VfGH G282/91

VfGHG282/9125.6.1992

Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung einer Bestimmung betreffend die Anerkennung als Religionsgesellschaft nach dem AnerkennungsG mangels Legitimation; Anspruch auf eine der Rechtskraft fähige Erledigung durch den zuständigen Bundesminister; bei Säumigkeit der Verwaltungsbehörde Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst

Normen

B-VG Art132
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
AnerkennungsG §2
EMRK Art13
B-VG Art132
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
AnerkennungsG §2
EMRK Art13

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. 1. Dem Antragsvorbringen zufolge leiten die vier in Österreich wohnhaften Einschreiter seit Jahren den österreichischen Zweig der unter dem Namen "Zeugen Jehovas" auf der ganzen Erde tätigen Religionsgemeinschaft.

Mit dem vorliegenden, auf Art140 (Abs1 letzter Satz) B-VG gestützten Antrag begehren sie, §2 erster Absatz des Gesetzes vom 20. Mai 1874, RGBl. 68, betreffend die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesellschaften, (im folgenden kurz: "AnerkennungsG"), als verfassungswidrig aufzuheben. Diese Bestimmung verstoße (aus näher dargelegten Gründen) gegen die Bundesverfassung.

Die Antragsteller meinen, die bekämpfte Gesetzesstelle sei für sie unmittelbar wirksam (Näheres s.u. II.2.).

2. Die §§1 und 2 des AnerkennungsG lauten (die Bestimmungen, deren Aufhebung beantragt wird, sind hervorgehoben):

"§.1.

Den Anhängern eines bisher gesetzlich nicht anerkannten Religionsbekenntnisses wird die Anerkennung als Religionsgesellschaft unter nachfolgenden Voraussetzungen ertheilt:

1. Daß ihre Religionslehre, ihr Gottesdienst, ihre Verfassung, sowie die gewählte Benennung nichts Gesetzwidriges oder sittlich Anstößiges enthält;

2. daß die Errichtung und der Bestand wenigstens Einer nach den Anforderungen dieses Gesetzes eingerichteten Cultusgemeinde gesichert ist.

§.2.

Ist den Voraussetzungen des §.1 genügt, so wird die Anerkennung von dem Cultusminister ausgesprochen. (Jetzt: Bundesminister für Unterricht und Kunst)

Durch diese Anerkennung wird die Religionsgesellschaft aller jener Rechte theilhaftig, welche nach den Staatsgesetzen den gesetzlich anerkannten Kirchen- und Religionsgesellschaften zukommen."

3. Die Bundesregierung erstattete aufgrund ihres Beschlusses vom 14. Jänner 1992 eine Äußerung. Sie begehrt primär, den Antrag als unzulässig zurückzuweisen: Die Aufhebung der angefochtenen Gesetzesbestimmung würde die von den Antragstellern angenommene Verfassungswidrigkeit nicht beseitigen; diese Vorschrift sei für die Antragsteller nicht unmittelbar wirksam, weil sie eine Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erheben könnten.

Aufgrund ihres Beschlusses vom 2. Juni 1992 nahm die Bundesregierung zu einigen vom Verfassungsgerichtshof gestellten Fragen Stellung.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Frage der Zulässigkeit des Antrages erwogen:

1. Gemäß Art140 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, daß das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Fall seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art140 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 8594/1979, 10353/1985, 11730/1988).

2. Die Antragsteller machen geltend, daß die angefochtene Gesetzesbestimmung deshalb unmittelbar in ihre Rechtssphäre eingreife, weil sie ihnen nicht ermögliche, die Anerkennung der Religionsgemeinschaft "Zeugen Jehovas", der sie angehören, als Religionsgesellschaft nach dem AnerkennungsG durchzusetzen, auch wenn alle nach dem Gesetz hiefür vorgesehenen Voraussetzungen gegeben seien. So sei der am 27. Juni 1987 von ihnen beim (damaligen) Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Sport gestellte formelle schriftliche Antrag, die "Zeugen Jehovas" als Religionsgesellschaft iS des AnerkennungsG anzuerkennen, - ungeachtet mehrfacher Urgenzen - nicht erledigt worden. Der "Leiter des Kultusamtes" habe nur erklärt, daß kein Rechtsanspruch auf Anerkennung bestehe. Eine Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wegen Untätigkeit der Behörde komme - so die Antragsteller - nicht in Frage, da der Verwaltungsgerichtshof solche Säumnisbeschwerden in ständiger Rechtsprechung als unzulässig zurückweise.

3. Diese Ausgangsposition ist verfehlt:

a) Zur Frage der rechtlichen Durchsetzbarkeit der Anerkennung als Religionsgesellschaft nach dem AnerkennungsG hat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 11931/1988 ausgeführt:

". . .

Das AnerkennungsG geht vom Grundsatz aus, daß die Anerkennung nicht im Weg eines Spezialgesetzes erfolgt, sondern daß im jeweiligen Fall von der Verwaltung zu prüfen ist, ob die Voraussetzungen des AnerkennungsG für eine Anerkennung vorliegen oder nicht. Sind die Voraussetzungen gegeben, so besteht ein Rechtsanspruch auf Anerkennung (vgl. Klecatsky-Weiler, Österreichisches Staatskirchenrecht, 1958, FN 7 Abs2 zu §1 AnerkennungsG und die dort zitierte Literatur; weiters: Klecatsky,

Die Glaubens- und Gewissensfreiheit und die Rechtsstellung der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften in Österreich, EuGRZ, 1982, 444 f.; Pree, Österreichisches Staatskirchenrecht, 1984, 77). Wird die Anerkennung - sogleich - durch Verordnung ausgesprochen (wie dies nach herrschender Praxis geschieht - vgl. zB VfSlg. 11624/1988; VwSlg. 2965 A/1953, 10833 A/1982), erübrigt sich die Erlassung eines Bescheides gegenüber dem Antragsteller. Gelangt die Behörde jedoch zum Ergebnis, daß es an den gesetzlichen Voraussetzungen für eine Anerkennung mangelt, so hat sie über den Antrag bescheidmäßig (negativ) abzusprechen. Der Antragsteller kann also - entgegen der vom VwGH in den Erkenntnissen VwSlg. 2965 A/1953 und 10833 A/1982 vertretenen Meinung - im Weg der Säumnisbeschwerde an den VwGH seinen Rechtsanspruch auf Anerkennung der Religionsgesellschaft durchsetzen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen hiefür gegeben sind.

Eine andere Auslegung verstieße einerseits gegen den Grundsatz, daß Gesetze im Zweifel verfassungskonform auszulegen sind; würde die Rechtsordnung diese Rechtsschutzmöglichkeit nicht einräumen, dürften ... an die Unterscheidung zwischen anerkannten und nichtanerkannten Religionsgesellschaften keine Rechtsfolgen geknüpft werden. Eine gegenteilige Interpretation würde auch das aus Art18 B-VG fließende Prinzip verletzen, daß ein vom Gesetz eingeräumter Anspruch (wie hier auf Anerkennung als Religionsgesellschaft bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen) auch rechtlich durchsetzbar sein muß (vgl. zB VfSlg. 5240/1966; siehe auch Rill, Demokratie, Rechtsstaat und staatliche Privatwirtschaftsverwaltung, in: Wenger-FS, Wien 1983, 61, und die dort in Anm. 18 enthaltenen weiteren Literaturhinweise).

. . .".

Der Verfassungsgerichtshof geht in der eben wiedergegebenen Judikatur also davon aus, daß die Behörde, wenn sie im Zuge des Anerkennungsverfahrens das Vorliegen aller gesetzlichen Voraussetzungen festgestellt hat, verpflichtet ist, die Anerkennung zu gewähren, und daß sie das Ergebnis ihrer Ermittlungen in einer Weise zu äußern hat, die rechtsstaatlichen Grundsätzen entspricht. Bei positivem Ergebnis ihrer Ermittlungen ist sie verpflichtet, die Anerkennung durch Verordnung auszusprechen; sie kann außerdem (zusätzlich) bescheidmäßig das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen feststellen. Bei negativem Ergebnis ist dieses jedenfalls bescheidmäßig auszusprechen und zu begründen. Bleibt die Anerkennungsbehörde untätig, so haben die Anerkennungswerber die Möglichkeit, beim Verwaltungsgerichtshof Säumnisbeschwerde gemäß Art132 B-VG zu erheben. (So schon Gampl, Österreichisches Staatskirchenrecht, Wien 1971, 144 ff. (149), mit Hinweisen auf ältere Literatur; ebenso Gampl, Staatskirchenrecht (Leitfaden), Wien 1989, 49).

Der Verfassungsgerichtshof sieht keine Veranlassung, von dieser Judikatur abzurücken, die auch in Anbetracht des Art13 EMRK geboten ist, der den Trägern von durch die EMRK eingeräumten Rechten (s. im konkreten Zusammenhang die Art9 und 14 EMRK) einen Anspruch auf individuelle Durchsetzung ihrer Konventionsrechte gewährleistet (vgl. insb. Holoubek, Das Recht auf eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz, JBl. 1992, 137 ff., insb. 146).

Der Verwaltungsgerichtshof hat - soweit überblickbar - noch nicht Gelegenheit gehabt, auf die oben zitierte Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes einzugehen.

b) Allenfalls könnte dem Verfassungsgerichtshof entgegengehalten werden, er übersehe die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach eine Säumnisbeschwerde beim Verwaltungsgerichtshof (Art132 B-VG) nur dann zulässig ist, wenn der versäumte Verwaltungsakt in der Erlassung eines Bescheides besteht (vgl. zB VwGH 20.12.1978, Zl. 2701/77). Zurückzuweisen sind nach dieser Rechtsprechung also etwa Säumnisbeschwerden wegen Nichterlassung einer Verordnung (zB VwGH 7.11.1956, Zl. 1871/56; 9.6.1969, Zl. 677/69; 20.3.1986, Zl. 86/06/0038; VwSlg. 5072/A/1959) oder wegen Nichtvornahme einer - schlichten - Beurkundung (zB VwSlg. 100/A/1947; VwGH 12.6.1985, Zl. 85/01/0147). Weiters ist der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zu entnehmen, daß eine Säumnisbeschwerde auch dann unzulässig ist, wenn lediglich die negative, nicht hingegen die positive Erledigung eines Anbringens durch Bescheid zu erfolgen hätte (vgl. etwa VwSlg. 9151/A/1976, und VwGH 20.12.1978, Zl. 2701/77, wonach eine Säumnisbeschwerde nicht zulässig ist, wenn eine nach §3 Z5 des BundesministerienG 1973, BGBl. 389, begehrte Auskunft von der zuständigen Behörde nicht fristgerecht erteilt wurde).

Ein solcher Einwand ginge hier aber ins Leere: Der zuständige Bundesminister ("Cultusminister") hat, wenn er das Vorliegen der Anerkennungsvoraussetzungen verneint, über den Antrag bescheidmäßig negativ abzusprechen; wenn er hingegen zum Ergebnis gelangt, es seien alle Anerkennungsvoraussetzungen gegeben, muß er (wie dies der Verfassungsgerichtshof im oben wiedergegebenen Erkenntnis ausgedrückt hat) entweder "die Anerkennung - sogleich - durch Verordnung" aussprechen oder aber vorerst einen an den (die) Antragsteller adressierten positiven Bescheid und zusätzlich eine an die Allgemeinheit gerichtete Verordnung erlassen. Die Anerkennungswerber haben nämlich - sofern ihrem Antrag nicht ohnedies in der eben beschriebenen Weise durch Erlassung einer Verordnung Rechnung getragen wird - einen individuellen Anspruch auf eine der Rechtskraft fähige und nachprüfbare Erledigung. Dahingestellt bleiben kann hier, ob der (positive) Bescheid und die Verordnung in einem ("janusköpfigen") Verwaltungsakt zusammengefaßt werden dürfen (vgl. hiezu Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechtes, 5. Aufl., Wien 1991, RZ 380).

Der Verwaltungsgerichtshof hat - sofern er nicht (vorerst) von der im §42 Abs4 erster Satz VwGG vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, oder wenn die belangte Behörde dem vom Verwaltungsgerichtshof nach dieser Gesetzesbestimmung erteilten Auftrag nicht nachkommt - über die Säumnisbeschwerde durch Erkenntnis in der Sache selbst zu entscheiden, wobei er auch das sonst der Verwaltungsbehörde zustehende freie Ermessen handhabt (§42 Abs4 zweiter Satz VwGG). Das bedeutet, daß der Verwaltungsgerichtshof an Stelle der säumigen Verwaltungsbehörde die von dieser bescheidmäßig zu treffende Sachentscheidung zu fällen hat (vgl. zB VwSlg. 8704/A/1974). Der Verwaltungsgerichtshof ist zwar nicht ermächtigt, Verordnungen zu erlassen. Das hindert ihn aber nicht daran, über den nach dem AnerkennungsG gestellten Antrag - positiv oder negativ - abzusprechen und damit den verfassungsrechtlichen Anforderungen (insbesondere jenen der EMRK) zu entsprechen. Im Fall einer positiven Entscheidung wird der "Cultusminister" (das ist nunmehr der Bundesminister für Unterricht und Kunst) sodann eine entsprechende Verordnung zu erlassen haben.

c) Der von den Antragstellern behauptete unmittelbare Eingriff in ihre Rechtssphäre liegt sohin nicht vor. Es steht ihnen nämlich - entgegen ihrer Meinung - bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ein durchsetzbarer Rechtsanspruch zu, die Anerkennung der "Zeugen Jehovas" als Religionsgesellschaft nach dem AnerkennungsG zu erwirken.

Der Antrag war daher mangels Legitimation der Einschreiter zurückzuweisen.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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