VfGH G93/05

VfGHG93/0526.9.2005

Unsachlichkeit der Abtretungsbeschränkung für Ansprüche auf Arbeitslosengeld im Arbeitslosenversicherungsgesetz unter Hinweis auf die Vorjudikatur

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
AlVG §68
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
AlVG §68

 

Spruch:

Die Worte "übertragen und" in §68 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 (AlVG), BGBl. Nr. 609/1977, in der Fassung der Exekutionsordnungsnovelle, BGBl. Nr. 628/1991, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere Vorschriften treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Der beim Verfassungsgerichtshof zu B25/05 angefochtene Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice für Oberösterreich (Ausschuss der Leistungsangelegenheiten) gibt einer Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Steyr keine Folge, womit die Rechtsunwirksamkeit einer der Behörde vorgelegten Abtretungsvereinbarung festgestellt wird. Mit dieser Vereinbarung werden die Forderungen aus auszuzahlendem Arbeitslosengeld einschließlich Notstandshilfe und Sondernotstandshilfe bis zum Betrag von 13.290,-- Euro samt Zinsen der an derselben Adresse wohnhaften Birgit L. für offene Verbindlichkeiten an Miete, Strom und Heizkosten sowie privaten Zahlungsübernahmen gegenüber einigen Gläubigern abgetreten. Da nach §68 AlVG pfändbare Ansprüche nur zur Deckung gesetzlicher Unterhaltsansprüche gegen den Anspruchsberechtigten rechtswirksam übertragen und verpfändet werden könnten, es sich aber nicht um solche handle, könne die Zession vom Arbeitsmarktservice nicht berücksichtigt werden.

Aus Anlass dieser Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Worte "übertragen und" im offenbar anzuwendenden §68 Abs1 AlVG idF BGBl. 628/1991 entstanden.

Dieser Absatz lautet (die in Prüfung gezogenen Worte sind hervorgehoben):

"(1) Die pfändbaren Ansprüche auf Leistungen nach diesem Bundesgesetz können nur zur Deckung gesetzlicher Unterhaltsansprüche gegen den Anspruchsberechtigten mit der Maßgabe, daß §291b der Exekutionsordnung, RGBl. Nr. 79/1896, sinngemäß anzuwenden ist, rechtswirksam übertragen und verpfändet werden."

In der Fassung nach dem Bundesgesetz BGBl. 615/1987 lauteten die letzten Worte noch "übertragen, verpfändet oder gepfändet werden", doch hat der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis VfSlg. 12.664/1991 die hervorgehobenen Worte aufgehoben, worauf die Gesetzesstelle - ohne dass die Materialien zur Exekutionsordnungsnovelle 1991 sich zur Beibehaltung des verbliebenen Restes der alten Fassung äußerten - die geltende Fassung erhielt. Dieses Erkenntnis, das auf Anträge des Oberlandesgerichtes Innsbruck und des Landesgerichtes Feldkirch in Exekutionssachen erging, die wegen alleiniger Präjudizialität nur bezüglich der dann aufgehobenen Worte für zulässig erachtet worden waren, führte unter anderem Folgendes aus:

"2. Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung sind Ersatz für fehlendes oder entfallendes Arbeitseinkommen. Den in der Literatur hervorgehobenen Zweck, 'den Lebensunterhalt des Leistungsbeziehers und seiner Angehörigen zu sichern' (Dirschmied, Arbeitslosenversicherungsrecht2 Anm. 1 zu §68 AlVG), teilen die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung mit dem Arbeitseinkommen. Auch der Lohn ist für den Arbeitnehmer und seine Angehörigen regelmäßig das einzige Unterhaltsmittel. Der Zweck der Unterhaltssicherung allein kann eine unterschiedliche Behandlung der Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitseinkommen offenkundig nicht rechtfertigen. Diesem Zweck dienen schon die auf einen angemessenen Ausgleich zwischen Gläubiger - und Schuldnerinteressen bedachten Beschränkungen des LohnpfändungsG.

Was die Herkunft der Leistungen aus dem öffentlichen Recht für die Frage der Pfändbarkeit hergeben soll, ist unerfindlich. Auch das Diensteinkommen und die Ruhe- und Versorgungsgenüsse der Beamten unterliegen ungeachtet ihres öffentlich-rechtlichen Charakters dem allgemeinen Lohnpfändungsrecht. Daß die erforderlichen Mittel durch eine Riskengemeinschaft aufgebracht werden, unterscheidet die Leistung aus der Arbeitslosenversicherung aus exekutionsrechtlicher Sicht ebensowenig von Arbeitseinkommen wie jene anderen Sozialversicherungsleistungen, deren besonderen Pfändungsschutz der VfGH bereits für gleichheitswidrig erkannt hat. Auch der - denkbare - Einwand, die Gläubiger müßten sich mit dem aus der Arbeitslosigkeit folgenden Einkommensentfall abfinden, der Verpflichtete sei nicht zu ihren Gunsten gegen Arbeitslosigkeit versichert, wäre nicht berechtigt. Die Arbeitslosenversicherung sichert gegen den Entfall jenes Einkommens ab, mit dem der Versicherte wirtschaften muß. Es widerspricht daher dem Sinn der Einrichtung nicht, wenn die Ersatzleistung den Gläubigern ebenso haftet wie das Arbeitseinkommmen. Was aber den von der Bundesregierung noch ins Treffen geführten Zweck des allgemeinen Lohnpfändungsrechts betrifft, den Arbeitnehmer (durch Erhöhung des pfändungsfreien Teiles mit steigendem Einkommen) stärker zu motivieren und an den Arbeitgeber zu binden (was in der Tat bei Arbeitslosen nicht in Betracht kommt), spricht dieser nicht für die Unpfändbarkeit der Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung: Wo eine solche Motivierung und Bindung nicht in Betracht kommt, müßte eher noch der motivierende Anreiz selbst wegfallen. Zu unterstellen, die allgemeine Pfändungsgrenze wäre deshalb so niedrig, damit ein Anreiz zu höherem Verdienst gegeben werden könne, wäre unangebracht.

Eine Rechtfertigung für die Differenzierung könnte sich also nur aus der geringeren Höhe der Versicherungsleistung oder aus ihrem vorübergehenden Charakter oder aber aus dem Umstand ergeben, daß sie vergleichsweise plötzliche Einkommensveränderungen abfangen soll.

Eine nähere Untersuchung zeigt jedoch, daß auch diese Gesichtspunkte nicht durchschlagen: ......"

Aus diesen Überlegungen, die sich offenbar nur wegen mangelnder Präjudizialität der anderen Fallgruppen bloß auf die Frage der Pfändbarkeit ausgewirkt haben, schien sich zu ergeben,

"dass auch betreffs der Übertragbarkeit (Abtretbarkeit) eine Differenzierung zwischen den Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung und einem Arbeitseinkommen unsachlich wäre (wobei eine allfällige Besonderheit der Notstandshilfe unbeachtet bleiben müsste, weil die in Rede stehende Bestimmung unterschiedslos sämtliche Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erfasst). Jedenfalls kann der Gerichtshof vorläufig auch keinen Grund erkennen, der eine Beschränkung der Übertragbarkeit von Leistungen jenseits der Pfändungsgrenze im Vergleich zum Arbeitseinkommen rechtfertigen würde".

Mit Beschluss vom 6. Juni 2005, B25/05-10 leitete der Verfassungsgerichtshof daher gemäß Art140 Abs1 B-VG das Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des für den Fall der Übertragung allein maßgeblichen Teils des §68 Abs1 AlVG ein.

Die Bundesregierung nahm im Hinblick auf das Erkenntnis VfSlg. 12.664/1991 von einer Äußerung in der Sache Abstand.

II. Das Verfahren ist zulässig und die im Prüfungsbeschluss erhobenen Bedenken sind auch begründet.

Es ist nichts hervorgekommen, was daran zweifeln ließe, dass die belangte Behörde bei der Erlassung des im Anlassverfahren angefochtenen Bescheides die in Prüfung gezogenen Worte "übertragen und" angewendet hat und auch der Verfassungsgerichtshof diese Worte bei der Beurteilung der - zulässigen -Beschwerde anzuwenden hätte.

In der Sache gilt für die Beschränkung der Übertragbarkeit von Leistungsansprüchen aus der Arbeitslosenversicherung offenkundig Gleiches wie für die Beschränkung der Pfändbarkeit. Das Verfahren hat keine Zweifel an der vorläufigen Annahme des Prüfungsbeschlusses entstehen lassen, dass die Begründung des Erkenntnisses VfSlg. 12.664/1991 auch die Unsachlichkeit der Abtretungsbeschränkung dartut. Es genügt daher, auf diese Begründung zu verweisen (weshalb auch offen bleiben kann, ob eine solche Regelung beschränkt auf die Notstandshilfe allenfalls anders zu beurteilen wäre).

Die in Prüfung gezogenen Worte "übertragen und" sind daher wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz (und infolge- dessen auch gegen das Eigentumsrecht) als verfassungswidrig aufzuheben.

Der Ausspruch über die Kundmachung stützt sich auf Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VfGG iVm §2 Abs1 BGBlG, der Ausspruch über die Wirkungen der Aufhebung auf dessen Abs6.

Die Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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