Antragsteller, der Verfassungsgerichtshof möge "§1 Abs1 und 2 Heimopfergesetz (HOG), BGBl Nr 69/2017, zur Gänze, in eventu insofern auf[…]heben, als der Anspruch auf Rente vom Bezug einer pauschalierten Entschädigungsleistung oder dem Nichtvorliegen der gerichtlich zuerkannten oder mit Vergleich festgesetzten individuellen Entschädigung durch den Heimträger abhängig gemacht wird".
II. Rechtslage
1. §1 des Bundesgesetzes betreffend die Rentenleistung für Opfer von Gewalt in Heimen (Heimopferrentengesetz - HOG), BGBl I 69/2017, idF BGBl I 49/2018 lautet:
"Personenkreis
§1. (1) Personen, die eine pauschalierte Entschädigungsleistung wegen nach dem 9. Mai 1945 bis zum 31. Dezember 1999 erlittener Gewalt im Rahmen einer Unterbringung in Kinder- oder Jugendheimen, als Kinder oder Jugendliche in Kranken‑, Psychiatrie- und Heilanstalten beziehungsweise in vergleichbaren Einrichtungen der Gebietskörperschaften oder Gemeindeverbände, in entsprechenden privaten Einrichtungen, sofern diese funktional für einen Jugendwohlfahrtsträger tätig wurden, in entsprechenden Einrichtungen der Kirchen oder in Pflegefamilien von einem Heim‑, Jugendwohlfahrts‑, Krankenhausträger oder Träger der vergleichbaren Einrichtung beziehungsweise den von diesen mit der Abwicklung der Entschädigung beauftragten Institutionen erhalten haben, haben ab dem Zeitpunkt und für die Dauer der Zuerkennung einer Eigenpension, spätestens aber mit Beginn des Monats, der auf die Erreichung des Regelpensionsalters (§§253 und 617 Abs11 ASVG) folgt, Anspruch auf eine monatliche Rentenleistung nach diesem Bundesgesetz.
(2) Personen, die eine Eigenpension beziehen oder das Regelpensionsalter erreicht haben, aber kein Ansuchen auf eine Entschädigung beim Heim- oder Jugendwohlfahrtsträger oder bei den von diesen mit der Abwicklung der Entschädigung beauftragten Institutionen gestellt haben, oder deren Ansuchen nicht entsprochen wurde, erhalten die Rentenleistung unter den sonstigen Voraussetzungen des Abs1, wenn sie wahrscheinlich machen, dass sie nach dem 9. Mai 1945 bis zum 31. Dezember 1999 in einem der genannten Heime oder in Pflegefamilien Opfer eines vorsätzlichen Gewaltdeliktes im Sinne des Strafgesetzbuches – StGB, https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/1974_60_0/1974_60_0.pdf , in der geltenden Fassung, wurden.
(3) Personen, die laufende Geldleistungen nach den Mindestsicherungsgesetzen der Länder beziehen und wegen einer auf Dauer festgestellten Arbeitsunfähigkeit vom Einsatz der Arbeitskraft befreit sind, sind Beziehern einer Eigenpension ebenso gleichgestellt wie Bezieher eines Rehabilitationsgeldes, einer Waisenpension oder eines Waisenversorgungsgenusses wegen Erwerbsunfähigkeit nach sozialversicherungsrechtlichen Regelungen für die Dauer des Leistungsbezuges sowie Personen während der Dauer der in §123 Abs4 Z2 lita ASVG oder nach entsprechenden sozialversicherungsrechtlichen Regelungen normierten Angehörigeneigenschaft.
(4) Ebenso gleichgestellt sind Personen, die wahrscheinlich machen, dass sie als Kinder oder Jugendliche nach dem 9. Mai 1945 bis zum 31. Dezember 1999 bei Unterbringung in Kranken‑, Psychiatrie- und Heilanstalten beziehungsweise in diesen vergleichbaren Einrichtungen der Gebietskörperschaften, Gemeindeverbände, Kirchen oder in privaten Einrichtungen, sofern diese funktional für einen Jugendwohlfahrtsträger tätig wurden, Opfer eines vorsätzlichen Gewaltdeliktes im Sinne des Strafgesetzbuches – StGB, https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/1974_60_0/1974_60_0.pdf , in der geltenden Fassung, wurden."
2. §1 HOG idF BGBl I 69/2017 hatte folgenden Wortlaut:
"Personenkreis
§1. (1) Personen, die eine pauschalierte Entschädigungsleistung wegen nach dem 9. Mai 1945 bis zum 31. Dezember 1999 erlittener Gewalt im Rahmen einer Unterbringung in Kinder- oder Jugendheimen des Bundes, der Länder und der Kirchen oder in Pflegefamilien von einem Heim- oder Jugendwohlfahrtsträger oder den von diesen mit der Abwicklung der Entschädigung beauftragten Institutionen erhalten haben, haben ab dem Zeitpunkt und für die Dauer der Zuerkennung einer Eigenpension, spätestens aber mit Beginn des Monats, der auf die Erreichung des Regelpensionsalters (§§253 und 617 Abs11 ASVG) folgt, Anspruch auf eine monatliche Rentenleistung nach diesem Bundesgesetz.
(2) Wenn Personen, die eine Eigenpension beziehen oder das Regelpensionsalter erreicht haben, wahrscheinlich machen, dass sie aus besonderen Gründen kein zulässiges und zeitgerechtes Ansuchen beim Heim- oder Jugendwohlfahrtsträger oder den von diesen mit der Abwicklung der Entschädigung beauftragten Institutionen einbringen konnten, oder wenn ihrem zulässigen und zeitgerechten Ansuchen nicht entsprochen wurde, erhalten sie die Rentenleistung unter den sonstigen Voraussetzungen des Abs1, wenn sie wahrscheinlich machen, dass sie nach dem 9. Mai 1945 bis zum 31. Dezember 1999 in einem der genannten Heime oder in Pflegefamilien Opfer eines vorsätzlichen Gewaltdeliktes im Sinne des Strafgesetzbuches – StGB, https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/1974_60_0/1974_60_0.pdf , in der geltenden Fassung, wurden.
(3) Personen, die laufende Geldleistungen nach den Mindestsicherungsgesetzen der Länder beziehen und wegen einer auf Dauer festgestellten Arbeitsunfähigkeit vom Einsatz der Arbeitskraft befreit sind, sind Beziehern einer Eigenpension gleichgestellt."
III. Sachverhalt und Antragsvorbringen
1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1.1. Der Antragsteller wurde während eines Internatsaufenthalts in der Zeit zwischen 1968 und 1970 als Internatschüler mehrfach sexuell missbraucht. Am 18. Jänner 2012 brachte er eine Klage gegen den Heimträger ein und begehrte den Zuspruch eines bestimmten Betrages an Schmerzensgeld und Verdienstentgang. In der Folge wurde die Klage am 2. Mai 2013 unter Anspruchsverzicht zurückgezogen und zwischen den Streitteilen ein außergerichtlicher Vergleich zugunsten des Antragstellers geschlossen, der ihm eine Entschädigung in näher bezeichneter Höhe zusicherte.
1.2. Mit Antrag vom 3. Juli 2017 begehrte der Antragsteller die Zuerkennung einer Heimopferrente. Die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft wies diesen Antrag mit Bescheid vom 17. November 2017 mit der Begründung ab, eine individuelle, durch Gerichtsurteil oder Vergleich zuerkannte Entschädigung sei keine pauschalierte Entschädigungsleistung und begründe daher keinen Anspruch auf die Heimopferrente. Daraufhin erhob der nunmehrige Antragsteller Klage an das Landesgericht Feldkirch.
2. Mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 28. Februar 2019, Z 33 Cgs 278/17k, wurde die Klage auf Gewährung einer Heimopferrente abgewiesen. Zur Begründung verwies das Landesgericht Feldkirch auf die Gesetzesmaterialien, aus denen hervorgehe, dass bei einer gerichtlich zuerkannten oder mit Vergleich festgesetzten individuellen Entschädigung durch den Heimträger (welche in der Regel die Ansprüche endgültig und umfassend regle und die Höhe der pauschalierten Entschädigungsleistung übersteige) keine Zuerkennung einer Rentenleistung ermöglicht werden solle. Der zwischen dem nunmehrigen Antragsteller und dem Heimträger im Jahr 2013 geschlossene Vergleich habe eine individuelle Entschädigung zugesprochen, die die Zuerkennung einer Rentenleistung sowohl nach §1 Abs1 als auch Abs2 HOG ausschließe.
3. Gegen dieses Urteil erhob der Antragsteller am 26. März 2019 Berufung an das Oberlandesgericht Innsbruck. Gleichzeitig stellte der Antragsteller den vorliegenden, auf Art140. Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten (Partei-)Antrag auf Aufhebung von §1 Abs1 und 2 Heimopferrentengesetz.
3.1. Zur Zulässigkeit des Antrags wird darin ausgeführt, dass der Antragsteller Partei des genannten sozialgerichtlichen Verfahrens sei, wobei sich das Erstgericht auf ein verfassungswidriges Gesetz gestützt habe. Würde der Verfassungsgerichtshof die "angefochtene Gesetzesbestimmung bzw die vom Erstgericht herangezogenen Auslegungskriterien als verfassungswidrig aufheben, wäre dem Antragsteller in weiterer Folge eine sogenannte Opferrente zuzusprechen".
3.2. Begründet wird der Antrag mit Bedenken im Hinblick auf die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz gemäß Art7 B‑VG und Art2 StGG und auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art5 StGG und Art1 des 1. ZPEMRK. Dem Antragsteller werde mit Hinblick auf die Gesetzesmaterialien die Heimopferrente verwehrt, weil es zu einem gerichtlichen Vergleich mit dem Heimträger gekommen sei. Dies sei sachlich nicht gerechtfertigt und mache §1 Abs1 und 2 HOG verfassungswidrig, "wenn zu dessen Anwendung zwingend die in den Materialien vorgegebenen Kriterien herangezogen werden". Es sei unsachlich, dass Personen, die ihre Rechtsansprüche auf dem ordentlichen Rechtsweg verfolgen, schlechter gestellt würden als Personen, die ein Sonderverfahren wählten, welches als Alternative zum ordentlichen Rechtsweg eingerichtet worden sei.
IV. Zulässigkeit
1. Der Antrag ist unzulässig.
2. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.
3. Ein auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützter Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen kann gemäß §62 Abs2 VfGG nur dann gestellt werden, wenn das Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht des Antragstellers wäre. Eine Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG setzt daher voraus, dass die angefochtene Bestimmung eine Voraussetzung der Entscheidung des ordentlichen Gerichtes im Anlassfall bildet (VfSlg 20.029/2015; vgl VfSlg 20.010/2015).
4. Vor diesem Hintergrund erweist sich der vorliegende Antrag als unzulässig:
4.1. Der Antragsteller begehrt wörtlich, der Verfassungsgerichtshof möge "§1 Abs1 und 2 Heimopfergesetz (HOG), BGBl Nr 69/2017, zur Gänze," in eventu in bestimmter Hinsicht aufheben.
4.2. Der Antragsteller begehrt daher ausdrücklich (nur) die Aufhebung von §1 Abs1 und 2 Heimopferrentengesetz idF BGBl I 69/2017. Diese Fassung – es handelt sich dabei um die Stammfassung der angefochtenen Regelung – stellt jedoch nicht die im Verfahren vor dem Landesgericht Feldkirch angewendete Fassung dar. Das Erstgericht wendete die derzeit geltende Fassung BGBl I 49/2018, rückwirkend in Kraft getreten am 1. Juli 2017, an. Die (ausdrücklich) angefochtene Fassung BGBl I 69/2017 ist daher offenkundig nicht präjudiziell.
5. Da somit die vom Antragsteller beabsichtigte Rechtsverfolgung vor dem Verfassungsgerichtshof als offenbar aussichtslos erscheint, muss sein unter einem mit dem Antrag auf Gesetzesprüfung gestellter Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abgewiesen werden (§63 Abs1 ZPO iVm §35 VfGG).
V. Ergebnis
1. Der Antrag wird als unzulässig zurückgewiesen.
2. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.
3. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
4. Kosten sind schon deshalb nicht zuzusprechen, weil es im Falle eines Antrages gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG Sache des zuständigen ordentlichen Gerichtes ist, über allfällige Kostenersatzansprüche nach den für sein Verfahren geltenden Vorschriften zu erkennen (zB VfGH 15.10.2016, G339/2015; 2.12.2016, G497/2015).
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